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Abgeordnete mit MigrationshintergrundBundestag ist sehr weit von Repräsentativität entfernt

Der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag sinkt. Auch Frauen und Ar­bei­te­r*in­nen sind zu selten im Parlament vertreten.

Weißer und männlicher ist der Bundestag für die nächsten vier Jahre Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Menschen mit Migrationshintergrund sind im neuen Bundestag weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Das zeigt eine Recherche des Mediendienstes Integration. Und auch beim Anteil von Frauen und Ar­bei­te­r*in­nen bildet das künftige Parlament nicht die Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung ab.

Diese Zahlen sind alarmierend

Didem Laçin Karabulut

Laut dem Mediendienst haben mindestens 73 der 630 kommenden Abgeordneten einen Migrationshintergrund, in den allermeisten Fällen geht es dabei um Verbindungen ins EU-Ausland. Das entspricht einem Anteil von etwas mehr als 11 Prozent. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil dagegen bei rund 30 Prozent. Deutliche Unterschiede sind zwischen den Parteien zu beobachten. Die Grünen haben mit 20 Prozent den höchsten Anteil Abgeordneter mit Migrationshintergrund. Bei der AfD ist der Anteil mit rund 6 Prozent am geringsten.

Im bisherigen Bundestag hatten Abgeordnete mit Migrationshintergrund einen Anteil von fast 12 Prozent. Der Wert geht nun etwas zurück, wenn auch nur leicht. Über die vorangegangenen Legislaturperioden war er dagegen stets gestiegen. Als Kriterium für einen Migrationshintergrund gilt, dass eine Person selbst ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurde oder dies auf zumindest ein Elternteil zutrifft.

Die Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), Didem Laçin Karabulut, nannte die Zahlen bei der Vorstellung „alarmierend“ und sprach von einem „strukturellen Demokratiedefizit“. Durch die nicht repräsentative Zusammensetzung würde es an Themenvielfalt in den Parteiprogrammen und verschiedenen Perspektiven bei der Gesetzgebung mangeln, so Karabulut.

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Defizite nicht nur beim Migrationshintergrund

Auch in Sachen Geschlechterverteilung ist die Zusammensetzung des neuen Bundestages nicht repräsentativ. Der Frauenanteil ist im Vergleich zum letzten Bundestag sogar zurückgegangen. Nachdem dieser bisher noch bei etwa 35 Prozent gelegen hat, sind es künftig nur noch etwa 32 Prozent. Frauen machen in Deutschland dagegen über die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus und sind damit im Parlament deutlich unterrepräsentiert. Unter den Abgeordneten mit Migrationshintergrund liegt der Frauenanteil bei etwa 47 Prozent und ist damit deutlich höher als unter den Par­la­men­ta­rie­r*in­nen insgesamt.

Auch hier sind zwischen den Parteien Unterschiede erkennbar. Mit einem Anteil von 61 Prozent ist der Anteil weiblicher Abgeordneter bei den Grünen am höchsten. Die AfD liegt mit knapp 12 Prozent einmal mehr ganz hinten. Der Politikwissenschaftler Andreas Wüst sagt dazu, Interessen von Frauen seien in der Vergangenheit immer benachteiligt gewesen. Es gäbe einen „großen Veränderungsbedarf“ bei der Zusammensetzung des Parlaments.

Menschen aus Ostdeutschland werden im Parlament von insgesamt 98 Abgeordneten vertreten, die über Direktmandate oder Landeslisten eingezogen sind. Das entspricht rund 16 Prozent der Abgeordneten. Bei einem Bevölkerungsanteil von 15 Prozent sind „Ostdeutsche“ – als isolierte Kategorie – damit im Verhältnis relativ exakt repräsentiert. Allerdings sind nicht alle der Volks­ver­tre­te­r*in­nen in Ostdeutschland geboren oder aufgewachsen. 42 der Abgeordneten gehören zur AfD.

Und auch bei den zukünftig im Bundestag vertretenen Berufsgruppen zeigen sich Defizite. Über zwei Drittel der Abgeordneten sind laut Bundeswahlleiterin im Bereich „Unternehmensorganisation, Recht, Verwaltung“ tätig. Nur fünf Prozent der Abgeordneten kommen aus den Bereichen „Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung“ und „Kaufmännische Dienstleistungen, Vertrieb, Tourismus“. Studierende, Auszubildende und Ren­tne­r*in­nen sind mit einem Anteil von unter fünf Prozent vertreten.

Wüst sieht die Parteien verantwortlich für diese Unterrepräsentation von Minderheiten: „Chancengerechtigkeit in der Politik ist eine gesellschaftliche Aufgabe.“ Parteien müssten sich nachhaltiger öffnen für Diversität. Karabulut vom BZI weist darauf hin, dass Merkmale wie Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund über die Platzierung auf Parteilisten entschieden. Häufig würden sie von älteren Männern ohne Migrationshintergrund angeführt.

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18 Kommentare

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  • Ich bin kein Freund von übertriebenem Quotendenken, denn das macht es nicht besser. Wichtiger ist doch, dass die entsprechenden Themen von qualifizierten Leuten bearbeitet werden!



    Aber eine gewisse Sichtbarkeit sollte schon da sein, doch werden



    hier Behinderte und Obdachlose (und ich habe bestimmt noch einige vergessen) nicht berücksichtigt.

    So wie es mit dem SSW geht, mit dem einen Sitz, so sollten

  • Immer dieser Statistikfetisch. Alice Weidel ist Frau, queer und mit einer Migrantin verheiratet. Statistisch ein Fortschritt, praktisch das Gegenteil.

  • Gibt es eigentlich auch westdeutsche Wahlkreise in denen ostdeutsche Kandidatin aufgestellt und gewählt werden? Warum ist es immer noch verbreitete Praxis westdeutsche Spitzenpolitiker in vermeintlich sichere ostdeutsche Wahlkreise zu verschieben wie exemplarisch Steinmeier, Scholz oder Baerbock? Hier wäre mal eine echte Möglichkeit die AfD bei ihren eigenen Wählern anzugreifen, indem darauf hingewiesen wird, dass deren Kandidierende im Osten ebenfalls mehrheitlich aus dem Westen kommen. Dann wird das Ganze hier auch noch als angemessene Repräsentanz verkauft.

  • Das normale Personen aus dem Arbeiter bereich kaum noch vertreten sind, war ein Trend der sich schon länger abgezeichnet hatte.



    Bei allen Parteien.



    Es spiegelt auch das "klein,kkein" ein studierter soll es sein der Wirtschaft wieder.



    Ausblick zum Friseur/in: Bei vielen nur mit Abitur



    Mechaniker/in: Bitte Abitur, mittlere Reife geht auch gerade eben so.



    Foto-Medien-Labortant/in: mindestens einen hervorragenden Relabschluss, aber Abitur bevorzugt



    《- Ernsthaft warum soll das in der Politik anders sein? Das ist keine Entwicklung der letzten Jahre sonder ging schon 1999 so los.



    Lieber Autor/in des Artikels:



    Sehen Sie sich die Parteien und meisten Aktivisten welche Hauptsächlich in den Medien Interviewt werden an.



    Die meisten sind studiert/studieren, oder haben vermögende Familien.

    Ich gönne jedem sein Studium, aber jetzt den Trend mit erhobenen Zeigefinger anzumahnen erzeugt bei mir nur ein schwaches Lächeln.



    Die Politik ist so weit von den Problemen der normal Bevölkerung entfernt warum sollte sich das nicht in den Parteien aller Farben wieder spiegeln?

  • In einer Demokratie wird gewählt.



    Die Menschen in Deutschland haben gewählt.



    Die Besetzung des Bundestag ist die gewählte Besetzung.



    Wenn ihr den Bundestag nach Quoten besetzen wollt müssen wir nicht mehr wählen...



    Das nur vorweg - ansonsten: mir ist schnurzpiepegal wie repräsentativ der Bundestag ist - ich will das er mit kompetenten Menschen besetzt ist, damit möglichst Politik gemacht wird, die Hand und Fuß hat und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder zurückkehrt.



    Quoten über Kompetenz in Politik und Wirtschaft sind der größte Irrweg überhaupt.



    Der Bundestag ist die Herzkammer unserer Demokratie - stellt euch mal vor ihr habt eine Herz OP vor euch. Wer hier würde vor der OP zum Ärzteteam sagen: "ich will aber, dass das OP Team je zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht und mindestens ein Drittel davon muss Migrationshintergrund haben, sonst lass ich mich nicht operieren..."

  • Nun ja, ist das Parlament mit seinen bald 633 Abgeordneten nicht nur ein kleiner Teil unser Regierung ?



    Bei ca. 2.600 externen Beratern unser Regierung, was wir uns ja auch was kosten lassen, kommen wohl auch ein einige Mitarbeiter:innen mit Migratioshintergrund hinzu.

    Für externe Berater waren es knapp 60 Milliarden Euro allein für das Bundesinnenministerium ( BMI ) in 2023. Danach folgten Finanz- und Verkehrsministerium.



    Quelle :



    www.fragdenstaat.de/beraterberichte



    Dazu noch tausende von Lobbyisten ( mit und ohne Migrationshintergrund ) in Berlin und Brüssel, die doch auch für unsere Politik - nicht ohne Einfluss sein dürften.



    Quelle



    www.lobbycontrol.de



    Wobei ich mir in unserem Parlament auch unbedingt, in Zukunft mehr Vielfalt wünsche.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Ups - " NUR " 60 Millionen Euro fürs BMI - sorry -

  • Ausschlaggebend sind die Wahlgewinne von cdU und "afd", zwei Parteien, in denen Frauen stark unterrepräsentiert sind.



    Der recht hohe Frauenanteil in der SPD Fraktion wirkt sich durch den Stimmenverlust auf den Gesamtanteil der Frauen im Bundestag aus.

  • Der Bundestag ist eben nicht "sehr weit von Repräsentativität entfernt". Er wurde so gewählt, und deswegen ist das ist auch OK.

    • @drrainerklimkeaufalarich:

      So wie ich es verstehe bestimmen, abgesehen von den Direktmandaten, die Parteien selbst wer für sie in den Bundestag darf und wer nicht. Was bedeuten würde, dass patriachale und traditionalistische Strukturen eben doch eine unfaire Repräsentation der Bevölkerung begünstigen.

  • "...bildet das künftige Parlament nicht die Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung ab." Und warum wäre das wünschenswert? Ich möchte von jemandem repräsentiert werden, den ich auswähle, nicht mir zufällig ähnlich ist.

  • Bei den Frauen bildet sich zumindest ab, das doppelt soviel Männer wie Frauen sehr an Politik interessiert sind.



    Im letzten Bundestag waren meines Wissens nach 10 Menschen mit Hauptschulabschluss und 90 Prozent haben eine Universität bzw. Hochschule von innen gesehen, dass finde ich wesentlich bedenklicher. Und während bei den Grünen früher noch Menschen mit beruflicher Ausbildung dabei waren, kommen mehr als in anderen Parteien, direkt von der Uni über vitamin b in spitzenpositionen.



    Wir haben in vielen Bereichen ein representationssdefitit, aber gemein haben die meisten, dass sie zumindest in der oberen mittelschicht groß geworden sind. Zufällig das Klientel für das alle demokratischen Parteien Politik machen. Die linken vllt nicht, aber die konnten auch noch nie zeigen, welche Politik sie real machen würden.

  • Und was genau sagt das nun aus? Würde bei 30% Abgeordneten mit Migrationshintergrund zwingend eine bessere Politik bei rumkommen?

  • Interessant wäre in dem Zusammenhang doch, wie hoch der Anteil von Migranten, Arbeitern oder Frauen in den Partein grundsätzlich ist. Der Bundestag bildet die Bevölkerung übrigens in vielen Bereichen nicht ab oder wie viele Abgeordnete haben eine Behinderung, sind alleinerziehend, arbeitslos, unter 30 oder Rentner?

  • 12 % passt doch perfekt, denn:

    "Damit machten Wahlberechtigte mit Einwanderungsgeschichte 12 % aller Wahlberechtigten aus"



    Quelle: Statistisches Bundesamt

  • Man sollte mal eine Statistik über die Einkommensverhältnisse der Kandidaten und Parlamentarier erstellen. Ich schätze mal da werden die hohen Einkommen dominieren wie auch bekanntermaßen bestimmte Freiberufler und Beamte. Das Engagement in politischen Parteien muss man sich leisten können, finanziell und auch von der Zeit her. Alleinerziehende und prekär Beschäftigte die Überstunden leisten wird man dort kaum finden. Die ganzen neoliberale Trends stehlen auch der sog. Mittelschicht die Zeit, sich politisch zu engagieren.

  • Oh Mann, wird sind eine repräsentative Demokratie. Das heißt lediglich, dass wir keine direkte Demokratie sind, sondern die politischen Entscheidung durch die von uns gewählten Repräsentanten getroffen werden. Es heißt NICHT, dass diese Repräsentanten in allen Dimensionen 1 zu 1 so zusammengesetzt sein müssen wie die Gesamtbevölkerung. Daran ist nichts antidemokratisch solange jeder Staatsbürger eine gleichwertige Stimme hat; selbstverständlich kann eine Frau einen Mann als ihren Repräsentanten wählen und umgekehrt etc pp. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Müsste ein Parlament 1 zu 1 in allen Dimensionen ein Abbild der Gesamtbevölkerung sein, wäre dies höchst undemokratisch und man könnte Wahlen durch einen statistischen Ausleseprozess ersetzen. Insofern halte ich dieses Gerede von „alarmierenden Zahlen“ für sehr gefährlich und irreführend. Niemand wird daran gehindert in die Politik zu gehen und sich zu engagieren; nicht die Frauen, nicht die Arbeiter, nicht die Menschen mit Migrationshintergrund. Solange das so bleibt ist alles in Ordnung.

  • Es ist auch erschreckend, wie wenig natur- oder ingenieurwissenschaftliche Berufsgruppen vertreten sind. Diese Leute interessieren sich qua Beruf schon für Innovation und Zukunft. Das kann man von den vielen Juristen und Verwaltungsfachleuten nicht annehmen.