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Schweigen der Club-Szene zu Hamas-TerrorIron Dome gegen Kritik

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Nach den barbarischen Morden an mindestens 260 Ra­ver*­in­nen in Israel schweigen große Teile der Club-Szene. Denn die hat ein Antisemitismusproblem.

Be­su­che­r:in­nen des „Supernova“-Festivals fliehen vor den Angriffen Screenshot: reuters

D as Gelände des Psytrance-Festivals „Supernova“ neben dem Kibbuz Re’im im Süden Israels glich einem Schlachtfeld: Mindestens 260 Ra­ver*­in­nen wurden dort von der Hamas ermordet. Die radikalen Islamisten stürmten in den frühen Morgenstunden am Samstag schwerbewaffnet das Areal, vergewaltigten laut Au­gen­zeu­g*­in­nen Frauen, entführten manche nach Gaza. Ihre Leichen werden dort geschändet, halbnackt durch den Küstenstreifen paradiert. Es ist pure Barbarei.

Und in der progressiven Partywelt, die sich sonst so gerne und lautstark zum Nahostkonflikt äußert, um den einzigen jüdischen Staat der Welt zu dämonisieren? Die BDS-Hashtags teilt, Tel Aviv boykottiert, Israel „Pinkwashing“ vorwirft und israelische Künst­le­r*in­nen wegen ihrer Staatsangehörigkeit nicht buchen will? Die deutsche Technoclubs ins Visier nimmt, wenn diese als zu „proisraelisch“ empfunden werden? Ohrenbetäubendes Schweigen.

In den vergangenen Jahren haben sich Teile der Clubkultur sehr bemüht, Israelhass oben auf die Agenda der Szene zu setzen – von #DJsForPalestine bis hin zu den „Berlin Nightlife Workers Against Apartheid“. Eine Kultur, die aus emanzipatorischen Kämpfen von schwarzen und queeren Communitys geboren wurde, die aber über die Jahrzehnte immer kommerzialisierter, weißer und heteronormativer wurde. Und die deshalb eindeutig Partei für „die gute Sache“ ergreifen will, um das eigene politische Selbstverständnis zu stabilisieren.

Aus einem komplexen Konflikt wird eine einfache Erzählung: Israel wird zum Inbegriff des Bösen. Aus einem Schutzort für Jü­din­nen*­Ju­den weltweit, gegründet von Schoah-Überlebenden, wird ein „Apartheidstaat“, den es zu „dekolonialisieren“ gelte. Die Buzzwords der BDS-Bewegung finden auf der Tanzfläche Resonanz. Antisemitismusvorwürfe werden abgeschmettert: ein Iron Dome gegen Kritik. Denn sie kollidieren mit dem Selbstbild einer aufgeklärten Clubblase.

Stille – oder Unterstützung für den „Widerstand“

Von den allermeisten dieser Stimmen ist nach dem brutalen Angriff auf Zi­vi­lis­t*in­nen in Israel am Samstag kein Dezibel zu hören. Klare Worte der Solidarität, der Anteilnahme, der Verurteilung dieser abscheulichen Verbrechen passen offenbar nicht zu einem Weltbild, das Israel nur als Täter kennt – und nie als Opfer. Ganz egal, wie viele Hamas-Raketen die queere Partymetropole Tel Aviv treffen, ganz egal wie viele lebensfrohe Fes­ti­val­be­su­che­r*in­nen kaltblütig ermordet werden.

Eine Clubkultur, die wirklich progressiv sein will, muss laut sein gegen jede Form von Hass

Einige wenige aus der Szene haben sich doch zur Situation geäußert. Und schnell wünscht man sich, sie hätten es lieber gelassen. Die dänische Techno-DJ Mama Snake, die BDS unterstützt, teilte in einer Instagram-Story einen Beitrag, der das Massaker an israelischen Zi­vi­lis­t*in­nen als „Kampf für Leben, Würde und Freiheit“, für „die Vorstellung, dass andere Welten möglich sind“, verharmlost. Dazu postet sie nicht mal die richtige Flagge, und teilt die jordanische. In einer zweiten Story, offenbar nach Kritik, verurteilt sie doch noch die Gewalt gegen Zivilist*innen.

