75. Jubiläum der Nato: Ein bizarrer Grund zum Feiern
Die 75-Jahr-Feier der Nato mutet dieser Tage ahistorisch an. Die eigene Vergangenheit und die drohende Zukunft verderben die Lust darauf.
![Die Flagge der NATO weht im Wind. Die Flagge der NATO weht im Wind.](https://taz.de/picture/6927419/14/35035588-1.jpeg)
D ieser Tage mutet es fast bizarr an, wenn euphorisch das 75-jährige Bestehen des Nato-Militärbündnisses gefeiert wird, mit staatsmännischen Reden, vollmundigen Solibekundungen und abgerundet mit Schokoladentorte. Vergessen sind das Bombardement in Jugoslawien, der umstrittene Einsatz in Afghanistan, das Säbelrasseln über Jahrzehnte hinweg. Von 75 Jahren Frieden wird gefaselt – und von sich wieder aufbäumender Abschreckung.
Ein bisschen Selbstreflexion wäre schön. Natürlich, spätestens seit Februar 2022 ist klar: Es herrscht wieder Krieg in Europa. Der russische Imperialismus greift um sich, hinterlässt Tote, Verletzte und zerstörte Infrastruktur in der Ukraine. Die meisten Vertreter:innen der 32 Nato-Mitglieder rühmen sich mit Kriegsrhetorik und salbungsvollen Zusagen, Luftabwehrsysteme und Munition zu liefern. Die Nato ist eben kein Friedensbündnis, sondern eine Kriegsallianz.
Noch-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bemüht sich derweil um Einigkeit. Doch es dräut eine Lage, auf die das Bündnis nicht vorbereitet zu sein scheint. Wird Donald Trump erneut US-Präsident – und diese Horrorvorstellung ist leider nicht abwegig –, bröckelt auch das Bündnis, denn die USA sind der wichtigste Partner. Obwohl die europäische Flanke mit Schweden und Finnland Verstärkung bekommen hat, wird eine Abkehr der USA zum Fiasko werden.
Machtdynamiken im Wandel
Alte – und liebgewonnene – Verhältnisse und Annahmen innerhalb des Bündnisses werden hart auf die Probe gestellt. Die baltischen Staaten und die osteuropäischen Länder mucken auf, wollen mehr Einfluss, gar hohe Posten. Zuletzt brachte sich die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas als Nachfolgerin Stoltenbergs ins Spiel – und zog wieder zurück. Denn für die USA und Großbritannien ist der Niederländer Mark Rutte der Favorit.
Die Bestrebungen aus dem Osten sind wenig überraschend, ist der russische Aggressor doch direkter Nachbar. Im Fall eines Angriffs werden enge Verbündete und Fürsprecher im Bündnis gebraucht, die im Zweifel mit bilateralen Initiativen unterstützen, bis sich der schwerfällige Gesamtapparat auf eine Haltung einigt. Bestes Beispiel ist die Ukrainehilfe.
Mit dem Nato-Ukraine-Rat wurde zwar ein Gremium geschaffen, das Waffenlieferungen und ein mögliches Ende des Krieges in den Blick nehmen soll. Doch neben dem Ramstein-Format oder dem wiederauferstandenen Weimarer Dreieck geht der Rat schlicht unter. In Kriegszeiten ist nicht daran zu denken, dass die Nato bedeutungslos wird. Um aber tatsächlich Gewicht zu bekommen, braucht es Reformen, schlankere Strukturen und ein Gleichgewicht unter den Partnern. Die Ukraine ist der Testball für das Bündnis der Zukunft.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten