„Habe lange Grüne gewählt“

Jörg Scheibe ist Co-Chef des Bündnis Sahra Wagenknecht in Sachsen. Der Ingenieur und Unternehmer ist neu in der Politik. Ein Gespräch über den Klimawandel, Putin und die CDU

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Interview: Daniel Bax

taz: Herr Scheibe, Sie sind seit drei Monaten Parteichef des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Sachsen und jetzt Spitzenkandidat für die Landtagswahl im September. Wollen Sie ein richtiger Politiker werden?

Jörg Scheibe: Ja. Als Landtagsabgeordneter werde ich ein richtiger, hauptamtlicher Politiker sein.

Und Ihre Firma?

In meiner Firma bin ich Gesellschafter und Geschäftsführer. Da werde ich mich dann rausziehen, das geht nicht anders. Ich habe schon einen Prokuristen, den ich dann zum Geschäftsführer machen werde. Außerdem habe ich eine Professur an der Akademie in Glauchau und bin damit im öffentlichen Dienst beschäftigt. Wenn ich als Abgeordneter ein politisches Amt übernehme, werde ich für diese Zeit freigestellt.

Politik ist ein Handwerk. Beherrschen Sie das schon?

Vor einem halben Jahr habe ich damit noch nichts zu tun gehabt. Aber ich sehe das als neue Herausforderung. Und ich habe mal gelesen, dass Noah auch ein Anfänger war, als er die Arche gezimmert hat. Die „Titanic“ dagegen wurde von Profis gebaut (lacht).

Sind beim BSW in Sachsen viele Politneulinge dabei?

Wir haben eine gute Mischung aus Leuten, die schon mal in anderen Parteien waren oder in einem Parlament gesessen haben und wissen, wie das läuft. Für mich ist das neu. Aber ich fühle mich in der Lage, mich da einzuarbeiten. Ich habe dennoch Respekt vor dieser Aufgabe: Man steht viel mehr in der Öffentlichkeit, und so viele Interviewanfragen wie in letzter Zeit hatte ich noch nie.

Waren Sie schon mal in einer Partei?

Ich war einmal, 1988, ganz kurz in der SED, und bin dann kurz vor der Wende wieder ausgetreten. Seitdem habe ich mich eigentlich nicht mehr politisch engagiert.

Wo lagen bisher Ihre politischen Präferenzen?

Ich habe viele Jahre lang die Grünen gewählt, aus ökologischer Überzeugung. Mittlerweile sind sie für mich nur noch die Olivgrünen, wegen ihrer Haltung zum Militär. Und das, was sie jetzt an Regierung machen, ist eine Katastrophe.

Inwiefern?

Ich bin sehr für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, um den CO2-Ausstoß drastisch zu verringern und das Klima zu schützen. Aber das muss man mit der Bevölkerung machen, nicht gegen sie. Vor der letzten Bundestagswahl hatte ich den Eindruck, dass es in der Bevölkerung einen breiten Konsens gab, dass man mehr für den Klimaschutz tun muss. Aber für die meisten Menschen ist das jetzt ein rotes Tuch. Das geht so weit, dass manche den Klimawandel ganz anzweifeln. Bestimmte Parteien befeuern das ja.

Sie nicht?

Nein. Der Klimawandel, den wir jetzt erleben, wird ganz wesentlich durch unsere Emissionen verursacht. Als Unternehmer habe ich berufsbedingt viel mit dem Thema zu tun, und damit aber leider auch mit solchen Dingen wie dem schlecht gemachten Gebäudeenergiegesetz. Meinen Auftraggebern muss ich erklären, was geht und was nicht. Und meinen Studenten an der Akademie muss ich erklären, was gilt. Ich muss meine Vorlesungen deshalb fast jedes Jahr komplett überarbeiten.

Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Es ist ganz klar, dass wir auf erneuerbare Energien umstellen müssen, um irgendwann CO2-frei zu werden. Bis vor wenigen Jahren, also bis zum Ukrainekrieg, galt Erdgas als sinnvolle Brückentechnologie, denn von den fossilen Energieträgern ist es das Sauberste. Jetzt wurde politisch entschieden: kein Gas mehr aus Russland. Aber es wird mindestens 15 bis 20 Jahre dauern, bis wir auf fossile Energiequellen verzichten können, und als Hochindustrieland können wir nicht sagen, dann sitzen wir bis dahin eben im Kalten und heizen nicht mehr. Deshalb sollten wir weiter Erdgas aus Russland beziehen.

Das sieht Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer ähnlich. Könnten Sie sich eine Koalition mit ihm vorstellen?

Wir werden nicht der Steigbügelhalter für Herrn Kretschmer sein, damit er weiter regieren kann. Aber was wir an Inhalten durchsetzen können, hängt davon ab, wie gut wir abschneiden und ob die Linke, die Grünen und die SPD in den Landtag kommen. Wenn man den Prognosen trauen kann, könnten wir drittstärkste Partei werden. Aber Prognosen sind bekanntlich schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

Wo sehen Sie die größten Schnittmengen mit der CDU in Sachsen?

Wir haben mehrere Schnittmengen, etwa in der Migrationspolitik oder beim Thema Russland. Michael Kretschmer setzt sich ja für eine Verhandlungslösung mit Russland ein und ist dafür, die zerstörte Pipeline Nord Stream 1 wieder in Betrieb zu nehmen. Das fordern wir auch. Michael Kretschmer steht in seiner Partei damit aber ziemlich alleine da.

Haben Sie schon mal mit ihm gesprochen?

Wir haben uns schon mal unterhalten. Ich kenne den Ministerpräsidenten aus meiner beruflichen Tätigkeit: Er hat sich für das Kälte-Kompetenz-Zentrum Reichenbach im Vogtland eingesetzt, an dem die Berufsakademie Glauchau beteiligt ist, an der ich lehre. Offizielle Gespräche gab es aber noch nicht.

Welches Thema wäre Ihnen in Koalitionsverhandlungen am wichtigsten?

Die Leute Am vergangenen Samstag fand in Dresden der erste Landesparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht statt. Gekommen waren 52 der 65 BSW-Mitglieder in Sachsen. Auf der Landtagsliste stehen Rechtsanwältinnen, Sozialpädagogen und Polizisten: ein Querschnitt der Gesellschaft und der Regionen des Freistaats, darauf hat der Landesvorstand Wert gelegt. Auf den ersten zehn Plätzen kandidieren zur Hälfte Leute, die in der Linkspartei aktiv waren.

Die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht bezeichnete in ihrer Rede die Bundesregierung, als „die schlechteste Regierung aller Zeiten“. BSW sei zudem die „einzige Friedenspartei“.

Das Landeswahlprogramm, das einstimmig beschlossen wurde, fordert Verhandlungen mit Putin und will keine Rüstungsunternehmen in Sachsen. Straffällige Ausländer sollen schneller abgeschoben werden, mehr Polizei für Sicherheit sorgen. Integration ja, unkontrollierte Migration nein, so die Formel. Offen ist man für die Anwerbung von Fachkräften.

Das Thema Frieden. Da sind unsere Möglichkeiten in Sachsen zwar begrenzt, aber über den Bundesrat könnten wir schon etwas anstoßen. Die Migration zu begrenzen ist ebenfalls wichtig, weil das Thema vielen Menschen auf den Nägeln brennt. Meine Heimatstadt Chemnitz ist sicher kein Hotspot der Kriminalität. Aber ich höre von vielen, dass sie Angst haben, abends in die Stadt zu gehen, weil da halt immer mal wieder etwas passiert. Man muss offen darüber reden, dass die Täter oft Flüchtlinge sind.

Wird das nicht sehr häufig gesagt?

Man kann natürlich nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren: in meiner Firma arbeitet ein Syrer, der lebt mit seiner Familie hier, hat jetzt promoviert und verdient einen ordentlichen Lohn. Aber es gibt eben auch eine große Zahl an unbegleiteten Jugendlichen, die zu uns gekommen sind. Das sind alles junge Männer, und die machen ab und zu Probleme. Das wäre auch nicht anders, wenn das eine Gruppe junger deutscher Männer in einem anderen Land wäre. Da passieren halt Dinge, die sind nicht immer schön. Darauf muss die Politik reagieren, und die Polizei muss an manchen Orten mehr Präsenz zeigen.

In Ihrem Wahlprogramm steht, dass Sie ausländische Fachkräfte gewinnen möchten. Wie kommt das?

Wir brauchen ausländische Fachkräfte. Die USA machen das ja vor: Die werben weltweit Fachkräfte ab. Nicht umsonst haben sie so viele Nobelpreisträger. Die kommen aus aller Welt, aber leben und arbeiten in den USA.

Die Bundespartei ist bei dem Thema aber viel zurückhaltender.

Das ist ja auch ein zweischneidiges Schwert: Wenn wir hier Fachkräfte anwerben, dann fehlen die in ihren Ländern. Bei uns in Sachsen kommen viele Ärzte aus Osteuropa, aus Polen oder Ungarn. Man kann es ihnen nicht verübeln, dass sie hier eine Praxis eröffnen, weil ihre Ausbildung hier sofort anerkannt wird und sie hier ein höheres Einkommen erzielen. Aber in Ungarn fehlen massenhaft Ärzte, das ist dort ein riesiges Problem. Das kann daher nicht der richtige Weg sein.

Sondern?

Jörg Scheibe, 61, ist seit Februar einer der beiden Vorsitzenden des BSW-Landesverbands in Sachsen. Der Ingenieur leitet in Chemnitz eine Firma, die Klima-, Sanitär, Heizungs- und Lüftungsanlagen plant.

Diese Menschen sind ja in ihren Ländern ausgebildet worden, und so eine Ausbildung zum Mediziner kostet richtig viel Geld. Wenn man sagt, wir werben von dort Fachkräfte an, müssten wir zumindest so fair sein und diesem Land die Ausbildungskosten erstatten.

Das steht so nicht in Ihrem Programm.

Dafür würde ich mich einsetzen.

Auch in der Landesregierung? Sie könnten sogar Minister werden.

Eine Regierungsbeteiligung liegt durchaus im Bereich des Möglichen, das stimmt. Aber jetzt müssen wir erst einmal einen ordentlichen Wahlkampf machen: erst für die Kommunalwahlen, dann für die Europawahl im Juni und dann für den Landtag im Herbst. Und dann sehen wir, mit wie viel Prozent und wie vielen Abgeordneten wir in den Landtag kommen und was sich daraus ergibt. Uns kommt es auf Inhalte an.

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