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AfD und Linke klagen in KarlsruheSchwächung der Opposition per Gesetzesänderung

Dem Verfassungsgericht liegen sechs Eilanträge vor. Sie sollen eine Grundgesetzänderung durch die alte Bundestagsmehrheit verhindern. Haben sie Chancen?

Bei einer geplanten Sondersitzung im Bundestag sollen weitreichende Grundgesetzänderungen beschlossen werden Foto: Michael Kappeler/dpa

Freiburg taz | Kann der alte Bundestag auch nach der Neuwahl noch Verfassungsänderungen beschließen? AfD und Linke halten das für verfassungswidrig und wollen die geplanten Sondersitzungen des Bundestags mit Eilanträgen verhindern. Das Bundesverfassungsgericht wird wohl schon in den kommenden Tagen entscheiden.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte für den 13. und 18. März zu zwei Sondersitzungen des Bundestags in alter Zusammensetzung eingeladen. Dort soll über drei Grundgesetzänderungen zur Aufweichung der Schuldenbremse, auf die sich die kommende Koalition aus CDU/CSU und SPD in ihren Sondierungsgesprächen geeinigt hat, beraten und diese beschlossen werden. Erst am 25. März soll dann der Bundestag in neuer Besetzung zusammenkommen.

Das Vorgehen mit einer Last-Minute-Grundgesetzänderung durch den alten Bundestag ist politisch umstritten. Denn damit wird verhindert, dass die bei der Wahl erstarkten Parteien AfD und Linke im neuen Bundestag die Verfassungsänderungen blockieren können. Es ist derzeit allerdings auch nicht sicher, ob die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im alten Bundestag (und im Bundesrat) überhaupt zustande kommt.

Gegen die Einberufung der Sondersitzungen lagen beim Bundesverfassungsgericht am Montagabend bereits sechs Eilanträge vor: Dahinter stecken zum einen vier Organklagen. Kläger sind die AfD-Fraktion, fünf AfD-Abgeordnete um Christian Wirth, die fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete Joana Cotar und die kommende Fraktion der Linken im neu gewählten Bundestag. Hinzu kommen zwei Verfassungsbeschwerden von bisher unbekannten Bürger:innen, die aber vermutlich keine Rolle spielen werden.

Erfolg zweifelhaft

Im Organstreit machen die Abgeordneten und Fraktionen geltend, dass sie in eigenen Rechten verletzt sind, insbesondere weil sie ihr durch die Neuwahl errungenes Mandat nicht schnellstmöglich einnehmen können. Die Fraktionen können auch Rechte des neu gewählten Bundestags geltend machen.

Es ist sehr zweifelhaft, ob die Organklagen in der Sache Erfolg haben werden. Denn im Grundgesetz-Artikel 39 heißt es: „Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.“ Die ganz überwiegende Mehrheit der Verfassungsrechts-Professor:innen, die sich bisher dazu geäußert haben, geht davon aus, dass der alte Bundestag bis zum 25. März voll handlungsfähig ist, also auch mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Grundgesetz ändern kann.

Frage bisher nicht entschieden

Die Gegenposition, die nun AfD und Linke vertreten, glaubt jedoch, dass Bärbel Bas dazu verpflichtet ist, den neuen Bundestag einzuberufen, sobald dies möglich ist. Entscheidendes Datum wäre demnach der 14. März, weil die Bundeswahlleiterin an diesem Tag das endgültige Ergebnis der Bundestagswahl feststellt. Zumindest die geplante Sondersitzung des alten Bundestags am 18. März wäre nach dieser Logik also nicht mehr möglich.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob der Bundestag nach einer Bundestagswahl noch Verfassungsänderungen beschließen kann, bisher nicht entschieden. Ob es jetzt zu einer Entscheidung kommt, hängt aber zunächst davon ab, ob die Anträge überhaupt zulässig sind. Denn auch hier gibt es einige offene Fragen.

