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Karlsruher Urteil zum KlimafondsSchuld ist die Schuldenbremse

Coronagelder für Klimaprojekte zu nutzen ist laut dem Bundesverfassungsgericht unzulässig. Warum das Grundgesetz jetzt eine Renovierung braucht.

Zerknirschte Ampel-Männchen: Für Klimaschutzminister Habeck (r.) ist das Urteil besonders bitter Foto: Annegret Hilse/reuters

Worum geht es bei dem Streit um die Schuldenbremse?

60 Milliarden Euro, eine ziemlich große Summe, hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Haushalt der Bundesregierung herausgestrichen. Die Richterinnen und Richter attestierten der Ampel­koa­lition aus SPD, Grünen und FDP, die Schuldenbremse im Grundgesetz verletzt zu haben. Kaum war das Urteil veröffentlicht, begann die Diskussion über die Konsequenzen. Zentrale Fragen: Kann und soll die Schuldenbremse so weiterbestehen wie bisher? Oder schränkt sie die Handlungsmöglichkeiten der Regierung zu sehr ein?

Wie funktioniert die Bremse?

Die Regel im Grundgesetz sieht vor, dass sich der Bund mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr zusätzlich verschulden darf. Wenn die Konjunktur schlecht läuft, dürfen ein paar Milliarden Euro hinzukommen. Die Bundesländer können sich in der Regel nicht verschulden, was auch die Finanzierung der Städte und Gemeinden begrenzt. Es gibt Ausnahmen für „außergewöhnliche Notlagen und Naturkatastrophen“. Dann sind auch sehr große Kreditaufnahmen von mehreren hundert Milliarden Euro möglich. Allerdings verlangt das Grundgesetz in solchen Fällen einen Tilgungsplan: Die zusätzlichen Schulden müssen komplett zurückgezahlt werden. Für die Corona-Kredite soll das ab 2028 geschehen. Das kostet den Bundeshaushalt dann zunächst 12 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz steigend.

Wie kam es zur Schuldenbremse?

Der Bundestag beschloss die Regel am 29. Mai 2009. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) regierte in ihrem ersten Kabinett zusammen mit der SPD. Peer Steinbrück (SPD) war Finanzminister. Union und Sozialdemokraten stimmten dafür, Grüne und Linksfraktion dagegen, die FDP enthielt sich. Es war die Zeit der Weltfinanzkrise. Der Staat stellte hunderte Milliarden Euro bereit, um gescheiterte Banken und die Wirtschaft insgesamt vor dem Kollaps zu bewahren. Die Schuldenbremse sollte auch dazu dienen, Wäh­le­r:in­nen und Po­li­ti­ke­r:in­nen die Angst vor einer gigantischen Verschuldung zu nehmen.

Was hat sie bisher bewirkt?

Wenig. Erst gab es eine Übergangszeit, bis sie richtig in Kraft war. Dann kamen die guten Jahre. Die Wirtschaft lief, die Zahl der Beschäftigten nahm zu, die Löhne wuchsen. Die Regierungen freuten sich jedes Jahr über Rekordeinnahmen, die Einnahmen überstiegen die Ausgaben. Es wurden sogar kleine Reserven für schlechtere Zeiten angelegt. Dann folgte die Coronapandemie, und erstmals zog die Bundesregierung – wieder Union und SPD – die Katastrophenkarte. Jetzt wirkt die Bremse zum ersten Mal blockierend. Die Konjunktur ist schwach, die Summe der möglichen Kredite klein, der Finanzbedarf jedoch groß.

Brauchen wir die Bremse, um Inflation zu verhindern?

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) befürchtet, zusätzliche schuldenfinanzierte Staatsausgaben würden die Preissteigerung weiter anheizen – zulasten der Privathaushalte und Unternehmen. Der Mechanismus: Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, können Verkäufer höhere Preise aufrufen. Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) widerspricht: „Moderat höhere Staatsschulden würden momentan die Inflation nicht oder kaum antreiben.“ Zwar erhöhen kreditfinanzierte öffentliche Ausgaben die Nachfrage, doch eine zu hohe Nachfrage sei nicht der Grund der augenblicklichen Inflation. „Die Preisanhebungen für Energie und andere Güter beruhen unter anderem auf Verknappungen des Angebotes und geopolitischen Spannungen“, so Beznoska.

Ist die Bremse nötig, um Überschuldung zu verhindern?

Darauf weist Finanzminister Lindner immer wieder hin. Für heute aufgenommene Kredite muss die nächste Generation die Zinsen bezahlen. Wenn dann aber, wie zu erwarten, wegen der Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge weniger Beschäftigte arbeiten als heute, mag es ihnen schwerer fallen, den Schuldendienst zu leisten. Die Schulden, die pro Kopf zu tragen seien, würden aus dem Ruder laufen. Auch hier liefert IW-Ökonom Beznoska ein Gegenargument.

Wenn die jährliche Neuverschuldung niedriger liege als das Wirtschaftswachstum, erklärt er, gebe es kein grundsätzliches Pro­blem. Dann nähme die gesamt­staatliche Verschuldung sogar ab, und die Staatsfinanzen blieben stabil. Bei einem angenommenen Zuwachs des BIPs von 1,5 Prozent könnte die Kreditaufnahme also durchaus 1 Prozent betragen, und nicht nur 0,35 Prozent, wie die Schuldenbremse momentan gestattet. Aus dem steigenden BIP sollten sich auch die Zinsen finanzieren lassen. Die Regierung hätte dann einen größeren Spielraum für Ausgaben, zum Beispiel für nötige Investitionen.

Was wäre der Sinn einer Reform?

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Solche Überlegungen laufen auf eine Änderung der Schuldenbremse hinaus, nicht ihre Abschaffung. Ökonominnen und Ökonomen wie Monika Schnitzer (Wirtschaftsweise), Achim Truger (Wirtschaftsweiser), Marcel Fratzscher (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) und Michael Hüther (IW) brachten die Idee ins Spiel, staatliche Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen.

Für Konsumausgaben wie Rente, Gehälter, soziale Sicherung würde sie weiter gelten. Ausgaben aber, die Werte für künftige Generationen schaffen, könnte der Staat in größerem Umfang mit Krediten finanzieren, etwa die Förderung für Solar- und Windkraftwerke, Subventionen für Stahlerzeuger, die von Kohle auf grünen Wasserstoff umsteigen und die Modernisierung der Schulen. Auch die bessere Ausrüstung der Bundeswehr könnte darunter fallen – als Investition in die Sicherheit gegenüber Russland.

Wie realistisch ist eine Reform?

Momentan erscheint sie unwahrscheinlich. SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wären wohl dafür. Die letzten Reste der Linksfraktion im Bundestag vielleicht auch. Eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit haben diese Parteien aber nicht. Union und FDP lehnen eine Lockerung der Schuldenbremse ab, ebenso die AfD. Wer weiß, vielleicht wäre das ein Kompromiss: Union und FDP bekommen eine Steuersenkung für Unternehmen, SPD und Grüne im Gegenzug eine Lockerung der Schuldenbremse?

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23 Kommentare

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  • Bevor jetzt alle in Schockstarre verfallen oder sich bedauernd zurücklehnen "Tja, leider können wir keinen Klimaschutz mehr umsetzen, weil uns das fiese BVG das Geld gestrichen hat", braucht's andere Schritte. Es gibt reichlich klimaschädliche Subventionen: bitte streichen. Es gibt reihenweise Einzelmaßnahmen für Klimaschutz: bitte nutzen. Also statt 'Mimimi' und Debatten über eine Verfassungsänderung einfach mal umdenken und machen. Wir haben schon genug Zeit verplempert.

  • Das wäre kein Thema, und schon gar kein Problem, wenn es eine gleichberechtigte Teilhabe am gemeinsam erwirtschaften Erfolg geben würde.

  • Das Problem ist nicht die Schuldenbremse,



    sondern die CDU.



    Nach dem Motto: " wo kein Kläger, da kein Richter", hätte das Land 60 Milliarden in die Zukunft des Landes und für weniger Klimawandel investieren können.



    Die CDU ist aber nicht am Wohl unseres Landes und der Welt interessiert, sie möchte nur der Ampel Steine in den Weg legen .



    Die nächste Klage hat Die ja schon angekündigt.



    Für die Zukunft seh' ich schwarz!

  • Es gibt genügend Beispiele für Staaten, die wegen Überschuldung gescheitert sind. Die Überprüfung der Ausgaben wäre logisch, wenn auch unbeliebt.

  • „Moderat höhere Staatsschulden würden momentan die Inflation nicht oder kaum antreiben.“



    Da liegt wohl die Betonung auf "momentan". Auf die Dauer aber schon.



    Und das "moderat" würde ich doch deutlich anzweifeln. Was da alles über Schulden finanziert werden soll, bis indirekt hin zu laufenden Subventionen...

  • Zukünftige Generation werden den Erfindern der Schuldenbremse noch danken. Der Grundsatz „Nicht mehr auszugeben, als man einnimmt.“ gilt für Privatpersonen, Unternehmen und den Staat.

    • @Dirk Osygus:

      Nein, Unternehmen geben durchaus mal viel mehr aus, als sie einnehmen und finanzieren das auf Kredit. Das ganze nennt sich „Investition“ und ist höchst sinnvoll, wenn man mithilfe der Investition den Kredit in überschaubarem Zeitraum wieder zurückzahlen kann und anschließend sogar zusätzliche Gewinne machen kann. Ebenso kaufen Privatleute z.B. ein Haus, obwohl sie „nur“ 25% Eigenkapitalquote aufbringen. Und so etwas kann eben auch für den Staat sinnvoll sein –um so mehr, wenn die Kosten für Nichtstun höher sind, als die Finanzierung der notwendigen Investitionen. Und das könnte für einige Bereiche der Infrastruktur und des Klimaschutz locker gelten.

    • @Dirk Osygus:

      Danke für die wahren Worte, auch wenn man das weiter links meist total anders sieht.

    • @Dirk Osygus:

      Zukünftige Generation werden die Erfinder der Schuldenbremse noch verfluchen.



      Schöner Kommentar aus der Fachpresse dazu:



      verfassungsblog.de...g-des-politischen/



      Daraus: "Der Klimaschutz und, sollten wir diesen vernachlässigen, erst recht die Folgen des Klimawandels werden unsere Gesellschaft sehr viel Geld kosten, das irgendwoher wird kommen müssen. Dieser unumgänglichen Realität steht jedoch eine tief verwurzelte Sparmentalität gegenüber, für die Deutschland seit Jahrzehnten international berühmt und in manchen Teilen der Welt auch berüchtigt ist ‒ und die zu ignorieren wahltaktisch riskant wäre. Die Politik wollte glauben, dass sie diesen beiden Zwängen zugleich würde Einhalt gebieten können."



      Was nun ad absurdum geführt wurde.



      Die Idee, zukünftigen Generationen keine Schulden zu hinterlassen zu dürfen und dafür eine Klimakatastrophe, ist völlig verstrahlt. Die Nachkommen werden froh sein um jeden Cent, den sie zurückbezahlen müssen, wenn damit ihr Überleben gesichert wurde.

  • Fantastisches Statement, die Schuldenbremse muss endlich fallen!



    Der Skandal um diese "Umwidmung" macht auf einleuchtende Weise klar, wie widersinnig der Hype um die Nullverschuldung ist.



    Jetzt wird wegen der Schuldenbremse am Klimaschutz gekürzt.



    Das Argument war immer, Schulden vermeiden ist wichtig, um unseren Kindern keine untragbaren Lasten zu hinterlassen.



    Wenn wir den Kindern aber keine Schulden hinterlassen, dafür aber auf Klimaschutzinvestitionen verzichten, beißt sich die Katze in den Sack. Die Kinder werden dann dank Schuldenbremse vielleicht weniger Staatsschulden schultern müssen, haben aber den ungebremsten Klimawandel am Hals. Das führt die Schuldenbremse ad absurdum. Lieber hohe Schulden und weniger Erderwärmung als umgekehrt! Das werden bestimmt auch die Kinder einsehen.

    • @Günter Picart:

      Die Katze beißt sich in den Schwanz.

      • @Waage69:

        Um bei dem Bild zu bleiben: Die Katze beißt sich in den Schwanz, wenn durch immer weiter Kredit finanzierte ausufernde Staatsausgaben die Inflation getrieben wird.

        Sozial ist das bestimmt nicht.

        Wir brauchen es ja nicht gleich wie die schwäbische Hausfrau oder Weiland der Herr Brüning mit seiner desaströsen Deflationspolitik zu machen, aber so etwas das Verhältnis der Ein- und Ausgaben im Blick zu behalten kann nur richtig und nachhaltig sein.

        Dem Klima nutzen exzessive Staatausgaben auch nur wenig.

        Man könnte es ja mal mit Umschichtungen versuchen: Die Hälfte der geplanten Ausgaben für den Erhalt und Ausbau Straßen einfach konsequent Richtung Eisenbahn verschieben.

        ...oder ein befristeter Weiterbetrieb der letzten 6 AKW statt Industriestromsubventionen - würde viel Geld sparen. (Sorry, mein Steckenpferd, musste ich bringen...)

        ...oder ein Tempolimit 30 statt 50 innerorts, 50 statt 70 bzw. 90 statt 100 über Land und 120 statt Vmax auf der Autobahn - kostet gar nichts.

        ...oder das Fahrzeuggewicht und die Reifenbreiten über das für den Einsatzzweck technisch notwendige hinaus zu besteuern - brächte sogar Geld ein.

        ...oder mal Grundsätzlich an die Einnahmeseite gehen: Google und Co. in einer international abgestimmten Aktion fiskalisch enger an die Kandare nehmen, oder eine Börsenumsatzsteuer auf diese ganzen Zockerbewegungen im Zehntelsekundentakt...

    • @Günter Picart:

      Da die Erderwärmung allerdings nicht aufgehalten wird durch Investitionen in Deutschland, weil der Anteil zu klein ist, werden die Kinder eben nicht verstehen und akzeptieren, warum man hohe Schulden UND Klimaerwärmung hat, trotz Investitionen.

  • Das wird echt eine "urban legend".

    Die Schuldenbremse ist NICHT das Hauptproblem, sondern, dass Kreditermächtigungen gebunkert wurden (jur. Jährlichkeit)

    Die Kreditermächtigungen wurden so einfach von Corona zu Klima umgewandelt.

    Da können Sie die Schuldenbremse so oft abschaffen wie sie wollen: das ist auch in Zukunft nicht verfassungsgemäß und darüber sollte jeder Demokrat froh sein.

    • @GregTheCrack:

      Das sehen die Fachleute anders. Sowohl der gestern im DLF befragte Fachjournalist als auch David Schwarz aus Bayreuth (siehe Link zwei drüber) sehen das eher als ein Nebenproblem, das zwar gelöst werden muss, aber nicht der entscheidende Punkt ist. Auch unter Beachtung dieser Prinzipien ("Jährlichkeit" und "Jährigkeit", wie Schwarz erläutert) ist es bei Aufrechterhaltung der absurden "Schuldenbremse", die aus einer ganz anderen Zeit stammt, auch weiterhin unmöglich, schuldenfinanzierte Nebenhaushalte für die Bewältigung der Klimafolgen und andere Weltkrisen zu schaffen.

  • Wir haben viel zu lange mit Spendierhosen regiert

    Es gibt jemanden, der unsere Schulden bezahlen muss - unsere Kinder.



    Deshalb bin ich gegen immer noch mehr Schulden und halte Argumente wie "in die Zukunft investieren" für sehr scheinheilig.



    Denn um in die Zukunft zu investieren ist bereits ein fetter Haushalt da, das Geld wird nur völlig falsch verteilt. Ein Sozialstaat kann nicht "sozialer" sein, als dass es die Kasse zulässt.



    Genau so scheinheilig sind Sprüche wie '"von oben nach unten verteilen" und "Vermögenssteuer wieder einführen". So was hat es in einer Demokratie noch nie gegeben und ich glaube auch nicht daran, dass so etwas je funktionieren wird. Die deutschen Millionäre und Milliardäre zeigen uns jeden Tag, wie man es umgehen kann, und wenn es aus Monaco aus oder über die Caymaninseln ist.

    Bleibt was eigentlich keiner hören will: Wir müssen UNSEREN Gürtel ALLE enger schnallen, damit unsere Kinder nicht in Schulden ersticken, eine gute Bildung genießen konnten und das Klima lebenswert bleibt. Und wenn wir dann noch auf "Retter der Welt" machen werden die Schulden noch weiter explodieren.

    • @Rudi Hamm:

      Jedes Unternehmen verschuldet sich, um Investitionen zu tätigen. Nur der Staat darf das nicht.

    • @Rudi Hamm:

      Na ja, eine Vermögenssteuer gibt es sogar in der nicht gerade sozialistischen Schweiz. Aber bei uns ist die Vermögensteuer im Prinzip mit der Erbschaftssteuer vorhanden. Wenn es da nicht diese absurden Ausnahmen geben würde (www.finanzwende.de...-schenkungsteuer/). Aber natürlich, 2024 macht allein der Schuldendienst über 8% vom Bundeshaushalt aus. (www.bundeshaushalt...halt-digital.html). Das sind fast 39 Mrd €. Oder ähnlich viel wie das Budget von Volker Wissings Verkehrsministerium. Etwas über Schulden zu finanzieren macht meiner Ansicht nach nur Sinn, wenn die Rendite des Invests höher ist, als die Zinsen für die Schulden. So bezahlt man für eine neu gebaute Straße auch noch in 100 Jahren, wenn die Straße längst kaputt ist. Sonst müsste man entweder die Steuern erhöhen, wir sind aber schon eins der Länder mit der höchsten Abgabenlast (Platz 2 hinter Belgien in der OECD www.tagesschau.de/...tschland-100.html), oder auf der Ausgabenseite mal streichen. Aber dann schreien wieder alle, nur nicht bei mir… Und „von oben nach unten verteilen“: das machen wir eigentlich immer. (www.wirtschaftsdie...-abgabenlast.html).

  • Ich bin ja nun nicht unbedingt ein Fan der Schuldenbremse, wenn sie auch durchaus ihre Argumente hat.



    Aber der Ansatz, je nach Tageslaune oder politischen Zielen an der Verfassung rumzudoktern, stimmt mich unbehaglich.

    • @Encantado:

      Dem kann ich nur zustimmen.



      Und wenn dann Habeck heute argumentiert, das Urteil würde das Wirtschaftswachstum begrenzen, und das genau zu einem Zeitpunkt, zu dem seine Prognosen nicht aufgehen und die Wirtschaft schrumpft, dann ist es offensichtlich, dass man hier kurzfristiges Politikversagen mit Schulden zudecken will.

      Die Entscheidung aus Karlsruhe kam schliesslich alles andere als unerwartet, und die Gesamtregierung hat keinerlei strategische Vorsorge getroffen. Genau diese politische Weitsicht ist gefordert, und kann man von einer Regierung erwarten, nicht die beliebige Änderung des Grundgesetzes.

      Gute Wirtschaftspolitik schmeißt eben nicht ziellos mit Geld um sich, sondern investiert dort, wo es notwendig und sinnvoll ist.

  • "Bei einem angenommenen Zuwachs des BIPs von 1,5 Prozent könnte die Kreditaufnahme also durchaus 1 Prozent betragen, und nicht nur 0,35 Prozent, wie die Schuldenbremse momentan gestattet."

    --> Ein angenommenes Wachstum des BIP um 1,5 % ist (zumindest für das aktuelle Jahr und allernächste Vergangenheit) illusorisch. Momentan schrumpft das BIP um 0,9 %. Nach dieser Logik müssten wir dann dieses Jahr Schulden tilgen und nicht aufnehmen (quasi buchstäblich anti-keynessianisch). Von der Logik der Koppelung der Schulden an das BIP-Wachstum sollten wir fernhalten. Dieser Weg ist brandgefährlich. Nicht alles was gut klingt, ist auch gut.

    • @Kriebs:

      Diese Koppelung gibt es überhaupt nur für den, der nicht zwischen Obergrenze und Sollwert unterscheidet. Im Idealfall hat der Staat gar keine Schulden. Bis weit ins 19. Jahrhundert waren auch Steuern die unerwünschte Ausnahme für Sonderausgaben, den Großteil seiner Ausgaben bestritt der Staat aus eigenem (Kammer-)Vermögen. Der Schuldenstaat mit Fiatgeld und hoher Steuerlast ist eine sehr junge Erfindung.



      Theodor von Pistorius, Gemeindefinanzen und Steuern, Ein Vortrag. Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 90 (1931), 561–581.

      • @Axel Berger:

        Aus Vermögen hat der Staat seine Ausgaben sicher nicht bestritten, sondern aus den Einnahmen dieses Vermögens. Das waren aber Abgaben, die von den Bauern an ihren Grundherrn zu zahlen waren. Das war in keiner Weise besser als allgemeine Steuern.