Debatte um Schauspieler Til Schweiger: Vom Arschloch zum Tyrannen
Die Vorwürfe gegen Schauspieler und Regisseur Til Schweiger zeigen zumindest eines: Die millionenschwere staatliche Förderung hat ein Problem.
E s ist bemerkenswert still geblieben in den deutschen Medien. Während die Welt seit dem Bekanntwerden des Weinstein-Skandals vor fünfeinhalb Jahren über Machtmissbrauch, Sexismus und Gewalt in Hollywood spricht, hat es in Deutschland kaum einen nennenswerten #MeToo-Fall gegeben.
Es gab den Komplex um Regisseur Dieter Wedel, dem 2018 von mehreren Frauen sexuelle Nötigung vorgeworfen wurde, aber gegen den es nie zu einem Prozess kam, bis er 2022 verstarb. Im Fall des Comedian Luke Mockridge schlugen Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn in eine mediale Stimmungsmache gegen Aktivist_innen um, die auf den Fall aufmerksam machten. Ansonsten aber passierte im deutschen Mainstream kaum #Metoo, obwohl es ein offenes Geheimnis ist, wie anfällig auch die hiesige Film- und Fernsehbranche für Machtmissbrauch ist.
Mit den im Spiegel bekannt gewordenen Anschuldigungen gegen Til Schweiger ändert sich das. Der Schauspieler und Filmemacher ist der große Star des deutschen Mainstreamkinos, Held der Querdenker-Bewegung und „Cashcow“ seiner Produzenten. Die Vorwürfe gegen ihn reichen von Schikane und Fahrlässigkeit an Filmsets bis zu körperlicher Gewalt.
Mit Harvey Weinstein scheint das erst mal wenig zu tun zu haben, sexualisierte Gewalt ist nicht direkt Teil der Vorwürfe. Und doch soll Schweiger als Regisseur laut Augenzeugenberichten im Spiegel eine junge Komparsin am Set von „Manta Manta – Zwoter Teil“ dazu gebracht haben, sich ohne Vorbereitung vor versammelter Crew obenrum zu entblößen – für eine Szene, von der klar war, sie würde wegen Altersbeschränkungen nie gezeigt werden dürfen.
Systematisch verschwiegen und gedeckt
Die #Metoo-Dimension besteht aber vor allem darin, dass Schweigers Wutausbrüche und gewalttätiges Verhalten offenbar seit Jahren systematisch verschwiegen und gedeckt werden. Anfragen des Spiegels und der Süddeutschen Zeitung bei diversen Produktionsfirmen von Schweigers Filmen hätten bloß zu kollektivem Achselzucken geführt. Niemand will angeblich was gewusst haben. Der Großkonzern Constantin Film, der Schweigers aktuellen Film produziert hat und dessen Mitarbeiter von Schweiger am Set geschlagen worden sein soll, setzt noch einen drauf: „In Wirklichkeit war die allgemeine Stimmung während der Dreharbeiten ganz überwiegend überdurchschnittlich positiv.“
Eine Mitarbeiterin soll wegen Fahrlässigkeit und Zeitdruck am Set aus drei Meter Höhe gestürzt und trotz mehrerer Operationen nach neun Monaten immer noch arbeitsunfähig sein. Eine andere Mitarbeiterin berichtet, dass sie nach ständigen Drohungen und Beschimpfungen durch ihren Chef, Til Schweiger, wegen Panikattacken in Behandlung habe gehen müssen. So viel zu „überdurchschnittlich positiv“.
Eine regelrechte Bombe steckt aber in einer anderen Behauptung des Spiegel-Artikels, wo eine betroffene Person erzählt, sie habe sich an die eigens für solche Fälle eingerichtete Vertrauensstelle Themis gewendet. Dort habe man ihr davon abgeraten, einen so mächtigen Mann anzuzeigen oder den Fall öffentlich zu machen, da könne sie nur verlieren. Die Wegseh-Mentalität ist ohne Frage ein sehr bezeichnendes Merkmal der Filmbranche.
Komplizenschaft erschafft Tyrannen
Dass nun aber auch eine Vertrauensstelle, die vom Kulturstaatsministerium aufgebaut und getragen wird, sich an dieser Mentalität zu beteiligen scheint, klingt wie größtmöglicher Hohn. Die aktuelle Staatsministerin Claudia Roth sprach diese Woche beim fünfjährigen Jubiläum von Themis und forderte dort lückenlose Aufklärung im Fall Schweiger.
Vielleicht wäre schon viel gewonnen, wenn nicht Millionen staatliche Fördergelder in Schweigers Filme fließen würden. Es ist schließlich die Komplizenschaft, die ein einfaches Arschloch zum Tyrannen, und das Cash, das den Tyrannen zur Cashcow macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers