piwik no script img

Düsseldorf stoppt ÖPNV-UnternehmenZwei Bahnfahrten, sechs Monate Haft

Gisa März war mehrere Monate in Haft, weil sie ohne Ticket fuhr. Der Düsseldorfer Stadtrat hat das Fahren ohne Fahrschein daraufhin entkriminalisiert.

Wegen „Erschleichens von Leistungen“ saß die heute 57-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf ein Foto: Andreas Fechner

Gisa März tritt ein Jahr nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis durch die Tür des Vereins fiftyfifty in der Nähe des Hauptbahnhofs Düsseldorf. Die weißblonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Auf der Empfangstheke stehen Tassen, Kaffeekannen und Milch bereit. März will aber keinen Kaffee, sondern fragt nach ein paar Ausgaben des Straßenmagazins, das der Verein herausgibt. Eine Mitarbeiterin vermerkt die Anzahl der ausgehändigten Zeitschriften in einer Liste. Das Heft kostet 2,80 Euro, verkauft Gisa März ein Exemplar, kann sie die Hälfte des Geldes behalten, die andere Hälfte gibt sie an den Verein ab – fifty-fifty eben.

Von November 2022 bis März 2023 saß die heute 57-Jährige wegen „Erschleichens von Leistungen“ in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf ein – das heißt wegen Fahrens ohne Fahrschein. Sie hatte sogar noch Glück: Das Strafgesetzbuch lässt dafür eine Strafe von bis zu einem Jahr zu. Der Paragraf 265a wurde 1935 von den Nazis eingeführt. Bis heute ist er nicht abgeschafft. Das Justizministerium hat zuletzt lediglich den Zeitraum halbiert.

Fast 90.000 Menschen bundesweit werden jährlich angezeigt, weil sie ohne gültiges Ticket angetroffen wurden. Im Knast landen vor allem die, die sich keinen Fahrschein leisten können. Das betrifft nach Schätzungen der taz fast 2.000 Menschen pro Jahr– etwa 800 sitzen so wie Gisa März eine Freiheitsstrafe ab. Etwa 1.100 eine Ersatzfreiheitsstrafe – weil sie das sogenannte erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen können. Den Staat kostet das pro Tag und Person 100 bis 200 Euro – insgesamt also mehr als eine Viertelmillion Euro.

Auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen

Gisa März verkauft das Obdachlosenmagazin von fiftyfifty fast seit seinen Anfängen 1995. Damals sei ihre Mutter gestorben, erzählt sie. Sie musste aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen, bekam keine neue, lebte auf der Straße, nahm Drogen. Das Verkaufen des Magazins ersparte ihr das Betteln und das Stehlen. Der Verein gab ihr Halt, sagt sie, sie fühlte sich aufgehoben. Sie nahm einen Ein-Euro-Job an, kam in ein Drogensubstitutionsprogramm. Der Arzt, von dem sie jeden Tag ihr Polamidon bekam, hat seine Praxis in Düsseldorf-Benrath. Von ihrer Wohnung im ehemaligen Arbeiterbezirk Düsseldorf-Oberbilk fährt sie dahin drei Stationen mit der S-Bahn.

Freedom Day

Gefangenenbefreiung Für den 10. April hat der Freiheitsfonds wieder einen „Freedom Day“ angekündigt. An dem Tag sollen Menschen aus dem Gefängnis freigekauft werden, die wegen Fahrens ohne Fahrschein einsitzen.

Freiheitsfonds Die Initiative wurde im Dezember 2021 gegründet. Sie fordert, das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren. Langfristig soll der ÖPNV kostenlos genutzt werden können.

Spenden Um Gefangene freikaufen zu können, sammelt der Freiheitsfonds Spendengelder. Nach eigenen Angaben sind bisher knapp 794.000 Euro zusammengekommen. 911 Menschen wurden damit freigekauft. 166 Haftjahre seien aufgelöst und dem Staat damit 12,9 Millionen Euro gespart worden. Mehr Informationen: freiheitsfonds.de

„Normalerweise hatte ich immer ein Ticket“, sagt Gisa März an diesem Frühjahrsvormittag im Aufenthaltsraum von fiftyfifty. Klein und schmal ist sie, sitzt gebückt auf dem Stuhl und hält den Kopf schief. In der Hand hält sie eine Brötchentüte; sie hat noch nicht gefrühstückt.

Über das Jobcenter erhält Gisa März vergünstigte Fahrscheine. Auch 2019 war das so. Doch die Post vom Jobcenter kam nicht rechtzeitig. Das komme häufiger vor, sagt Gisa März. „Ich habe mir dann immer Fahrkarten gekauft – aber in dem Monat war dann irgendwann das Geld weg. Und was soll man machen, wenn man gezwungen ist, zum Arzt zu fahren?“ Ausnahmsweise sei sie also ohne Fahrkarte in die S-Bahn gestiegen. Und prompt kontrolliert worden. Eine Woche später das Gleiche noch einmal: Eingestiegen ohne Ticket, Kontrolle, erwischt.

Ohne Bahnfahren gehe es in Düsseldorf nicht, sagt Gisa März. „Ab und zu die Enkelkinder treffen – die fragen ja nach mir.“ Sie kenne auch einige Obdachlose, die am Bahnhof leben. „Und wenn man dann zur Armenküche in der Altstadt will, weil das Essen da nur 50 Cent kostet, muss man auch die Bahn nehmen, wenn man nicht gut zu Fuß ist.“

Welche Konsequenzen die zwei Kontrollen für Gisa März haben sollten, wusste sie zunächst nicht. Mit fiftyfifty fährt sie damals in die Schweiz zu einem Stadtführertreffen. Denn seit einer Weile gibt sie Führungen über das Leben auf der Straße. Sie geht weiter zum Arzt, nimmt einen Hund in Obhut, denn so ist sie. März kümmert sich um alle – kümmert sich um die Tochter ihrer Schwester wie um ihre eigene, umsorgt ihren Ex-Mann, als der Unterstützung braucht. Und nun auch noch ein Hund.

Die Rheinbahn ist heiß auf Anzeigen

Während Gisa März ihr Leben weiterlebt, ist die Rheinbahn, das lokale städtische Verkehrsunternehmen, nicht untätig: Sie erstattet Anzeige. Ein Jahr später fällt ein Gericht das Urteil. Sechs Monate Freiheitsstrafe. Es ist nicht das erste Mal, dass März ins Gefängnis muss, und auch nicht das erste Mal wegen Fahrens ohne Fahrschein. Aber das letzte Mal ist viele Jahre her – seitdem hatte sie immer einen Fahrschein und ist polizeilich nicht aufgefallen.

Ein halbes Jahr Gefängnis. Das ist viel. Wenn man einen Hund hat, der versorgt werden muss. Enkel hat, die wissen wollen, was mit der Oma los ist. Täglich zum Arzt muss und Miete zu zahlen hat. März fliegt aus dem Drogensubstitutionsprogramm und aus ihrer Wohnung. „Weihnachten, Neujahr und Karneval im Gefängnis – das ist schon nicht so schön“, sag sie.

Der Verein fiftyfifty organisiert Proteste, wendet sich in einem offenen Brief an den Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Prominente und Professoren unterschreiben, darunter Breiti von den Toten Hosen und der Satiriker und EU-Parlamentarier Martin Sonneborn. Der Justizminister antwortet, die Politik dürfe nicht in die Justiz eingreifen. März bleibt in Haft.

Auch der Stadtrat wird auf das Thema aufmerksam. Im November 2022 fordert der den Aufsichtsrat der Rheinbahn AG auf, keine Anzeigen mehr wegen „Beförderungserschleichung“ zu stellen. Doch das Unternehmen setzt das nicht um. Im Juni 2023, Gisa März ist inzwischen aus der Haft entlassen, präzisieren die Linken, Grünen, die SPD, FDP und die PARTEI-Klima-Fraktion im Stadtrat ihre Forderung und weisen die Rheinbahn gegen die Stimmen von CDU und AfD an, künftig auf Strafanzeigen zu verzichten. Dieses Mal muss das Verkehrsunternehmen sich daran halten.

