#MeToo und Dieter Wedel: Zurück zu den Ursprüngen

Regisseur Dieter Wedel ist tot. Zu einem Prozess wegen Vergewaltigung gegen ihn kam es nicht mehr. Nun fragen sich viele: Was heißt das für #MeToo?

Eine Sonnenbrille liegt auf Papier

Die Sonnenbrille hat Wedel oft begleitet- nach seinem Tod bleiben Fragen offen Foto: Arno Brugi/dpa

Vierzehn Tage harrte die Schauspielerin Jany Tempel in Thailand in einem Katzenkäfig aus – ohne Essen und Bewegung, lediglich Wasser nahm sie zu sich. Das ganze streamte sie live per Youtube, um die Eröffnung des Vergewaltigungsprozesses gegen Regisseur Dieter Wedel zu erzwingen. Jahre waren seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn vergangen – doch zu einem Prozess sollte es niemals kommen.

Im Januar 2018 warfen mehrere Frauen im Zeit Magazin dem Fernsehregisseur sexuelle Nötigung und Übergriffe in den 1990er Jahren vor. Wedel stritt die Vorwürfe ab. Die Fälle waren alle verjährt bis auf den von Jany Tempel. Sie beschuldigte Wedel, sie 1996 beim Vorsprechen für eine Filmrolle im Hotel „Vier Jahreszeiten“ vergewaltigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft München I nahm die Ermittlungen auf. Im April 2021 erhob sie Anklage gegen Wedel. Seitdem wartete nicht nur Tempel auf die Entscheidung der Richter*innen, ob es zu einem Prozess kommen würde.

Vergangene Woche sollte die Entscheidung verkündet werden, kurz zuvor hatte Tempel aus gesundheitlichen Gründen ihren Hungerstreik beendet, doch statt eines Ergebnisses teilte das Landgericht München I mit: Dieter Wedel ist tot. Für Tempel, die im Prozess als wichtigste Zeugin aufgetreten wäre, wird es in diesem Fall also keine Gerechtigkeit mehr geben.

Über ihren Anwalt ließ sie verlauten: „Einerseits bin ich froh, dass ich nun vor Gericht nicht noch einmal durch diese Hölle muss. Andrerseits ist es für mich schwer zu ertragen, dass er sich nun wirklich aus dem Staub gemacht hat, ohne sich verantworten zu müssen.“ Doch der ausbleibende Prozess trifft nicht nur sie, sondern hat auch für Justiz, Medien und die Gesellschaft Folgen.

Erster #MeToo-Fall aus Recherche

Wedel ist nicht die einzige Person aus der deutschen Kulturszene, der ein Prozess seit dem Aufkommen von #MeToo bevorstand. Im Oktober 2019 wurde der Pianist Siegfried Mauser rechtskräftig wegen sexueller Nötigung verurteilt. Doch während Mauser über seine Branche hinaus wenig bekannt ist, zählt Wedel zu den berühmtesten Regisseuren des Landes. Und noch etwas macht diesen Fall besonders: Es wäre der erste #MeToo-Fall gewesen, bei dem eine Medienrecherche einen Prozess auslöst. Eine Rechtsprechung wäre also auch für die Medienwelt von großer Bedeutung gewesen.

Das alles wird ausbleiben. Viele fragen sich nun: Was bedeutet das für die #MeToo-Bewegung? Ist das ausbleibende Urteil ein Beweis dafür, wie wenig wirkkräftig die Bewegung ist? Klar, ein Urteil wäre wichtig gewesen. Damit die Betroffenen sehen, dass Taten Konsequenzen haben. Zudem können Prozesse nicht nur Tä­te­r*in­nen zur Verantwortung ziehen, sondern auch die Systeme, in denen sie agiert haben, offenlegen.

Eine Verurteilung Wedels hätte anderen Betroffenen solchen Mut und Vertrauen in das deutsche Justizsystem geben können, dass sie selbst Anzeige erstatten. Das Gegenteil ist passiert: Die Justiz hat das Verfahren dermaßen in die Länge gezogen, dass es für alle Beteiligten zur ungeheuren Belastung wurde. Statt Vertrauen aufzubauen, wurde Misstrauen gesät.

Trotz allem ist es falsch, an diesem ausbleibenden Prozess den Zustand von #MeToo ablesen zu wollen. Ein (fehlendes) Urteil entscheidet noch lange nicht über den Erfolg oder das Versagen einer Bewegung. Dafür ist sie zu vielschichtig. Und auch wenn viele dieses Narrativ gerne verbreiten, ist es nicht das Ziel von #MeToo, möglichst viele Männer ins Gefängnis zu stecken. Das anzuerkennen wäre ein positives Resultat aus dem Fall Wedel.

Situation verschlechtert sich für Betroffene

Stattdessen vereinigt sich unter dem Slogan #MeToo eine diverse internationale Bewegung, die mit verschiedenen Schwerpunkten für die Abschaffung von patriarchaler Gewalt kämpft. Um an dieses Ziel zu gelangen, müssen Denkmuster, Strukturen und Institutionen radikal hinterfragt und umgestaltet werden. Dass das nicht innerhalb von fünf Jahren passiert, sollte allen klar sein.

Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt ist noch lange nicht abgeschafft – die Sicherheit von Frauen und Queers in keinem Land garantiert. In den letzten fünf Jahren – seitdem #MeToo viral ging – hat sich die Situation teilweise sogar noch verschlechtert: In den USA erschweren neue Gesetze die körperliche Selbstbestimmung von Frauen, in vielen Ländern wie in Deutschland gab es während der Pandemie immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt.

Doch was sich verändert hat – und das ist ein Gewinn von #MeToo – ist, dass wir endlich darüber sprechen. Gewalt gegen Frauen und Queers ist endlich als Thema in der Mehrheitsgesellschaft angekommen.

Diese Gespräche am Laufen zu halten, ist das wichtigste, das wir als Gesellschaft tun können. Die Debatte muss dabei runter vom roten Teppich und der Besetzungscouch hin an die unterschiedlichsten Arbeitsplätze, in die Krankenhäuser, Kirchen und in die Privathaushalte auf der ganzen Welt. Quasi zurück zu den Ursprüngen, wie die Menschenrechtsaktivstin Tarana Burke den Slogan #MeToo 2006 erdacht hatte:

„Ending sexual violence will require every voice from every corner of the world and it will require those whose voices are most often heard to find ways to amplify those voices that often go unheard“. (Dt. „Um sexualisierte Gewalt zu beenden, braucht es jede Stimme aus jedem Ort der Welt und es ist nötig, dass die Stimmen, die am häufigsten gehört werden, Wege finden, die Stimmen hörbar zu machen, die oft ungehört bleiben.“)

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