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Ampel-Regierung steht, doch wofür?Auf den Kanzler kommt's an

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die neue Koalition will arbeitsteilig regieren. Die Grünen sollen dabei quasi im Alleingang für den klimaneutralen Umbau sorgen.

Olaf Scholz der Klimakanzler: Da gab es schon während des Wahlkampfs Skeptiker Foto: Annette Riedl/dpa

F angen wir mit dem Erfreulichen an. Mit der Ampel kommt der Staat in ein paar Bereichen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit an. Es wird eine doppelte Staatsangehörigkeit geben – damit wird ein altes rot-grünes Projekt verwirklicht, das vor 20 Jahren am Widerstand der Union scheiterte. Cannabis wird endlich legal verkauft werden. Im besten Fall ist das der Einstieg in eine liberale, weniger starrsinnige Drogenpolitik.

Beim Sozialen ist 12 Euro Mindestlohn ein Schritt, um die erniedrigende Ausbeutung im unteren Viertel der Gesellschaft zu mildern. All das kann man nur in einer Regierung ohne Union tun.

Was fehlt, ist in der Sozialpolitik alles, was den Staat Geld kostet. Ob das zum Bürgergeld avancierte Hartz IV höher ausfallen wird, weiß man so wenig wie bei der Kindergrundsicherung. Dazu steht im Koalitionsvertrag eher politische Prosa als Konkretes.

Die Ampel wird jedenfalls klassisch arbeitsteilig regieren. Die SPD bespielt die Ressorts, in denen es um Sicherheit geht – Innenministerium, Verteidigung sowie Arbeit und Soziales. Die FDP bekommt Justiz und Finanzen. Das klingt nach Bürgerfreiheit und dem Kassenwart, der das Geld kontrolliert. Wahrscheinlich der wichtigste Job im Kabinett. Und die Grünen kümmern sich um ihr Gebiet: Klima, Umwelt, Landwirtschaft.

Die Grünen haben wohl zu Recht geklagt

Baerbock und Co haben während des Koalitionsdeals als Einzige öffentlich geklagt. Wahrscheinlich zu Recht. Denn sie haben den schwierigsten Part. Sie sollen für den klimaneutralen Umbau sorgen. Scheitert der, scheitern sie – nicht aber zwingend SPD und FDP.

Dabei ist zweifelhaft, ob sie mit dem um Klima erweiterten Wirtschaftsministerium dafür wirklich den Hebel in der Hand halten. Das Wirtschaftsministerium hat schon seit Langem an Einfluss verloren und taugt nur bedingt, um den komplexen Prozess dieses Umbaus zu steuern. Dass die Grünen auf dem Papier fast so viele Posten haben wie die SPD, ist eher das Bonbon, das die bittere Pille versüßt.

Egal wie gut die Ampel funktioniert – entscheidend ist, ob sie den klimaneutralen Umbau der viertgrößten Industrienation anpackt. Das ist eine gigantische, langfristige Umwälzung, ein Projekt, weit größer als die deutsche Einheit. Es ist zweifelhaft, ob dies wirklich das Projekt der Ampel ist.

Viel hängt dabei vom Kanzler ab. Olaf Scholz kann Merkel Nummer zwei werden, der zurückhaltende Moderator eines komplizierten Dreierbündnisses, der wenig riskiert und auf Sicht fährt.

Wenn die Ampel eine ökologische Fortschrittsregierung sein will, muss Scholz etwas anderes sein. Er muss der Klimakanzler sein, der einen Plan in der Tasche hat. Die Figur, die er im Wahlkampf war. Es wäre eine Überraschung.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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14 Kommentare

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  • Die Ampel steht für CDU abwählen. Mehr wurde vor der Wahl nicht gewünscht. Und bei der Wahl hat die taz-Fee auch nur genau das erfüllt. :-)

  • Seit wann wissen wir, was dem Land blüht, wenn es nach einer Wahl eine neue Regierung gibt?

    Zweifel darüber, dass sich nichts bewegt und das Land mehr schlecht als recht geführt wird, mussten wir in den vergangenen Legislaturperioden jedenfalls nicht haben. Das war sonnenklar.

    Vielleicht sollte man ein Übermaß an Zweifel über diese gänzlich neue Regierung einfach mal über Bord werfen, denn hinsichtlich dem vergangenen Stillstand, kann es nur besser werden (und wäre es mit Laschet sicherlich gar nicht geworden).

  • danke für diesen Artikel! interessante Sichtweise, was Scholz angeht bin ich eher skeptisch (nicht nur aber auch als Hamburgerin ;) )

  • Ich mache mir Sorgen um die psychische Gesundheit der grünen Verhandler: Viele Wochen im Bunker mit einem Porschefahrer und Yuppie. Hat das abgefärbt? Ich denke da an Dich, Madame Baerbock, Du mit dem eingestampftem Buch über Dich selbst, Du gescheite und dann wieder viel zu unbekümmerte ex-Kandidatin, pass auf, dass Dein größter Beitrag zur Weltverbesserung nicht am Ende die Spende Deiner haute couture an Oxfam sein wird. Schröder hat seine Armani-Anzüge vermutlich noch in Moskau im Hotel hängen (Trittin hat zum Teil Recht bzgl. Frauenfeindlichkeit: ich erinnere mich noch an ein sehr unfaires Interview einer Tagesschau-Journalistin, wo Anna-Lena B. ständig unterbrochen wurde).