Andere Städte folgen dem Düsseldorfer Weg

Überzeugt ist es davon nicht. Eine Sprecherin sagt auf taz-Anfrage: „Der Rheinbahn entgehen im Jahr geschätzte 4 Millionen Euro an Einnahmen durch Fahrgäste ohne gültiges Ticket. Diese Kosten müssen von der Gemeinschaft über Steuergelder ausgeglichen werden.“ Anzeigen sollen abschreckend wirken.

Ähnlich sieht es der Verband der Verkehrsunternehmen. Der wehrt sich gegen Vorhaben des Bundesjustizministeriums, die Beförderungserschleichung von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit umzuwidmen. „Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, zeugt nicht von Respekt für unsere Leistung und die Arbeit unserer Beschäftigten“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann auf taz-Anfrage. Die Einnahmeausfälle durch Schwarzfahren summierten sich bundesweit auf 750 Millionen bis rund eine Milliarde Euro. „Das ist kein Pappenstiel – diese enorme Summe fehlt dem ÖPNV in ohnehin prekären Zeiten für Personal, Fahrzeuge, In­fra­struktur und Sicherheit.“

Doch man kann es auch anders sehen. Viele Jurist*innen, teils auch Gefängnisleiter, fordern seit Langem, Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren. Nach Düsseldorf fällte die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden im November 2023 die Entscheidung, Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren. Münster folgte im Dezember. Im März entschied Köln, auf Strafanzeigen zu verzichten. Anfang April zog Halle nach.

Norbert Czerwinski, Sprecher der Grünen-Ratsfraktion in Düsseldorf und zuständig für das Thema Verkehr, sagt der taz: „Fürs Schwarzfahren in den Knast zu kommen, ist völlig unverhältnismäßig.“ Czerwinski vergleicht das mit anderen Vergehen: „Wenn ich ein Auto miete und die Mietkosten nicht zahle, dann kann die Autovermietung das Geld einfordern und mich dafür schließlich vor Gericht bringen – aber ich komme dafür nicht ins Gefängnis.“ So müsse das gehandhabt werden, wenn jemand ein Ticket nicht zahle. „Die Rheinbahn hat ja nichts davon, wenn jemand im Knast sitzt.“

Das Verkehrsunternehmen kann bisher keine Auswirkungen der Neuregelung feststellen. „Die Beanstandungen liegen auf einem konstanten Niveau“, teilt eine Sprecherin der taz mit. Allerdings seien nach Ende der Coronapandemie auch mehr Kontrolleure eingestellt worden.

Gisa März läuft leicht gebückt und humpelt. Vor ein paar Wochen ist sie gestürzt, hat sich den Fuß verletzt. Laufen kann sie schon, aber nur langsam und unter Schmerzen. Vom Verein sind es knapp zehn Minuten zu Fuß zur U-Bahn, auf die sie angewiesen ist. Aber über die Kosten für die täglichen Bahnfahrten muss sie sich keine Sorgen mehr machen. Mittlerweile hat sie ein 49-Euro-Ticket. „Das Ticket hat mir eine nette Dame gespendet“, sagt sie.

März muss zur Bewährungshilfe – alle zwei Wochen. Das Büro liegt in einem schlichten Stadthaus in Düsseldorf-Golzheim. Dort muss sie das Ergebnis eines tagesaktuellen Drogentests abgeben. Das heutige ist positiv: Der Stress mit dem Fuß, sie brauchte etwas. „Aber Heroin nehme ich nicht mehr“, sagt sie. Im Gefängnis hat sie einen kalten Entzug gemacht, die täglichen Fahrten zum Arzt gehören der Vergangenheit an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

40 Kommentare

 / 
  • taz: "... Fahrens ohne Fahrschein. Sie hatte sogar noch Glück: Der Paragraf 265a wurde 1935 von den Nazis eingeführt. Bis heute ist er nicht abgeschafft. Das Justizministerium hat zuletzt lediglich den Zeitraum halbiert."

    Was sagt uns das eigentlich über das deutsche Justizministerium im 21. Jahrhundert, wenn ein 'Naziparagraph' lediglich nur etwas humaner gemacht wurde (*der Zeitraum der Strafe wurde halbiert*), anstatt den § 265a StGB endlich mal in den Müll zu werfen? Schon interessant, dass bei uns immer noch arme Menschen mit einem 'Naziparagraphen' ins Gefängnis gesteckt werden - und das wegen dem "schlimmen Verbrechen" des 'Schwarzfahrens'. Schwarzfahren hat etwas mit Armut zu tun, aber das Wort 'Armut' kennen unsere überbezahlten Volksvertreter anscheinend nicht.

    ***Kann kostenloser Nahverkehr funktionieren? No Fun Facts mit Nico Semsrott | heute-show*** (Das Video ist auch schon 5 Jahre alt, aber es ändert sich in diesem Land nichts.) www.youtube.com/wa...v=DXnhArb0f1w&t=0s

    • @Ricky-13:

      Es sagt uns, dass ein Paragraf, gleich aus welcher Zeit er stammt, durchaus seine Daseinsberechtigung haben kann, wenn die darin beschriebenen Straftaten auch heute noch strafwürdig sind.

      Es geht im 265a StGB übrigens nicht explizit nur um das Schwarzfahren, sondern allgemein um das "Erschleichen von Leistungen". Auf den Müll gehört also daher gar nichts.

      Zum nachlesen:



      www.gesetze-im-int...e/stgb/__265a.html

      • @Tom Tailor:

        Sie finden diesen 'Naziparagraphen', mit dem man arme Menschen sogar wegen lächerlichen 'Schwarzfahrens' ins Gefängnis stecken kann, anscheinend gut. Nun ja, wir leben ja (noch) in einer Demokratie, also dürfen wir auch unterschiedlicher Meinung sein.

        Der Jurist und Journalist Ronen Steinke weist übrigens in seinem Buch 'Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz' auf ein grundsätzliches Problem hin: **Die Ersatzfreiheitsstrafe ist inzwischen die häufigste Form der Freiheitsstrafe in Deutschland geworden. Mehr als die Hälfte derer, die hierzulande eine Haftstrafe antreten, sind Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen ('mehrere tausend davon wegen Fahrens ohne Fahrschein').**

        Steinke spricht "von Gefängnissen als neuen Schuldtürmen". Früher war die Ersatzfreiheitsstrafe eine Ausnahme, schreibt er, doch "mit steigender Armut stieg der Anteil der Häftlinge in deutschen Gefängnissen, die eigentlich zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, sie aber nicht begleichen können".

        Ich wiederhole es gerne noch einmal "... mit steigender Armut stieg der Anteil der Häftlinge in deutschen Gefängnissen ...". Da haben wir doch das wahre Problem; die 'Armut'. Aber gegen Armut können unsere Volksvertreter ja nichts machen, denn dann müssten sie die Reichen mal zur Kasse bitten - und das will man nicht.

        "Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an.



        Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich." [Bertolt Brecht, 1898 - 1956]

        • @Ricky-13:

          Interpretieren Sie nichts in meine Aussagen, was ich nicht geschrieben habe. Es geht nicht um "gut" oder "böse", sondern um Tatbestände, die auch heute noch strafwürdig sind.

          Ich weiß nicht welches Rechtsempfinden Sie haben, aber für mich ist es "norma". in Anspruch genommene Dienstleistungen auch zu bezahlen. Seien es Öffis, ein Taxi, ein Museums- oder Konzertbesuch.

          Wenn jemand dies notorisch als "überflüssig" betrachtet und bewusst z.B. "schwarz" fährt, obwohl es nicht an Geld mangelt, warum soll es bei Wiederholungstätern dann keine Gefängnisstrafe geben?

          Das dies arme Menschen eher trifft ist richtig und ich bin derselben Meinung, dass hier Gefängnisstrafen unangemessen sind. Dafür muss ich aber nicht den ganzen Paragrafen "in die Tonne" drücken und eine Klassenkampf-Diskussion lostreten.

          • @Tom Tailor:

            Mein Rechtsempfinden ist sehr hoch (allerdings sollte man hier die 'Verhältnismäßigkeit' im Auge behalten), deshalb würde ich auch diese "schädlichen Elemente", durch die dem Staat (also uns allen) jährlich Steuern im Umfang von 100 Milliarden Euro (100.000.000.000 €) verloren gehen, hart bestrafen; aber sicherlich keine armen Schwarzfahrer in den Knast stecken. Aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament gehen sogar 125 Milliarden Euro hinterzogene Steuergelder in Deutschland hervor.