Anträge womöglich nicht zulässig

So können Abgeordnete des alten Bundestags wohl nicht mit dem Argument klagen, dass Abgeordnete des neuen Bundestags an der rechtzeitigen Einnahme ihres Mandats gehindert werden. Denn im Organstreitverfahren kann grundsätzlich nur die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht werden.

Abgeordnete und Fraktionen des kommenden Bundestags existieren derzeit aber noch gar nicht, da sich der neue Bundestag ja noch nicht konstituiert hat. Die Linke spricht in ihrer Klage daher von einer „Vor-Fraktion“. Es ist aber auch nicht abwegig, dass eine Vor-Fraktion ihr (eventuelles) Recht einklagen kann, schnellstmöglich zur Fraktion zu werden. Auch darüber hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.

Mehr Gestaltungsmöglichkeiten

Wenn eine Verfassungsklage weder offensichtlich begründet noch offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist, führt das Bundesverfassungsgericht in der Regel eine Folgenabwägung durch. Diese könnte hier dazu führen, dass die Eilanträge abgelehnt werden. Denn auch wenn dann eine Grundgesetzänderung zustande käme, würde sie den kommenden Bundestag nicht fesseln, sondern im konkreten Fall eher entfesseln. Die strenge Schuldenbremse soll ja aufgeweicht werden. Der kommende Bundestag hätte dann mehr Gestaltungsmöglichkeiten, er wäre aber auch nicht gezwungen, die nun möglichen Extraschulden für Verteidigung und Infrastruktur aufzunehmen.

Auf Anfrage hat das Bundesverfassungsgericht noch offen gelassen, wann es über die vorliegenden Eilanträge entscheiden wird. Denkbar ist ein Zeitpunkt vor dem 13. März, weil sich die Eilanträge bereits auf die erste Sondersitzung beziehen. Ausreichend wäre aber auch noch eine Entscheidung vor dem 18. März, weil ja erst dann die Grundgesetzänderung beschlossen werden soll.

Soviel ist klar: Die kommende Karlsruher Eilentscheidung kann fundamentale Folgen für die Staatsfinanzen, aber auch für die Regierungsbildung und damit für die Zukunft der Demokratie in Deutschland haben.

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16 Kommentare

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  • Ginge das durch, könnte man sich irgendwann auch auf Umfragen VOR einer Wahl berufen, um eine Verfassungsänderung zu verhindern.

    Der Bundestag ist für die gesamte Dauer der Legislatur voll legitimiert und frei. Und solange er existiert, existiert kein weiterer. Die jetzt Gewählten sind noch keine Mitglieder des Bundestages und können daher auch nicht in irgendwelchen Rechten als Abgeordnete verletzt werden. Es gibt keine „Nach-Wahl-Periode“, in der die Noch-MdB weniger Rechte und die „Demnächst-MdB“ schon welche haben.

    Im Übrigen kann die Opposition im nächsten Bundestag ja Mehrheiten organisieren, um die Änderungen rückgängig zu machen.

  • Im Grunde ist es wurscht denn die Abgeordnet:Innen werden ja ohnehin in der freien Ausübung ihres Mandats eingeschränkt.

    Thema: Fraktionszwang.

    Das Gericht hatte ja anno dusemals geurteilt "so schlimm sei das nicht" [jetzt mal stark verkürzt dargestellt]

    • @Bolzkopf:

      Kein Abgeordneter ist gezwungen in eine Fraktion einzutreten. Das muss er mit seinem Gewissen vereinbaren.

  • „Doch darf man sich nicht zu sehr von den hervortretenden Resultaten des herrschenden Wahlsystems in unsern Ländern beeinflussen lassen; die Herstellung von Majoritäten ist ihr einziges Gesetz und ihr einziger Zweck; sind diese einmal erreicht, so erkennt man den Minoritäten, so gefahrdrohend sie sein mögen, wie im Spiel der Partien, nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu. Die gewichtige materielle Thatsache einer festen, gleichmäßig starken Majorität beschäftigt so lebhaft die Gemüther, daß sie alles Andere vergessen und wie einen Vorhang über die Zukunft eines Landes fallen läßt und daß alle Erscheinungen einer späteren Entwicklung ihr nur für die Dunkelheit hinter den Coulissen, nicht für die Kenntniß der Oeffentlichkeit zu sein scheinen.“

    Aus: Der Volksstaat - Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der internationalen Gewerkschaftsgenossenschaften (25.3.1871)

  • Das GG regelt nur den spätesten Termin für die erste Sitzung des Bundestages, der frühstmögliche Termin ist dort nicht geregelt.



    Das könnte also schon geschehen, wenn das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt ist. Spätestens, wenn das Endergebnis auch endgültig feststeht, sollte der alte Bundestag keinerlei Entscheidungsbefugnis mehr haben.



    Die Vorsitzende des alten Bundestages verlängert eigenmächtig ihre eigenen Amtszeit.



    Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun.

  • Was ich vermisse ist eine Debatte ueber diese Aufruestung. Vor 3 Jahren haette ich das ja noch zum Teil nachvollziehen koennen. Aber jetzt? Bis die neuen Panzer, Schiffe und was weiss ich noch alles einsatzbereit sind vergehen doch Jahre - fuer die Ukraine zu spaet. Auf welchen Weltkrieg bereiten wir uns eigentlich vor?

  • Verfassungsrechtlich dürfte mit entscheidend sein, ob Bas - nach Feststellung des amtlichen Endergebnis- noch freies Ermessen hat, welchen Bundestag sie einberuft.



    .



    Denn auch der neue Bundestag könnte am Tag seiner konstituierenden Sitzung weitreichende Beschlüsse treffen.



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    Die 30-Tage Frist ist eine organisatorische - klar erkennbar, "spätestens", ist, dass der alte Bundestag seine Tätigkeit nicht über Gebühr ausdehnen können soll.



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    Zumal es ein politisches Manöver ist, der gerade erst artikulierte Wählerwille zur Zusammensetzung des Parlaments übergangen werden soll.



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    Und gerade auch in der Folgenabwägung macht "entfesselt" deutlich, dass den aktuellen Restriktionen des GG im neuen Bundestag die Funktion einer Brandmauer zukommen kann.



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    Denn Merz hat unbezweifelbar deutlich gemacht, dass er auch Mehrheiten mit der AfD in Kauf nimmt. Auch zu Schulden hat er im Wahlkampf gelogen - die Koalitionsgespräche sind noch nicht abgeschlossen, können auch scheitern: es wäre völlig verantwortungslos, jetzt einen Blankoscheck (einfache Mehrheiten reichen danach) auszustellen, den womöglich Rechtsextremisten einlösen



    .



    Denn auf das Wort des Kanzlers in spe ist erwiesenermaßen kein Verlass

  • Diese Mauschelei Stinkt zum Himmel



    Ich weiß nicht ob es rechtlich zulässig ist oder nicht. Aber diese Idee stinkt schon aus demokratischer Moral zum Himmel. Man greift auf "alte" Mehrheiten zurück, die nicht mehr dem aktuellen Willen der Wähler entsprechen. Das ist Moralfreie Mauschelei und Stroh ins Feuer der AfD.

  • Einmal mehr zeigt sich die Absurdität der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz. Ohne 2/3-Mehrheit bleibt der Bremse festgezurrt, auch wenn man sie dringend lockern müsste. Und weil es mehr nur drei Parteien im Bundestag gibt, sondern mehr, wir das Erreichen der 2/3-Mehrheit fast unmöglich. Das Ende vom Lied_ Lähmung auf der ganzen Linie - eine Lähmung, die der das absurde Einstimmigkeitsprinzip frappierend ähnelt.

