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Bürgergeld für Ukraine-FlüchtendeAlle in einen Sack

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Einige Politiker wollen Deutschland als Fluchtland für Ukrai­ne­r:in­nen unattraktiver machen und sparen. Ein Blick auf die einzelne Lage täte not.

Bild aus einer anderen Zeit: Ankunft von ukrainischen Flüchtlingen am Hauptbahnhof Berlin im März 2022 Foto: Stefan Trappe/imago

W enn es eines Beweises bedurft hätte, wie tief man sinken kann in der Sozialstaats- und Migrationsdebatte, hier sind gleich zwei davon: Systemische und juristische Wirklichkeitsferne zeigt der Vorschlag von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), wehrpflichtigen männlichen Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland kein Bürgergeld mehr zu gewähren, weil sie „fahnenflüchtig“ seien.

Man kann sicher geteilter Meinung sein über Männer, die sich in der Ukraine dem Militärdienst entziehen und die Verteidigung anderen überlassen. Das hiesige Sozialsystem aber für diese Geflüchteten, deren persönliche Umstände man überhaupt nicht kennt, die teilweise mit Frau und Kindern hergekommen sind, als moralisches Sanktionsinstrument zu missbrauchen, ist juristisch wie menschlich unhaltbar. Lächerlich, dass ein Landesminister das ernsthaft auf den Tisch bringt.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schlägt vor, generell den noch ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine das Bürgergeld zu versagen und sie in das schlechter ausgestattete Asylbewerberleistungssystem zu stecken. Damit sollen mehr „Anreize“ gesetzt werden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Ja, es stimmt, die Beschäftigungsquoten der ukrainischen Geflüchteten in Polen und in den Niederlanden sind höher und die Sozialleistungen niedriger als hier.

Und natürlich erhöht man den Druck auf die vor dem Krieg geflüchteten Frauen und Mütter, die teilweise mit Kindern in miserablen Unterkünften leben, irgendwas zu jobben, wenn es weniger Grundsicherung gibt. In Wirklichkeit sagt Djir-Sarai: „Wir wollen, dass die ukrainischen Kriegsflüchtlinge, egal welche Vorbildung, welche Familiensituation sie haben, so schnell wie möglich hier als Helferinnen in der Küche, im Versand, in der Pflege arbeiten. Dafür senken wir die Sozialleistung ab.“

Das ist schäbig gegenüber den Frauen und Müttern, die ja nicht freiwillig hier sind. Deutschland soll als Fluchtort unattraktiver werden für die Ukrainer:innen, um Geld zu sparen. Dieses Vorgehen noch moralisch als „Anreizsystem“ zu verkleistern, ist schon dreist.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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19 Kommentare

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  • die dt Politik und Bevölkerung diskutiert über jede Waffe und militärische Unterstützung für die Ukraine, aber Menschen in den selben Krieg zu schicken, um hier Innenpolitik zu machen, das ist wohl mehrheitsfähig.....

  • Das ist eine unglaubliche Kehrtwende.



    Die Regierung und die Politik ziehen alles in Richtung Warum sind die Menschen dar, warum arbeiten sie nicht,warum kämpfen sie nicht, warum SGB II, warum dies und das. Diese Menschen sind ein Problem und sie müssen gestaltet werden. So jedenfalls die Idee. Dahinter steckt die Krise der EU: außer Deutschland und Frankreich wird jedes Mittel genutzt, um die Menschen in ein anderes Land abzudrängen. Putin will die EU über Geflüchtete und Ukrainer destabilisieren. Das Kalkül scheint langsam aufzugehen.

  • "Ja, es stimmt, die Beschäftigungsquoten der ukrainischen Geflüchteten in Polen und den Niederlanden sind höher"



    Das ist eine sehr blumige Umschreibung für die tatsächlichen eklatanten Unterschiede in der Beschäftigungsquote.