            Gegen Steuerhinterzieher vorzugehen ist aber wohl zu schwierig für unsere "Volksvertreter", da hält man sich lieber an die Armen und schickt die sogar für 'Schwarzfahren' ins Gefängnis – selbst wenn es arme Leute sind, die ein Straßenmagazin verkaufen müssen, um etwas Geld zu bekommen. Soviel zu Ihrem „obwohl es nicht an Geld mangelt, warum soll es bei Wiederholungstätern dann keine Gefängnisstrafe geben?“ Argument.

            *Mehr als die Hälfte derer, die hierzulande eine Haftstrafe antreten, sind Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen*, schreibt der Jurist und Journalist Ronen Steinke. Nun ja, dann findet man natürlich auch keinen Platz mehr für Wirtschaftskriminelle (die für einige Politiker wohl sogar 'Leistungsträger der Gesellschaft' sind) in den Gefängnissen. Aber so war es ja schon immer. „Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen”.

  • der 0-tarif muß her, ganz einfach.



    sowas verrücktes, daß die ärmsten auch noch ins gefängnis müssen + da den staat weitaus mehr kosten, nur um son olles gesetz durchzusetzen, egal ob weimarer republik oder 1000j-"Reich".



    die klimakatastrophe ist da, so einfach ist das.



    wie wäres mit suv-fahrerInnen in den knast oder so...

  • So lange Andi Scheuer keinen Knast von innen sieht sollte ihn auch niemand der schwarz fährt sehen müssen.

  • Unabhängig von der Angemessenheit der Strafe im Allgemeinen oder im speziellen Fall:

    Ist es in diesem Fall nicht ein historischer Zufall, dass das Gesetz aus der Nazi-Zeit stammt?

    Schließlich wurden in den 20er und 30er Dienstleistungen auf Kosten von Waren immer wichtiger, Sich ohne Bezahlung in ein Kino zu schleichen, einen Handwerker ohne Auftrag eine Reparatur "unterzujubeln", eine fremde Stromleitung zum Eigenbedarf anzuzapfen sind nach allgemeinem Rechtsempfinden nicht viel anders als Diebstahl. Jedoch der Diebstahl-Paragraph (§ 242 StGB) gibt das heute und gab es auch schon in der Weimarer Zeit nicht her, daher brauchte man solch eine Regelung und braucht sie erst recht heute.

    Es wäre also ziemlich eigenartig, die "Erschleichung von Dienstleistungen" allgemein abzuschaffen. Das ist unabhängig davon, wie man konkret etwa mit Bezahlung und Nicht-Bezahlung im Innenstadtverkehr umgeht.

    • @Frauke Z:

      Wenn das Jobcenter das Ticket zu spät absendet kann man persönlich vorbei gehen und es sofort mitnehmen. habe ich schon selbst gemacht.

    • @Frauke Z:

      Die Frau ist mehrfach vorbestraft. Steht doch im Text. und da fällt die Strafe höher aus.

      " Es ist nicht das erste Mal, dass März ins Gefängnis muss, und auch nicht das erste Mal wegen Fahrens ohne Fahrschein"

    • @Frauke Z:

      "Die eingeführte Vorschrift des § 265a StGB entsprach fast wörtlich dem § 347 des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927"(de.wikipedia.org/w...#Rechtsgeschichte)

      Das Gesetz ist also aus der Weimarer Republik.

  • So ist das eben mit der Verhältnismäßigkeit:



    Auf der einenen Seite kommt man ins Gefängnis, weil man seine Fahrkarte (3 ,80 € oder so) nicht bezahlen (kann) will, auf der anderen Seite werden jährlich 150.000.000.000 € Steuern vermieden (hinterzogen?), weil der Staat nicht genügend Personal hat, um solchen Petitessen nachzugehen

  • Wer Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, kommt in Relation zu dieser Schwarzfahrerin deutlicht günstiger weg. Fragt mal Uli Höneß.

    • @Perkele:

      Her hoeneß war im gegensatz zu der frau nicht mehrfach vorbestraft und hat vor der verhandlung die hinterzogenen Steuern inc. Strafaufschläge bezahlt. Wenn er mehrfach steuern hinterzogen hätte wären es mindestens 5 jahre geworden.

