Gaskrise und Gesellschaft: Uniper und Co enteignen
Werden Konzerne gerettet, gehören sie vergesellschaftet: Wer zahlt, muss auch über Produktionsbedingungen und Unternehmensethik entscheiden dürfen.
„Churchill sagte: ‚Verpasse niemals eine gute Krise.‘ Wir haben definitiv eine gute Krise, lassen Sie uns die nicht verpassen.“ Das sagte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach Anfang September in Mailand, zumindest twitterte es die Messe „Gastech Event“ am 5. September samt einem Foto des Unternehmenschefs. Wenige Stunden später war der Eintrag gelöscht.
Da es keinen offiziellen Mitschnitt der Rede gibt und eine taz-Anfrage unbeantwortet blieb, kann nicht eindeutig geklärt werden, ob die Aussage wirklich fiel. Es wäre aber jedenfalls recht ungewöhnlich, sich als professionelles Social-Media-Team einer hochkarätigen Messe einen solchen Satz ohne jegliche Grundlage auszudenken.
Fakt ist: Es gibt Gründe für die Annahme, dass Deutschlands größter Gaslieferant Uniper, der sich gerade von 34 Milliarden Euro der Verbraucher*innen in Form einer Gasumlage retten lässt, diese Krise, diesen Krieg, ganz „gut“ findet. Das Unternehmen schrieb schon 2021 rote Zahlen, wies nach IRFS-Berechnungen einen Jahresfehlbetrag von über 4 Millionen Euro auf.
Auch in den Jahren 2015–2018 hatte es schon schlecht ausgesehen, zum Teil verbuchte Uniper da schon Milliardenverluste. Das war alles vor dem Krieg, vor der Gasdrosselung durch Russland. Es kann dem Konzern nur gelegen kommen, dass es dieses Jahr mit der Krise einen einleuchtenden Grund gibt, staatliche Milliarden für sich abzuschöpfen.
Uniper, das ist ein Energiekonzern, der ungeachtet der Klimakatastrophe Steinkohle- und Kohlestrom in Deutschland produziert hat. Weltweit betreibt er Atomkraftwerke und plant Frackingprojekte, die Meere und Wälder zerstören würden, nimmt Menschenrechtsverletzungen für Steinkohleabbau in Kolumbien in Kauf. Uniper verklagt die niederländische Regierung auf eine halbe Milliarde Euro, weil diese den Kohleausstieg beschlossen hat. Gerade tritt Uniper mit 175.000 Euro als „Platin-Sponsor“ der oben genannten Gastech-Messe in Erscheinung. Sinn für das Gemeinwohl kann man da nur schwer erkennen.
Nun ist es bei Uniper ein bisschen wie damals mit den Banken in der Finanzkrise: Sie haben eine so enorme Auswirkung auf das Leben fast aller, dass ihr Zusammenbruch verheerend wäre. Ohne Uniper könnte es in Deutschland mit dem Heizen diesen Winter schwierig werden. Es ist also notwendig, den Konzern zu „retten“. Mit der Gasumlage beteiligen sich an dieser Rettung alle, die Gaskosten bezahlen – also Menschen ohne Einkommen wie Renter*innen, Studierende und Arbeitslose; und zwar mit mehreren hundert Euro jährlich, die auch vom Entlastungspaket nur dürftig aufgefangen werden.
Ein altes Lied
Es ist ein altes Lied: Unternehmen lassen ihre Verluste von der Allgemeinheit tragen, behalten Profite aber für sich. Meist geschieht die Rettung unter Krokodilstränen und mit der Beteuerung, wie übel die Lage sei: „Das Schlimmste steht uns noch bevor“ (Uniper), „Das ist niederschmetternd, das tut weh“ (Lufthansa). Wenige Jahre später fließen wieder Profite, Dividenden werden ausgeschüttet, Stellen dagegen oftmals gestrichen – bei der Commerzbank wie bei der Lufthansa.
Doch wer auf dem Rücken der Allgemeinheit vor der Pleite bewahrt wird, muss der Allgemeinheit gehören – sowohl finanziell als auch konzernpolitisch. Aktuell bekommt die Allgemeinheit allenfalls eine Beruhigungspille: Der Staat steigt zu 30 Prozent bei Uniper ein, ist also Aktionär, kann irgendwann auch mal mit Dividenden rechnen und könnte – theoretisch – mitbestimmen, was da so läuft. Einen Eingriff ins operative Geschäft hat Bundeskanzler Scholz allerdings ausgeschlossen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Scholz werden nicht müde, beim Thema Gasumlage und Gaspreisexplosion zu betonen, dass Putin mit seinem Angriffskrieg die Schuld an der Situation trage: Nur wegen gedrosselter Gaslieferungen muss teuer anderswo gekauft werden. Doch lenkt Habeck so von seinem faktischen Handlungsspielraum ab. Ein Staat muss sich von einem Konzern, der dazu auch noch am Boden liegt, zu nichts zwingen lassen.
Gerecht und konsequent wäre eine Demokratisierung von Konzernen wie Uniper und allen, die von der Gasumlage profitieren. Das bedeutet: nicht nur eine hundertprozentige Übernahme der Aktien durch den Staat, sondern vor allem: Verbraucherschützer*innen, Klima- und Umweltexpert*innen und Arbeitsrechler*innen in den Aufsichtsräten. So würde sichergestellt, dass der von der Allgemeinheit gerettete Konzern auch im Sinne der Allgemeinheit handelt: durch eine klimafreundliche Transformation, faire Arbeitsbedingungen und gedeckelte Preise.
Wer zahlt, hat Besitzanspruch
Sich am Gemeinwohl orientieren und nicht am privaten Profit: Das mag utopisch klingen – dabei wäre es sogar in der kapitalistischen Denkweise logisch: Wer zahlt, hat Besitzanspruch. Zahlen tun wir alle. Die Mitbestimmung steht uns zu. Banner auf Demonstrationen mit der Aufschrift „Energiekonzerne enteignen“ sind nicht radikal, sondern folgerichtig.
Die gesellschaftliche Linke ist in der aktuellen sozialen Krise erschütternd visionslos. Die Übergewinnsteuer ist eine viel zu zaghafte Forderung, angesichts dessen, was einer zahlenden Gesellschaft eigentlich zusteht. Warum soll ein Unternehmen auf dem Rücken des Kollektivs denn überhaupt Gewinne machen dürfen? Auch die Einmalzahlungen in den Entlastungspaketen lösen keine Probleme. Die Beträge helfen den Menschen, die hohen Energiekosten zu tragen – landen am Ende also auf den Konten der Konzerne. Das ist indirekte Subventionierung.
Wieder andere schauen auf die „Trittbrettfahrer“ der Gasumlage, die gar nicht insolvent sind und trotzdem mit unser aller Geld finanziert werden. Das ist unfair. Aber es ist allenfalls ein Teilproblem. Dass die Plattform Campact in einer Petition die Rettung „nur“ von tatsächlich insolvenzbedrohten Unternehmen fordert, ist Zeugnis einer sprachlosen und von neoliberalen Dogmen gelähmten Gesellschaft, die nicht mehr weiß, wie ihr geschieht. Der verengte Blick muss sich weiten. Raus aus der Defensive!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod