Sanktionen gegen Russland: Kalkulierte Zurückhaltung
Verbal verurteilen fast alle Staaten den Kreml. Taten lassen nicht alle folgen, manche erhoffen sich bessere Beziehungen zu Russland. Fünf Beispiele.
Dahinter steckten mehrere Motive. Die Emirate waren verärgert über einen 23 Milliarden Dollar Deal zum Kauf hochmodernder amerikanischer F-35 Kampfjets, der wegen des Zögerns Washington geplatzt ist. Unmut gab es auch, weil US-Präsident Joe Biden die Emirate in ihrem Engagement im Jemen-Krieg nicht weiter unterstützt. Biden hatte die dortigen Opponenten der Emirate, die Huthi-Rebellen, von der US-Terroristen-Liste nehmen lassen. Dagegen hatte Russland kurz nach der Enthaltung der Emirate im UN-Sicherheitsrat dort in einer Art „eine-Hand-wäscht-die-andere-Politik“ eine Resolution unterstützt, die die Huthis in ein Waffenembargo im Jemen namentlich miteinbezog.
Dazu kommen handfeste wirtschaftliche Interessen. Russland und die Emirate, sowie Saudi Arabien versuchen in der sogenannten „OPEC+“ -Gruppe ihre Energiepolitik zu koordinieren. Russische Touristen sind inzwischen die zweitgrößte Gruppe in Dubais Tourismussektor. Die Glitzerstadt ist eines der beliebtesten Reiseziele russischer Eliten. Die Emirate sind ein Magnet für russische Investitionen und vielleicht, so die insgeheime Hoffnung des Bundes, könnten sie auch zu einer Station der russischen Oligarchie werden, die neuen Sanktionen zu umgehen. „Die Emirate haben bewiesen, dass sie keine Marionette der USA mehr sind“, erklärt Abdulkhalek Abdulla, emiratischer Professor für Politikwissenschaften enthusiastisch. Und nur weil man gute Beziehungen zu den USA haben, hieße das noch lange nicht, dass man von Washington Befehle erhalte. „Wir haben unsere eigene Strategie und unsere eigenen Prioritäten.“
Die Türkei braucht sowohl Russland als auch die Ukraine
Einen ähnlichen Schlingerkurs fährt die Türkei. Auch wenn die türkische Regierung sich seit dem russischen Einmarsch verbal eindeutig auf die Seite der Ukraine geschlagen hat und schon seit Monaten die gefürchteten Kampfdrohen Bayraktar B-2 liefert, mit denen die Ukraine derzeit erfolgreich russische Panzer und anderes militärisches Gerät aus der Luft angreift, will Erdogan Putin nicht völlig verprellen. Zu stark ist die Abhängigkeit von Moskau – nicht nur was die Lieferung von Öl und Gas betrifft. Auch die russischen Touristen und der russische Markt für türkisch Agrarprodukte sind für die sowieso stark angeschlagene türkische Ökonomie überlebenswichtig. Deshalb hält die Türkei ihren Luftraum für russische Flugzeuge, anders als die EU, weiterhin offen und hat sich auch sonst den EU-Sanktionen nicht angeschlossen.
Allerdings hat die Türkei letzte Woche den russischen Einmarsch nicht als „Sonderoperation“ sondern als Krieg definiert und entsprechend dem Abkommen über die Meerengen an den Dardanellen und dem Bosporus die Passage vom Mittelmeer ins Schwarzen Meer für alle Kriegsschiffe geschlossen. Lediglich die der Schwarzmeer-Anrainerstaaten dürfen auf dem Rückweg in ihren Heimathafen die Meerengen noch passieren, wenn sie sich vorher anmelden und von der Türkei eine Genehmigung bekommen. Das stört Putin aktuell nicht so sehr, dürfte aber längerfristig die russische Marinebasis im syrischen Tarsus in Schwierigkeiten bringen, sobald der Nachschub aus Russland ausbleibt.