DJs wie Juliana Huxtable und Dina fällt nichts anderes ein, als den „palästinensischen Widerstand“ mit Social-Media-Beiträgen zu unterstützen. Und in den Kommentaren unter Posts zum Festival „Supernova“ reagieren viele Use­r*in­nen hämisch. Der Tenor: Die ermordeten Psytrance-Fans hätten es verdient, weil sie gewagt haben, in Israel zu feiern.

Für jüdische und israelische DJs, viele von ihnen links und keine Fans von „Bibis“ rechtsradikaler Regierung, ist das verheerend. Dr. Rubinstein schreibt auf Instagram: „Ich bin schockiert, dass Leute diese Art von Gewalt befürworten. Zeigt ein wenig Mitgefühl für Menschenleben.“ Ori Raz sagt, er habe lange zum Konflikt geschwiegen, aus Angst, dass er selbst zur Zielscheibe wird. Aber da Kol­le­g*in­nen den Terror der Hamas zelebrieren, will er Tacheles reden: „Es erinnert mich an die Geschichte einer Welt, die immer geschwiegen hat, wenn es um die ­Juden ging.“

Eine Clubkultur, die wirklich progressiv sein will, muss laut sein gegen jede Form von Hass. Und gegen jeden Antisemitismus.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei. Der britische Journalist schreibt über Medien und Gesellschaft, Neonazis und Nahost, Antisemitismus und Rassismus. Er ist Herausgeber des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen", 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.
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22 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation

  • Ich bin kein DJ, spiele aber ab und an Musik. Es lohnt sich der Blick auf die Verlierer und die Frage ob den Menschen mit Mitgefühl begegnet werden kann. Verlierer gibt es sehr viele, auf beiden Seiten, in diesem min. 70 Jahre langen Konflikt. Es ist einfach nicht glaubhaft, dass es nicht möglich ist oder war eine Situation zu schaffen die es den Menschen, die in diesem gesamten Gebiet leben und geboren wurden, erlaubt ein würdiges Leben zu leben ohne Angst und mit einer realen Zukunftsoption. Verantwortung tragen hier die Anführer und Regierenden beider Seiten und deren Unterstützer. Offensichtlich ist die Unfähigkeit dieser Verantwortlichen eine funktionierende Lösung anzustreben. Stattdessen nimmt die Polarisierung der führenden Stimmen zu. Es Knallt und es ist einfach nur schrecklich. Und führt zu weiteren Schrecken. Das ist ja alles noch lange nicht das Ende.

  • Super Artikel, Sven Väth sollte noch als positives Beispiel erwähnt werden, er hat gestern einen Beitrag auf FB und Instagram zu dem Thema geteilt. Die Kommentare unter dem Beitrag reichen leider wie zu erwarten von ekelhaften Relativierungen bis hin zur offenen Schadenfreude und der bitte "politische Statements" zu unterlassen.

  • Aber das Vorgehen Israels im Gazastreifen ist dann auf einmal ganz schlimm!



    Die Hamas hat ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und damit erneut klargemacht, dass sie eine Terrororganisation ist, die auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Dass Israels aktuelles Vorgehen im Gazastreifen mehr als fragwürdig ist, ändert nichts daran, dass hier ein besonders scheußliches Verbrechen verübt wurde.

  • "Aus einem komplexen Konflikt wird eine einfache Erzählung" das ist eigentlich der Tenor dieses Artikels. Wieso die genannten Hashtags direkt "Isreaelhass" darstellen, bleibt ebenso unklar, wie die Pauschalisierung von BDS, oder das Aufbauschen eines Boykottaufrufs. Man kann das natürlich kritisieren, kein Problem, aber wenn man anderen Vereinfachung und Unterkomplexität vorwirft, sollte die eigene Analyse doch etwas differenzierter ausfallen. Anti-Deutsche Positionen light.

    "Eine Kultur, die aus emanzipatorischen Kämpfen von schwarzen und queeren Communitys geboren wurde, die aber über die Jahrzehnte immer kommerzialisierter, weißer und heteronormativer wurde. Und die deshalb eindeutig Partei für „die gute Sache“ ergreifen will, um das eigene politische Selbstverständnis zu stabilisieren." Was will der Autor damit suggerieren? Ist damit per se Antisemitismus verbunden?

    Dass die Partymetropole Tel Aviv "queer" ist, spielt im Artikel auch nur insoweit eine Rolle, als sich die Debatte damit besser emotionalisieren lässt, denn das greift besser als zu sagen, dass da halt irgendwelche Heteros weggebombt werden. Suggestive Argumentation.

    So berechtigt die Kritik an den hämischen Kommentaren ist, so berechtigt und kritikwürdig die Ignoranz der Tode ist und so berechtigt die Kritik an dieser Art des 'Widerstands" ist, sollte man die Situation trotzdem nicht aufarbeiten. Für mich mag das ein emotionaler Kommentar sein, aber sicher kein Artikel der irgendwas differenziert betrachtet, obwohl er genau das als nötig benennt.

    • @White_Chocobo:

      Sehr gute Differenzierung. Ich Stimme Ihnen in nahezu allen Punkten zu!

    • @White_Chocobo:

      Wie kann man den BDS nicht pauschalisieren?

      Ist ihnen bekannt, wie sich das Führungsgremium dieser Bande zusammensetzt?

      bdsmovement.net/bnc

      "The current members of the BNC are:

      Council of National and Islamic Forces in Palestine"

      Dieser Council steht an erster Stelle. Und wer ist da dabei?

      en.wikipedia.org/w...and_Islamic_Forces

      Die Hamas, die PFLP, der Islamische Jihad.

      Das kann jeder wissen, der eine Maus bedienen kann. Wer das weiß und dennoch BDS supportet, ist ein Parteigänger des Terrors und des militanten Antisemitismus.

      Wer es nicht weiß und BDS dennoch unterstützt, der ist ein Dummkopf.

      Und die verquertesten von denen entblöden sich, dieses Pogrom als Widerstand zu feiern.

      Ekelhaft.

  • Danke für diesen "anderen" Artikel ... es hat in früheren Zeiten die taz ausgemacht, dass ich in ihr Dinge lesen konnte, die ich andernorts nicht fand. Davon ist leider nicht viel geblieben.

    Dieser Artikel verschafft mir Einblicke in eine Szene, zu der ich keinen Zugang hatte, auch die Links zu weiteren Artikeln waren hilfreich.

    Nach dem lesen bin ich klüger ... und noch deprimierter über die aktuelle Entwicklung in Nahost, Osteuropa, Deutschland und der Welt überhaupt.

    Bitte mehr Artikel dieser Art!

    • @Plewka Jürgen:

      Solche Artikel gibt es hier immer wieder. Natürlich nicht nur, aber eben auch.

      ⇒ Empfehlung, regelmäßig zu lesen ☺

  • Absolut notwendige Worte. Das war schon nach dem Massaker im Bataclan schockierend, wie große Teile der hippen Kunst- & Tanzszene unbeirrt Kritik am Islamismus als Islamophobie bezeichneten. Anscheinend nichts kann liebgewonnene, schlichte Glaubenssysteme erschüttern.

  • Vielleicht sollte man sich öfter mal vergegenwärtigen, dass "Künstler" keineswegs immer etwas besonders profundes und wichtiges beizutragen haben. Erst recht nicht, wenn die Kunst darin besteht, Platten aufzulegen.

