Afrika und der Ukraine-Krieg: Ein „peripherer“ Konflikt
Jeder in seiner eigenen Blase: Afrikas Öffentlichkeit reagiert auf den Ukrainekrieg mit derselben Gleichgültigkeit wie Europa auf Konflikte in Afrika.
E s gab Zeiten, da hielten in der taz manche Altlinke den Überschriftenvorschlag „Schwarze unter sich – 1000 Tote“ für lustig. Das war Anfang 1993, als in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) die Mobutu-Soldateska mit einem Terrorfeldzug die Demokratiebewegung zu zerschlagen versuchte.
Der Titelvorschlag wurde nie gedruckt. Aber es war eine Zeit, als ein rassistisch geprägter Gesamteindruck des Weltgeschehens verbreitet war, nach dem Motto: Überall schlagen sich Schwarze gegenseitig die Köpfe ein. In Südafrika schürte das weiße Apartheidregime in den schwarzen Townships ethnische Gewalt mit Tausenden Toten. In den USA war von „black-on-black violence“ in vom Drogenkrieg gebeutelten Ghettos die Rede. Der Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 wurde anfangs als gegenseitiges Abschlachten von Hutu und Tutsi verfälscht dargestellt; „Stammeskonflikte“ hieß das in Deutschland. Frankreichs damaliger sozialistischer Präsident François Mitterrand fiel dazu der infame Satz ein: „In diesen Ländern ist ein Völkermord nicht so wichtig.“
Knapp 30 Jahre später ist das Bewusstsein für Rassismus weltweit gewachsen. Aber die Haltung hinter dem Gedanken „Schwarze unter sich“ lebt weiter. Mit Ausnahme von Konflikten, an denen islamistische Terrorgruppen beteiligt sind, praktiziert der Rest der Welt bei Kriegen in Afrika eine routinierte Indifferenz.
Die Aufregung, wenn Diplomaten das Vorgehen der Streitkräfte Äthiopiens in der aufständischen Provinz Tigray als Völkermord bezeichnen oder auch nur davor warnen, ist größer als die über die Massaker oder die andauernde Hungerblockade. Beim internationalen Umgang mit Bürgerkriegen in der Demokratischen Republik Kongo, Südsudan, Somalia, der Zentralafrikanischen Republik oder Nigeria hat die Wiederherstellung staatlicher Autorität Vorrang vor dem Schutz der Zivilbevölkerung, auch wenn Täter von Massakern Träger staatlicher Autorität sind.
Wer genau da wen umbringt und warum oder welche Dynamik im Einzelnen hinter blutigen Verbrechen steht, ist nicht so wichtig. Vor Kurzem töteten Sicherheitskräfte in Tschads Hauptstadt N’Djamena mehrere Dutzend Menschen beim Niederschlagen von Protesten gegen den Verbleib des Übergangspräsidenten Mahamat Déby im Amt. Hat das außerhalb Afrikas irgendwen empört?
Wen wundert es also, dass sich in Afrika kaum jemand über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine aufregt. Die Regierungen der reichen Industrieländer haben nur wenig Verständnis dafür, dass sich Afrikas Öffentlichkeit für den Horror in der Ukraine genauso wenig interessiert wie Europas Öffentlichkeit für Konflikte in Afrika. Man enthält sich in der UNO, man benennt keine Verantwortlichen, man fordert alle gleichermaßen zu einer Lösung am Verhandlungstisch auf, aber man hält sich ansonsten heraus. Man beklagt westliche Doppelmoral: Der Westen betrieb einst den Sturz Gaddafis in Libyen, bekämpft aber die „Intervention“ Russlands in der Ukraine.
Dass die Ukraine einen Abwehrkrieg gegen Russlands terroristisch vorgetragenen imperialen Herrschaftsanspruch führt und dass die Menschen um ihr Überleben kämpfen – das wird kaum wahrgenommen. Stimmen wie Ugandas Oppositionsführer Bobi Wine, der im September als erster und einziger afrikanischer Politiker in die Ukraine reiste und Butscha besuchte, bleiben einsame Rufer in der Wüste. „Die Tapferkeit, mit der Ukrainer sich Russlands Aggression widersetzen, lehrt all jene, die für Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung kämpfen, dass sie selbst gegen eine Übermacht nie aufgeben sollen“, schrieb der Ugander damals und wurde prompt in seiner Heimat als Marionette der USA verunglimpft.
Indifferenz beginnt in tonangebenden afrikanischen Kreisen vor der eigenen Haustür. Beim Aufeinanderprallen von Arm und Reich in Afrikas Megastädten ist Menschlichkeit selten. Afrikanische Regierungen kritisieren sich gegenseitig nie, außer aus propagandistischem Eigeninteresse. Die Aufarbeitung des Genozids in Ruanda wurde nicht von den Staaten Afrikas vorangetrieben, sondern von den Überlebenden und ihren Freunden weltweit.
Solidarität mit den Tätern
Die Den Haager Völkermordanklage gegen Sudans Diktator Bashir wegen der Massenmorde in Darfur sorgte für eine Welle der Solidarität afrikanischer Regierender nicht mit den Opfern, sondern mit dem Täter. Koloniales Unrecht anzumahnen ist vielfach Staatsdoktrin, postkoloniale Gerechtigkeit einzufordern kann lebensgefährlich sein, von Simbabwe bis Algerien.
Für die Menschen in der Ukraine dürfte diese Gleichgültigkeit, die auf Hinnahme von Unrecht hinausläuft, unerträglich sein. Nicht viel anders geht es allerdings Menschen aus Kongo, Südsudan, Äthiopien, Zentralafrika und vielen anderen Kriegsländern, die sich schon viel länger mit europäischer Gleichgültigkeit konfrontiert sehen, wenn sie Zuflucht suchen oder auch nur Aufmerksamkeit. Das rächt sich irgendwann.
„Nicht so wichtig“ im Weltgeschehen
Ein kongolesischer Kommentator beschrieb neulich den Ukrainekrieg als „peripheren“ Konflikt, der das Weltgeschehen letztlich ebenso wenig prägen werde wie dereinst der Vietnamkrieg. „Nicht so wichtig“ also. Eine solche Analyse wird nachvollziehbar, wenn man die zentralen Ereignisse des 20. Jahrhunderts nicht im Zweiten Weltkrieg und im Ost-West-Konflikt verortet, sondern in der Auflösung der Kolonialreiche und in der Überwindung des europäischen Imperialismus. So gibt es etwa in Deutschland so gut wie kein Verständnis für eine Weltsicht, die Sklaverei und Kolonialismus in den Mittelpunkt der Weltgeschichte rückt.
Eine afrikanische taz würde vielleicht für einen Ukraine-Bericht die Überschrift „Weiße unter sich – 1000 Tote“ erwägen. Der taz-Text über Zaire 1993 erschien am Ende übrigens unter dem Titel „Blutiger Triumph für Zaires Diktator“: der Täter wurde benannt. Aber gelebte Solidarität über die Kontinente hinweg bleibt ein schöner Traum.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video