Anti-AfD-Proteste: Die Nazis sind leider klug
Extrem Rechte wissen die Schwachstellen der liberalen Demokratie zu nutzen. Deshalb sind Wohlstandschauvinismus und Weiter-so keine Option.
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D ie Deportationsfantasien von Nazis in der AfD und ihrem Umfeld haben viele Menschen wachgerüttelt. Hunderttausende auch in kleineren Städten und auch im Osten demonstrieren gegen Faschismus und Rechtsextremismus. In vielen Medien wird diskutiert, ob und wie sehr die Demokratie bedroht und wie mit der Gefahr umzugehen sei. Die Zivilgesellschaft ist wach geworden, nachdem es zuletzt fast danach aussah, als könnten die Rechten durchmarschieren.
Dennoch ist zu befürchten, dass auch jetzt vor allem eingeübte Reflexe wiederholt werden und das eigentliche Problem mindestens teilweise verfehlt wird. Faschisten zu stellen, ihnen mit Argumenten zu kommen, seien sie auch brutal populistisch vereinfacht, läuft ins Leere, denn ihnen geht es um etwas anderes. Es geht ihnen ums Ganze.
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Liberale demokratische Ordnungen gewähren ihren Feinden Schutz und die gleichen Rechte wie ihren Verteidigern. Sie sind zugleich niemals moralisch einwandfrei, sondern geprägt von Streit, Widersprüchen und menschlicher Doppelmoral. Sie sind angewiesen auf eine wache und wachsame Zivilgesellschaft, funktionierende Institutionen und gut austarierte Kontrollmechanismen.
Faschisten wie Martin Sellner und Björn Höcke wissen, dass solche demokratischen Gesellschaften Schwachstellen haben, und machen sich diese gezielt zunutze. Die Empörung über den Begriff der „Remigration“ ist angebracht, aber sie kommt spät, denn sowohl die Nachwuchs-Nazis der Identitären Bewegung, deren Sprecher der Österreicher Sellner lange war, als auch der gerichtsoffiziell als Faschist geadelte Geschichtslehrer Höcke sprechen und schreiben schon lange davon.
Sie nutzen Pop- und Netzkultur
Sie und andere Figuren der politischen Halbwelt wie der völkische Aktivist und Verleger Götz Kubitschek arbeiten seit Jahren an der Destabilisierung der Demokratie und haben dabei langen Atem bewiesen. Ihr Vorgehen ist leider klug, sie wissen Pop- und Netzkultur gekonnt mit der Strategie der historischen Faschisten zu verbinden, die Demokratie und ihre Akteure systematisch zu delegitimieren und verächtlich zu machen.
Der Erfolg gibt ihnen recht, sie brauchen kein kohärentes Programm, es genügt, die politische Arena und das Netz mit ihrem menschenfeindlichen, rassistischen Müll zu fluten, um die gesamte politische Kultur dauerhaft zu beschädigen. Ihr einziges Gegenangebot: Sie setzen Vulgarität an die Stelle von Geist und niedere Beweggründe an die Stelle von Empathie.
Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge sollen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen, die „vollständige Umwandlung von Kultur in Schleuderware“ (Franz Neumann) gipfelt schließlich in einem Nihilismus, der auch vor Zivilisationsbrüchen und Gewaltexzessen nicht mehr zurückschreckt. Die deutsche Vergangenheit wie die eingangs genannten Deportationsfantasien lassen grüßen.
So weit, so schlecht. Das weitaus größere Problem ist aber, dass die globale Großwetterlage populistischen Demagogen nicht nur aus dem faschistischen Lager in die Hände spielt, bekanntermaßen nicht nur in Deutschland. Die relative Ruhe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist vorbei, im 21. Jahrhundert hat die Moderne wieder zu jenem atemberaubenden Tempo zurückgefunden, das sie bereits seit der industriellen Revolution hatte.
Es ist schwer, Vertrauen in die Zukunft zu haben
Eine vernetzte, hochkomplexe Welt, die sich in rasantem Tempo verändert und deren Zusammenhänge auch professionelle Beobachter kaum vollständig erfassen können, macht es schwer, Vertrauen in die Zukunft zu haben, die apokalyptische Dimension der globalen Klimakrise trübt die Perspektiven weiter ein. Hinzu kommt: Das planetarische Ausmaß der Probleme erzwingt auch planetarische Lösungen, nicht nur beim Klima.
In der global vernetzten Welt wissen die Menschen im Globalen Süden nicht nur um die Verwüstungen der kolonialen Vergangenheit, sondern auch um die daraus resultierenden, bis heute bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten und die ungleich besseren Lebensbedingungen in den Ländern des Nordens. Dort ahnt man, dass es so nicht ewig weitergehen wird, freilich, ohne die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Ausnahmslos alle Parteien versprechen unentwegt, den „Wohlstand erhalten“ zu wollen, mal garniert mit wohlfeiler Veränderungsemphase, mal mit unverhohlenem Wohlstandschauvinismus. Selten traut sich jemand, das Ausmaß der Veränderungen, jener, die stattfinden, und jener, die kommen, in vollem Umfang zu beschreiben – und wer es wagt, riskiert sein politisches Überleben. Der Hass auf die Grünen, der vor allem im Netz zu beobachten ist, zeigt das.
In diesem Moment existenzieller Krisen beschwören Faschisten wie Höcke und Trump jenen Niedergang, den sie für ihre politische Existenz so dringend benötigen. Dass demokratische Aushandlung oft mühsam und nervenaufreibend ist, dient ihnen als Beleg ihrer grundsätzlichen Korrumpiertheit. Sie behaupten, für eine schweigende Mehrheit, für „das Volk“ zu sprechen, ihr eigentliches Ziel ist indes ein autoritärer Umsturz, eine dunkle Revolte gegen eine zerrissene Moderne.
Die Ängste müssen übersetzt werden
Sie haben keinerlei Idee von einer gelingenden Zukunft und versprechen dies auch nicht. Stattdessen entfesseln sie dumpfe Ressentiments im Schutz einer enthemmten Masse. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, hieß das bei den Nazis, „Terror von unten“ nannte es der italienische Antifaschist Ignazio Silone.
Die vielen Demonstrationen und Diskussionen, die nun stattfinden, sind natürlich begrüßenswert und notwendig. Aber sie werden das Problem nicht an der Wurzel packen. Wohlstandschauvinismus und Weiter-so sind keine Option. Es braucht eine Erzählung, die Zukunftsängste übersetzt in Herausforderungen, die zu schaffen sind. Solange es keine wirkmächtigen Vorstellungen einer gelingenden planetarischen Zukunft gibt, wird die faschistische Gefahr jedoch weiterwachsen.
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