    Im erwerbsfähigen Alter liegt die Beschäftigungsquote bei Ukrainern in Deutschland aktuell bei 25%, in Polen bei 65%, in Dänemark gar bei 81%...



    "Höher" ist dafür eine sehr milde Umschreibung.



    Und es ist auch nicht "schäbig gegenüber den Frauen und Müttern, die ja nicht freiwillig hier sind." Wir sind eine Solidargemeinschaft, wir bieten Obdach, Schutz und Versorgung für jedermann - das ist allerdings kein Freibrief und natürlich soll, nein muss, jeder Mensch der hier ist sein möglichstes tun die Gemeinschaft nicht unnötig zu belasten. Arbeiten zu gehen ist keine Bestrafung sondern eine Selbstverständlichkeit 🤷‍♂️

  • Tatsache ist, dass in Deutschland die Beschäftigungsquote von Ukrainern unter den unserer Nachbarländer liegt. An zu wenig Arbeit liegt es ganz sicher nicht.

  • @WONKO THE SANE

    Exactly.

  • Klar, die Ukrainer sind schließlich weiße Europäer, die muss man schon anders behandeln. Menschen die aus anderen Ländern kommen, in denen auch Krieg herrscht haben dann halt gekniffen. Das ist doch die wirklich widerliche Umsetzung des Asylrechts.

  • Die Entscheidung von Innenministerium und Arbeitsministerium, die UkrainerInnen in das Bürgergeld zu integrieren, war richtig.



    Zentral ist die Finanzierung über den Bund, um die klammen Kommunen zu entlasten.



    Wir haben noch Chancen auf dem Weltmarkt, weil wir gute Produkte herstellen. Grundlage dafür ist Fachwissen und eine gute Ausbildung. Es ist richtig, den Flüchtlingen genau das anzubieten und das beginnt mit der Sprache.



    Wir brauchen keine Tellerwäscher, sondern Elektroingenieure und wir brauchen auch nicht mehr Putzfrauen, sondern Planerinnen für Windkraftanlagen.



    ABM ist Geschichte.



    Wir müssen nicht " Arbeit erfinden", die ist im ausreichenden Maß vorhanden, die Menschen müssen befähigt werden, sie auszuführen.

  • Die Masse ist absolut freiwillig hier und ist auch regelmäßig in der Heimat, wo in weder Verfolgung noch sonstwas droht mit Ausnahme der Wehrpflicht.

    Ich hab absolut Verständnis dass kein 18jähriger an die Front will und eine Flucht davor ist nachvollziehbar.



    Hier aber absolut ohne Gegenleistung, ohne zeitliche Begrenzung und ohne Mitwirkung Sozialleistungen zu zahlen, die eine Aufnahme von Arbeit oder Ausbildung im Wege sind, ist sehr schädlich für junge Menschen und zerstört ihre Zukunft.

  • Bei so vielen, die gleichzeitig kommen, wären die deutschen Behörden gänzlich gelähmt gewesen. Deshalb kommt beim Bürgergeld für Ukrainer die sogenannte Massenzustromrichtlinie ins Spiel.



    Ukrainer müssen EU-weit kein Asylverfahren durchlaufen

    // "Mit der 'Massenzustromrichtlinie' wurde EU-weit entschieden, den Geflüchteten aus der Ukraine befristet einen humanitären Aufenthaltstitel zu erteilen, ohne dass sie zuvor ein Asylverfahren durchlaufen müssen."



    Dieser Durchführungsbeschluss gilt nach Angaben des Ministeriums bis zum 4. März 2025. Daher erhielten Ukrainerinnen und Ukrainer hier einen Aufenthaltstitel nach Paragraph 24 des Aufenthaltsgesetzes.

  • Ich sehe das ein wenig anders: Wie bitte rechtfertigen wir gegenüber anderen rechtmäßig als Flüchtlingen anerkannten Migranten, dass sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz viel geringere Ansprüche haben, als alle Ukrainer? Denen braten wir seit 2022 eine Extrawurst, die sich vor Art. 3 GG nie hat rechtfertigen lassen. Und bitte nicht falsch verstehen, ich sehe schon die Notwendigkeit, dass diese Menschen hier Schutz finden, aber mit zweierlei Maß zu messen geht halt nicht.

    • @dol-fan:

      Ungleichbehandlung ist natürlich ungerecht. Aber alle müssen gleich gut behandelt werden. Nicht gleich schlecht.

    • @dol-fan:

      das Prinzip alles muß für alle gleich sein, sonst ist es ungerecht, führt im Alltag regelmäßig zu einer Verschlechterung. Das Argument lässt sich sehr leicht (und wird auch regelmäßig) zu Kürzung von Leistungen, aber auch bei nichtmaterieller Unterstützung umgekehrt. Und dient als Stütze für Untätigkeit.

    • @dol-fan:

      Obacht! Wenn sie rechtmäßig anerkannt sind, gilt nicht mehr das AsylbLG, sondern das SGB II wie es für Ukrainer früher gilt. Es ist nur so, dass mit Ausnahme von Geflüchteten aus der Ukraine alle anderen das individuelle Asylverfahren durchlaufen müssen. Die "Massenzustromrichtlinie" der EU und der §23 AufenthG hätten umgekehrt 2014/15 durchaus Sinn ergeben für Syrer und Afghanen.



      Und ganz abgesehen davon: Uns fehlen hier Fachkräfte, so sagt man und hört man, zugleich ist es ein ewiges Verhandeln und Bitten und Betteln und "Geht nicht" und "Ja, äh, morgen, ja, äh,...", wenn Geflüchtete von deutschen Behörden Unterstützung möchten und brauchen, um mindestens einen Teil ihrer Fachkompetenz hier anerkannt zu bekommen und finanzielle Hilfe bei einer adäquaten Anpassungsfortbildung zur Arbeitsaufnahme oder gar vor Studium. Wenigsten einer der vielen HWK-Schweißerscheine für afghanischen Schlosser? Business xpert-Kurs für ukrainische Buchhalterin? Deutsch-B2 und C1-Kurs für iranischen Abiturienten auf dem Weg zum Maschinenbaustudium?



      Na, das ist aber so nicht vorgesehen bei Jobcenter und Bundesagentur! Bitte gehen sie in 3-Schicht ans Band.

    • @dol-fan:

      Meines Erachtens hatte das auch organisatorische Gründe: da sind in wenigen Wochen über eine Million Menschen gekommen, das hätten die für Asyl zuständigen Behörden nie und nimmer regelgerecht bewältigen können. Vermutlich gingen die Entscheider auch von einer kurzen Kriegsdauer aus und nahmen an, dass die Ukrainer dann umgehend wieder in die Heimat ziehen würden.

    • @dol-fan:

      Die ungerechtfertigte Extrawurst ist aber nicht das Bürgergeld für die Ukrainer:innen, sondern das beschämende Asylbewerberleistungsgesetz für die Übrigen.

      • @Wonko the Sane:

        Ganz genau so ist es. Es ist insgesamt unglaublich beschämend, dass sich Politiker (natürlich wieder CDU und FDP) aus glaskar und allein populistischen Motiven derart ekelhaft verhalten.

      • @Wonko the Sane:

        Und woher soll das ganze Geld kommen ?



        Schäbig ist, was der steuerzahlenden Bevölkerung zugemutet wird !



        Und ja liebe TAZ, diese lebt trotz Arbeit teilweise auch in schäbigen Unterkünften !

    • @dol-fan:

      Anerkannte Flüchtlinge egal aus welchem Land haben ebenso wie Geflüchtete aus der Ukraine mit Kriegsflüchtlingsstatus Anspruch auf Bürgergeld, nicht nach Asylbewerberleistungsgesetz.

  • Für soviel Schäbigkeit und Widerlichkeit bei der nächsten Wahl 4%!