Aktivisten über die Letzte Generation: „Stören“ oder „Organisieren“?
Die Letzte Generation will Berlin lahmlegen. Ist das richtig? Und welche Alternativen hat die Klimabewegung? Ein Gespräch zwischen zwei Aktivisten.
wochentaz: Berlin stehen die vielleicht größten Straßenblockaden der Protestgeschichte bevor. Werden wir in dieser Woche dem Klimaschutz näherkommen?
Tadzio Müller: Das zu glauben, wäre naiv. Die Aktionen sind aber wichtig als Machtdemonstration. Wir zeigen: Die Klimabewegung ist nicht nur ein Haufen nerviger Spinner, sondern wir sind in der Lage, die Hauptstadt zum Verkehrskollaps zu bringen. Je mehr Macht die Bewegung hat, desto wahrscheinlicher wird Klimaschutz.
ist langjähriger Klima- und LGBTQ-Aktivist und hat Ende Gelände mit aufgebaut. Er ist nicht Teil der Letzten Generation, verteidigt sie aber gegen Kritik.
Janus Petznik: Für die Bewegung ist es vor allem ein Test, wie unterschiedliche Strömungen zueinander stehen, ob die einen kritikfähig sind und die anderen sich von der herrschenden Klasse einspannen lassen. Und ob überhaupt noch gesellschaftliche Mehrheiten möglich sind.
ist Aktivist der Klimabewegung seit 2016. Zuletzt lebte er in Lützerath. Er ruft die Klimabewegung dazu auf, stärker mit Gewerkschaften und im Lokalen zusammenzuarbeiten.
Berlin lahmzulegen, um das herauszufinden, scheint etwas übertrieben.
Müller: Wir müssen den fossilen Normalwahnsinn unterbrechen, damit die Leute darüber nachdenken, dass man für Klimaschutz die Normalität ändern muss. Der Großteil der Gesellschaft überlässt die Klimadebatte der radikalen Klimabewegung, Autofahrern und Journalist*innen. Die Mitte der Gesellschaft, zum Beispiel der Alpenverein oder die Landfrauen, positionieren sich nicht. Um sie dazu zu zwingen und gesellschaftliche Klarheit zu produzieren – dafür ist es gut.
Sie finden es gut, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen?
Petznik: Ich finde das falsch. Wenn wir gesellschaftliche Mehrheiten erreichen wollen, brauchen wir keine Gegenpositionierung vom Deutschen Alpenverein zur Letzten Generation, sondern wir müssen den Deutschen Alpenverein mitnehmen. Und das sehe ich nicht.
Müller: Wir vertiefen die gesellschaftliche Spaltung nicht, sondern wir zeigen auf, dass es einen Konflikt gibt. Vor der Besetzung des Hambacher Forstes und vor Ende Gelände war Deutschland nicht klar, dass es einen Konflikt um die Kohle gibt.
Petznik: Die Leute zu zwingen, Stellung zu beziehen, und dadurch aufzuzeigen, wir sind die Guten und das sind die Schlechten – das bringt uns nicht weiter. Der Effekt ist, dass die ganze Zeit über das „Klima-Kleben“ geredet wird, und dass jetzt irgendein „Brummi-Bryan“, der gegen die gepöbelt hat, einen Ballermann-Schlager daraus gemacht hat. Deshalb halte ich die Aktionen für strategisch falsch.
Was würde uns weiterbringen?
Petznik: Die Klimabewegung muss auf lokaler Ebene Räume schaffen, wo man sich mit Empathie auf Augenhöhe begegnet und guckt: Wo sind die Probleme in der Nachbarschaft? Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Wir müssen die soziale Frage mit der Klimafrage verbinden.
Überschätzen Sie nicht die Bereitschaft, sich für soziale Anliegen einzusetzen? Es gibt keinen Aufstand gegen ungleiche Vermögensverteilung und keinen für das Klima. Wenn man beide Bereiche zusammenlegt – was soll das nützen?
Petznik: Wir müssen es versuchen. Community Organizing funktioniert in vielen Bereichen, Deutsche Wohnen & Co enteignen ist ein gutes Beispiel dafür. Ich glaube, wir haben als Klimabewegung eine Riesenangst, mit der Gesellschaft in den Dialog zu treten, weil wir dann eine Realitätsklatsche bekämen: Wir sind unglaublich unbedeutend in einem Diskurs, obwohl wir uns 2019 mit Fridays for Future noch sehr mächtig gefühlt haben.
Müller: Die Realitätsklatsche habe ich mir schon selbst geholt. Wir sind nicht nur marginalisiert, sondern wir sind der Feind, wir werden kriminalisiert. Die Klimabewegung ist weitgehend handlungsunfähig, der einzige Teil, der was reißt, ist die Letzte Generation. Aber das reicht nicht. Wir müssen den Menschen auch inspirierende Angebote machen, wie in Lützerath, wo wir zeigen konnten: „Das ist die Klimabewegung und es ist geil, was wir machen!“ Aber momentan hat niemand gute Angebote.
Warum nicht?
Müller: Realistische Pfade zu einer guten Zukunft zu finden ist schwer. Die meisten Zukunftsszenarien sind dunkel, alles andere ist Verdrängung.
Petznik: Wir müssen weg davon, immer wieder zum nächsten globalen Streik oder Klimagipfel zu mobilisieren. Sonst gehen die Leute nach dem Event nach Hause und hoffen, dass alles besser wird. Stattdessen müssen wir sie in die Lage versetzen, die Situation bei ihnen zu Hause zu verbessern. Das bedeutet Basisorganisierung statt Eventmobilisierung. Wir müssen eine langfristige Gegenmacht aufbauen. Ich glaube, das geht nur über den Dialog.
Müller: Da muss ich widersprechen. Die Gesellschaft hat sich bislang kaum damit auseinandergesetzt, was die Klimakatastrophe an Verzicht bedeutet. Wir haben 2016 vom Klimacamp im Rheinland aus Gespräche mit den Arbeitern geführt. Da wurde mir klar, wie stark die Abwehr ist. Sobald es um den Verlust von Privilegien geht, gibt es keine Mehrheit für Klimaschutz. Die Gesellschaft hat keinen Bock, darüber zu reden, weil sie die Ängste, die Schuld und die Scham, die das auslösen würde, verdrängen will.
Was ist die Alternative – kann man die Gesellschaft zum Klimaschutz zwingen?
Müller: Man kann ein verdrängendes Subjekt nicht durch mehr Druck dazu bringen, nicht zu verdrängen. Stattdessen braucht man eine Form therapeutischen Prozesses. Vielleicht brauchen wir einen gesellschaftlichen Trauerprozess, um uns von unseren Privilegien zu verabschieden.
Trauer ist unattraktiv. Wir alle nutzen Strategien, Trauer zu verdrängen, teils auch zerstörerische.
Müller: Das ist das Problem. Sich mit düsteren Zukunftsszenarien zu konfrontieren, löst auf der einen Seite Dissoziation aus, und auf der anderen Dummheit und Brutalität. In dem Moment, wo Olaf Scholz einen Zwischenruf von einem Aktivisten bekommt, wird er total dumm und kontert mit einem Nazivergleich. Der Klimadiskurs hat die Sphäre des Rationalen verlassen, er wird geleitet von Schuld, Scham und Angst.
Die Letzte Generation und Extinction Rebellion arbeiten mit diesen Emotionen. Kann das produktiv sein?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Petznik: Angst ist kein gutes Narrativ. Der Faschismus nährt sich vor allem aus Angst. Hoffnung ist das, was wir dem als linke Bewegungen entgegensetzen müssen.
Woher nehmen Sie die Hoffnung auf so tiefgreifende Veränderungen, wie es der Klimaschutz erfordert?
Petznik: Der Hambacher Forst ist ein Beispiel. Wir haben die Leute mobilisiert, in den Wald zu kommen. Sie haben sich dort organisiert und den Wald verteidigt. Es ist ein großer Unterschied, heute Tausende unorganisierte Menschen auf die Straße zu bringen, die morgen wieder ihren Kram machen – oder deutschlandweit resiliente Strukturen aufzubauen, die die Macht hätten, Sachen zu verändern.
Müller: Leider bevorzugen es aber die meisten Menschen, sich nicht zu positionieren oder gar zu organisieren. Sie bleiben am liebsten passiv. Wenn wir die Wahl haben zwischen kollektivem Suizid oder kollektivem Handeln, ist der kollektive Suizid die wahrscheinlichere Option. Deshalb brauchen wir Strategien zur Aktivierung. Die Klimabewegung ist da aber nicht der richtige Ansprechpartner, weil wir eben Schuld, Scham und Angst triggern.
Und da soll der Deutsche Alpenverein einspringen?
Müller: Es sind viele andere Strategien gescheitert oder haben sich zu Tode gelaufen. Aber wie wir den Alpenverein oder die Landfrauen dazu bringen sollen, weiß ich auch nicht. Wenn eine Bewegung mit vernünftigen Forderungen sich transformationsunwilligen Eliten oder Gesellschaften gegenübersieht, ist die Störung einer der letzten Hebel, der bleibt. Den setzt die Letzte Generation ein. Es ist aber kein attraktiver Hebel.
Petznik: Weil es die schiere Verzweiflung zeigt.
Müller: Außerdem birgt es die Möglichkeit eines brutalen Backlashs. Ein verdrängendes Subjekt, das ständig unter Druck ist, flippt irgendwann aus.
Sie fürchten staatliche Repression. Davon hat sich die Letzte Generation bislang nicht einschüchtern lassen.
Petznik: Die zunehmende Repression kann ein zermürbender Prozess sein.
Müller: Mir macht eher die gesellschaftliche Repression Angst: die Brutalität der Autofahrer. Es ist die Aufgabe der gesamten Bewegung, dafür zu sorgen, dass die Angriffe auf die Letzte Generation nicht brutal werden – indem wir uns solidarisieren. Solange wir keine Mehrheiten haben, müssen wir als Minderheiten zusammenstehen.
Haben Sie es aufgegeben, um Mehrheiten für das Klima zu kämpfen?
Müller: Was mir noch Hoffnung gibt, ist, dass die deutsche Gesellschaft den illusorischen Anspruch hat, eine moralisch Gute sein zu wollen. Wenn die Letzte Generation zeigt: Der fossile Kapitalismus baggert nicht nur Lützerath ab, sondern verprügelt Klimaaktivist*innen auf der Straße, könnte das einige dazu bringen, sich zu positionieren.
Petznik: Ich sehe schwarz, wenn ich die Gesellschaft dazu zwingen soll, dass sie sich entscheidet, auf der Seite der Guten zu stehen. Ich glaube, dass den Leuten scheißegal ist, ob sie die Guten sind.
Müller: Und ich sehe schwarz, wenn wir anfangen sollen, die Gesellschaft zu organisieren. Weil sie keinen Bock hat, sich zu organisieren, sie will einfach weitermachen, wie sie ist.
Petznik: Es gibt noch andere linke Bewegungen und Akteur*innen, die Basisorganisierung machen. Die Streiks im öffentlichen Dienst, die Krankenhausbewegung oder Gewerkschaften sind Beispiele, wie das funktionieren kann. Die Klimabewegung muss nicht das Rad neu erfinden. Wenn wir soziale Gerechtigkeit stärker mit Klimaschutz verbinden, kann das gelingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
G20-Gipfel in Brasilien
Milei will mit Kapitalismus aus der Armut
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Virale „Dubai-Schokolade“
Dabei sein ist alles