De facto verhält sich die Türkei also mehr oder weniger neutral, was auch in der Bevölkerung auf Unterstützung stößt. Man will sich vom Westen nicht in eine tödliche Konfrontation mit Russland treiben lassen. Denn zum einen leben und arbeiten in Russland, wie auch in der Ukraine etliche türkische Staatsbürger, und zum anderen sind die vielen Kriege zwischen dem Osmanischen Reich und dem zaristischen Russland noch gut im öffentlichen Gedächtnis präsent.
Iran sorgt sich um Russlands Rolle im Atomabkommen
Verbal ganz deutlich bezieht dagegen der Iran Position: Als Russland die Invasion in der Ukraine startete, schob der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian sofort die Schuld auf die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Die „provokativen Aktionen“ der NATO seien schuld an Russlands Invasion in der Ukraine, sagte er. Er fügte aber hinzu, dass der Iran einen Krieg nicht als Lösung sehe. Teheran und Moskau sind strategische Verbündete, vor allem unter dem Hardliner Raisi strebt der Iran eine langfristige Partnerschaft mit Russland, sowie China an. Die Länder vereint ihre Ablehnung gegen die USA und der „Kampf“ gehen die amerikanische „Hegemonie“.
Doch der Krieg bereitet dem iranischen Regime auch Sorgen: Wegen der internationalen Sanktionen drohte Russland an, bei einer Einigung bei den Wiener Atomverhandlungen unter Umständen nicht zuzustimmen. Dabei hatte der russische Vermittler, Mikhail Ulyanov, in Wien maßgeblich geholfen, die Gespräche aufrecht zu erhalten. Als die iranische Führung sich im Dezember weigerte, eine Nuklearanlage von der internationalen Gemeinschaft überwachen zu lassen, stand der Deal kurz vor dem Scheitern. Russlands Chefunterhändler vermittelte eine Einigung, die den Inspektoren den Zugang sicherte und eine größere diplomatische Krise abwendete.
Mit Kriegsbeginn in der Ukraine forderte Russland von den USA schriftliche Zusagen, dass Sanktionen gegen Russland die in dem Abkommen vereinbarte russische Zusammenarbeit mit dem Iran nicht beeinträchtigen werden. Lawrow sagte, dass es Russland und China im Rahmen des Abkommens erlaubt wäre, dem Iran bei der Entwicklung seiner zivilen Nuklearprogramme zu helfen. Die Ankündigung Russlands könnte die monatelangen Gespräche zwischen Teheran und Washington in Wien torpedieren. Dabei steht das Abkommen kurz vor dem Abschluss. Am Samstag verkündete der Iran, er habe mit der UN-Atomaufsicht einen Fahrplan vereinbart, um alle offenen Fragen bis Ende Juni zu lösen. Die US-Sanktionen gegen den iranischen Ölsektor könnten so bald der Vergangenheit angehören. Diese Nachricht sorgte auch an den Aktienmärkten für Erleichterung. Durch die Sanktionen gegen Russland braucht es neue Energiequellen. Eventuell könnte der Iran langfristig also sogar von den Sanktionen gegen Russland profitieren.
China sieht die Sanktionen gegen Russland als Chance
Während andere noch zaudern, erkennt China ganz klare Chancen in den Sanktionen gegen seinen nördlichen Nachbarn. Wer die jüngsten Handelszahlen aus China genauer unter die Lupe nimmt, der findet einen eindrücklichen Beweis für die strategische Neuausrichtung der Volksrepublik: Der gemeinsame Handel mit Moskau ist in den letzten zwei Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 40 Prozent gewachsen – mehr als dreimal so schnell wie der Warenverkehr mit der europäischen Union. Mittlerweile ist das jährliche Handelsvolumen zwischen den zwei strategischen Partnern bereits rund 150 Milliarden Dollar wert, Tendenz stark steigend. In Brüssel und Washington dürfte das für Unmut sorgen: Die Repressionen gegen Moskau können nämlich nur fruchten, wenn Peking seinem strategischen Partner nicht in die Bresche springt.
