Antisemitismus in Deutschland: Neue Welle des Hasses

Das Lagebild Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung zeichnet ein düsteres Bild: Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist enorm gestiegen.

Eine Menschenmenge an einem dunklen Ort, eine Person der VVN ist in die Fahne Israels gehüllt

Gedenken an die Reichspogromnacht 2020 in Berlin-Moabit Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Seit dem Angriff der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober erleben Jüdinnen und Juden in Deutschland eine neue Welle des Antisemitismus wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Das ist eine der Erkenntnisse des „Zivilgesellschaftlichen Lagebilds Antisemitismus“ der Amadeu Antonio Stiftung, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Als Folge der judenfeindlichen Vorfälle in Deutschland würden Kinder nicht mehr in jüdische Kindergärten geschickt, Mesusot – die jüdischen Tür­segen – von den Türrahmen entfernt und Veranstaltungen aus Sicherheitsgründen abgesagt, berichtete dabei der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein.

„Es schmerzt mich, diese Sätze nur zwei Tage vor dem 85. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht von 1938 sagen zu müssen. Dennoch möchte ich hier versichern: Es ist nicht das Jahr 1938“, so Klein. Das Gift des Antisemitismus existiere immer noch, aber „im Jahr 2023 leben wir in einer gefestigten Demokratie mit einem Rechtsstaat, der uns schützt und verteidigt“. Die deutsche Regierung lasse nichts ungeschehen, damit Jüdinnen und Juden in Deutschland frei und sicher leben können, denn „nie wieder ist jetzt“, appellierte Klein.

Erst vergangene Woche hatte das Bundeskriminalamt bekannt gegeben, dass es in Deutschland seit dem Angriff der Hamas über 2.000 Straftaten mit Bezug zum Krieg registriert hat. Auf der Pressekonferenz am Dienstag wies Beate Küpper, Sozialpsychologin und Professorin für Soziale Arbeit, nun darauf hin, dass jüngere Menschen in Deutschland inzwischen „antisemitischer sind als ältere“.

Antisemitismus auch unter Muslimen weit verbreitet

Es gebe außerdem bislang kaum Studien, die Aussagen über einen spezifischen Antisemitismus der muslimischen Bevölkerung erlaubten. Doch die bisherigen Hinweise ließen den Schluss zu, dass Antisemitismus unter eingewanderten Muslimen weit verbreitet sei. Die Fokussierung auf muslimische und migrantisierte Personen in der aktuellen Lage sei wichtig, dürfe aber nicht dazu dienen, „vom Antisemitismus in der Mitte der Bevölkerung“ abzulenken.

„Die Bilanz der letzten Wochen lautet: Antisemitismus hat einen Platz in Deutschland“, sagte Nikolas Lelle, Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. Rechtsextreme setzten „im Windschatten der Verherrlichung des Terrors“ ihre Angriffe auf die Erinnerung fort, fügte er hinzu und forderte, diese Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren.

Lelle betonte zudem, dass „jede Variante des Antisemitismus“ in Deutschland auch zu „Schlussstrich-Rufen“ und Angriffen auf die Erinnerungskultur führe. Laut dem am Dienstag veröffentlichten Lagebild wird vor allem die Arbeit in Gedenkstätten und Erinnerungsorten seit dem vergangenen Sommer behindert und Antisemitismus zur Zerschlagung der Erinnerungskultur genutzt. Vor allem wiederholte Attacken wie jene der AfD in den vergangenen Jahren, die eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte, führten zu mehr antisemitischen Vorfällen sowie „zur sukzessiven Verschiebung des Mach- und Sagbaren“.

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