piwik no script img

BDS-Bewegung wird 20Der Rausch des Antiisraelismus

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Wenn antiisraelische Ressentiments zu hegen einem Rausch gleicht, dann ist BDS die Einstiegsdroge. Am Mittwoch wird die Bewegung 20 Jahre alt.

Demonstrierende bei BDS-Protesten, 21. Juni 2025, London Foto: Vuk Valcic/imago

E s sind drei Buchstaben, die polarisieren: BDS. Das heißt: Boykott, Sanktionen, Desinvestitionen. Am Mittwoch wird die antiisraelische Bewegung 20 Jahre alt. Mit Flyern in Fußgängerzonen, Stickern in Unitoiletten, Hashtags in den sozialen Medien und etlichen offenen Briefen platzierte BDS das Thema Israel/Palästina hoch auf der Agenda der globalen Linken und generierte in zwei Jahrzehnten massive Aufmerksamkeit für die palästinensische Sache.

Ihre Kampagne nimmt immer absurdere Züge an. Und sie fungiert als radikalisierende Einstiegsdroge einer Generation propalästinensischer Aktivist*innen.

Die Verherrlichung islamistischer Terrororganisationen wie Hamas, Hisbollah und Palestinian Islamic Jihad als antikoloniale Widerstandskämpfer, die seit dem 7. Oktober in einigen linken Kreisen Konjunktur hat, kann man ohne die Vorarbeit von BDS nicht erklären. Die Kampagne ebnete den Weg für autoritäre Weltbilder, in denen der jüdische Staat zum Inbegriff des Bösen wird, zum Endgegner, den es zu bekämpfen gelte.

Die tatsächlichen Ziele der Kampagne – ein Ende der Besatzung „allen arabischen Landes“, wie es im Gründungsaufruf vom 9. Juli 2005 heißt, worunter viele BDS-Aktivist*innen auch das Kernland Israel verstehen, und ein uneingeschränktes Rückkehrrecht aller 1948 vertriebenen und geflohenen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und ihrer Nachkommen, Stand heute: rund 6 Millionen Menschen weltweit – bleiben dabei fernes Wunschdenken. Sie sind unrealistische Maximalforderungen, die Frieden in der Region erschweren, nicht fördern.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

BDS macht Boykott Progressiven schmackhaft

Boykottbemühungen gegen Juden in der Region gab es schon vor BDS und vor der Staatsgründung Israels 1948. 1922 rief der Arabische Kongress in Nablus zum Boykott jüdischer Waren auf und forderte das Verbot von Landverkäufen an Juden, um einen jüdischen Staat zu verhindern. 1931 forderte der Mufti von Jerusalem und späteres SS-Mitglied Amin al-Husseini auf dem Allgemeinen Islamischen Kongress einen wirtschaftlichen Boykott der jüdischen Bevölkerung Palästinas.

Und beim ersten Treffen der damals gegründeten Arabischen Liga nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 wurde beschlossen, dass die Produkte „palästinensischer Juden“ in arabischen Staaten „unerwünscht“ seien, bevor sie jahrzehntelang mittels eines zentralen Boykottbüros nicht nur Israel boykottierte, sondern auch Unternehmen, die direkt oder indirekt Geschäfte mit dem jüdischen Staat machten.

Daran knüpft BDS an. Die Kampagne präsentiert sich als Graswurzelbewegung der palästinensischen Zivilgesellschaft, auch wenn der erste Unterzeichner unter dem Gründungsaufruf der Council of National and Islamic Forces in Palestine ist, zu dem Terrororganisationen wie Hamas, PFLP (Volksfront zur Befreiung Israels) und Palestinian Islamic Jihad zählen. Der Boykott vereint. Für Islamisten ist er eine selbstverständliche Praxis. Auch Neonazis lehnen den von ihnen verhassten „Ziostaat“ ab.

BDS kleidet den tradierten Boykott des jüdischen Staates in ein neues Gewand und macht ihn so den sonst progressiven Ak­ti­vis­t*in­nen schmackhaft.

Was führende Köpfe von BDS tatsächlich anstreben, daraus machen sie keinen Hehl. Mitgründer Omar ­Barghouti sagt etwa: „Wir lehnen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas ab.“ Viele machen in Statements glasklar: Israel hat für sie kein Existenzrecht.

Wirtschaftlicher Boykott stünde im Einklang mit IGH

Es geht dabei weit über den wirtschaftlichen Boykott israelischer Waren in den besetzten Gebieten hinaus. Dieser stünde zumindest im Einklang mit dem 2024 vorgelegten unverbindlichen Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das besagt, dass Mitgliedstaaten Schritte unternehmen sollen, um Handel oder Investitionen zu verhindern, die die illegale Besetzung unterstützten.

2019 beschloss der Deutsche Bundestag die sogenannte BDS-Resolution mit deutlicher Mehrheit, einen gemeinsamen Antrag der CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, der die Bewegung und ihre Taktiken als antisemitisch bewertet. Im Verfassungsschutzbericht 2023 kam BDS erstmals vor, die Behörde stuft die Bewegung als „extremistischen Verdachtsfall“ ein. Das ist richtig. Denn BDS geht es nicht um Frieden, sondern darum, Israel zu beenden.