      " Es ist nicht das erste Mal, dass März ins Gefängnis muss, und auch nicht das erste Mal wegen Fahrens ohne Fahrschein"

    • @Perkele:

      Der wurde danach auch wieder als vorbildlicher Fußballer Kindern als Vorbild vorgesetzt. AMEN

  • Am Anfang des Wahnsinns stehen 2€ Ticketpreis und eine nicht funktionierende Behörde.

    Alleine die Kosten für den Aufenthalt im Gefängnis liegen irgendwo zwischen 18 und 36 000 €. Dazu noch Gericht, Pflichverteidiger, Staatsanwalt...

    Für das Geld hätte der armen Frau auf Lebenszeit ein Deutschlandticket gekauft werden können. Das wäre deutlich sinnvoller gewesen.

    Gibt es nur noch Beckloppte und Schildbürger in dem Land...?

    "Über das Jobcenter erhält sie vergünstigte Fahrscheine. Auch 2019 war das so. Doch die Post vom Jobcenter kam nicht rechtzeitig. Das komme häufiger vor, sagt Gisa März."

    Hier wird einmal mehr deutlich was passiert wenn Behörden nicht funktionieren.

    Gruß vom Mondlicht

    • @Moonlight:

      Wenn die Behörde die Dienstleistung "Tickets rechtzeitig schicken" nicht erbringt, dann müsste doch die Behörde ins Gefängnis. Vielleicht der Mann von der Poststelle.

      • @Zeit und Raum:

        Die Post, die am häufigsten im falschen Beiefkasten landet oder nicht zugestellt wird, ist die vom Amtsgericht. Sagen die Schuldner.

  • Als Radfahrer seh ich halt das Missverhältnis dass man ohne Ende Leute gefährden kann indem man Rad oder Fußwege zuparkt, rast usw und wenn man nicht grad jemand völlig verantwortungslos übermangelt wird so schnell außer einem bisschen Geld nichts passieren, vielleicht ist der Führerschein mal ne Zeit lang weg. Aber wenn ich mir im Gegensatz zum Parkplatz den Platz in der Bahn erschleiche ist das auf einmal ne Straftat? Das kann’s wirklich nicht sein.

  • Ich finde, dass auf das Problem:

    "Über das Jobcenter erhält sie vergünstigte Fahrscheine. Auch 2019 war das so. Doch die Post vom Jobcenter kam nicht rechtzeitig. Das komme häufiger vor, sagt Gisa März"

    viel zu wenig eingegangen wird. Es geht nicht nur wegen Tickets oder so, sondern wer weiß wie viel wichtige Post aufgrund der Verschleppung des Jobcenters nicht rechtzeitig ankommt.

  • Es gibt also kein Recht auf einen Anwohnerparkplatz, aber ein Recht auf kostenlose ÖPNV-Nutzung?

    • @Gorres:

      Hier in München kriegste deinen Anwohnerparkplatz für 30.- pro Jahr. Immer noch. Das ist billiger als kstenlos, deckt nicht mal die Verwaltungskosten.



      Außerdem ist so'n Anwohnerparkplatz ca 12 qm öffentlicher Raum, der im Durchschnitt 23/Std pro Tag besetzt wird. Ich kenne niemanden, der so lange U-Bahn fährt.

      • @Zeit und Raum:

        Wenn man mit falschen Kennzahlen rechnet, kommen unsinnige Ergebnisse heraus.

        Einem Gegenstand, dessen Hauptvorteil die Geschwindigkeit ist, kurze Nutzungsdauern vorzuwerfen, ist absurd.

        Nebenbei gesagt nutzen Sie Ihr Badezimmer auch nicht länger als 1h am Tag. Wohnraum ist knapp. Sind Sie auch für Etagenbäder, wegen der Effizienz?

  • Es müssen andere Lösungen her. Die Tickets werden immer teurer, da die anderen Nutzer das mitzahlen.

    • @MIA R.:

      "Die Tickets werden immer teurer, da die anderen Nutzer das mitzahlen."

      Ja, genau... daher sicher NICHT.