Nach außen lehnt China die bilateralen Sanktionen kategorisch ab. Auch gegenüber Russland hatte zuletzt Außenminister Wang Yi am Montag betont, dass man den bilateralen Handel ganz normal fortsetzen würde. Dass viele westliche Firmen, von Apple über Samsung bis Ikea, sich aus Russland zurückziehen, hinterlässt zumindest ein Vakuum für die Konkurrenz aus Fernost. Xiaomi ist bereits jetzt der zweiterfolgreichste Smartphone-Produzent in Russland, die Lenovo-Laptops aus Hongkong rangieren in ihrem Segment ebenfalls an zweiter Stelle.
Russlands Entkopplung vom internationalen Swift-System eröffnet China außerdem die Möglichkeit, den chinesischen Renminbi (RMB) international aufzuladen. Je mehr der RMB auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen verwendet wird, umso besser ist China vor Wechselkursschwankungen geschützt. Bereits 2015 hat China sein Zahlungssystem Cips eingeführt, das langfristig eine Antwort auf Swift darstellen soll. Bislang ist man davon noch weit entfernt, nur rund 75 Banken erkennen das System überhaupt an, bei Swift sind es rund 11.000. Doch zumindest in Russland werden nun einige Banken hinzukommen, die notgedrungen auf das chinesische System wechseln.
Düngerimporte und ideologische Nähe verbinden Brasilien und Russland
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro erklärt seine Allianz ganz deutlich: das größte Land Lateinamerikas werde „keine Sanktion oder Verurteilung“ gegen Russland verhängen. Und: Laut Bolsonaro habe der russische Staatschef Wladimir Putin nicht die Absicht, ein Massaker zu verüben. Und: Das ukrainische Volk habe „einem Komiker vertraut, das Schicksal der Nation zu bestimmen“.
Neben wirtschaftlichen Interessen, spielen in Brasilien auch ideologische Gründe eine Rolle: Auch der brasilianische Staatschef Bolsonaro zeigt sich gerne als starker, wertkonservativer Führer, der gegen Feminismus, Homosexualität und Atheismus in den Kampf zieht. Auch er pflegt Verbindungen zu rechtsextremen Kräften und zur christlichen Rechten. Und auch Bolsonaro ist international weitestgehend isoliert. Durch die Abwahl von Ex-US-Präsident Donald Trump und Israels Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Bolsonaro zwei wichtige Partner verloren. Zwischen Bolsonaro und dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden herrscht Eiszeit.
Auch die wirtschaftliche Beziehung zwischen den beiden Staaten ist stark: Ein Viertel der in Brasilien eingesetzte Düngemittel stammt aus dem flächenmäßig größten Land der Welt. Brasilien ist ein Agrarland, so könnten ausfallende Lieferungen dramatische Auswirkungen auf die ohnehin schon kriselnde Wirtschaft haben. Russland ist außerdem ein wichtiger Abnehmer von brasilianischem Rindfleisch.
Russland-Ukraine-Krieg als „Konflikt zwischen Dritten“
Für viele Länder ist es also ein Abwägen im Eigeninteresse: Lohnt es sich, gegen den globalen Westen und seine Einigkeit zum Thema Russland aufzubegehren? Oder sind letztlich die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu groß, um dieses Risiko einzugehen? Russlands Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt betrug 2020 etwas mehr als drei Prozent, der der USA fast 16, die Europäischen Union liegt mit 15 Prozent nur knapp darunter. Das ist vor allem für Länder wie China, die sehr exportstark sind, ein Argument. „Da die Sanktionen Russland zu einem wirtschaftlich isolierten Paria machen, wird China nicht zu Hilfe eilen“, heißt es etwa in einem Bericht der Wirtschaftsberatung „Gavekal Dragonomics“ mit Sitz in Shanghai. Für die meisten chinesischen Firmen sei die russische Kaufkraft zu klein, um deswegen sanktioniert zu werden oder die westlichen Märkte außer acht zu lassen.
Hassan Al-Hassan, der zu Nahostpolitik am in London ansäßigen International Institute for Strategic Studies forscht, sieht noch einen anderen, recht banalen Grund pro Zurückhaltung, am Beispiel der Golfstaaten: Die Ukraine sei weder ein NATO-, noch ein EU-Partner. Der Krieg dort sei also schlicht ein Konflikt zwischen Dritten, und damit aus Perspektive des Golfs eben „nicht unser Krieg“.
Mitarbeit: Lisa Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“