AfD-Erfolge bei der EU-Wahl: Es braucht rhetorische Abrüstung

Die AfD ist bei der Europawahl stärkste Kraft im Osten, aber auch im Westen stark. Eine Katastrophe mit Ansage, die Konsequenzen haben muss.

Ein beschädigtes Wahlplakat der Grünen am Straßenrand

In Ostdeutschland komplett gescheitert: Die Grünen Foto: Marc Stinger/imago

Die politische Landkarte der Bundesrepublik nach der Europawahl hat im wesentlichen zwei Farben. Sie ist schwarz im Westen mit ein paar grünen und roten Einsprengseln in größeren Städten. Im Osten ist sie blau – oder besser gesagt: tiefbraun – mit einen paar schwarzen Einsprengseln. Bundesweit ist die AfD zweitstärkste Kraft, im Osten ist die AfD flächendeckend stärkste Kraft geworden. Das ist zwar erschreckend – zumal sie dort längst offen rechtsextrem auftritt und zum Großteil selbst vom Verfassungsschutz so eingestuft ist – aber war leider auch erwartbar.

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Die AfD profitiert von jahrzehntelanger Aufbauarbeit extrem rechter Akteure seit den Baseballschlägerjahren, in Teilen auch von westdeutschen Neonazis, die im Osten die Felder bestellt haben, bis die AfD blühende Landschaften vorfand. Geholfen hat dabei, dass die demokratischen Parteien Rechtsextremismus jahrzehntelang verharmlost haben.

Kaputt gesparte Infrastruktur und finanziell schlecht ausgestattete Kommunen verstärken rassistisch zuspitzte gesellschaftliche Verteilungskonflikte durch ein politisches Spardiktat. Kurzfristige Faktoren wie die dysfunktionale Bundesregierung treffen auf externe gute Mobilisierungsbedingungen wie die Coronakrise, die für breiteren Resonanzraum für Verschwörungsideologie gesorgt hat. Hinzu kommen Energiekrise und Inflation infolge von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, die einen spürbaren Reallohnverlust bei steigenden Mietpreisen bedeutet.

Mit Blick auf die AfD-Wählerschaft zeigt sich einmal mehr, dass diese sich kurzfristig kaum demobilisieren lässt: Obwohl die extrem rechte Partei historisch gesehen einen der schlechtesten Wahlkämpfe überhaupt hingelegt hat mit Spionage- und Schmiergeldaffären, gerichtlicher Bestätigung der Einstufung als rechtsextremen Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz sowie breiten Demos gegen Vertreibungspläne, hat die AfD gegenüber 2019, aber auch der Bundestagswahl 2021 deutlich hinzugewonnen – wenn auch etwas weniger deutlich als noch zu Jahresbeginn befürchtet.

Immer noch keine Protestwahl

Einem Teil der AfD-Stammwählerschaft ist der Rechtsextremismus in der Partei egal, in anderen Teilen wählt sie die AfD genau deswegen. 82 Prozent der AfD-Wähler sagen, dass es ihnen egal sei, dass die Partei „in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht“. Es ist eben keine Protestwahl, sondern eine inhaltliche Entscheidung, 70 Prozent wählen sie wegen ihrer „politischen Forderungen“ – nur 28 Prozent als „Denkzettel für andere Parteien“.

Durch rechte Politik und Kulturkampfrhetorik lassen sich AfD-Wähler*innen nicht zurückholen, wie die Analysen zur Wählerwanderung darlegen. Die AfD hat am meisten von jenen Parteien gewonnen, die rechte Narrative übernommen haben: Union, SPD und FDP. Die Diskursverschiebung nach rechts führt nur zur Erweiterung des Sagbaren und damit zur Normalisierung rechter Positionen sowie Wahlerfolgen der AfD.

Die Mitte-Studien belegen seit Jahren, dass es dieses autoritäre Potenzial sowohl im Westen als auch im Osten gibt – erst die Normalisierung aus der sogenannten Mitte macht die Positionen auch wählbar.

Während die Europawahl politisch häufig als Stimmungstest wahrgenommen wird, sieht es bei den Kommunalwahlen noch düsterer aus: Die AfD ist im Osten flächendeckend als stärkste Kraft auf der Graswurzelebene der Politik vertreten. Sie hat so viele Mandate gewonnen, dass sie mancherorts kaum mit der Besetzung hinterherkommt. In den Kreistagen und Stadträten kann sie nun Mehrheiten bilden, sich weiter normalisieren und politische Prozesse sabotieren – mit der langfristigen Folge, dass wirksamer Widerstand gegen rechte Hegemonie noch schwieriger wird und das politische Klima weiter verroht.

Lehren für die Landtagswahlen

Man muss davon ausgehen, dass sich dieses Szenario bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg unter möglicherweise landesspezifischen Vorzeichen wiederholt, wenn sich nichts an den Voraussetzungen ändert.

Die demokratischen Parteien sollten sich darauf einstellen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen: Zum einen ist es die rhetorische Abrüstung. Es braucht politischen Anstand und wahrnehmbare demokratische Alternativen statt populistische Kulturkampfrhetorik. Schluss mit Diskurs-AfD-Bullshitbingo, Feinderklärungen im demokratischen Lager, rassistischer Zuspitzung und stetigem Kreisen um Migration mit negativem Framing, das den Blick auf die Realität verstellt und tatsächliche Krisen wie die Klimakrise verdrängt.

Zudem gilt es, wie schon vielfach gefordert, die Zivilgesellschaft insbesondere dort zu stärken, wo sie unter Druck steht und massiv angegriffen wird. Anstatt über Migration als Problem könnten wir ja mal über die (gesamt)deutsche Demokratiekrise im Jahr 2024 reden. Dabei ist es nicht hilfreich, das deutsche Rechtsextremismusproblem nur auf den Osten zu beschränken, denn zuletzt feierte die AfD auch in Bayern und Hessen Erfolge – die Aushöhlung der Demokratie geht auch dort voran.

Bei alledem braucht es eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD, vor allem von der CDU. Höcke hat bereits angedeutet, dass er mit einer Sperrminorität im Landtag die Besetzung von Verfassungsrichtern blockieren und die Pressefreiheit angreifen will – hier geht es um Systemfragen. Um die AfD von der Macht fernzuhalten, braucht es neue Bündnisse – im Zweifel und zur Not auch in Dreierkonstellationen mit der Wagenknecht-Partei.

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