    • @NormalNull:

      Warum sollte das Absurd sein. Bisher wurde selten mit Geld irgendwas besser oder sinnvoller angepackt.



      Bei den Summen die ständig Sinn und Klanglos versickern ist es doch logisch da eine Grenze festzulegen.



      Wenn überhaupt sollte das erst gelockert werden wenn klar benannt wird mit welchen Ziel, welchen Weg und welchen Verantwortlichen.



      Ich lese immer nur von Zielen und sehe Geld auf den Weg versickern ohne dass etwas bewegt wird, Schuld ist eh keiner.

  • Also eine Verfassungsänderung unmittelbar nach der Wahl aber mit den alten Mehrheiten hat schon ein Geschmäckle.



    Dass Linke und Rechte diejenigen sind, die sich dagegen stemmen, allerdings auch.



    Brrrr...

    • @Encantado:

      warum hat es ein geschmäckle, wenn sich die linke gegen diesen demokratietheoretisch höchst bedenklichen move von cdu und spd mit rechtsmitteln zur wehr zu setzen versucht?

  • Juristisch ist das vermutlich ok. Ein demokratisches Verhalten kann ich in der Idee, das schnell durchzupeitschen, nicht sehen. Aber C und D haben in CDU ja schon lange nichts mehr zu suchen. Darum nennen sie sich ja auch selbst i.d.R nur "Union", also U.

    In der Sache ist es aber fatal. Gesetze müssen durchdacht und diskutiert werden. Normalerweise werden Projekte, die ein paar Millionen kosten, schon wochen- oder monatelang diskutiert - aus gutem Grund. Und jetzt will man eine ad hoc Grundgesetzänderung diesen Ausmaßes ohne Denken und Details in zwei Wochen beschließen? Wenn das Demokratie ist, ist es nicht die beste denkbare Regierungsform.

    • @Jalella:

      Das Grundgesetz und der Artikel 39 standen ja nun schon vor der Wahl fest. Man wählt also nicht ein Parlament, welches am Wahltag ab 18:00 alle Rechte und Pflichten hat, sondern erst nach der konstituieren Sitzung, die bis zum dreißigsten Tage nach der Wahl zu erfolgen hat. Was daran hat ein Geschmäckle? Außer natürlich, dass die Linke in diesem Fall keine Brandmauer sieht.



      Wenn man Aufrüsten will, muss man vorher nicht die Details dazu durchdiskutieren. Nennt sich "design to cost". Die Details regelt der Bundesminister der Verteidigung. Schräg ist daran nur die Notwendigkeit der 25M€ Vorlagen ans Parlament bzw. den entsprechenden Ausschüssen. Für das Geld bekommt man gerade 2 Panzer mit Ausbildung. Da muss man sich nicht darüber wundern, was hinten nicht herauskommt und dann noch später.

    • @Jalella:

      Das ist jetzt kein CDU Thema. Die SPD ist mit von der Partie. Und man erinnere sich, wie die Ampel das Heizungsgesetz vor zwei Jahren durchpeitschen wollte - ohne die Möglichkeit zur Diskussion zu geben. Ich weiß nicht, wie Sie das damals beurteilt haben, viele waren aber der Auffassung, dass die böse CDU hier nur formaljuristisch unterwegs sei - da haben die wenigstens von einem fehlenden demokratischen Verhalten der Ampel gesprochen... Obwohl das Bundesverfassungsgericht das Gesetz dann stoppte.

      Ich persönlich hoffe ja, dass das BVerfG das nicht mitträgt, da der neue Bundestag gewählt ist. Zudem bekleckern sich hier die Parteien nicht mit Ruhm. Die CDU verrät ihre Wähler, die Grünen verraten ihre alte Auffassung (waren ja immer dafür, die SB abzuschaffen und die Gefahr der Wahlgeschenke, die ohne SB finanziert werden können, gab es ja auch davor.)

    • @Jalella:

      Wieso kritisieren sie nur die CDU? Die SPD will es doch auch so.