Im Rausch des Israelhasses fällt BDS nach 20 Jahren vor allem mit einer sturen Kompromisslosigkeit auf. Die Kampagne boykottiert selbst Standing Together, eine linke Bewegung in Israel, in der Ara­be­r*in­nen und Israelis sich gemeinsam für den Frieden einsetzen, die BDS als „Apartheid-Propaganda“ bezeichnet, da sie Israel „normalisiere“.

BDS-Aktivist*innen rufen zunehmend zum Boykott nichtisrae­lischer Marken, Musiker*innen, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen oder Institutionen auf, die im Nahostkonflikt nicht „auf Linie“ sind, von Starbucks bis zur Berliner Volksbühne. Sie führen Listen ihrer politischen Geg­ne­r*in­nen und begründen den Boykott mit fadenscheinigen Argumenten.

Nach 20 Jahren ist das das Hauptverdienst von BDS: eine von Kontaktschuld getriebene Cancel Culture, die Teile der Linken antisemitisch radikalisiert hat. Da gibt es selbst zum Geburtstag keinen Grund zum Feiern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei (Gesellschaft/Medien). 2024 war er Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Im selben Jahr wurde er für den Theodor-Wolff-Preis nominiert. Seine Texte sind auch im Guardian, Tagesspiegel, der Jüdischen Allgemeinen und der Haaretz erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground" (2023).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Für mich will keine Seite den Frieden. Von daher ist es müßig darüber zu diskutieren, ob BDS daran was verschlimmert. Die Posts der IDF etwa enthalten regelmäßig auch eine Karte des gesamten ehemaligen Mandatsgebiets Palästina plus Golan. Wenn also diese Karten der einen Seite Ausdruck von Vernichtungswillen sind, dann sind es die der andren Seite auch.

    Ich finde, wir sollten uns raus halten. Jeder soll boykottieren oder unterstützen, was gesetzlich erlaubt ist. Und im übrigen sollten wir den Konflikt sich selbst auslaufen lassen.

  • Für diesen Kommentar werden Sie hier wieder einmal sehr viel verbale Prügel beziehen müssen, Herr Potter. Das ändert freilich nichts daran, dass Sie vollumfänglich recht haben.



    BDS ist letztendlich nichts anderes als "Kauft nicht bei Juden" in einem "progressiven" Gewand. Anlass zur Freude ist dieses Jubiläum tatsächlich nicht.



    Ich erkenne einen gewissen Fortschritt beim Umgang mit linkem Antisemitismus, aber es gibt noch immer sehr viele - auch hier im TAZ-Umfeld - die das noch immer als gefährlich Netzbeschmutzung ansehen.

  • Die Wahrheit ist eine andere, Israel tut seit zehn Jahren alles, um BDS zu unterminieren. Dieser Artikel hilft dabei ... und unterstützt damit letztlich das illegale Siedlungsprojekt Israels.

    Anbei ein Artikel, welcher die israelische Gegenstrategie zu BDS erklärt.

    inthesetimes.com/f...tt-occupation.html

  • Es scheint leider dem journalistischen Zeitgeist zu entsprechen, dass Diffamierungen an die Stelle von Argumenten treten: auch hier wird pathologisiert ("Rausch"), mit historisch fragwürdigen Bezügen auf entkontextualisierte Ereignisse argumentiert und sehr, sehr einseitig skandalisiert (die staatliche, proisraelische Cancel Culture ist jedenfalls viel erfolgreicher als BDS). Aber vielleicht muss man sich auch solcher Mittel bedienen, um zu verteidigen, was nicht mehr zu verteidigen ist: Israel hat seit jeher eine katastrophale Menschenrechtsbilanz und im gegenwärtigen Krieg ein Verbrechen nach dem anderen begangen. Erst gestern hat Katz offen verkündet, die Gazaner in einem Lager internieren zu wollen, um die letztlich "umzusiedeln". Ich bin mir nicht sicher, ob angesichts solcher Abgründe "Antiisraelismus" wirklich ein sinnvoller Vorwurf ist. Wie sollte man sich denn zu einem Staat verhalten, der offen zugibt, eine ethnische Säuberung zu planen und dessen MP ein gesuchter Kriegsverbrecher ist?

  • "Boykottbemühungen gegen Juden in der Region gab es schon vor BDS und vor der Staatsgründung Israels 1948. 1922 rief der Arabische Kongress in Nablus zum Boykott jüdischer Waren auf und forderte das Verbot von Landverkäufen an Juden, um einen jüdischen Staat zu verhindern." -

    Im Ernst, das ist für den Autor ein erstes Anzeichen einer antisemitischen Protestbewegung? Lol

    • @N.Laj:

      „Kauft nicht beim Juden“ soll nicht antisemitisch sein?

    • @N.Laj:

      Sicherlich nicht das erste, aber ein sehr deutliches.



      Sie wissen, wohin "Kauft nicht bei Juden" führen kann?