Ratschläge der Regierung: Softporno statt Panzer
Wie kommen wir gut durch Hitze oder Krieg? Die Regierung erteilt Ratschläge. Dabei sind Ratschläge Softporno für die Mittelschicht und keine Lösung.
M ontagfrüh im Radio: „Wenn Sie merken, dass Ihnen heiß ist, gehen Sie in den Schatten.“ Montagmittag, anderer Sender: „Wenn Sie merken, dass Sie durstig sind, trinken Sie Wasser.“ Montagabend, das Bundesgesundheitsministerium: „Informieren Sie sich vorzeitig über Hitzewellen und stellen Sie sich darauf ein.“ Seit Tagen fühle ich mich wie ein Kleinkind, dem man täglich sagt, dass es die Finger nicht auf die Herdplatte legen soll, weil der Daumen wegschmoren könnte, an dem man so gern rumlutscht.
„Wenn Sie merken, dass Ihnen heiß ist, gehen Sie in den Schatten“ hätte der Titel eines Lieds, Romans oder Films aus den 1990ern sein können, dem Jahrzehnt, in dem die Ironie den Ton beherrschte. Der 99er Hit „Sonnencreme“ von Dieter Brandecker und Baz Luhrmann steht dafür und war eine Komposition aus Ratgebersätzen wie „Benutzen Sie Sonnencreme“, „Machen Sie Dehnübungen“, „Die Hälfte Ihrer Entscheidungen sind vom Zufall bestimmt, und so geht es allen“, „Fummeln Sie nicht so viel an Ihrem Haar rum, sonst sehen Sie mit 40 aus wie 85.“
Die Erzählung von den 90ern als Jahrzehnt der Spaßgesellschaft ist natürlich nur die halbe Wahrheit. „Ratschläge sind eine Art von Nostalgie. Wer sie anbietet, fischt die Vergangenheit aus dem Abfall, wischt sie ab, überpinselt die unansehnlichen Stellen und bringt sie für mehr in Umlauf, als sie eigentlich wert sind“, lautet die vorletzte Zeile aus „Sonnencreme“.
In den 90ern gab es etliche unansehnliche Stellen, die gern überpinselt werden. Unter Deutschen galt es beispielsweise als Spaß, „Ausländer“ zu jagen, unter begeistertem Applaus von Mitdeutschen. Man könnte diese Phase der deutschen Geschichte auch „Volksaufstand“ nennen. Man tut aber so, als habe damals nur ein radikaler Rand getobt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Heute warnt die deutsche Regierung vor „Volksaufständen“ und „sozialen Verwerfungen“ angesichts drohender Gasknappheit. Abgesehen von der billigen Abschreckungstaktik – Achtung, die Deutschen kommen! –, vielleicht hat sie recht. Vielleicht käme es zu einem erneuten deutschen Aufstand, bei dem man fürchten müsste, die ersten Opfer wären „die Ausländer“.
Vielleicht aber ist das auch nur die halbe Wahrheit und unansehnliche Stellen sollen überpinselt werden. Beispielsweise jene, die vom russischen Gas am meisten profitiert haben. Statt einer Untersuchungskommission gibt es Ratschläge: „Tauschen Sie Duschköpfe“, „Schalten Sie den Stand-by-Modus ab“, „Lassen Sie Speisen abkühlen, bevor Sie sie in den Kühlschrank stellen“.
Wo bleibt der Rat: Lassen Sie Ihren beleuchteten Swimmingpool nicht reinigen. Schalten Sie die Beleuchtung Ihrer Zweitvilla nur an, wenn Sie da sind. Prüfen Sie, ob Ihre Erstvilla einen Elektrozaun braucht. So lange sich Ratschläge nicht an Leute richten, die was einsparen könnten, hören sich die Tipps an wie die 90er: Sorgen Sie sich nicht über die Zukunft, gucken Sie lieber den Rosen beim Wachsen zu.
Noch nie waren Ratgeberratschläge die Lösung für strukturelle Probleme. Ratgeberratschläge waren immer nur der Softporno für den säkularen Mittelstandsprotestantismus mit Seelenheilproblemen. Warum also Ratschläge der Regierung befolgen, wenn sie ihr Versprechen, alles zu tun, um Putins Krieg zu beenden, nicht erfüllt? Mein Rat: Schickt ihr erst mal Panzer, dann tausche ich auch meinen Duschkopf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen