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Lawrows Hitler-VergleicheLunte an einem Pulverfass

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Kriegstreiber im Kreml scheuen nicht davor zurück, mit grotesken Behauptungen Rechtsradikale zu bedienen. Ihr Antisemitismus wird auf fruchtbaren Boden fallen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow während des Treffens mit UN-Generalskretär Guterres Foto: Valery Sharifulin/ITAR-TASS/imago

Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“ Es fällt schwer, einen solchen antisemitischen Unsinn überhaupt aufzuschreiben, und kämen diese Sätze von einem deutschen Neonazi, man würde sofort darauf verzichten, sie wiederzugeben.

Sie stammen aber von Sergej Lawrow. Wir wissen nicht, ob der russische Außenminister wirklich glaubt, was er da gesagt hat. Fest steht allerdings, dass die russische Regierung damit eine judenfeindliche These aufwärmt, die seit über einhundert Jahren herumgeistert. Es ist ja auch zu praktisch, die Juden selbst dafür verantwortlich zu machen, dass Judenhass grassiert. Diese absurde, die Antisemiten reinwaschende Beschuldigung reiht sich im Falle der russischen Regierung in die Begründung ihres Angriffskriegs ein – dass man die Ukraine nämlich vom Nazismus befreien müsse.

Lawrows Behauptung macht deutlich, dass die Regierung Putin kein Problem damit hat, auch noch die allerdümmsten Ressentiments zu bedienen. Schlimmer noch, diese Kriegstreiber scheuen nicht davor zurück, in ihrer Propaganda die Lunte an ein Pulverfass zu legen. Denn wir können leider sicher sein, dass Lawrows Sätze auf fruchtbaren Boden fallen, nicht nur bei eingefleischten Rechtsradikalen, sondern auch bei denjenigen, die das Autoritäre an Russland lieben.

Sie haben nun mit dem Außenminister einer Atommacht einen gewichtigen Kronzeugen für ihre menschenfeindlichen Vorstellungen gefunden. Russland aber, Sieger im Zweiten Weltkrieg, dem für seinen Einsatz großer Dank gebührt, hat gezeigt, dass seinen Führern historische Verantwortung so irrelevant erscheint wie die Wahrheit.

Allen, die noch glauben, man könne den Krieg rasch beenden und in Verhandlungen zu einer für alle Seiten befriedigenden Friedenslösung mit Leuten von Lawrows Schlag kommen, kann man zu ihrem Optimismus nur gratulieren – oder ihnen herzliches Beileid ob ihrer Verblendung wünschen.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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18 Kommentare

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  • Leider steht der Herr Aussenminister in einer bösen antisemitischen Tradition, die schon im Russland des Zarenreiches akut war. Das übelste antisemitische Veschwörungspamphlet "Die Prtokolle der Weisen von Zion" erschien 1903 zuerst in Russland. Wärend des Bürgerkrieges und der Kämpfe mit Polen (1920) war antisemitsche Pogrome und Massenmord auf beiden Seiten der Front an der Tagesordnung. Stalin ließt 1952 die sogenannte Ärzteverschwörung - vorwiegend gegen Juden - initiieren. Juden als Opfer kamen ind er Sowjetunion nicht vor - nur als Sowjetbürger. Die Systeme wechselten - der Antisemitismus blieb - insofern befindet sich Herr Lawrow in 'guter Tradition'.....

    • @Philippe Ressing:

      Einspruch (partiell).

      Stalin war ein Paranoiker, dessen Paranoia sich *nicht* in *generellem* Antisemitismus äußerte (die "Ärzteverschwörung" war eine einmalige Episode).

      Und die sowjetische Diskriminerung jüdischer BürgerInnen war nicht per se antisemitisch, sondern antireligiös; dieselben Schikanen trafen auch russische Orthodoxe und burjatische Buddhisten.

  • Bislang hat Israel ja nur die Feier zum 9. Mai abgesagt. Wenn Lawrow weiter solche diplomatischen Spitzenleistungen erbringt, wird sich Israel am Ende noch den Sanktionen anschließen. Und nicht nur medizinische Hilfe an die Ukraine schicken, wie bisher, sondern auch militärische.

  • Hannah Ahrend tut folgendes nicht:

    "Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“ Es fällt schwer, einen solchen antisemitischen Unsinn überhaupt aufzuschreiben, und kämen diese Sätze von einem deutschen Neonazi, man würde sofort darauf verzichten, sie wiederzugeben."

    Sie verzichtet nicht darauf, im Detail auf dieses Argument einzugehen. Hinter faschistoiden Ideologien verbergen sich in Teilen aus dem Kontext gegriffene und falsch evaluierte Halbwahrheiten.

    Hannah Ahrend greift in Ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem - Die Banalität des Bösen" genau dieses Argument auf.

    Die Existenz von Kapo's in den Konzentrationslagern ist unumstritten. Kapo's waren begünstigte Häftlinge, welche für interne Leitungsfunktion über die Häftlinge hatte, welche die Selektion zwischen Gaskammer und Arbeitskraft überstanden hatten. Sie waren der SS direkt unterstellt und hatten Privilegien, solange Sie im Sinne der SS handelten. Wenn dies nicht der Fall drohte der sofortige Tod. Und natürlich waren die Augen der SS genaustens auf eben diese Kapos gerichtet.

    Einerseits Zuckerbrot und Peitsche - Lebensverlängerung und Privilegien- andererseits die Auswahl besonders brutaler vorbestrafter Häftlinge für diese Rolle vonseiten der SS liessen die Kapo's zum Teil brutaler als die SS selbst agieren.

    Unter 6 Millionen ermordeten Menschen in den Konzentrationslagern waren ja die meisten Juden. Ergo gab es genug Mörder, Vergewaltiger auch hier zur Auswahl für die SS. Es gibt solche brutalen Menschen statistisch immer unter Millionen von Menschen.

    Diese Geschehnisse zu benennen und zugleich antifaschistisch Lawrow's Argumente zu falsifizieren - wir sprechen von einer absoluten Minderheit unter den ermordeten Juden. Welche dazu nicht aus freiem Willen sondern unter dem drohenden Tod diese Rollen erfüllt haben.

    Ich distanziere mich keinesfalls vom Tenor des Artikels, nur denke ich kann das Argument schärfer sein.

    Alerta, Alerta. Die braune Fratze lacht.

    • @SimpleForest:

      Und, behauptet Hannah Arend, jüdische Kapos in den KZs seien Antisemiten gewesen? Nein. Sie hatten, wie Sie ja anschaulich ausführen, andere Motive.

      • @Barbara Falk:

        Und wenn wir bei der Psychologie des Faschismus sind: charakteristisch für faschistische Systeme - und NUR für solche - ist das Eins-zu-eins-Spiegeln der eigenen Verbrechen auf den "Feind".

        Selbst die wüstesten Exzesse kommunistischer Hardliner bedienten sich in ihrer Propaganda lediglich grotesk entstellter *tatsächlicher* Gegebenheiten: Stalins "Ärzteverschwörung" kombinierte die evidenten Fakten a) dass viele Ärzte aus dem russisch-jüdischen Bildungsbürgertum stammten, und b) dass viele Menschen Stalin gerne umgebracht hätten in einem akuten paranoiden Wahn. Und Pol Pot kann man zu Recht sehr viel vorwerfen - aber ein bourgeoiser Intellektueller war er beim besten Willen nicht...

        Aber alles, wirklich ALLES was die Nazis ihren Gegnern vorwarfen, waren Verbrechen, die die Nazis - und in dieser Kombination NUR die Nazis - selbst begingen: von der "Widernatürlichkeit" (Shoah und Porajmos Holocaust waren Hochverrat an der biologischen Integrität unserer Spezies) über die Zerrüttung von Wissenschaft und Kultur ("Deutsche Physik" und BluBo) und kapitalistischen Verschwörung zum Zweck des Verrats des Proletariats (1. Mai/2. Mai 1933), bis hin zum Maximum der heimtückischen Verlogenheit: Hitlers konstante Verleumdung seiner Gegner als "Kriegstreiber", und Glorifizierung seiner selbst als Friedensapostel.

  • Nachdem was man mittlerweile vom Kreml so alles hört, denkt man gleich an Projektionen.

    Definition: Projektion bezeichnet in der Psychoanalyse allgemein – und von Schulen unabhängig – einen Abwehrmechanismus. Der Begriff Projektion umfasst das Übertragen und Verlagern innerpsychischer Inhalte oder eines innerpsychischen Konfliktes durch die Abbildung eigener Emotionen, Affekte, Wünsche, Impulse und Eigenschaften, die im Widerspruch zu eigenen und/oder gesellschaftlichen Normen stehen können, auf andere Personen, Menschengruppen, Lebewesen oder Objekte der Außenwelt. Die „Abwehr“ besteht dabei darin, dass durch Projektion vermieden wird, sich mit Inhalten bei sich selbst auseinanderzusetzen, die man beim anderen sieht.

    Vielleicht könnten Lawrow & Co. mal ein wenig reflektieren?

  • Überraschung! Wer hätte das gedacht? Eine Regime, dem sich ein Jürgen Elsässer und andere Querschwurbler auf das engste verbunden fühlen, fällt durch antisemitische Verschwörungsmythen auf.



    www.juedische-allg...utins-treue-garde/



    taz.de/Querdenker-...en-Putin/!5838247/

  • „ . . . dass man die Ukraine nämlich vom Nazismus befreien müsse“



    Nachdem nun Putins Krieg gegen die Ukraine schon seit Wochen u. a. mit diesem Kriegsziel dauert, ist es immer noch nicht gelungen, auch nur einen einzigen (ukrainischen!) Nazi dingfest zu machen und vor Gericht zu stellen. Die Kreml-Propaganda hätte sicher ein ganz großes Ding daraus gemacht. Fehlanzeige!

    • @Pfanni:

      Sie folgen einer falschen Fährte. Natürlich gibt es in der Ukraine, wie in jedem anderen Land auch, Nazis. Damit könnte jedes Land auf dieser Erde jedem anderen Land den Krieg erklären, Russland eingeschlossen.

      • @Ingo Knito:

        Geben Sie diesen Tipp bloß nicht an W. Putin weiter! Damit könnte er sich die Erfindung weiterer Kriegsziele sparen, wenn er z. B. Deutschland von den Nazis befreien will.



        Bedenken Sie vor allem: Putins Freundschaft zu deutschen Spitzen-AfDlern ist innere Angelegenheit Russlands. Darin hat sich bitte schön niemand einzumischen!

        • @Pfanni:

          Genau das ist ja das Perfide an der russischen Argumentation. Kein Land ist mehr sicher, Russland etscheidet, wer entnazifiziert werden muss, während es alles dafür tut, rechte Strömungen in demokratischen Ländern zu unterstützen.

  • Im Westen wird feinsinnig abgewogen, ob die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland den Kriegseintritt bedeutet.

    Währenddessen haut Lawrow Antisemitismus vom Feinsten raus.

    Man lügt, man diffamiert und liefert Begründungen, die den Namen nicht ansatzweise verdienen.

    Genauso wird Moskau gerade wie es lustig ist, entscheiden wer wann und wie in den Krieg eingetreten sein wird.

    • @Jim Hawkins:

      exakt!

  • Ohne ihn oder Russland in der Ukraine-Sache verteidigen zu wollen, aber: was er damit sagen wollte ist nur, dass man auch ein Faschist sein kann, wenn man ein Jude ist. Und wer dem widerspricht, redet nicht nur Unsinn, er redet sogar rassistischen Unsinn. So wie es der israelische Außenminister nun getan hat. Damit wollte er das zugegebenermaßen idiotische Argument des Westens, Selenskyj könne ja gar kein Nazi sein weil er Jude ist, entkräften.



    Die Wahrheit ist: das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Auch wenn die Ukraine kein Hord von Nazis ist (hoffe ich wenigstens mal), ist die ganze Argumentation des Westens verquaster rassistischer Mist. Da hat er leider recht.



    Man sollte der russischen Propaganda nicht mit so einem Blödsinn noch in die Hände spielen.

    • @Jalella:

      "Man sollte der russischen Propaganda nicht mit so einem Blödsinn noch in die Hände spielen."



      Dann lassen Sie es doch. Stattdessen springen Sie über Lawrows Stöckchen und interpretieren in seinen infamen Satz einen möglichen Sinn hinein, mit dem Sie sich identifizieren können. Lawrow hat NICHT gesagt, auch Juden können Faschisten sein, er hat gesagt, die eifrigsten ANTISEMITEN sind in der Regel selber Juden.

    • @Jalella:

      Heißt das jetzt Hitler hatte tatsächlich "jüdisches Blut"?

      Und Selenskji ist tatsächlich ein Nazi? Oder könnte zumindest einer sein?

      Muss man sich wirklich jeden Dreck aus Moskau zu eigen machen?

      Und das Gegenteil wäre rassistisch?

      Meine Verwirrung ist groß.

      • @Jim Hawkins:

        Zur letzten Frage: Hat man bei WikiLeaks versucht, etwas über Russland zu leaken bzw. Kritisches zu schreiben, wurde man mit dem Hinweis zensiert, man solle aufhören, rassistisch zu sein. Also ja, im russischen Propagandasystem gilt es als rassistisch gegen Russen, wenn dem Kreml widersprochen wird.