DNA-Entdeckung beruht auf Ideendiebstahl: Die Väter sind eine Mutter

Vor 70 Jahren entdeckten drei Männer die DNA und bekamen dafür den Nobelpreis. Die Idee stahlen sie einer Frau, der Biochemikerin Rosalind Franklin.

Portrait

Zielstrebig und diskussionsfreudig: Rosalind Elsie Franklin Foto: Jewish Chronicle Archive/imago

Am 25. April 1953 erscheint in der Fachzeitschrift Nature ein Text, dessen Inhalt die Welt verändert – und auf Ideendiebstahl beruht. Auf einer Seite legen der US-Biologe James Watson und der britische Physiker Francis Crick dar, wie Gene aufgebaut sind, wie unsere Zellen also Informationen speichern und weitergeben: durch eine Doppelhelix. Die „Väter der DNA“ wurden damit weltberühmt, doch sie haben die Struktur der Gene nicht selbst erkannt, sondern die Erkenntnis gestohlen – von einer Frau.

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Welche Struktur die Desoxyribonukleinsäure hat, also die DNA, ist grundlegend wichtig für das Verständnis davon, wie Lebewesen funktionieren. Auf ihr basieren diverse medizinische Entwicklungen, der RNA-Impfstoff gegen Corona etwa, aber auch Techniken aus der Krebsbehandlung und für die Landwirtschaft.

Die Struktur erklärt, wie Gene Informationen von Generation an Generation weitergeben, wo die Informationen gespeichert sind, wie sie sich vermehren: Vier Nukleinbasen (Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin) greifen ineinander wie bei einem Reißverschluss. Je zwei davon bilden ein Paar, das zwei Stränge miteinander verbindet – in Form einer Doppelhelix. So liefern sie Informationen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse für diese Entdeckung lieferte Rosalind Franklin, die Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie, am 25. Juli 1920 in London geboren. Schon mit 15 beschloss sie, Wissenschaftlerin zu werden. Obwohl Frauen in der Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt für viele undenkbar waren.

Mit 17 ging sie ans College, studierte Chemie, Physik und Mathematik in Cambridge. Später ging sie ans Laboratoire Central des Services Chimiques de L’Etat in Paris. Dort sollte die Biochemikerin mithilfe von Röntgenstrahlen die Struktur von Molekülen analysieren. Auf dieses Gebiet spezialisierte sie sich. Deswegen holte das Londoner King’s College sie später.

Wer schafft es als erstes?

Zur Enttäuschung von Maurice Wilkins, der dort ebenfalls arbeitete, wurde sie aber nicht seine Assistentin, sondern seine Kollegin. Eine Frau als gleichberechtigte Forschende? Was für ein Affront!

Wilkins, der überwiegend am Mikroskop arbeitete, war laut Zeit­zeu­g*­in­nen introvertiert und altbacken, Franklin galt als zielstrebig und diskussionsfreudig. Sie war mit einer vielleicht wichtigeren Aufgabe vertraut: der Darstellung von DNA und ihrer Struktur mithilfe von Röntgenstrahlen, wofür sie spezielle Techniken erfand.

Doch Wilkins, der aus Groll kaum mit Franklin sprach, gab hinter ihrem Rücken Informationen weiter an Watson und Crick, die in Cambridge an der DNA arbeiteten – zu Zeiten, in denen drei große Forschungseinrichtungen im Wettrennen antraten: Wer schafft es als erstes, die Struktur von DNA zu entschlüsseln?

Zum einen war da Cambridge mit Watson und Crick, zum anderen das King’s College mit Wilkins und Franklin. Dann gab es auch noch das California Institute of Technology mit Linus Carl Pauling. Es war ein Wettkampf um Erkenntnisse und um Ruhm. Das wissenschaftliche Pendant zum Wettlauf an den Nordpol.

Pauling wollte sogar nach London reisen und mit Franklin sprechen, sich über Erkenntnisse austauschen. Sein Reisepass wurde aber nicht verlängert. Das Komitee für un-amerikanische Ansichten riet dem US-Außenministerium wegen Paulings liberalen Einstellung davon ab. Damit war er raus aus dem Wettrennen. Franklin war drin – und 1951 durch ihren Doktoranden Raymond Gosling eine gute Nasenlänge voraus. Der hatte mit der von Franklin entwickelten Technik 1952 ein Foto gemacht: Foto 51.

Herunterfallende Kinnlade

Ein grauer Kreis, der im Inneren zuerst dunkler wird, bevor er im Kern stark aufhellt. Darin: ein großes, fettes X aus Punkten. Dieses X markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Wissenschaft. Es ist ein Laue-Diagramm einer DNA, des „Molekül des Lebens“.

Während die meisten Menschen dieses Bild nur sehen, nicht aber lesen können, war es für Forschende mit den nötigen zusätzlichen Informationen schnell entschlüsselt. So auch für Watson. Gerade deswegen sollte das Bild eigentlich geheim bleiben, bis Franklin selbst dazu publiziert.

Aber Kollege Wilkins zeigte das Bild ohne ihr Wissen dem Kontrahenten Watson. In seinem Buch „Die Doppelhelix“ (Englisch 1968, Deutsch 1969) beschreibt Watson diesen Tag. Er habe Franklin besuchen wollen, sei dann jedoch im Streit gegangen. Noch im Institut traf er Wilkins, der bat ihn ins Büro und zeigte ihm alles, was er brauchte.

„Als ich das Bild sah, klappte mir die Kinnlade runter, mein Puls flatterte“, schreibt Watson in seinem Buch über diesen Moment. Hinzu kam dann noch ein unveröffentlichter Forschungsbericht von Franklin, der über eine andere Quelle und wieder ohne die Erlaubnis von Franklin seinen Weg zu den Kollegen in Cambridge fand.

Watson arbeitet zu diesem Zeitpunkt mit Pappe. Er schneidet Schablonen von den Nukleinbasen aus, versucht sie zusammenzufügen. Als er sie zu Adenin und Thymin, Guanin und Cytosin zusammenlegt, bildet er – mit dem Wissen der Fotografie und der Berechnungen von Franklin – eine Doppelhelix-Struktur.

Am 28. Februar 1953 gehen er und Crick in ihren Stamm-Pub Eagle und schreien: „Wir haben das Rätsel des Lebens geknackt!“ Im April veröffentlichen sie ihren Text in Nature. In der gleichen Ausgabe findet sich auch ein Beitrag von Franklin und ihrem Doktoranden. Für die Lesenden unterstützt Franklins Text die Erkenntnisse, die Watson und Crick veröffentlicht haben.

Watson, Crick und auch Wilkins bekamen 1962 den Nobelpreis für Medizin. In der Nobelpreisrede der Männer wird die Frau nicht genannt.

Rassist James Watson

Stattdessen erwähnt Watson sie in seinem Buch sexistisch. Er nennt sie fast durchgehend „Rosy“, was sie immer abgelehnt hat, beschreibt ihr Äußeres, stellt sie als streitsüchtige, uneinsichtige Person dar. Beschreibt immer wieder ihr Äußeres statt ihre Arbeit.

„Sie tat nichts, um ihre Weiblichkeit zu unterstreichen“, schreibt er etwa und beginnt dann eine Stilanalyse. Er stellt sie als „Produkt einer unbefriedigten Mutter“ dar, „die es für überaus wünschenswert hielt, dass intelligente Mädchen Berufe erlernten, die sie vor der Heirat mit langweiligen Männern bewahren“.

Franklin bekommt vom Nobelpreis und auch vom Buch nichts mehr mit. Im April 1953 verlässt sie das King’s College wegen der Arbeitsatmosphäre. Stattdessen forscht sie am Birkbeck College am Tabakmosaikvirus. Am 16. April 1958 stirbt sie in London an Eierstockkrebs, der vermutlich durch ihre jahrelange Arbeit mit Röntgenstrahlen bedingt war.

James Watson machte in den letzten Jahrzehnten mit rassistischen und homofeindlichen Aussagen über Genetik auf sich aufmerksam. 2019 erkannte ihm das Cold Spring Harbor Laboratory auf Long Island all seine Titel ab, weil er behauptete, Schwarze Menschen hätten einen niedrigeren IQ als weiße.

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