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Anerkennung eines Staates PalästinaViel mehr als reine Symbolpolitik

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Das Recht der Palästinenser auf einen Staat erhält immer mehr Legitimität. Die Anerkennung beinhaltet die Forderung nach einem Ende der Besatzung.

Das Red­ne­r:inn­enpult blieb leer, als der palästinensische Präsident Abbas per Video in der UN-Vollversammlung sprach Foto: Jeenah Moon/reuters

A bgesehen von stehenden Rolltreppen, einem nicht funktionierenden Teleprompter und einer narzisstischen Rede des US-Präsidenten Donald Trump gab es auf der diesjährigen UN-Generalversammlung ein hervorstechendes Thema: die Anerkennung eines palästinensischen Staats durch über 80 Prozent der UN-Mitgliedstaaten, darunter die Mehrheit der EU-Staaten.

Interessanterweise gibt es Kritik an dieser Anerkennungspolitik von zwei höchst unterschiedlichen Seiten. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnet das Ganze als einen „Zirkus“. Von palästinensischer Seite wird es zwar als ein wichtiger Schritt in Richtung internationaler Legitimität gefeiert, aber trotzdem kommt auch von hier Kritik.

Die Palästinenser bemängeln, dass diese Anerkennung nicht über Symbolpolitik hinausgehe. Sie zeige die wachsende Kluft zwischen gelebter Realität und internationaler Inszenierung.

Jeden Tag sterben mehr Menschen bei israelischen Angriffen im Gazastreifen. Jede Minute werden mehr Menschen aus Gaza-Stadt vertrieben. Ein Grund, warum die Palästinenser neben der symbolischen Anerkennung praktische und wirksame Sanktionen wie ein Waffenembargo gegen Israel fordern.

Die USA blockieren Palästinas volle UN-Mitgliedschaft

Also richtig recht machen es diese Anerkennungen ganz offensichtlich niemandem. Trotz der Kritik sollte man die Anerkennung als das bewerten, was sie ist: Das Recht der Palästinenser auf einen Staat erhält eine wachsende Legitimität. Das Ende der Besatzung hängt nicht vom Gutdünken der Besatzer ab, lautet die Botschaft. Die Anerkennung beinhaltet automatisch die Forderung nach einem Ende der Besatzung. Diese Forderung bekommt immer mehr Auftrieb.

Nun ist es kein Geheimnis, dass ausgerechnet der auf der UN-Rolltreppe stecken gebliebene Donald Trump und nicht 80 Prozent der UN-Mitglieder hier am Ende das Sagen hat. Denn ob Palästina ein vollwertiges Mitglied der UN-Generalversammlung und das neueste UN-Mitglied wird, dazu braucht es die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats. Und das Veto der USA hat bisher jegliche Bewegung verhindert.

Die US-Regierung hat die Anerkennung eines palästinensischen Staats als eine Belohnung der Hamas bezeichnet. Die Position Netanjahus und des US-Präsidenten Trump ist hier also hundertprozentig deckungsgleich. Hier ist außer gelegentlichen Nebelkerzen keinerlei Bewegung zu erwarten.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass die Perspektive auf einen eigenen Staat der Hamas und anderen Palästinensern, die nach militanten Lösungen rufen, das Wasser abgraben würde. Die israelische Besatzung mit einem palästinensischen Staat zu beenden, wäre wahrscheinlich die einzige wirksame Möglichkeit, der Hamas das Wasser abzugraben.

Die Bundesrregierung macht sich einen schlanken Fuß

Doch die Bundesregierung hat sich in dieser Frage vornehm aus der Affäre gezogen. Außenminister Johann Wadephul (CDU) betonte, dass eine Anerkennung Palästinas nur der abschließende Schritt in einem Verhandlungsprozess zur Zweistaatenlösung sein könne. Von welchen Verhandlungen er eigentlich träumt, möchte man den obersten deutschen Diplomaten fragen.

Netanjahu hat immer wieder erklärt, dass er eine Zweistaatenlösung strikt ablehnt. De facto ist Berlin also nicht bereit, irgendein politisches Kapital einzusetzen, um am Status quo zu rütteln. Das deutsche Lippenbekenntnis zur Zweistaatenlösung ist nichts wert.

Das Handeln beziehungsweise Nichthandeln der Bundesregierung bedeutet derzeit: keine symbolische Anerkennung Palästinas, keine Suspendierung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel und erst recht keine Sanktionen. Deutschland steht einer schwindenden Minderheit in der EU vor.

Ach ja, eines macht die Bundesregierung schon: Sie ruft Israel dazu auf, keine einseitigen Schritte zu unternehmen, die einer Zweistaatenlösung entgegenstehen. Netanjahu zu etwas aufzurufen, kostet nichts.

Deutsche Nahost-Starre

Indes macht die israelische Regierung derzeit nichts anderes, als einseitige Schritte zu unternehmen, die darauf hinauslaufen, dass es bald nichts mehr anzuerkennen gibt. Die Menschen werden vom Norden in den Süden des Gaza­streifens getrieben, ihre Städte werden unbewohnbar gemacht. Und nach der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage folgt der Aufruf zur „freiwilligen Ausreise“.

Im Westjordanland werden mehr Siedlungen gebaut, die ein palästinensisches Staatsgebiet im Westjordanland in zwei Teile teilen. Und die Bundesregierung steht da – eingefroren. Nur wenn man genau hinsieht, bemerkt man ein leichtes Zucken ihrer Lippen. „Zweistaatenlösung“, haucht sie, um dann erneut in ihre nahostpolitische Starre zu verfallen.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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1 Kommentar

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  • Die Zweistaatenlösung steht ja nicht erst seit den letzten zwei Jahren auf der politischen Agenda.



    Das blenden die aus , die einen palästinensischen Staat ablehnen und die Forderung eines überwältigend großen Teils der Weltgemeinschaft nach der Zweistaatenlösung, als Sieg der Hamas verkaufen wollen



    Viele Jahre war das Palästinaproblem dem größten Teil der Weltgemeinschaft einfach egal; es gab immer vermeintlich dringendere Probleme.



    Jetzt erst rückt das brutale, menschenverachtende Vorgehen Israels das Palästinaproblem in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses und die Dringlichkeit einer Lösung wird offensichtlich.