Generaldebatte im Bundestag: Getrieben von den Rechtsextremen
Ohne die AfD wird es schwer, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Aber mit der AfD will es auch niemand.
S chon im Sommer werden die Menschen Besserung spüren, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner ersten Regierungserklärung versprochen. Der Sommer ist da, die Regierung seit neun Wochen im Amt und die Generaldebatte zum Haushalt am Mittwoch zeigte: Was sich vor allem verändert hat, ist der Diskurs. Aber nicht zum Besseren.
Als stärkste Oppositionspartei durfte die AfD den Aufschlag machen, und Fraktionschefin Alice Weidel nutzte den Großteil ihrer gut halbstündigen Rede dazu, offen völkisch gegen Menschen mit Migrationsgeschichte zu hetzen. Von Sozialmigranten war die Rede und gar einer Transformation des deutschen Staatsvolkes durch Einbürgerungen. Der Applaus so kräftig wie nie. Die Rechtsextremen stellen fast jeden vierten Abgeordneten im Parlament.
Und wie reagierte der Bundeskanzler? Merz wehrte sich gegen die pauschale Herabwürdigung – seiner Regierung. Sich hinter die eben Verunglimpften zu stellen, kam ihm nicht in den Sinn. Wie auch? Was die schwarz-rote Regierung migrationspolitisch bewegt, entspricht dem, was die AfD schon lange fordert: kein Familiennachzug mehr, verschärfte Grenzkontrollen und das Ende schneller Einbürgerungen.
Da konnte sich der Kanzler noch so bewegt bei seinem Innenminister und beim Koalitionspartner bedanken, der SPD, die jede Verschärfung abnickt. Nicht sie geben den Takt vor, sondern die AfD. Am Donnerstag folgt der nächste Streich: Die Koalition will sichere Herkunftsstaaten künftig ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bestimmen und Menschen in Abschiebehaft den verpflichtenden Rechtsbeistand streichen.

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Neun Stimmen zu wenig
Natürlich lässt sich die AfD auch damit nicht zufriedenstellen. Weidel wird die Union weiter vor sich her treiben. Wie sehr eine Regierung die Migrationspolitik auch verschärft – die Rechtsextremen werden immer noch mehr fordern. Wer ihre Forderungen übernimmt, liefert sich ihnen aus. Schon jetzt hat die AfD durch ihre Stärke die Macht, parlamentarische Kontrolle im Bundestag einzuschränken.
Ohne AfD können die beiden Oppositionsparteien Grüne und Linke keinen Untersuchungsausschuss mehr einsetzen. Dieses effektivste und schärfste Instrument, um Missstände der Regierung aufzudecken, kann das Parlament nur mit einem Quorum von 25 Prozent der Abgeordneten einsetzen. Aktuell wäre ein solcher Untersuchungsausschuss geboten, um die chaotische Maskenbeschaffung von Jens Spahn aufzuklären.
Der Ex-Gesundheitsminister beschaffte in den ersten Wochen der Coronapandemie Masken für sagenhafte 6 Milliarden Euro – gegen Warnungen aus dem eigenen Haus und anderer Ministerien. Dabei setzte er auf seine Kontakte zu CDU-nahen Unternehmen. Spahn nutzte fast seine gesamte Redezeit am Mittwoch, um sein Wirken, das die Steuerzahler heute weitere vier Milliarden Euro kosten könnte, zu verteidigen. Transparenter wird es dadurch nicht.
Grünen und Linken fehlen neun Stimmen, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Die AfD stünde bereit, doch um welchen Preis? Mit denen, die die Demokratie schleifen wollen, demokratische Kontrolle sichern? Gerade die SPD, die ja die AfD verbieten lassen will, sollte sich der Einsetzung eines U-Ausschusses nicht verschließen. Generell kann keine demokratische Partei im Bundestag Interesse haben, der AfD Macht zuzubilligen – weder diskursiv noch institutionell. Denn die missbraucht ihre Macht bereits jetzt.
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