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NS-Geschichte und GazaWer Gaza sagt, muss Dresden sagen

Steffen Greiner
Kommentar von Steffen Greiner

Deutsche Täter sind keine Opfer, hieß es nach den Bombardements deutscher Städte 1943. Wie hängt das mit der Wahrnehmung von Gaza zusammen?

Mahnmal der Bombardierung Berlins am 23. November 1943: Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Foto: Tobias Kruse/Ostkreuz

N atürlich hinken alle Vergleiche und Geschichte funktioniert selten eins zu eins. Aber: Wo unterstellt wird, weiß-christlich-deutsche Solidarität für die israelische oder palästinensische Seite beruhe vor allem auf der deutschen Scham über die Shoah, wird ein Aspekt kaum bedacht.

Deutsche Solidarität könnte auch verhandeln, was im offiziellen Gedächtnistheater des Erinnerungsweltmeisters kaum gespielt wird, aber im kollektiven Unterbewussten präsent bleibt: der Bombenkrieg gegen deutsche Städte ab 1943.

Es lässt sich vermutlich nicht über den 7. Oktober ohne den Holocaust als Fluchtpunkt sprechen. Aber lässt sich über das Bombardement einer totalitär regierten Stadt, in der ein genozidales Massaker geplant wurde, sprechen, ohne in Deutschland Bilder der Operation Go­morrha (Anm. d. Red.: Codename für Luftangriffserie durch Alliierte auf Hamburg 1943) oder den Bomben über Berlin aufzurufen? Muss, wer Gaza sagt, auch Dresden sagen?

In der Operation über Hamburg starben in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 über 30.000 Menschen, als sich nach tagelangem Bombardement ein Feuersturm über die Arbeiterquartiere Rothenburgsort und Hammerbrook legte. Dem das Bild prägenden britischen Angriff auf Dresden im Februar 1945 fielen 25.000 Menschen zum Opfer. Berlin wurde ab November 1943 bombardiert, bekanntestes Relikt: die am 23. November abgebrannte und als Ruine belassene Gedächtniskirche.

Harmloser Begriff „Nachkriegsarchitektur“

Aber auch kleinere Städte wie Hameln, Friedrichroda oder Hof verzeichneten zivile Opfer im dreistelligen Bereich. Hinter dem harmlosen Begriff „Nachkriegsarchitektur“ liegen Fußgängerzonen, die von geschätzten 500.000 Toten und zehn Millionen Obdachlosen Zeugnis ablegen. Eine enorme Verdrängungsleistung und nur Spurenelemente von Erinnerung.

Für damals junge Menschen war die Luftschutzkellererfahrung eine zentrale des Krieges. Nicht der Holocaust, das Gefühl, zu Unrecht und unschuldig bestraft zu werden, für etwas, was andere („Hitler“) taten, dominierte das Narrativ. Gleichzeitig erlaubte die allgemeine Verdrängung der Zeit vor Mai 1945 kein reales Trauern.

Die Toten wurden aus der Wirtschaftswundergemeinschaft ausgeschlossen, Schatten aus einer grauen Vorzeit im Neuaufbau der Städte. Alexander und Margarete Mitscherlich konstatierten 1967 eine viel zitierte „Unfähigkeit zu trauern“.

Sie bezog sich weniger auf die toten Zi­vi­lis­t*in­nen als auf den verschwundenen „Führer“, entsprang weniger einem kollektiven Trauma als einer kollektiven Beleidigung des Selbstwertgefühls. Aus dieser Unfähigkeit und Unlust ist die postnazistische Gesellschaft nie ausgestiegen. Literarische Zeugnisse gibt es zuhauf, genauso Mahnmale, die aber niemand richtig zuordnen kann.

Die offene Trauer über die Bombenopfer wurde Rechten überlassen, während sich auf der Linken die Deutung durchsetze, dass alle, die im System der NSDAP nicht aktiv Widerstand leisteten, an den deutschen Genoziden teil hatten. Die völkerrechtlich schwierig zu bewertenden Angriffe auf deutsche Städte wurden so interpretiert, dass sie keine Gewalt gegen Zi­vi­lis­t*in­nen darstellten, sondern gegen eine kollektiv schuldhafte Tätergemeinschaft.

„Deutsche Täter sind keine Opfer“

Proteste gegen die Vereinnahmung der Dresdener Vergangenheitsbewältigung durch Nazis, die bevorzugt vom „Bombenholocaust“ sprechen, standen lange unter dem Motto „Deutsche Täter sind keine Opfer“.

Oder, wie es der Herausgeber des linken Magazins konkret, Hermann Gremliza, formulierte: „Wer sich in der Tür der Gaskammer den Finger eingeklemmt hat, erzähle sein Leid und weine.“ Angesichts der breiten Zustimmung der Deutschen zum System bis zum Ende eine punktgenaue Analyse der Erinnerungsarbeit.

Tatsächlich starben in großer Zahl Trä­ge­r*in­nen des Systems. Widersprüche wie die Opfer in der Dresdner Haftanstalt Mathildenstraße, in der zahlreiche gefangene An­ti­fa­schis­t*in­nen starben, mussten in dieser Erzählung allerdings ignoriert werden. Das trifft auf das Gaza der Gegenwart ebenso zu. Auch in Gaza sind die Sympathien für die Hamas, gelinde gesagt, unterschiedlich verteilt.

Oft fällt der Begriff „Faschismus“ für Hamas und ihr verwandte Gruppierungen, aber selbst in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wird er schwammig verwendet. Wie hat die Hamas die Gesellschaft seit ihrer Machtergreifung aus Wahlen heraus umstrukturiert, abseits islamistisch-patriarchaler Klassiker? Basiert das System nur auf Unterdrückung oder hat die jahrelange Propaganda gefruchtet, sodass die Zivilgesellschaft in ihrem alltäglichen Handeln still Zustimmung gibt, Mitläufertum, Denunziantentum belohnt wird?

Sicher ist: Breite, offensiv geführte Widerstandsbewegungen sind nicht erkennbar. In Deutschland sind Menschen in Gaza zu Spielsteinen der alten Debatte geworden, wie sich Schuld in einem System verteilt, das auf kollektive Komplizenschaft aufbaut.

Identifikation mit mitlaufenden Vor­fah­r*in­nen?

Bis heute bleibt der Bombenkrieg gegen deutsche Städte eine Grauzone, rechtlich wie emotional. Wer von diesen Toten redet, muss auch die anderen erwähnen, die Grausamkeiten, die erst dafür sorgten, dass Menschen solche Vernichtungsstürme auszulösen für denkbar halten, den Holocaust, den brutal geführten Krieg gegen europäische Nachbar*innen.

Die Angriffe trafen Säuglinge und Kom­mu­nis­t*in­nen im Widerstand genauso wie die vielen Mit­läu­fe­r*in­nen und Profiteur*innen. Gleichzeitig sind die Bombardierungen Teil der Geschichte des Bezwingens des deutschen Faschismus.

Nicht der heroischste Teil, aber dennoch einer, für den Menschen in der deutschen Demokratie sogar Dankbarkeit schulden. Dass faschistische Gewalt nicht mit Friedensbotschaften und Appeasement zu vernichten ist und gleichzeitig Empathie mit den Opfern einfordern – das sagt sich leicht.

Überschießende Reaktionen auf Gaza

Eine solche Haltung ist angesichts der emotionalen Macht der Bilder von Zerstörung jedoch kaum aufrechtzuerhalten. Es bleibt eine offene Frage, ob Deutsche die Bilder staubiger Kinder auf Schuttbergen betrachten können, ohne sich an die Bilder vom zerstörten Berlin zu erinnern.

Wie viel Identifikation mit den „ausgebombten“ mitlaufenden Vor­fah­r*in­nen steckt in den überschießenden deutschen Reaktionen auf die Bilder aus Gaza, die bei Social Media als „Menschlichkeit“ verklärt werden? Wie viel von der überschießenden Reaktion, die in jedem Palästinenser nur den potenziellen Täter sieht, hat mit der Abwehr dieser Identifikation zu tun?

Das ungeklärte Verhältnis von Gesellschaft, Täterschaft und zerstörerischer Konsequenz zeigt sich nicht nur in der ignoranten Forderung, Palästina von deutscher Schuld zu befreien. Es wäre ihr entgegenzusetzen: eher von deutscher Trauer.

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Steffen Greiner
Steffen Greiner ist Autor, Dozent und Journalist. Er war Chefredakteur der Zeitschrift zur Gegenwartskultur "Die Epilog" und Co-Autor des erzählenden Brief-Sachbuchs "Liebe, Körper, Wut & Nazis" (Tropen 2020). Im Februar 2022 erschien seine Erkundung zur Geschichte der spirituellen Querfront in Deutschland zwischen Lebensreform, Weimar und Corona "Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern", ebenfalls bei Tropen.
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27 Kommentare

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  • Skatelefants , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Ist es letztlich nicht eine einzige Frage die egal ob Nazi Deutschlan oder Hamas Terror betrifft die: Welches Leid darf, kann oder muss toleriert werden um Terrorregime (militärisch als ultima ratio) abzusetzen?

  • "Deutsche Täter sind keine Opfer,"

    Der Vergleich hinkt bereits mit der Täter Definition der Opfer im Gaza gewaltig.

    Der allergrößte Teil der Opfer der israelischen Bombardierungen sind weder Mitglieder der Hamas noch Sympathisanten der Hamas.

  • Hmmm - damals, als Alles unter brummelnden Erschütterungen im Luftschutzkeller saß...

    ...war mein, zwischenzeitlich in reifem Alter verstorbener, VATER gerade mal ein Säugling. Wie soll MICH (oder irgendwen sonst unter den 90+% deutlich nach dem Krieg Geborenen) da "retraumatisieren", was heute in Gaza geschieht??

    Ich weiß ja um die linke Tugend der stets abrufbaren Betroffenheit von Allem und Jedem. Aber wenn die SO weit aus der persönlichen Erinnerungswelt rausgeht und das Vergangene trotzdem als eigene "Erfahrung" beansprucht, dann ist das ist keine "Empathie" mehr, sondern entweder Hinterherhängen oder eine Verhaftung in einem "Volksseelen"-Konzept, das mir ganz übel aufstößt.

  • Danke für diese treffende Zusammenfassung.



    Beim Lesen des Titels habe ich erstmal gezuckt, weil ich dachte jetzt kommt das übliche Mimimi ".. aber Dresden".



    Kassel ist 1943 auch zu großen Teilen durch Flächenbombardements zerstört worden und es gibt hier zu den Jahrestagen Trauer- und Mahnveranstaltungen, aber in kleinem Rahmen und ohne Naziaufmärsche. Die Frage hier ist ob dieser eher leise Umgang damit auch davon geprägt ist, dass sich die Rüstungsbetriebe damaks mitten im Stadtgebiet in unmittelbarer Nähe zu den Arbeiterwohnvierteln befanden und jeder täglich sehen konnte, was dort produziert wurde und wie die Zwangsarbeiter dorthin getrieben wurden, oder ist es einfach Verdrängung.

  • Und wie beurteilt man in diesem Zusammenhang die Vertreibungen? Die Verteibungen der Deutschen aus den Ostgebieten wird allgemein als gerechtfertigt angesehen wegen der schweren Verbrechen die Deutschland den Osteuropäern angetan hat und wegen der großen Zustimmung die das Naziregime bei der Bevölkerung hatte. Dies hat meine volle Zustimmung. Kann man daraus eine Rechtfertigung für die Vertreibungen der Palästinenser ableiten? Ich weiß es nicht.

  • Hinzuzufügen wäre auch noch ein Vergleich der Vertreibung:



    Die aus den sog. Ehemaligen deutschen Ostgebieten wie Ostpreußen Vertriebenen haben lange die Hoffnung und den verständlichen Wunsch gehabt, zurückzukehren. Deren Kinder und Enkel aber haben sich neu orientiert, die Situation akzeptiert ( Viellecht als Akzeptanz der "deutschen Schuld", quasi als gerechte Strafe?) und heute wohl kaum noch den Wunsch, Ostpreußen und co. Zurückerobern zu wollen. Das freundschaftliche Miteinander mit Polen und co. Hat sich in den letzten Jahrzehnten für alle bewährt.



    In Gaza aber wird der "Opferkult" an die nachwachsenden Generationen weitergegeben, der Hass geschürt und nicht versucht, aus der seit 70 Jahren bestehenden Situation das Beste zu machen. Man suhlt sich in der Opferrolle, anstatt eine Zukunftsperspektive auszuarbeiten.

  • Seit Jahrzehnten kenne ich diese Bilder aus dem Nahen Osten, Syrien, Libanon, auch Palästina und Israel: Zerstörungen, zerbombte Häuser, Panzer, Soldaten, weinende Kinder ...

    Immer wieder ähnliche Bilder, seit Jahrzehnten.

    Mir kam schon der Gedanke, ob da nicht eine (eher unbewusste) beruhigende Wirkung entsteht à la: bei uns ist es gut und sicher und "da unten" hat der Krieg kein Ende.

  • Auch in Kassel gab es einen Großangriff, am Abend des 22. Oktober 1943, die komplette Innenstadt brannte aus, ca. 10.000 Tote.

    Dazu gibt es derzeit, noch bis 7.4.24, eine Ausstellung im Stadtmuseum, www.kassel.de/einr...derausstellung.php

  • Sehr interessante Sichtweise, gewagte aber trotzdem gelungene Gegenüberstellung und saubre Analyse. Wirklich ein perfekter Kommentar. Vielen Dank, Herr Greiner!

  • Zur Bombardierung Hamburgs (Operation Gomorrha) muss man Folgendes wissen. Laut dem Oberkommandierenden des Bomber Command der RAF A.Harris „kam es doch nicht auf Präzisionsangriffe an, sondern auf eine möglichst flächendeckende Terrorisierung der Bevölkerung.“ Er daher zu "den umstrittensten Personen des Luftkriegs im Zweiten Weltkrieg."



    (de.m.wikipedia.org/wiki/Arthur_Harris).



    Ich kann nur hoffen, dass das Hauptziel der israelischen Bombenangriffe die Bekämpfung der Hamas, und nicht die Terrorisierung der palästinensischen Bevölkerung ist. Oder hinkt die Parallele doch etwas arg? Jedenfalls bestätigt sich für mich, dass im Krieg keine Seite eine weiße Weste behält und man durch perverse Konstruktionen einer "Kollektivschuld" glaubt, sein Gewissen rein waschen zu können.

    • @Eberhard Voigt:

      Gestern hat Israel Karten mit arabischer Beschriftung rausgegeben um die arabischen Zivilisten in den dort bezeichneten Zonen vor Angriffen zu warnen. Wenigsten etwas, während die Terroristen Attentäter zu einer Bushaltestelle schicken um Menschen zu ermorden.



      Die kommende Frage wird sein, was man mit den vielen gehirngewaschenen Terroristen in Gaza macht.

  • Kommentar gekürzt, bitte halten Sie sich an unsere Nettiquette. (Die Moderation)

    Tatsächlich sind die Alliierten Bomben angriffe auf deutsche Städte nur begrenzt vergleichbar mit dem israelischen Vorgehen im Gazastreifen.

    Weil sie schlimmer waren.

    Israel hat den Civilisten in Gaza im voraus Evakuierungsrouten zugewiesen. Geschützte Zonen erklärt und nahezu ausschließlich militärische Infrastruktur angegriffen, wobei diese natürlich häufig in civil Gebäude gebaut war.

    Darüber hinaus verwendet Israel fast ausschließlich Präzisionsmunition.

    Die Alliierten haben in aller Regel ihre Luftangriffe nicht angekündigt. Und meines Wissens auch keine "sicheren Zonen" ausgewiesen.

    Darüber hinaus war es ja gerade Ziel der Alliierten durch eine großflächige Vernichtung von Wohnhäusern, die deutsche Bevölkerung zu "demoralisieren".

    Dazu wurden Flächenbombardements mit Brand und Splitterbomben auf rein civile Wohngebiete durchgeführt. Die Kombination war so abgemischt, dass im Anschluss an den Angriff ein größtmöglicher "Feuersturm" entstehen sollte.

    Dennoch standen die Alliierten im WW2 unzweifelhaft auf der richtigen Seite der Geschichte.

    Krieg führt immer zu leid, und einen "humanen" Krieg gibt es nicht. Leider ist der Irrglaube an Krieg ohne Verluste, und ohne Leid zu weit verbreitet.

    Denke dieser Taz Artikel leistet hier einen sehr wichtigen Beitrag zum öffentlichen Diskurs, danke dafür! :)

  • Daran denke ich auch oft. Als ich an die TU Berlin kam und die Ersti-Woche mitmachte, bekam ich von unserem AStA einen Kalender, in dem manche Daten mit historischen Ereignissen versehen waren. Eins war versehen mit einem Kommentar nach dem Motto: Der Mann, der Deutschlands Innenstädte am nachhaltigsten geprägt hat, wurde geboren. Ich wunderte mich, warum das so verklausuliert war, heute würde ich es Dog Whistle nennen, und googlete mal aufgrund eines Bauchgefühls und der Mentalität, die der AStA so ausstrahlte, diesen Bomber-Harris, der auf linken Plakaten zu Dresden-Gedenktagen in der Tagesschau beschworen worden war es nochmal zu tun und ja, das war der Geburtstag von Arthur T. Harris. Es ist einfach so, wir lernen in der Schule, dass als Deutscher Pazifismus angebracht sei wegen Geschichte, aber in Wahrheit wird Gewalt gefeiert, wenn es "den Richtigen" trifft, dann ist es zu geil. Das Problem ist dann nur, wer entscheidet, wer der Richtige ist, den es zu treffen hat? Die Wut im Bauch?



    Die Juden haben echt das Problem, dass sie von Linken als weiß gelesen werden und aus Sicht der Rechten verschwörerische Pläne vorantreiben um die weiße Rasse auszulöschen. Momentan sind die Rechten natürlich pro Israel um gegen Muslime zu agitieren, das Feigenblatt nutzt ja auch gern PI News, dann wenn es passt. Wenn die Verblödung weiter voranschreitet, ist Israel bald isoliert in der Welt. Dabei zeigt uns Realpolitik doch, dass kein Staat böse ist, solange unser Konsum anderes verlangt. Muslime, Deutsche, Antisemiten, Anti-Imperialisten und Rassisten weltweit projizieren sonstwas in den Nahost-Konflikt und pflegen ihre Feindbilder und zu allem Unglück hat Israel sich für diese Zeiten eine Schwachmaten-Regierung zusammengestellt. Das AfD-Mantra ist ja "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD". Ben-Gvir und seine Spießgesellen haben für Israel nach derselben Logik sicher auch nicht das Beste im Sinn. Die Hamas für ihr Territorium sowieso nicht.

  • 》Auch in Gaza sind die Sympathien für die Hamas, gelinde gesagt, unterschiedlich verteilt《

    Auf Instagram findet wan z.B. das hier

    www.instagram.com/...d=MzRlODBiNWFlZA==

    Ein Statement, in dem eine junge Palästinenserin sich gegen die angebliche Parteinahme für Israel durch iranische Mädchen verwahrt: Frauen würden in Gaza von der Hamas nicht unterdrückt, diese Iranerinnen sollten Palästinenserinnen nicht benutzen, um islamophobische Ängste zu schüren. Der Unterdrücker sei Israel, wenn sie dies nicht sähen, hätten sie den Mund zu halten ('zumal von Kalifornien aus', wohl eine Anspielung auf die iranisch-amerikanische Aktivistin Masih Alinejad)

    Was, nebenbei, auch die Unterstützung dieser angeblichen Freiheitskämpfer durch das iranische Regime in den Focus rückt, durch ein Regime, das junge Frauen ins Koma, in den Tod prügeln lässt, wenn sie das obligatorische Kopftuch nicht vorschriftsmäßig tragen.

