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Koalitionspläne für WochenarbeitszeitEffektiv mehr Zeit

Klaudia Lagozinski
Kommentar von Klaudia Lagozinski

Der DGB kritisiert die geplante Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit. Doch die Vorteile der Koalitionspläne für die Arbeitnehmer überwiegen.

„Höchst bedenklich“ seien die Vorschläge zur Arbeitszeit im Koaltionsvertrag, meint die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

S PD und Union wollen an der täglich erlaubten Arbeitszeit rütteln: Statt einer Regelarbeitszeit von acht Stunden täglich soll es eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben. Nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie, auf die sich der Koalitionsvertrag auf Seite 18 bezieht, wären dann bis zu 13 Stunden möglich – solange zwischen den Arbeitstagen mindestens 11 Stunden Ruhe und einmal die Woche mindestens 24 Stunden Ruhezeit gewährleistet sind. „Höchst bedenklich“ sei das, meint die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Warum eigentlich?

Dass viele davon profitieren würden, ihre wöchentliche Arbeitszeit auf weniger Arbeitstage zu verteilen, stößt bei den Gewerkschaften offenbar auf taube Ohren. Während die einen geregelte Arbeitszeiten bevorzugen, würden sich andere freuen, wenn sie ihre wöchentliche Arbeitszeit innerhalb von drei, vier Arbeitstagen abstottern könnten – und dann mehr Werktage komplett frei hätten, wo vormittags die Arztpraxen und Supermärkte weniger voll sind als am späten Nachmittag. Auch müssten diese Menschen an weniger Tagen pendeln und effektiv weniger Zeit „auf Arbeit“ verbringen. Sie hätten mehr Zeit für sich, ihre Kinder oder ihre pflegebedürftigen Eltern, statt alles in den Abend zu pressen.

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Immer wieder ist zu hören, dass längeres Arbeiten ungesund sei. Was genau mit „länger arbeiten“ gemeint ist, bleibt oft ein Rätsel. Bei genauerem Hinsehen beziehen sich die meisten Studien auf die wöchentliche Arbeitszeit – nicht darauf, wie viele Stunden pro Tag verrichtet werden. Was passieren würde, wenn Menschen an drei Tagen 12 bis 13 Stunden arbeiten und statt zwei ganze vier Tage die Woche frei hätten, ist noch kaum erforscht. Warum sollte man es denjenigen, die das aus den genannten Gründen bevorzugen, weiter verbieten?

In einer perfekten Welt würden Arbeitnehmer mehr Geld bekommen, müssten weniger arbeiten und hätten Arbeitsbedingungen, die ihre Gesundheit nachhaltig schützen. All das sind wichtige Debatten. Doch machen flexiblere Arbeitszeiten die Welt wirklich schlechter?

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Klaudia Lagozinski
Nachrichtenchefin & CvD
Immer unterwegs. Schreibt meistens über Kultur, Reisen, Wirtschaft und Skandinavien. Meistens auf Deutsch, manchmal auf Englisch und Schwedisch. Seit 2020 bei der taz. Master in Kulturjournalismus, in Berlin und Uppsala studiert. IJP (2023) bei Dagens ETC in Stockholm.
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18 Kommentare

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  • Soweit ich mich an mein Berufsleben erinnern kann, wurde die Flexibilität meiner Arbeitszeit eigentlich nie zu meinen Gunsten ausgelegt.

  • "die meisten Studien"

    Es gibt mehr als genug die sich mit längeren Schichtzeiten beschäftigen. Wer in dem Bereich schon seit Jahrzehnten tätig ist, ist sich dessen bewusst. Dementsprechend sind auch die Aussagen: Die Vorteile für Arbeitnehmer*innen überwiegen abzulehnen.

  • Fluglots:innen



    Chirurg:innen



    Pilot:innen



    Polizist:innen



    🤯



    Aber auch Industriekaufleute und Verkaufspersonal haben ein Anrecht auf eine menschliche Tages- UND Wochenarbeitszeit. Dass viele länger arbeiten müssen, ist doch kein Grund, den Standard zu drücken, sondern für Löhne, von denen Arbeitende leben können. "Samstags gehört Papi mir" oder so ähnlich hieß vor Urzeiten eine Kampagne der Gewerkschaften für die 40-Stunden-Woche. Errungenschaften, die als sicher galten, werden eine nach der anderen in Frage gestellt, bis wir unter Zuständen leben wie vor 150 Jahren, weil die Superreichen den Hals nicht voll kriegen und eine Regierung nach der anderen überzeugen: "Was gut für uns ist, ist gut für alle." Findige Leute basteln Argumente, die den sozialen Rückschritt schön reden, aber nur auf Spezialfälle zutreffen. Die große Mehrheit wird durch die "Flexibilisierung" - klingt gut, gell? -weniger vom Leben haben. Schließlich, das Argument schlechthin gegen die neue Regelung: Wer will sie? Freunde der Arbeitnehmer? Eher nicht. Cui bono?



