Dobrindt will Ukrai­ne­r ausweisen: Die Solidarität lässt nach

Arbeitslose Ukrai­ne­r:in­nen würde CSU-Mann Dobrindt gerne ausweisen. Dabei folgt er einem Muster, das sich oft in solidarischen Beziehungen zeigt.

Alexander Dobrindt spricht in rage im Bundestag

Ist solidaritätsmüde: Alexander Dobrindt, der arbeitslose Ukrai­ne­r:in­nen des Landes verweisen will Foto: Sabina Crisan/dpa

Solidarity fatigue, Solidaritäts­ermüdung, nennt man in der Forschung das Phänomen, wenn Empathie und Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren, gegenüber Opfern nachlassen. Sie ist zu beobachten, wenn der Aufwand für die Hilfe von der Solidargemeinschaft als zu groß, als zu langwierig empfunden wird. Dann dreht diese den Spieß um und spricht den Schwächeren, den Leistungsempfängerinnen eine Mitschuld an ihrem Schicksal zu.

Dieses paradoxe Phänomen ließ sich in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit beobachten und lässt sich nun im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine europaweit feststellen.

In Deutschland schlägt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor, Kriegsflüchtlinge wieder in die Ukraine zurückzuschicken, wenn sie keine Arbeit haben. In Norwegen und der Schweiz werden teilweise Sozialleistungen gekürzt, und von den Ukrai­ner:in­nen wird gefordert, eine Arbeit anzunehmen, auch wenn sie nicht zur Qualifikation aus dem Herkunftsland passt. In diesen Ländern sind die Beschäftigungsquoten der Ukrai­ne­r:in­nen dennoch nicht besonders hoch. Deutschland liegt mit einer Beschäftigungsquote von 22 Prozent im europäischen Mittelfeld, das zeigen Vergleiche der Forschungsagentur Eurofound.

Es ist aber kein Luxusproblem, wenn akademisch ausgebildete Geflüchtete aus der Ukraine hier in verschleißende Helferjobs gezwungen werden, weil die Solidaritätsgefühle in Deutschland nicht für eine weitere Finanzierung von Sprachkursen und sonstiger Weiterbildung reichen. In Putzjobs lernt man kein Deutsch.

Wer schon die Heimat, das soziale Umfeld, die Wohnung verloren hat, soll dann auch noch die beruflichen Pläne, den Stolz auf die guten Abschlüsse im Heimatland, die Zukunftshoffnungen begraben – alles hier nix wert. Diese Trauer muss sich vorstellen, wer hierzulande Sprüche über vermeintlich faule Ukrai­ne­r:in­nen klopft. Und dabei nicht wahrhaben will, dass es die eigene Solidaritätsermüdung und ihr Paradox sind, die hier so abfällig sprechen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.