AfD und Linke klagen in Karlsruhe: Schwächung der Opposition per Gesetzesänderung
Dem Verfassungsgericht liegen sechs Eilanträge vor. Sie sollen eine Grundgesetzänderung durch die alte Bundestagsmehrheit verhindern. Haben sie Chancen?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte für den 13. und 18. März zu zwei Sondersitzungen des Bundestags in alter Zusammensetzung eingeladen. Dort soll über drei Grundgesetzänderungen zur Aufweichung der Schuldenbremse, auf die sich die kommende Koalition aus CDU/CSU und SPD in ihren Sondierungsgesprächen geeinigt hat, beraten und diese beschlossen werden. Erst am 25. März soll dann der Bundestag in neuer Besetzung zusammenkommen.
Das Vorgehen mit einer Last-Minute-Grundgesetzänderung durch den alten Bundestag ist politisch umstritten. Denn damit wird verhindert, dass die bei der Wahl erstarkten Parteien AfD und Linke im neuen Bundestag die Verfassungsänderungen blockieren können. Es ist derzeit allerdings auch nicht sicher, ob die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im alten Bundestag (und im Bundesrat) überhaupt zustande kommt.
Gegen die Einberufung der Sondersitzungen lagen beim Bundesverfassungsgericht am Montagabend bereits sechs Eilanträge vor: Dahinter stecken zum einen vier Organklagen. Kläger sind die AfD-Fraktion, fünf AfD-Abgeordnete um Christian Wirth, die fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete Joana Cotar und die kommende Fraktion der Linken im neu gewählten Bundestag. Hinzu kommen zwei Verfassungsbeschwerden von bisher unbekannten Bürger:innen, die aber vermutlich keine Rolle spielen werden.
Erfolg zweifelhaft
Im Organstreit machen die Abgeordneten und Fraktionen geltend, dass sie in eigenen Rechten verletzt sind, insbesondere weil sie ihr durch die Neuwahl errungenes Mandat nicht schnellstmöglich einnehmen können. Die Fraktionen können auch Rechte des neu gewählten Bundestags geltend machen.
Es ist sehr zweifelhaft, ob die Organklagen in der Sache Erfolg haben werden. Denn im Grundgesetz-Artikel 39 heißt es: „Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.“ Die ganz überwiegende Mehrheit der Verfassungsrechts-Professor:innen, die sich bisher dazu geäußert haben, geht davon aus, dass der alte Bundestag bis zum 25. März voll handlungsfähig ist, also auch mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Grundgesetz ändern kann.
Frage bisher nicht entschieden
Die Gegenposition, die nun AfD und Linke vertreten, glaubt jedoch, dass Bärbel Bas dazu verpflichtet ist, den neuen Bundestag einzuberufen, sobald dies möglich ist. Entscheidendes Datum wäre demnach der 14. März, weil die Bundeswahlleiterin an diesem Tag das endgültige Ergebnis der Bundestagswahl feststellt. Zumindest die geplante Sondersitzung des alten Bundestags am 18. März wäre nach dieser Logik also nicht mehr möglich.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob der Bundestag nach einer Bundestagswahl noch Verfassungsänderungen beschließen kann, bisher nicht entschieden. Ob es jetzt zu einer Entscheidung kommt, hängt aber zunächst davon ab, ob die Anträge überhaupt zulässig sind. Denn auch hier gibt es einige offene Fragen.
Anträge womöglich nicht zulässig
So können Abgeordnete des alten Bundestags wohl nicht mit dem Argument klagen, dass Abgeordnete des neuen Bundestags an der rechtzeitigen Einnahme ihres Mandats gehindert werden. Denn im Organstreitverfahren kann grundsätzlich nur die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht werden.
Abgeordnete und Fraktionen des kommenden Bundestags existieren derzeit aber noch gar nicht, da sich der neue Bundestag ja noch nicht konstituiert hat. Die Linke spricht in ihrer Klage daher von einer „Vor-Fraktion“. Es ist aber auch nicht abwegig, dass eine Vor-Fraktion ihr (eventuelles) Recht einklagen kann, schnellstmöglich zur Fraktion zu werden. Auch darüber hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.
Mehr Gestaltungsmöglichkeiten
Wenn eine Verfassungsklage weder offensichtlich begründet noch offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist, führt das Bundesverfassungsgericht in der Regel eine Folgenabwägung durch. Diese könnte hier dazu führen, dass die Eilanträge abgelehnt werden. Denn auch wenn dann eine Grundgesetzänderung zustande käme, würde sie den kommenden Bundestag nicht fesseln, sondern im konkreten Fall eher entfesseln. Die strenge Schuldenbremse soll ja aufgeweicht werden. Der kommende Bundestag hätte dann mehr Gestaltungsmöglichkeiten, er wäre aber auch nicht gezwungen, die nun möglichen Extraschulden für Verteidigung und Infrastruktur aufzunehmen.
Auf Anfrage hat das Bundesverfassungsgericht noch offen gelassen, wann es über die vorliegenden Eilanträge entscheiden wird. Denkbar ist ein Zeitpunkt vor dem 13. März, weil sich die Eilanträge bereits auf die erste Sondersitzung beziehen. Ausreichend wäre aber auch noch eine Entscheidung vor dem 18. März, weil ja erst dann die Grundgesetzänderung beschlossen werden soll.
Soviel ist klar: Die kommende Karlsruher Eilentscheidung kann fundamentale Folgen für die Staatsfinanzen, aber auch für die Regierungsbildung und damit für die Zukunft der Demokratie in Deutschland haben.
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