    Aber gut: Brave Mädchen kommen in den Himmel, freche ins Außenministerium. Viele der Beteiligten sahen ziemlich zerknautscht aus. Lindner war bei der Vorstellung gestern der eigentliche Chef im Ring, rhetorisch gesehen, sah aus wie der Ganove in einem Brecht-Stück kurz nach dem Deal. Scholz war ein stiller Pate. Keiner hatte die Delta-Variante.



    Kann die sozialdemokratische Basis zufrieden sein? Wo steht der Mietendeckel, die Bürgerversicherung? Aber so ängstlich und wenig überwältigend haben die Deutschen eben den Wandel eingeläutet (die Vorhaben zur Reform des Staatsbürgerrechts plus Wahlrecht ab 16 z.B. öffnen jedoch Perspektiven).



    Dass homo sapiens, eine unterentwickelte Art, noch vor den Mist-und Borkenkäfern eingeht, war auch schon vor den Wahlen klar.

  • Bequem für SPD und FDP, ihre Klientel zu bedienen, während sich die Grünen an existentiellen Themen abmühen und die Rolle der „Öko-Spinner“ übernehmen dürfen. So einfach dürfen sich SPD und FDP sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

  • Ganz richtig gesehen! Es ust zu befürchten, dass Scholz nicht führt, vorgibt und entwickelt, sondern allerhöchstens moderiert. Im Zweifelsfall werden immer die Grünen die Drecksarbeit machen müssen und sich mit der FDP herumschlagen müssen. Wenn Scholz sich das nur ansehen und auf die Erschöpfung der beiden Kontrahenten warten will (Merkel hat das ja gerne mit SPD und CSU so gemacht), dann wird die Koaition nicht si sehr viel hinkriegen. Die erste kleine Probe wird Scholz liefern müssen, wenn es um die Personalie Lauterbach geht. Wenn Scholz sogar vor dem etwas eigensinnigen Lauterbach zu viel Angst hat, dann ist das ein schlechtes Vorzeichen für die ganze Koalition und zwar nicht nur in der Corona- Politik. Wenn Scholz nur Ruhe will, dann wird er Flaute ernten.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Die ganze Welt eine Kita 4.0; aber Außenpolitik wird von Stefan Reinecke nicht erwähnt…

  • Der Koa-Vertrag zeigt bereits, was Wahlversprechen Wert sind. Scholz hatte den Rentnern sichere gute Renten zugesagt und damit über 300.000 Wähler-innen von der CDU geholt, womit er dann Wahlsieger wurde. Von seinem Versprechen ist im Koa-Vertrag nichts zu erkennen. Ein kleiner Versuchsballon mit Aktiengeschäften dürfte die Renten kaum retten. Interessant ist auch, dass offensichtlich keiner der Koa-Parteien das Gesundheitsministerium will. Anscheinend ist dieses Resort zu schwierig und risikohaft für die eigene Karriere. Spannend wird auch Baerbock als Außenministerin. Mal sehen, wie sie Putin, Bolzenaro, Chie, Erdogan etc. dazu bringt, Kohlekraftwerke abzubauen, die Wälder nicht mehr abzubrennen usw..

  • Wie sagt Martin Sonneborn so schön: Olaf Scholz, angeblich Sozialdemokrat. Dem ist doch fast nichts hinzuzufügen.

  • Die Grünen haben auf ganzer Linie versagt, das potemkinschen Klimaministerium ist ein fadenscheiniges Alibi. Die Wirtschafts- und Unternehmerverbände haben sich sogleich wohlwollend geäußert. Die Autolobby reibt sich die Hände.

  • Schonn!

    “ Regierung steht, doch wofür?: Auf den Kanzler kommt es an“



    Ach was! © Loriot - Art 65 GG - Richtlinienkompetenz - wa Mutti?!!



    Solange er nicht “Geschäublet“ wird! Gellewelle.



    Remember Grexit “…wer anderes von mit verlangt.



    Dann tret ich zurück!“



    Der Dämlack Lindner hat zwar nicht soviel Briefumschläge anne Hacken.



    Aber in der Poleposition - Gröfimaz III. - wird er das Drehbuch immer -



    “Am langen Arm“ haben & damit in geeigneten Momenten rumwedeln.



    Ein Flacheisen mit Portkassenjünglingmentalität - dem ich nichteinmal die Vereinskasse eines Kaninchenzüchtervereins anvertrauen würde!



    Dieses Mäuschen 🐁 - wird das Mausen nicht lassen •

    Brief&Siegel drauf!! Der Mann ist Vorsitzender der Klassen&SchulsprecherPartei!



    Noch Fragen?

    & therefore - have a look at Mr “olle 🤬“ (PU sei Perle!)



    m.facebook.com/wat...5972242750466&_rdr



    (Unser Fundstück der Woche: Christian Lindner 1997)

    • @Lowandorder:

      Wieso Lindner? Ich deute die künstlerische Nachbearbeitung des Wahlplakates so: Egal, wie durcheinander es bei den Politikern im Vordergrund (erkennbar an ihren politischen Farben) geht: Im Hintergrund steht immer ER, eisern, unverrückbar: der Herr SCHOLZ!

      • @Pfanni:

        Ja wie? Baby - nischt für unjut wa!



        Aber - neben Läuse - kannste ja auch Flöhe haben.

        kurz - Sodrum mal. Newahr.



        Da mähtste nix.



        Normal ey.

    • @Lowandorder:

      Großartiges Lindner-Porträt!