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Vor der OB-Wahl in Tübingen 2022Für Boris Palmer wird es eng

Die Tübinger Grünen haben die Nase voll von ihrem Bürgermeister. Sie wollen nun per Urwahl bestimmen, wer zur nächsten Wahl antritt.

Berühmtester Oberbürgermeister: Boris Palmer von den Grünen aus Tübingen Foto: Ulmer/imago

Stuttgart taz | Polemiken gegen Geflüchtete, Zweifel, ob die Corona-Politik mit den Alten nicht die falschen rettet, und dann noch ein Parteiausschlussverfahren wegen des N-Worts. Es scheint, als hätte auch die Mehrheit der Tübinger Grünen die Nase voll von Boris Palmer, ihrem ebenso erfolgreichen wie bundesweit umstrittenen Oberbürgermeister.

Der Ortsverband sprach sich am Mittwochabend für eine Urwahl zur Nominierung des Grünen-Kandidaten für die OB-Wahl im nächsten Jahr aus. Damit wollen die Tübinger Grünen eine interne Kontroverse um ihren spaltenden Spitzenmann befrieden, der seit 2007 regiert. Palmers notorischen Ausfällen, die manche Grüne für unerträglich halten, steht durchaus erfolgreiche grüne Stadtpolitik gegenüber, die andere Parteimitglieder mit ihm fortsetzen wollen.

Im Frühjahr mitten im beginnenden Bundestagswahlkampf hatte es Palmer, dem bei Facebook 76.000 Menschen folgen, mit rassistischer Wortwahl in einem wohl ironisch gemeinten Posting über den Fußballer Dennis Aogo auf die Spitze getrieben. Die Parteivorsitzende Analena Baerbock schaltete sich ein, der Landesparteitag beschloss im Mai ein Parteiausschlussverfahren. Das kommt allerdings bisher nicht recht in die Gänge. Palmers Anwalt, der frühere Grünen-Politiker Rezzo Schlauch, beklagte sich über die Verschleppung dieses Verfahrens und vermutet, dass die Partei das Verfahren wegen der Bundestagswahl hinausgezögert habe.

Mit dem Tübinger Mitgliederentscheid könnte Palmer nun auch in seiner Heimatstadt seine Parteibasis verlieren – und die Grünen den fast sicheren Weg zur dritten Regierungszeit im Tübinger Rathaus. Zuletzt hatte die Grünen in Freiburg und Stuttgart den OB-Sessel vor allem wegen eigener Fehler verloren.

Ob sich der wohl bekannteste Oberbürgermeister Deutschlands überhaupt dem Mitgliederentscheid stellen wird, ist derweil vollkommen offen. Palmer gibt sich ungewohnt schweigsam. Der Noch-Grüne will sich nicht zum Beschluss seiner Parteifreunde äußern. „Ich überlege mir das in aller Ruhe“, sagte er im Vorfeld. Eine Kandidatur wird wohl auch vom Ausgang des Parteiausschlussverfahrens gegen ihn abhängen. In Tübingen gehen die Grünen davon aus, dass bis zum Mitgliederentscheid geklärt ist, ob Palmer die Partei verlassen muss.

Parteiinterne Gegenkandidaten müssen sich bis Ende Februar bewerben. Im April soll dann per Urwahl entschieden werden. Eine Grüne hat bereits Interesse bekundet, für das Oberbürgermeister-Amt zu kandidieren: die langjährige Kreisrätin Ulrike Baumgärtner. Und die Grüne Jugend lässt verlauten, im Fall eines Siegs von Palmer werde sie für ihn keinen Wahlkampf machen.

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29 Kommentare

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  • Boris Palmer sollte nicht wieder antreten, und im Weiteren die per Urwahl zu bestimmende Meisterkandidat*in unterstützen. Das entspräche dem für die Grünen ebenfalls bedeutsamen Rotationsprinzip. Palmers Ehre wäre im Übrigen "gerettet". (ehrenvoller Abgang, optimaler Zeitpunkt)

    Es gibt sicherlich noch viele fähige Leute, die die angesprochene erfolgreiche Kommunalpolitik zu verantworten haben. Eine Spaltung der Partei durch abtrünniges Personal wäre in jedem Fall für alle Seiten verheerend, nicht zuletzt für die Stadt als Ganze. Da greift, wie es so schön heißt: Erst die Stadt, dann die Partei, dann die Person.