    Na also.

    • @Patricia Winter:

      Sie haben aber schon gelesen, dass es mitnichten um Mehrarbeit, sondern um eine flexiblere Ausschöpfung der bestehenden Arbeitszeit geht?

      Und wenn jemand der Meinung ist, statt an 5 Tagen die Woche 8 Stunden zu arbeiten sondern lieber an 4 Tagen 10 Stunden und dafür statt 2 dann 3 Tage die Woche frei zu haben, wo sehen Sie da einen Rückschritt oder eine Schlechterstellung für Arbeitnehmer?

  • Ich ja deutlich politisch eher links unterwegs. Mich hat dieser Vorschlag der Flexibilisierung der Arbeitszeit von Anfang an irritiert. Denn ich sehe da auch eher arbeitnehmerfreundliches Potential. Kommt halt drauf an, was in der Realität dann draus gemacht wird.



    Z.B. in Sachen work-life-balance gibt es viele, die gerne am Tag länger arbeiten würden, dafür einen Tag streichen. Z.B. eine 36h Woche mit vier Tagen.



    Aber die Quelle, aus der Vorschlag kommt, macht mich natürlich stutzig.

  • Uninformierter Artikel.



    Die gesetzlich mögliche Wochenarbeitszeit beträgt 48 Stunden - nicht 40. Tatsächlich.



    40 oder weniger mag überall da gelten, wo es Tarifverträge gibt - aber ganz viele Menschen arbeiten in einer Welt außerhalb von Tarifverträgen.



    48 Stunden verteilt auf 8 Stunden an jedem Werktag - es gibt also auch keine 5-Tagewoche per Gesetz



    Vor diesem Hintergrund kann man den Widerstand der Gewerkschaften vielleicht besser verstehen - denn die Freigabe der 8-Stundenregel würde ohne Absenkung der möglichen Wochenarbeitszeit dazu führen können, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten an 5 Tagen auf 48 Stunden trimmen.



    Könnte ich auch drüber nachdenken, auch meine Beschäftigten genießen lediglich den Schutz individueller AV - die man ja jederzeit ändern kann.



    Ganz abgesehen davon sind die 8/48 Stunden europäisches Recht - keine Ahnung, wie die Koalition das umgehen will.

    • @Romilia:

      Vielen Dank, das sehe ich auch so.

  • Arbeitsschutzgesetze existieren aus gutem Grund und sind historische Errungenschaften.

    Die Autorin kann sich ja mal ausmalen, was passiert, wenn Kraftfahrer:innen, Erzieher:innen oder Pflegekräfte ihre wöchentliche Arbeitszeit in drei Tage "pressen".

    Normalerweise versprechen "Reformen" wie diese mehr Freiheit und führen dann nur zu mehr (Selbst-)Ausbeutung.

    Man denke nur an die Ladenöffnungszeiten, die ich übrigens in Italien immer noch so beobachte wie früher in Deutschland.

    Ist das wirklich Freiheit, wenn es keine geregelten Freiräume vom allumfassenden ökonomischen Zwang mehr gibt?

  • Wenn ich 13 Stunden am Tag arbeiten kann/darf/muss, die Kita oder der Hort aber um 15 Uhr oder 16 Uhr schließt und die Schule nicht um 5 Uhr oder 6 Uhr sondern um 8 Uhr beginnt, ist das nichts Anderes eine Benachteiligung von Alleinerziehenden in der Arbeitswelt.

  • Liebe Klaudia,

    ich bin Betriebsrat, Gewerkschaftler und Mensch.



    Ich kann mir nicht vorstellen regelmäßig 10 oder gar 13 Stunden intensiv zu arbeiten.



    Ich kenne Studien die die Unfallhäufigkeit bei langen Arbeitszeiten belegen.

    www.boeckler.de/da...puls_2024_08_2.pdf

    Liebe Grüße

  • Also ich möchte nicht dazu gezwungen werden, z.b. meine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden an drei Tagen am Stück a 13,3 Stunden abzurackern. Für mein Empfinden machen 10 Stunden maximale Arbeitszeit und ausreichend Ruhezeiten dazwischen schon Sinn.

  • Wenn Arbeitgeber und CDU dafür sind, dann kann es nur gefährlich sein. Ist doch sonnenklar. Wir wissen noch nicht wieso, aber dass es so sein muss, liegt auf der Hand.

  • Bei einer Flexibilisierung des Kostenfaktors Arbeit überwiegen die Vorteile vor allem für die Arbeitgeber. Diese geben erst einmal vor, wann sie wie viele Arbeitskräfte brauchen. Es wird immer einige ArbeitnehmerInnen geben, denen ungewöhnliche Arbeitszeiten zupasskommen (ich habe als Student extra lange Nachtschichten am Wochenende gearbeitet), ein lebenslanges Modell wird es für die wenigsten sein. Bei allem was Lebens-, Wochen- und Tagesarbeitszeiten betrifft, gibt es immer weitere Aspekte zu berücksichtigen. Linke sollten dabei allen Versuchen, das Leben nach den Anforderungen der Wirtschaft zuzurichten, widerstehen. Sie sollten mindestens darauf achten, dass Arbeitszeitmodelle immer auch einen auskömmlichen Verdienst und eine auskömmliche Rente ermöglichen und Arbeit nicht wieder, wie im frühen Industriekapitalismus, zum Gesundheitsrisiko wird. Wirtschaft und Arbeit sollten den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

  • Naja. Wenn man es so wohlwollend versteht, wie Sie, dann ist es wirklich unproblematisch. Wer sagt denn, dass es so unheimlich freiwillig ist, wie alle immer behaupten? Es gibt 1000 Wege für Arbeitgeber, Arbeitnehmer dazu zu kriegen, ihre Arbeitszeit genau so zu verteilen, wie sie (die Arbeitgeber) es gerne hätten. Ich erinnere mich noch gut an einen Chef, der mir sehr genau zu verstehen gab, dass er mir zusätzliche (ich habe zu den Zeitpunkt täglich 10:45h gearbeitet, wollte aber gerne den ein oder anderen Samstag frei halten - also nicht immer eine 6 Tage-Woche haben) Überstunden zwar nicht anordnen kann, er sie aber von mir erwartet, wenn ich eine Chance auf Übernahme haben möchte. Ich habe die Überstunden gemacht -- und wurde dennoch nicht übernommen -- Leiharbeiter gibt es eben wie Sand am Meer! Liebe Frau Lagozinski - ich glaube diese Erfahrungen sind näher an denen der meisten abhängig Beschäftigten, als das was Sie zu Grunde legen.

    • @Einfach-Jemand:

      Kann ich so teilen.

  • Man merkt deutlich, dass die Autorin noch nie mehr als 10h in einem anstrengenden Job gearbeitet hat.



    Denn nach 10h durchgehender Arbeit ist man nur noch ein Zombie, der vielleicht noch irgendwie funktioniert, aber sicher nicht mehr wach bei der Sache, produktiv und leistungsfähig.



    Es gibt genug Studien, die belegen, dass schon nach 6h Arbeitszeit am Stück die Leistung rapide nachlässt.

    Welche Interessen die Autorin hier bedienen möchte, könnte die taz ja mal offenlegen.

    • @TeeTS:

      Genauso ist es. Ich habe eine zeitlang kognitiv, aber nicht körperlich anstrengende Arbeit von 9:00 - 21:15 an 2 Tagen pro Woche mit ein paar Pausen dazwischen gemacht. Ich war am Abend und auch am nächsten Vormittag vollkommen gerädert.

      Gottseidank habe ich so nicht in einer Rettungsstelle o.ä. gearbeitet!

  • Dabei wird aber schnell das überlagernde Massenverhalten übersehen. Denn die enspannten fehlenden Wartezeiten beim Arzt oder ähnliches werden sich, wenn alle sich an diese Arbeitszeiten orientieren schnell wieder in Luft auflösen. Besser wäre es doch wenn es mehr Ärzte oder ähnliches gäbe oder deren Arbeitszeiten etwas verschoben zu dem Rest der Welt gehandelt werden. Wenn alle nur eine vier Tagewoche haben wollen und viel Geld und keine Wartezeiten wollen, wird das nix werden. Und mehr Stunden am Tag Arbeiten geht tatsächlich auf die Gesundheit, wenn die Ruhezeiten gehäuft nicht regelmäßig möglich sind.