    Es hat dennoch niewand "verdient", durch Bombardements ums Leben zu kommen. Oder einen Feuersturm (damit ist übrigens gemeint, dass ein solches Feuer durch die Luft, die es ansaugt, einen Sturm erzeugt, in Hamburg wurden wohl selbst Löschfahrzeuge ins Feuer gezogen)

    Dennoch kann niewand, so sind solche Dilemmata, den Sieg der Alliierten über Nazideutschland ernsthaft bedauern.

    Dieses Video auf Instagram oben ist schwer erträglich und nicht zu verstehen - hilfreich wäre, wenn es außerhalb Gazas, weltweit, statt unzähliger Demos und Statements, die eigentlich nur als Unterstützung der Hamas und ihrer Agenda verstanden werden können, Solidaritätskundgebungen für Israel, Trauer um die Ermordeten gäbe.

    Mittel- und langfristig können diese Konflikte im Nahen Osten nur in demokratischen Strukturen gelöst werden, losgelöst von islamisch-theokratischen Machtansprüchen (das ist auch die verpasste Chance, der Krieg der arabischen Nachbarn gegen das gerade gegründete Israel trotz UN Resolution 181, dem Teilungsplan von 1947)

  • Die Kollektivschuld hat die Deutschen damals zurecht getroffen.

    • @Usch Bert:

      Und wie sehen Sie es heute bei der Hamas?

      Trifft die Bevölkerung von Gaza auch eine Kollektivschuld?

  • Die Überlegungen sind gut, richtig und wichtig. Bei allen Parallelen darf man aber auch manche Unterschiede nicht übersehen.



    Coventry war ein Angriff auf ein Zentrum der britischen Rüstungsindustrie. Angesichts der damaligen Zielgenauigkeit war die Zerstörung der Wohnstadt keine Überraschung und wurde bewußt und wissentlich in Kauf genommen. Beabsichtigt war sie nicht. (Für die "Vergeltungsschläge" in London gilt das Gegenteil.)



    In der Stadt und dem Umfeld von Dresden gab es weder Militär noch Industrie. Sie war vollgestopft mit Flüchtlingen aus dem Osten und durfte sich zu recht vor Bombardierungen sicher fühlen. Das einzige denkbare Ziel war gerade die Zivilbevölkerung in einer Menge, für die ausreichend Bunker und Schutzräume gar nicht vorhanden sein konnten.



    In der Stadt Gaza und deren Umgebung gibt es bekanntermaßen militärische Bunker (Schutzräume für die Zivilbevölkerung nicht), Waffenlager, Raketenbasen und Kommandozentren. Sie sind ausnahmslos bewußt so plaziert, daß auch mit moderner Präzision und Zielgenauigkeit ein Schonen der Bevölkerung unmöglich ist.



    Dresden wurde mit Absicht völlig überrascht, in Gaza gab es Tage vorher ausdrückliche Warnungen. An der Stelle endet die Gleichsetzung.

  • Danke, dass sie sich nicht vom Vergleichen haben abhalten lassen und die Debatte ein weiteres Stück voranbringen. Geschichte ist dazu da, mit der Gegenwart verglichen zu werden. Nicht das ob, nur das wie kann dabei falsch sein.

  • Danke. Ich denke schon die ganze Zeit über diese Analogie nach.



    Allerdings:



    "„Unfähigkeit zu trauern“... bezog sich weniger auf die toten Zi­vi­lis­t*in­nen als auf den verschwundenen „Führer“, entsprang weniger einem kollektiven Trauma als einer kollektiven Beleidigung des Selbstwertgefühls."



