Protestbefreite Universität

Propalästinensische Studierende errichten ein Camp an der Freien Universität. Unileitung und Polizei greifen hart durch

Be­set­ze­r*in­nen gegen Polizei – und obendrüber Gegenprotest Foto: Annegret Hilse/reuters

Von Kai Liesegang
und Jonas Wahmkow

Gegen 13.30 Uhr ist es soweit: Die Polizei beginnt mit der Räumung des propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität (FU) Berlin. Die De­mons­tran­t*in­nen sitzen auf dem Boden, eng ineinander verhakt. Nach und nach ziehen Polizisten Personen einzeln raus, teils unter Anwendung von Schmerzgriffen, und führen sie vom Gelände – alles unter lautstarkem Protest. An den Fenstern der angrenzenden Räume der Uni klopfen, skandieren und klatschen weiterhin Stu­den­t*in­nen zur Unterstützung der Besetzer*innen.

Am Dienstagmorgen hatten hier, im Theaterhof der „Rost- und Silberlaube“ der FU in Dahlem, etwa 150 Studierende Zelte, Bänke und einen kleinen Pavillon aufgestellt und Transparente aufgehängt. Fast alle tragen Kufijas; in der Mitte der Freifläche steht eine Frau mit Megafon. „We are the students, let’s stop the bombing now“, ruft sie, gefolgt vom umstrittenen Sprechchor „From the River to the Sea, Palestine will be free“. Die Menge jubelt und applaudiert.

An einer Wand bringen die Protestierenden eine Liste mit Namen von in Gaza getöteten Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen an. Unter dem Pavillon wird ein kleiner Infostand eingerichtet, es gibt Äpfel, Tee und Informationsbroschüren zu den Themen „Occupying Berlin Universities“ und „Intifada, Widerstand überall in diesem Land“. Die Person an dem Stand sagt der taz: „Eigentlich haben wir gerade eingeladene Red­ne­r:in­nen für Diskussionsrunden, aber sie werden von der Polizei nicht durchgelassen.“ Eine weitere Protestierende ist aufgebracht. Sie sagt, sie habe nicht gedacht, „dass in Deutschland die Demokratie so dünnhäutig ist. Kulturelle und Bildungseinrichtungen beziehen faschistische Positionen.“

Doch nicht allen gefällt, was hier passiert: In Hörweite steht ein Person, sie hat eine Israelfahne um sich gebunden. Sie wolle sich nicht einschüchtern lassen, aber in Anbetracht dessen, was hier in der Universität vor sich gehe, habe sie als Jüdin große Angst, sagt sie. „Der Antisemitismus, der in der Uni offen zur Schau getragen wird, ist unerträglich.“ Auch aus dem Fenster eines an den Innenhof grenzenden Raums hat jemand eine Israelflagge gehängt.

„Die Situation für jüdische Studierende wird zunehmend unsicher“, ­kritisiert auch Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion, gegenüber der taz. Petri berichtet, viele jüdische und proisraelische Ko­mi­li­to­n:in­nen würden Drohnachrichten ­erhalten. „Die Situation hat sich nicht beruhigt, davor warnen wir schon lange.“

Auf der Social-Media-Plattform Instagram hatte die propalästinensische Gruppe „Student Coalition Berlin“ (SCB) vor der Besetzung einen umfassenden Forderungskatalog veröffentlicht. Unter anderem solle die Universität für einen sofortigen Waffenstillstand und Stopp deutscher Rüstungsexporte einstehen. Auch verlangt die Gruppe einen umfassenden kulturellen und akademischen Boykott Israels – was auch ein Ende der wissenschaftlichen Kooperationen der FU mit israelischen Universitäten bedeuten würde. SCB kündigte an, „keine Verhandlungen oder Kompromisse“ akzeptieren zu wollen.

Eine FU-Sprecherin erklärte gegenüber der taz, die Protestierenden hätten am Dienstagmorgen auch versucht, in Räume und Hörsäle einzudringen. Nachdem die Be­set­ze­r:in­nen Verhandlungen abgelehnt hätten, habe die Universitätsleitung bereits am Vormittag die Räumung des Camps veranlasst. „Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet. Wir stehen für eine wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise“, sagte Universitätspräsident Günter Ziegler. Ziegler stellte klar, dass die FU einen akademischen Boykott Israel „entschieden ablehnt“.

Ab dem Mittag umstellt die Polizei den Theaterhof, auch auf den angrenzenden Dächern haben sich Beamte positioniert. Nur anderthalb Stunden nach Beginn der Räumung ist der Theaterhof leer. Zelte, Decken, Plakate und ein Megafon der Protestierenden liegen zusammengeschoben am Rand der Freifläche. Die Polizei erklärte, es seien 37 Ermittlungsverfahren wegen möglicher Fälle von Volksverhetzung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden.

Vor dem Eingang zum Gebäude haben sich in der Zwischenzeit proisraelische De­mons­tran­t*in­nen zu einer Gegenkundgebung versammelt. Die etwa 35 Personen tragen Israelfahnen und Plakate, etwa mit der Aufschrift „Jewish Lives Matter“. Gegenüber stehen die verbliebenen propalästinensischen Demonstrant*innen. Die Polizei versucht sie, des Geländes zu verweisen.

Das schnelle und repressive Vorgehen der Universitätsleitung gegen die Besetzung kommt wenig überraschend. Bereits am Freitag hatte die Humboldt-Universität ein propalästinensisches Sit-in von rund 150 Personen auf der Wiese vor dem Hauptgebäude in Mitte nach wenigen Stunden räumen lassen. Die Polizei leitete 37 Strafermittlungsverfahren ein.

An der Freien Universität hingegen war es in den vergangenen Monaten ruhig geblieben, obwohl Spannungen zwischen propalästinensischen und proisraelischen Studierenden spürbar waren. Im Dezember hatten propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen einen Hörsaal besetzt, der ebenfalls schnell geräumt wurde. Damals kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen proisraelischen und propalästinensischen Studierenden.

Schmerzhaft abgeführt Foto: Markus Schreiber/dpa

Besonders der jüdische FU-Studierende Lahav Shapira geriet währenddessen auf der Social-Media-Plattform X in den Fokus propalästinensischer Aktivist:innen. Im Januar verprügelte ein Kommilitone Shapira und verletzte ihn schwer. Die Polizei vermutet, dass das Motiv für den Angriff die vorangegangene Auseinandersetzung über den Gazakrieg war.

Infolge des Angriffs beschloss der Senat im April eine beispiellose Verschärfung des Hochschulgesetzes, die in Zukunft auch Exmatrikulationen aus politischen Gründen ermöglichen soll. Sowohl hochschulpolitische Gruppen als auch zahlreiche Aka­de­mi­ke­r:in­nen kritisierten diesen Schritt als Gefahr für die Meinungsfreiheit an den Berliner Universitäten.

Hinter dem harten Durchgreifen am Dienstag steht wohl auch die Angst der Behörden, die Protestwelle an den US-amerikanischen Universitäten könnte nach Deutschland überschwappen. So besetzten Studierende der New Yorker Columbia University über mehrere Wochen eine Wiese, um gegen die Verstrickungen ihrer Universität im Gaza­krieg zu protestieren. Anfang Mai ließ die Uni das Camp mit einem martialischen Polizeiaufgebot räumen. Die Aktionsform fand landes-, inzwischen auch weltweit Nachahmer*innen. Außer in Berlin gab es am Dienstag auch an der Uni Wien einen Versuch propalästinensischer Aktivist:innen, ein Protestcamp zu errichten. In Amsterdam räumte die Polizei ein am Montag errichtetes Camp mit schwerem Gerät.