    • @MIA R.:

      So ist es, nur daran denken viele nicht.

  • "„Wenn ich ein Auto miete und die Mietkosten nicht zahle, dann kann die Autovermietung das Geld einfordern und mich dafür schließlich vor Gericht bringen – aber ich komme dafür nicht ins Gefängnis.“"



    Ganz richtig ist das nicht. Wenn ich das Geld nicht habe und das Auto in dem Wissen miete, dass ich es nicht bezahlen kann, ist das Betrug und ebenfalls strafbar.

    Nichtsdestotrotz ist es natürlich aberwitzig, Schwarzfahren hart zu bestrafen. Aus meiner Sicht bräuchte es aber, wie der Fall von Frau März zeigt, Sozialtickets, die Menschen mit niedrigem Einkommen ermöglichen, nicht schwarz fahren zu müssen. Denn so, wie ich Frau März verstehe (und so ist auch mein Eindruck) würden die meisten "notorischen" Schwarzfahrer- wie sie- mit Ticket fahren, wenn sie es denn könnten.

    • @Agarack:

      " Sicht bräuchte es aber, wie der Fall von Frau März zeigt, Sozialtickets, die Menschen mit niedrigem Einkommen ermöglichen, nicht schwarz fahren zu müssen." Gibt es. Steht sogar im Artikel.

      • @PeterArt:

        Richtig, da habe ich mich sehr schlecht ausgedrückt: Die Sozialtickets müssen natürlich für die Leute auch verfügbar sein. Ein Angebot dieser Art muss also auch so umgesetzt werden, dass es vernünftig genutzt werden kann, denn wenn die Leute dann "zur Überbrückung" trotzdem Fahrkarten kaufen müssen, nützt es ja nicht viel.

  • Wieder ein kleiner Schritt zum kostenlosen Nahverkehr. Beifall.

    • @Thomas Böttcher:

      Es gibt keinen kostenlosen Nahverkehr. Irgendjemand finanziert ihn in jedem Fall.

      • @PeterArt:

        Sie meinen: Irgendjemand zahlt ihn in jedem Fall.

        Finanzieren bedeutet Geld leihen, damit jemand etwas tun kann, und das Geld dann zurückbekommen.

        Die Bank finanziert mein Haus, sie zahlt es leider nicht.

        • @Gorres:

          Wieviele Erbsen haben Sie heute noch gezählt? Was gemeint war, sollte klar sein.

  • Da können sich nun die Verkehrsbetriebe in D'dorf nun auch die ganzen Kontrollettis sparen.

    • @Pia Mansfeld:

      Nicht wirklich. Nur weil es keine Anzeige mehr gibt, werden ja trotzdem Rechnungen für erhöhtes Fahrentgelt erhoben. Schwarzfahren ist nach wie vor nicht okay.

  • Wenn Justiz mehr kaputt macht als heilt. Justitia ist echt manchmal zu blind.

  • Wer eine Leistung in Anspruch nimmt, die er sich nicht leisten kann, muss trotzdem mit einem gerichtlichen Mahnverfahren rechnen. Ist der Schuldner erwiesenermaßen zahlungsunfähig, trägt der Gläubiger die Kosten für das Gerichtsverfahren. Kosten, die dann auf den Ticketpreis umgelegt werden.

    • @Ludowig:

      Grundsätzlich stimme ich ihnen zu, ich sehe es aber als unverhältnismäßig an Mahn- und Gerichtsverfahren wegen einer einstelligen Summe anzustrengen. Das kostet die Allgemeinheit mehr als es einbringt, von den zusätzlichen Kosten der Unterbringung in der JVA ganz zu schweigen.

  • Herr im Himmel! DANKE

    • @Klaus Witzmann:

      Und einen Tusch auf den Kölner Kollegen Amtsrichter - der immer freisprach - mit der juristisch sauberen Begründung - der Tatbestand setze eine Täuschungshandlung voraus!



      Da aber bekanntlich niemand außer dem mit anderen Aufgaben betrauten Fahrer an Bord - also niemand getäuscht werde - sei freizusprechen •



      (Das LG sag’s halt anders - aber jetzt dem enthoben!;))

      kurz - Na das hat aber gedauert! Woll