    Ich glaube, genau hier hatten auch Mitcherlich, Gremlitza und co. ihren blinden Fleck. Wenn man meint, die "Betrauernswürdigkeit" eines Bombenopfers erst mit seiner persönlichen oder kollektiven Schuld aufrechnen zu müssen, hat man es schon entmenschlicht. Das gilt für Gaza ebenso wie für Dresden. Und was die deutsche Befindlichkeit angeht, bin ich überzeugt davon, dass das Trauma von Niederlage, Schuld und weltweiter Stigmatisierung sich tatsächlich auch auf die Fähigkeit auswirkte, die eigenen Toten zu betrauern.

  • Danke für diesen klugen Beitrag und den Hinweis auf bislang nicht thematisierte Zusammenhänge!

    • @Kanuka:

      Endlich wird das thematisiert, danke für diese sachliche Betrachtung.

      Auch eine andere Frage beschäftigt mich, die bislang nicht (?) erörtert wird: Was macht das mit den Palästinensern, wenn sie anläßlich der Geiselnahmen lernen, dass für ihre eigenen Führer ein Israeli mindestens 3 mal so viel Wert ist wie ein Palästinenser? Für die Freilassung des israel. Soldaten vor paar Jahren waren es sogar über 1.000. Wie wird sich diese ungeheure Demütigung auswirken?

      • @vom 3. Stern:

        Zumindest unter den Radikalisierten werden es vermutlich die wenigsten als Demütigung sehen, sondern als gelungenes Ausnutzen von Israels "Schwäche" für die Erhaltung des Lebens seiner Bürger.

        Wir sollten nicht den Fehler machen zu unterstellen, dass andere Menschen - insbesondere solche, die außerhalb jeglicher demokratischen Strukturen leben - unseren Begriff vom Wert des Einzelnen zwangsläufig teilen. Genauso wenig global selbstverständlich ist die - nämlich christlich geprägte - Neigung, das Opfern eigener Positionen angesichts eines skrupelloseren Gegners (vulgo: "Die andere Wange Hinhalten") als Zeichen von moralischer Stärke zu werten.

    • @Kanuka:

      Ich finde den Beitrag auch klug. Trotzdem: vielleicht gehen aber die Menschen in London in so großer Zahl auf die Straße, weil London im 2. Weltkrieg ebenfalls massiv bombardiert wurde. Vielleicht ist dieses Gefühl einer gewaltigen Gefahr ohnmächtig ausgeliefert zu sein wesentlich stärker verantwortlich für die emotionalen Reaktionen auf das Sterben im Gazastreifen als das Schamgefühl oder eine unklare Position zur Frage ob Deutsche als Schuldige trotzdem Unschuldige Opfer von nicht umstrittenen Bombardements sind.

      • @Überwasredenwirhiereigentlich:

        Vielleicht übertreiben hier aber auch alle Seiten den "retraumatierenden" Einschlag dieser Bombardements bei der heutigen Bevölkerung ein wenig. Die Allerallermeisten heutigen Demonstranten waren schließlich 1940-45 nicht einmal geboren. Die massenhafte Assoziation mit der lebendigen Erinnerung an die Bombennnächte des zweiten Weltkriegs erscheint mir daher etwas weit hergeholt.

    • @Kanuka:

      sehe ich auch so

  • Nach dem Schaden den Deutschland angerichtet hat, war die Reaktion verständlich. So wie Amerika den Gräueltaten Japans ein atomares Ende gesetzt hat. Nicht einzugreifen wäre das größere Übel. Wie sollten wir in Europa je wieder zusammen leben, wenn wir einen Angriffskrieg gegen alle führen und am Ende mit einem Kratzer davonkommen, während unsere Nachbarn in Ruinen hausen.

    In Deutschland und Japan kann man sehen, dass auch eine krasse militärische Aktion einen notwendigen Wandel gebracht. Es wird für die Bevölkerung halt erst zum Krieg, wenn die eigenen Stätte in Schutt und Asche liegen, sonst kommt der nächste Dolchstoß.