Scheinreferenden in der Ostukraine: Putin zündet nächste Stufe

Mit den Scheinreferenden in der Ostukraine bereitet Russland die Annektion der Gebiete vor. Eine weitere Eskalation des Kriegs steht im Raum.

Soldat der sogenannten Volksrepublik Donezk steht in russischer Uniform vor Wahllokal

Sogar zu Hause durfte mit „Ja“ gestimmt werden, wie dieses Bild der russischen Agentur Tass zeigt Foto: Yegor Aleyev/TASS/imago

Man stelle sich einmal vor: am Freitag wird eine Volksabstimmung angekündigt, und schon am Dienstag öffnen die Wahllokale. Eine Meisterleistung: Gerade mal ein verlängertes Wochenende braucht man, um Stimmzettel zu drucken, Wahlhelfer zu finden, Wahlbeobachter anreisen zu lassen, Räumlichkeiten bereitzustellen, die Software zu testen und einzusetzen. Und auch das Ergebnis ist berauschend: fast 100 Prozent stimmen so, wie von den Organisatoren der Abstimmung gewünscht. Bei so viel direkter Demokratie in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten sollten eigentlich alle Demokratien weltweit vor Neid erblassen.

Leider ist die Wirklichkeit eine andere. Für den reibungslosen Ablauf im Sinne der Besatzer sorgten Polizei und russische Nationalgarde. Und die Hast, mit der diese Referenden durchgeführt werden, ist weniger dem Streben nach direkt gelebter Demokratie geschuldet als vielmehr der Angst, bis Anfang November keine Territorien mehr zu haben, in denen man derartige Abstimmungen durchführen könnte. Schließlich waren diese Scheinreferenden zunächst für den 3. November angedacht.

In Kürze wird Russlands Führung die Annexion dieser Regionen an Russland verkünden. Und das bedeutet, dass Russland Angriffe auf diese Gebiete als Angriff auf das eigene Territorium wertet. Dann erlaubt Russlands Militärdoktrin den Einsatz von Nuklearwaffen. Ex-Präsident Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des Russischen Sicherheitsrates, schrieb am Dienstag, sein Land habe das Recht, sich im Zweifel mit Atomwaffen zu verteidigen.

Unwahrscheinlich ist es nicht, dass die russische Führung den Krieg nuklear eskalieren lässt. Mehrfach hat sie den Krieg in unerwarteter Weise eskalieren lassen. Im Februar war eine Ausweitung des Krieges im Donbass befürchtet worden. Einen Krieg gegen die gesamte Ukraine hatte man nicht erwartet. Auch die „Teil“Mobilisierung war in diesem Umfang nicht erwartet worden. Und so ist zu befürchten, dass Russland sich für einen „taktischen“ Nuklearschlag entscheidet, möglicherweise in Form eines erneuten Angriffes auf ein ukrainisches Atomkraftwerk.

Was ist angesichts der Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen zu tun?

Jetzt gilt es, die für ein Bündnis gegen den Einsatz von Atomwaffen zu gewinnen, die von Russland als Partner wahrgenommen werden. Länder wie China, die Türkei, Indien, Kasachstan müssen bewogen werden, ihr Schweigen angesichts eines möglichen Einsatzes von Nuklearwaffen durch Russland zu beenden.

Russland ist es nicht egal, was für ein Image es in der Welt hat. Das zeigt die Freilassung von zum Tode verurteilten Kriegsgefangenen und die Gewährung der russischen Staatsbürgerschaft an Edward Snowden.

Vielleicht könnte man bei der Brennelementefabrik in Lingen anfragen, ob eine weitere Zusammenarbeit mit dem russischen Konzern Rosatom, der diese Fabrik mit angereichertem Uranoxid beliefert, gleichzeitig Atomwaffen mitentwickelt und sich am Überfall auf das Atomkraftwerk Saporischschja beteiligt hat, noch sinnvoll ist.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

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