  • 》Aber da Kol­le­g*in­nen den Terror der Hamas zelebrieren, will er Tacheles reden: „Es erinnert mich an die Geschichte einer Welt, die immer geschwiegen hat, wenn es um die ­Juden ging.“《

    Um ihre Ermordung. Es soll keinen Ort geben, an dem sich Juden sicher fühlen können, auch Israel - das gerade dabei war, sich an Saudiarabien annzunähern - soll ein Getto sein.

    Der Iran und auch unser neuerdings so unverzichtbarer Energielieferant Katar unterstützen die Hamas: es ist ein Pogrom in internationalem Maßstab.

    Verschleiert durch den Vorwurf des Neokolonialismus wird wieder in einer Projektion die eigene europäische Geschichte Juden zum Vorwurf gemacht, werden fadenscheinige Rechtfertigungen für diese Massaker, diesen Hass konstruiert.

  • Dr.Rubinstein sowieso beste techno Djane in deutschland mMn. Auftritt auf der Bucht dieses Jahr legendär gewesen. Die Genannten BDS Djs kenn ich nicht, möchte ich aber auch nicht kennenlernen, zu Antisemiten und Kriegsverbrecher veharmlosern zu tanzen hab ich kein Bock. Super artikel btw!

  • Vielen Dank für den augenöffnenden Kommentar über diese Szene.



    Hatte vieles so zwar vermutet, aber aus Desinteresse nicht weiter verfolgt, um so ernüchternder das alles und noch viel mehr bestätigt wurde. Sehr gruselig.

  • Viele in dieser Szene sind tatsächlich ziemlich schlicht gestrickt.

    Wenn der Israel/Palästina-Konflikt - fiktiv - zehn Level hat, sind viele noch nicht beim Abschluss Level 1 gelandet.

    Das sind die Leute, auf die der BDS baut.

    Guter Artikel. Wurde Zeit, dass das mal zur Sprache kam.

  • Danke für diesen sehr guten und sehr wichtigen Artikel!

  • das dürfte inzwischen nicht nur ein Problem der Clubszene, sondern ein generelles Problem in vielen Berliner Bezirken sein

    • @Newjoerg:

      Nicht nur in Berliner Bezirken natürlich. Mich macht schon fassungslos, was hier in und unter manchen Artikeln zu lesen ist. Links-progressiv und Antisemitismus haben sich ja noch nie ganz ausgeschlossen, aber jetzt wird das wohl endgültig wieder als ganz normale Meinung akzeptiert.

      • @Desillusio:

        Vielleicht wird jetzt auch wieder mehr Leuten klar, dass sie abgedriftet sind, und sie ziehen sich aus von Antisemitismus durchzogenen Gruppen zurück — oder gehen dagegen.

        Dass ein Missstand aufgezeigt wird bedeutet ja nicht, dass er sich verfestigen muss. Eher im Gegenteil.

  • Die ach so progressive Club Szene besteht also aus Antisemiten und äußert sich selbst nach dem schlimmsten Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem 2. Weltkrieg dermaßen geschmacklos und zynisch.

  • Das tödliche Gift des Antisemitismus ist in der sich fortschrittlich gerierenden Kulturszene weit verbreitet.

    Dass nicht einmal dieses verheerende Massaker niemanden dazu bewegt, diese Ideologie infrage zu stellen, das spricht Bände.

    Die beiden Ruangrupa-Kuratoren, die für ihre Arbeit mit Professuren belohnt wurden, haben auf Instagram ein Video geliked, dass die Neuköllner Baklava-Demo feiert.

    • @Jim Hawkins:

      Das ist so verkommen! Wer je noch Zweifel daran hatte, ob es einen Hipster- Antisemitismus im Internationalismuspelz geben könnte, hier die Details:

      www.juedische-allg...eber-hamas-terror/