    • @What would The Doctor do?:

      Die Grünen haben das Rotationsprinzip vor 30 Jahren abgeschafft, weil es sich als untauglich erwiesen hat.

    • @What would The Doctor do?:

      Das Rotationsprinzip besagt, dass die Leute nicht an ihren Sesseln kleben sollen.

  • Das wird eine reine Personenwahl in Tübingen, wer hätte also einen ähnlichen Bekanntheitsgrad ?



    Palmer benötigt die Grünen nicht mehr, umgekehrt bin ich mir da nicht so sicher…

  • Je populärer PolitikerInnen sind, desto unbeliebter sind sie in ihrer Partei oder bei dem Parteiestablishment. Siehe auch Linke und Wagenknecht.



    Und wenn das Parteiestablishment sich mal gegen einen populären Politiker ausspricht, dann reagieren die Menschen mit Abneigung. Siehe Baerbock. Aber auch das wird sich im Zuge der Entdemokratisierung ändern.



    Die kommende Ampelkoalition zeigt schon in die Richtung.



    Wir haben kein Palmer-Problem oder Wagenknecht-Problem. Wir haben ein Demokratieproblem.

  • Hier wird wieder verzerrt dargestellt.



    Palmer hatte sich dagegen gestellt, dass Menschen wegen relativ kleiner Aussagen den Job verlieren.



    Dann hat ihm ein Nutzer vorgeworfen, "Wieder Rassismus zu relativieren".



    Daraufhin hat er dieses beißend sarkastische Kommentar gebracht.

    Ich glaube, der wahre Grund ist, dass Palmer nicht bei der Migrationsfrage bei den Grünen ist.

    • @Kartöfellchen:

      Sehr gut zusamengefasst !

  • Tja, der Boris, ganz der Sohn seines Vaters.



    Sagt wass er denkt, macht was er will und hat so gar keinen Respekt vor "Autoritäten" und sei es die "political Correctness".



    Andererseits droht er schon mal den siegreichen Gegnern eines Volksentscheids mit "den Leuten vor der Saaltüre, die anderer Meinung sind" und spielt sich als Stadtsheriff zur Feststellung der Personalien eines Studenten auf.



    Um es mit einem Zitat des Nachfolgers über den Dammerl zu sagen:



    "Er war [ist] glaubwürdig, auch wo er einmal irrte [irrt] und er war [ist] liebenswert, selbst wenn er grantig war [ist].

  • Auch hier wird sich zeigen, ob die Grünen wirklich etwas bewegen wollen oder ob wokes Geschwätz auf Dauer das einzige ist, was sie zusammen bekommen. Ist ja nicht so, als wenn eine Urwahl der einzige Weg wäre, mit dem überaus erfolgreichen Renitenzler umzugehen. Dafür müsste man aber erwachsen werden...

  • Na dann tritt er eben als Parteiloser an und wird wohl trotzdem gewählt und die Grünen haben dann keinen Bürgermeister mehr!

    • @insLot:

      Ja, das wird eine interessante Wahl, der parteilose Palmer gegen einen Grünen Kandidaten.

    • @insLot:

      Seh ich auch so.

  • RS
    Ria Sauter

    Die Grünen bleiben sich treu, was Streitereien und falsche Einschätzungen angeht.



    Boris Palmer macht einen guten Job und ist in Tübingen beliebt.

    • @Ria Sauter:

      Das ist einfach nur falsch. Das Hausprojekt "Epple-Haus" ist bekannt? Die dortigen Bewohner sprühen nicht umsonst "kein Mensch ist illegal" an den Hauswänden, während ihr toller Bürgermeister denkt, gewisse Menschen seien illegal und gehören nicht hierher.

      Und ja, diese Bewohner dürfen als Gradmesser herangezogen werden.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Die Bewohner des "Epple-Haus" sind repräsentativ für die Bewohner Tübingens und deren Einschätzung bzgl. der Beliebtheit Palmers?

        • @Tom Tailor:

          Richtig.

