Bürgergeld im Bundestag beschlossen: Mehr als ein neuer Name

Wie wirkt sich das Bürgergeld aus? Dazu gibt es Vorurteile, Fakten und Erfahrungen aus dem Hartz-IV-System.

Eine Reinigungskraft schiebt einen Wagen mit Putzmitteln

Lohnt sich diese Arbeit in Zukunft noch? Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

Bundestag und Bundesrat haben am Freitag das Bürgergeld beschlossen. Es kommt zum 1. Januar. Was sind die gravierendsten finanziellen Änderungen für die Betroffenen?

Der monatliche Regelsatz etwa für einen Alleinstehenden steigt um 53 Euro auf 502 Euro. Die Erhöhung der Regelsätze soll sich künftig schneller an der Inflation orientieren. Außerdem wird bei Erwerbstätigen, die aufstockend Bürgergeldleistungen beziehen, vom Verdienst weniger auf die Sozialleistung angerechnet. Jüngere Menschen in Ausbildung, die in einem Haushalt leben, der Hartz IV bezieht, dürfen von ihrem Verdienst 520 Euro komplett behalten.

Was bedeutet die Erhöhung des Bürgergelds für den Lohnabstand ­zwischen Leis­tungs­emp­fän­ger:in­nen und Ar­beit­neh­mer:in­nen?

Wer arbeitet, hat wegen der Freibeträge, gegebenenfalls auch wegen des Kinderzuschlags und des Wohngelds, immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der nicht arbeitet. Wer als Alleinstehender zum Mindestlohn 25 Stunden in der Woche arbeitet, auch ohne Wohngeldbezug, verfügt wegen der Freibeträge mindestens über 364 Euro mehr im Monat als jemand, der nur vom Bürgergeld lebt. Ein Problem entsteht, wenn ­Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen das Bürgergeld als gegeben hinnehmen und sagen: Für nur 364 Euro mehr im Monat ackere ich nicht. Diese Haltung betrifft aber nur wenige Fälle. Forschungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg zeigen, dass die meisten Emp­fän­ge­r:in­nen vor ganz anderen Hindernissen stehen, um in Arbeit zu kommen.

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Woran liegt es, dass einerseits viele Menschen arbeitslos sind, aber es gleichzeitig viele freie Stellen gibt?

Mehr als die Hälfte der Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen sind gar nicht arbeitslos gemeldet, nämlich weil sie in Maßnahmen der Jobcenter stecken, bereits arbeiten und aufstocken, ihre kleinen Kinder betreuen, krank sind oder anderes, sagt der Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit. Von den 42 Prozent arbeitslos gemeldeten Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen wiederum haben viele sogenannte Vermittlungshemmnisse. Das betrifft nicht nur Menschen mit fehlender Qualifikation. Laut der IAB-Forschung und der Erkenntnisse der Jobcenter sind viele zum Beispiel körperlich eingeschränkt oder haben psychische Probleme. Andere können als Alleinerziehende wegen der Kinder keine Schichtarbeit machen, sprechen zu wenig Deutsch oder wohnen abgelegen ohne Führerschein und Auto. Viele Leute können daher nicht mal eben einen existenzsichernden Hilfsjob in der Pflege oder in der Gastronomie annehmen und den durchhalten.

Mit dem Bürgergeld soll Aus- und Weiterbildung gefördert werden. Müsste das nicht helfen?

Das Bürgergeld schafft den Vorrang der Vermittlung in Arbeit ab. Wer von den Langzeitarbeitslosen eine Aus- oder Weiterbildung machen will, hat es leichter, diese vom Jobcenter bewilligt zu bekommen. Das ist gut, die Vermittlungshemmnisse aber bleiben. Die Forschung des IAB-Instituts zeigt, dass zum Beispiel fehlende Kinderbetreuung oder gesundheitliche Einschränkungen größere Hindernisse sind als ein fehlender Abschluss. Es müssen also mehrere Bedingungen gegeben sein, dass Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen dauerhaft in Arbeit kommen.

Wer zum ersten Mal Bürgergeld bezieht, bekommt ein Jahr lang die Wohnung finanziert, auch wenn sie teurer ist. Ein Vermögen von 40.000 Euro für einen Alleinstehenden wird in dieser Zeit nicht angerechnet. Hat das in der Praxis eine Bedeutung?

Schon seit der Coronapandemie sind höhere Schonvermögen und höhere Wohnkosten für Hartz-IV-Antragsteller gestattet, und die Zahl der Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen ist in dieser Zeit nicht erheblich gestiegen. Die großzügigere Wohnungskostenübernahme ist zwar wichtig, um Neu­an­trag­stel­le­r:in­nen Ängste zu nehmen, betrifft aber die Mehrheit von ihnen nicht. Zwei Drittel der Hartz-IV-Empfänger:innen sind schon mindestens zwei Jahre in der Sozialleistung. Fast je­de:r sechste Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in zahlt derzeit einen Teil der Miete aus dem Regelsatz, weil das Jobcenter die Miete wegen fehlender Angemessenheit nicht voll übernimmt. Dieses Problem der sogenannten Wohnkostenlücke wurde mit dem Bürgergeldgesetz leider nicht angegangen.

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