Konflikt im Sudan: Neue Zerreißprobe

Sudans Demokratiebewegung fürchtet, dass die Militärregierung Gewalt provoziert. Konflikte im Bundesstaat Blue Nile weiten sich aus.

Domenstranten in Khartoum

Demokratieprotest in Sudans Hauptstadt Khartum am Sonntag im Zeichen der neuen ethnischen Unruhen Foto: Marwan Ali/ap

BERLIN taz | Die Konfrontation zwischen ziviler Demokratiebewegung und Militärherrschern in Sudan ist dabei, sich um eine beunruhigende Dimension zu erweitern: ein ethnischer Konflikt, der den Anfängen des Darfur-Bürgerkriegs ähnelt. Brennpunkt ist der Bundesstaat Blue Nile an der äthiopischen Grenze im Südosten des Landes, wo Gewaltakte zwischen den Volksgruppen der Haussa und Berta in der vergangenen Woche mindestens 105 Tote und Hunderte Verletzte forderten.

Wie sudanesische Medien berichten, entzündete sich der Konflikt an der Forderung von Haussa-Politikern, dass ihre selbst gegründete Verwaltungsstruktur vom Staat anerkannt wird und Gebiete unter bisheriger Berta-Kontrolle übernehmen darf. Lokale Verwaltungsstrukturen sind im ländlichen Sudan wichtig, weil sie Landnutzungsrechte zuweisen und damit entscheiden, wer wo rechtmäßig seinem Lebensunterhalt nachgehen darf.

Sudans Haussa sind ein historisches Kuriosum. Es handelt sich um die Nachkommen von Migranten aus dem heutigen Nigeria, die bei der britischen Eroberung Ende des 19. Jahrhunderts Richtung Osten flüchteten, entlang alter Karawanen- und Pilgerrouten durch die Wüste, und sich schließlich am Nil niederließen. Im unabhängigen Sudan sind viele Haussa zu Macht und Einfluss in Wirtschaft und Militär aufgestiegen. Aber sie haben nicht den Status einer autochthonen Volksgruppe, die einen traditionellen Anspruch auf eigene Territorien geltend machen könnte.

Karte von Sudan

Im Bundesstaat Blue Nile, einem der wichtigsten Haussa-Siedlungsgebiete, gibt es eine besondere Konstellation. Die Südsudan-Befreiungsbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) war auch in dieser an Südsudan angrenzenden Region aktiv, ihr „Nordflügel“ SPLM-N (Sudanesische Volksbefreiungsbewegung/Nord) kämpfte nach Südsudans Unabhängigkeit 2011 weiter.

Als Sudans zivil-militärische Übergangsregierung, die auf den Sturz des Langzeitdiktators Omar Hassan al-Bashir 2019 folgte, im Oktober 2020 Frieden mit den Rebellenbewegungen des Landes schloss, wurde Blue Nile eine autonome Region, die SPLM-N stellt mit Oberstleutnant Ahmed al-Omda Badi den Regionalgouverneur.

Flucht über den Nil

Daraufhin gründeten Haussa, die im Bürgerkrieg von Blue Nile eher Sudans Militär nahestanden, ihr eigenes „Emirat“. Die Provinzregierung erklärte, solche eigenmächtigen Gründungen seien in der laufenden Übergangsphase Sudans nicht gestattet. Die Haussa-Aktivisten, so die SPLM-N in einer Erklärung, stellten daraufhin „rassistische“ Forderungen wie „die Ausweisung einer ethnischen Gruppe, ihre Ausbürgerung und die Beschlagnahme ihres Landes. […] Dies lehnte die Regionalregierung ab.“

Am 10. Juli gerieten bewaffnete Haussa und Berta in einem Distrikt von Blue Nile aneinander. Fünf Tage später, als erste Tote und Verletzte bestätigt waren, verhängte Gouverneur Al-Omda ein allgemeines Versammlungsverbot. Daraufhin eskalierte die Gewalt: in der Stadt al-Roseires, die am Nil direkt gegenüber der Provinzhauptstadt al-Damasin liegt, gingen öffentliche Gebäude in Flammen auf, zahlreiche Menschen flohen über den Fluss. 17.000 Vertriebene sind mittlerweile in al-Damasin in Schulen untergebracht.

Am Montag kündigte Al-Omda an, „mit eiserner Hand gegen diejenigen, die zu Hass aufstacheln“, vorzugehen. Da hatte sich der Protest aber bereits ausgeweitet. In mehreren Provinzhauptstädten Sudans zündeten radikale Haussa Gebäude an, eine Fernstraße aus der Hauptstadt Khartum Richtung Osten wurde von Demonstranten gesperrt. Am Dienstag gingen in Khartum Tausende Haussa auf die Straße unter dem Motto „Die Haussa sind auch Bürger“.

Sudans jugendliche Protestbewegung, die seit dem jüngsten Militärputsch im Oktober 2021 unermüdlich in Khartum für Demokratie demonstriert und seitdem mittlerweile 114 Tote zu beklagen hat, wittert hinter dem neuen Konflikt ein Machtspiel des herrschenden Militärs nach dem alten Muster, Ethnien gegeneinander aufzuhetzen und aus der daraus resultierenden Gewalt Legitimation für ihren Machtverbleib zu ziehen.

Demonstranten fordern Sturz des Militärs

Die Gewalt in Blue Nile begann wenige Tage, nachdem Sudans Militärherrscher General Abdelfattah al-Burhan, unter starkem internationalem Druck, einen neuen Plan zum Übergang zur zivilen Herrschaft vorgelegt hatte, den die Demokratiebewegung als ungenügend ablehnte.

„Nein zum Rassismus, nein zum Tribalismus“ riefen Demokratiedemonstranten in Khartum am vergangenen Sonntag. In einer gemeinsamen Erklärung werfen die beiden Dachverbände der Protestbewegung, die „Forces for Freedom and Change“ und die „Widerstandskomitees“, Sudans Generälen vor, die Gewalt in Blue Nile angeheizt zu haben. Der einzige Weg, die Unsicherheit im Sudan zu beenden, sei der Sturz des Militärs, schrieben sie und sprachen von „tribalen Fassaden, die künstlich geschaffen werden, um Konflikte hervorzurufen“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.