          Wenn nämlich die Beliebtheit Palmers an den Einwohnern Tübingens festgestellt wird, dann gehören zu dieser Gruppe eben auch Bewohner des Epple-Hauses dazu.

          Nichts weiter als eine Maßnahme, Pauschalisierungen "Palmer ist beliebt" abzuschwächen und gleichzeitig aufzuzeigen, dass Palmer von den ein oder anderen als Feind angesehen wird. Daher habe ich den anderen Kommentar nicht beurteilt, da das schon andere für mich erledigt haben. Da stehen sogar weitere Details drin. :3

          • @Troll Eulenspiegel:

            Die Einwohner des Epple Hauses gehören selbstverständlich zu den Einwohnern Tübingens. Aber wie hoch ist deren Anteil an der Gesamtbevölkerung dieser Stadt? Und welchen Einfluss hat dann dieser Anteil an der Gesamtbewertung von Boris Palmer? Ich denke daher nicht, dass diese Gruppe von Hausbewohnern als Gradmesser heran gezogen werden kann.

  • Ist ja mehr als ein Amtsbonus.



    Er macht in Tübingen ganz klar einen erfolgreichen Job. Das wissen viele Tübinger zu honorieren.



    Die Süd-Grünen waren immer einen Tick realistischer als die in NRW oder Berlin. Mal sehen, ob sie wie die CDU sehend ins Verderben rennen und ihre eigene Kandidatin von Palmer deklassieren lassen.

    • @u62:

      In Tübingen wird kernstadtlich mehrheitlich immer oekolinks gewählt.



      Geht es in die peripheren Bezirke,nimmt der Anteil von CDU und AfD zu.



      Palmer hat ganz klar rassistische Ausserungen abgelassen,er hat wohl eine Facebook Sucht,ergo Geltungssucht.



      Seine Popularität bröckelt.Von jünger en Leuten wird er nicht ( mehr) gewaehlt.



      Zuletzt verlor er auch die Abstimmung ueber ein neues Strassenbahnprojekt für Tübingen.wenn bei der nächsten OB wahl in Tübingen schon 16 jaehrige ihr Kreuz machen dürfen,was mir nicht bekannt ist,wird BP verlieren,nicht die Wahl,aber Stimmen,wenn eine Waehlerlokomotive,egal welcher polit.Couleur in Konkurrenz zu Palmer traete,wuerde er verlieren.Ich halte es für nicht ausgeschlossen,dass BP bald selber verzichten wird,alles was in den letzten Jahren zutage trat,legt nahe ,dass er künftig in anderen Bereichen erfolgreich sein möchte,zb.als Autor,im Showbizz ,etc.



      Übrigens sind weder Palmer, noch Lehmann und Aogo Menschen,die ich als Vorbildhaft betrachten wuerde,die sind mir alle charakterlich suspekt.wie manch andere Person in der Öffentlichkeit auch,zb.im Fussballprofigeschaeft in Vereinsführung en etc .

  • In Baden-Württemberg werden die Bürgermeister direkt gewählt. Boris Palmer kann auch ohne grüne Unterstützung als freier Kandidat antreten und es spricht einiges dafür, dass er dann auch wieder gewählt werden würde.

  • Na ja. Möglicherweise gewinnt Palmer auch als unabhängiger Kandidat. Er hat den Amtsbonus und der wiegt bei Bürgermeistern schwer, insb. wenn sie in der Sache (also der Kommunalpolitik) einen guten Job machen. Ich denke die Grünen müssen sich gut überlegen, ob sie einen Kandidaten "abschießen", mit dem sie die Wahl aller Voraussicht nach gewinnen würden.

  • Man kann nur hoffen, daß der bleibt, auch wenn er manchmal schräg rüberkommt.



    Ansonsten: Armes Tübingen!



    Leider erleben wir ja selbst in der Bundesspitze der Grünen, wie viel Inkompetenz sich da so herumtreibt. Ich denke da aktuell nur an Annalena Baerbock und Nord Stream 2. Wer nicht rechnen kann, sollte sich nicht unbedingt nach vorne drängen.

    • @Werner Lorenzen-Pranger:

      Das stimmt, er kommt wirklich schräg rüber.

      "Welche Gesellschaft soll das abbilden?" sagte er über eine Anzeige der DB, in der Menschen verschiedener Hautfarbe zu sehen waren. Anscheinend nicht die, die er sich wünscht.

      Als ein junger Mann mit der falschen Hautfarbe sportlich mit dem Rad um ihn herumkurvte, brodelte aus ihm dieser Satz:

      „Weil der Typ mit nacktem Oberkörper, Kopfhörer und einer unglaublichen Dreistigkeit um die Leute rum gekurvt ist. Das gehört sich für niemand und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht.“

      Wo kämen wir auch hin? Das ist nicht mehr Palmers Deutschland, "aber normal".

      Der Schultes muss nach Berlin fahren. Ihn graust es:

      „Wenn ich dort ankomme, denke ich immer: Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands.“

      Na gut, damit hat er allerdings auch auf eine Art recht.

      Tübinger Rassenkunde:

      „Ich habe nie Aussagen über alle Schwarzen oder alle Asylbewerber gemacht, sondern ganz konkret beschrieben, mit welcher Häufigkeit bestimmte Merkmale auf Gruppen von Menschen zu treffen.“

      Nachschlag, radelnder Schwarzfahrer:

      „Ich wette, dass es ein Asylbewerber war. So benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe.“

      Echt schräg, der Typ.

      • @Jim Hawkins:

        O.K. ich hab ja auch nicht gesagt, daß er nicht dazu lernen sollte oder könnte. Im Vergleich ist das alles, was sie hier aufzählen, immerhin ziemlich harmlos.



        Palmer hat, immerhin, in der "Corona-Krise", und nicht nur da. ein super Management hingelegt.



        Was so mancher wirklich Rechte da abliefert, müßte sie eigentlich viel mehr besorgt machen.



        Mir rutscht auch schon mal ein Begriff wie z.B. das "Z-Wort" heraus, obwohl es nur untere ihresgleichen benutzt werden sollte. Ich mag diese Leute dennoch sehr, und nicht nur wegen ihrer Musik. Mich nannten sie wegen meines Berufs übrigens meist "Micki Maus" - und ich war stolz drauf. :)



        www.youtube.com/watch?v=PQhTpgicdx4

      • @Jim Hawkins:

        Ich kann Ihnen sagen, was passieren wird:



        Die Tübingen Mehrheitsgesellschaft denkt ungefähr so:



        "Palmer macht einen guten Job" und "So isher der Palmer, denkt als ette nach, bevor er schwätzt" (letzteres Live zu einem Reporter). Ergo: Er wird wieder gewählt, denn auf Identitäre gibt der Schwabe nicht viel.



        Wetten?

        • @Kartöfellchen:

          Des ka scho sai, n'Seggl isches trotzdem.

          • @Jim Hawkins:

            Haben Sie sich nicht vor zwei Jahren darüber amüsiert, dass Palmer bezüglich Coronamaßnahmen auch die wirtschaftlichen Folgen auf den globalen Süden inklusive Millionen Hungernde mit auf den Tisch brachte?

            Sie schrieben dazu: "Und wo kommt diese eine Million her?



            Und wen juckt es, dass durch die kapitalistische Zurichtung des gesamten Planeten jeden Tag so und so viel Leute sterben?



            In der Regel keinen.



            Er musste eben irgendwas aus dem Hut zaubern, was sich knallig anhört.



            Und eine Million, hey, die knallt. Und dann auch noch Kinder. [...]" ( taz.de/Boris-Palme...onakrise/!5682102/ )

            • @Rudolf Fissner:

              Hunger, eine allgemein geringe Lebenserwartung und katastrophale hygienische Verhältnisse waren vor der Ära des Kapitalismus die Regel, und zwar nicht nur im Globalen Süden (Netter Euphemismus, hört sich viel besser an als Driite Welt)

              • @Christof Abt:

                "... im Globalen Süden (Netter Euphemismus, hört sich viel besser an als Driite Welt)"

                Der Satz hätte auch von Palmer kommen können. Ansonsten: Gewisse Wörter und gewisse Begriffe sind halt für sich schon daneben. "Dritte Welt" gehört dazu.