Ex-Kanzlerin gesteht kaum Fehler ein: Wohlfühltermin für Merkel

Nach langem Schweigen erklärt sich die Ex-Kanzlerin – auch zu ihrer Russlandpolitik. Das ist interessant, aber frei von Selbstkritik.

Angela Merkel sieht entspannt aus

Kaum Selbstkritik: Angela Merkel am Dienstagabend im Berliner Ensemble Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Am Ende sitzt Angela Merkel an einem kleinen Tisch im großen Salon des Berliner Ensembles, des traditionsreichen Theaters im Ostteil Berlins, und signiert Bücher. „Also falls jemand Lust hat, ich sitze da noch“, so hatte die Bundeskanzlerin a. D. es am Ende ihres Gesprächs mit dem Spiegel-Journalisten Alexander Osang angekündigt.

In den Salon darf nur, wer das schmale Büchlein dabei hat, in dem der Aufbau Verlag gerade drei Reden Merkels veröffentlicht hat. Jene, die Merkel zum Festakt am Tag der deutschen Einheit im vergangenen Jahr gehalten hat, gibt dem Gespräch am Dienstagabend seinen Titel: „Was also ist mein Land?“ Das Buch ist der Anlass zur Veranstaltung, die Schlange vor der Tür des großen Salons ist schnell lang.

Doch für Merkel erfüllt der Abend natürlich eine andere Funktion. Die ehemalige Kanzlerin kann sich und ihr Handeln erklären – und damit der Debatte ihre Sicht der Dinge hinzufügen. Denn es geht ja um nicht weniger als die Deutung ihrer Kanzlerschaft. Und um die Frage: Hat sie im Umgang mit Russland und der Ukraine Fehler gemacht? Hätte sie anders handeln müssen? Und hätte das möglicherweise den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verhindern können?

Ein halbes Jahr lang, seitdem Merkel das Kanzleramt an Olaf Scholz übergeben hat, hat sie sich öffentlich nicht geäußert, obwohl sich die Weltlage dramatisch verändert hat und nicht nur der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ihr eine Mitverantwortung an der Entwicklung zuschreibt. Es ist die erste öffentliche Veranstaltung seitdem, die Veranstaltung ist ausverkauft, der Saal proppenvoll. Phoenix überträgt live.

Harmlose Gespräche über die Ostsee

Doch als Merkel und Osang dann in den zwei großen grauen Sesseln vor der dunkelroten Wand sitzen, die gut zum barocken Plüschambiente im Theatersaal passt, aber weniger zu der doch meist nüchtern auftretenden Merkel in ihrem knallblauen Blazer, fragt der Spiegel-Autor erst einmal, wie es ihr gehe. „Heute geht es mir persönlich sehr gut“, sagt die ehemalige Kanzlerin.

Die beiden sprechen über die Ostsee, wo sie sich auskennt und die Leute so schön schweigsam sind, über fehlende Bewegung und Hörbücher, die Merkel für sich entdeckt hat. Sie berichtet von ihrem Vertrauen in die neue Regierung und ihrer Lektüre von Macbeth.

Das ist alles sympathisch, unterhaltsam und munter – Osang, Ostdeutscher wie die Ex-Kanzlerin, liefert ihr Vorlagen, bei denen sie ihren feinen Witz in Kurzpointen gut ausspielen kann. Wenn sie lese, so Merkel etwa, sie mache jetzt nur noch Wohlfühltermine: „Da sage ich – ja.“ Da lacht der Saal und klatscht, die Sympathien scheinen hier mehrheitlich ohnehin auf Merkels Seite zu sein.

Doch das Problem: Auch im zweiten Teil, als es dann um Russland, den Krieg in der Ukraine und ihre Politik als Kanzlerin geht, bleibt das insgesamt anderthalbstündige Gespräch für Merkel ein Wohlfühltermin. Auf Selbstkritik oder zumindest das öffentliche Hinterfragen alter Positionen wartet man trotz der dramatischen Lage in der Ukraine vergeblich, auf kritisches Nachhaken Osangs auch. „Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde mich deshalb auch nicht entschuldigen“, sagt die Ex-Kanzlerin. Da geht sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier selbstkritischer mit sich um.

Vier Fragen von Melnyk

Merkels Urteil über den Krieg aber ist klar: „Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt.“ Verständnis für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hat sie nicht. Lange sei ihr klar gewesen, wie dieser tickt. Schon 2007 in Sotschi, „bei dem berühmten Besuch mit dem Hund“, habe er ihr gesagt, dass der Zerfall der Sowjetunion für ihn die schlimmste Entwicklung des 20. Jahrhunderts gewesen sei. „Für mich war das der Glücksumstand meines Lebens“, habe sie geantwortet. Dieser Dissens habe sich fortgesetzt, der Kalte Krieg sei letztlich nicht beendet worden. Es sei auch nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, um den Krieg in der Ukraine zu verhindern – was „keine Rechtfertigung“ sein solle.

Sie sei „nicht blauäugig oder so“ gewesen, sagt die ehemalige Kanzlerin über sich selbst. „Putins Hass, Putins – ja, man muss sagen – Feindschaft geht gegen das westliche demokratische Modell“, das habe sie klar gesehen. Und sie habe gewarnt: „Ihr wisst, dass er Europa zerstören will. Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur Nato sieht.“

Nur warum sie trotzdem all die Jahre auf Verständigung mit Putin setzte, diesen Widerspruch löst Merkel nicht auf. Trotz all dieser destruktiven Kraft, die ihr nach eigenen Angaben glasklar gewesen sei, verteidigt sie entschlossen ihre Politik. Etwa dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien stark gemacht hat. Sie sei sicher gewesen, dass Putin den Beschluss des Membership Action Plans für die beiden Länder nicht einfach hingenommen hätte. „Ich wollte das nicht weiter provozieren.“ Andernfalls hätte Putin schon damals einen „Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“, so aber habe das Land Zeit gewonnen. Die Ukraine sei damals demokratisch instabil und „von Oligarchen beherrscht“ gewesen.

Der ukrainische Botschafter hatte Osang, wie dieser berichtet, vier Fragen an Merkel geschickt. Die Frage nach der Mitschuld ihrer „Appeasementpolitik“ am Krieg, wie Melnyk es nennt, gibt Osang jetzt weiter an die ehemalige Kanzlerin. „Das ist nicht meine Meinung“, antwortet sie knapp. Sie betont lieber, dass sie ausreichend versucht habe, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. „Ich bin froh, dass ich mir nicht vorwerfen muss, zu wenig versucht zu haben.“ Diplomatie sei ja nicht falsch, wenn sie nicht gelinge.

Eine Zäsur sei die Annexion der Krim 2014 gewesen, so die ehemalige Kanzlerin. Ihrer Meinung nach hätten die Sanktionen härter sein können. Dass die Bundesregierung danach trotzdem weiter an dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 festhielt, dazu sagt Merkel nichts – und dazu wird sie auch nicht kritisch befragt. Stattdessen kann sie ihren Ärger kundtun, dass die US-Regierung deutsche Unternehmen wegen des Pipelinebaus sanktioniert hätte.

Die Abhängigkeit von billigem, russischem Öl und Gas und seine Bedeutung für die deutsche Wirtschaft? Sind an diesem Abend kein Thema. Nicht nur an dieser Stelle hätte man sich einen kritischeren und klareren, dazu weniger eitlen Frager gewünscht. Aber dann wäre es ja keine Wohlfühlveranstaltung mehr gewesen.

Aktualisiert am 08.06.2022 um 15:30 Uhr. d. R.

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