Über Verantwortung und Alter: Ausreden für das Patriarchat

Mädchen seien Jungs um mindestens zwei Jahre voraus – heißt es. Auf diese pauschale Aussage stützt sich unsere Gesellschaft – und das Patriarchat.

Schüler und Schülerinnen sitzen an runden Tischen und bearbeiten Schulaufgaben

Oftmals hinterfragt man als Schü­le­r*in­ nicht, was Lehrende von sich geben Foto: Monkey Business/imago

„Mädchen sind Jungs um mindestens zwei Jahre voraus.“ Ich weiß nicht mehr, in welcher Situation unser damaliger Lehrer diesen Satz zu uns gesagt hat, ich weiß nur, dass es nicht darum ging, uns Mädchen ein Kompliment zu machen, sondern das Verhalten der Burschen zu entschuldigen. Wir nahmen das trotzdem alle als Fakt hin, so wie man oft nicht hinterfragt, was Leh­re­r*in­nen sagen – sie werden es schon wissen. Die logische Konsequenz daraus war, dass wir es schon mit dreizehn normal fanden, von älteren Jungs angesprochen zu werden, die waren uns doch auf Augenhöhe – so wurde uns das zumindest von der Pubertät an suggeriert.

Es ist gesellschaftlich völlig akzeptiert, dass Männer mit jüngeren Frauen zusammen sind. Niemand fragt sich zum Beispiel, wieso die Liebschaften von Mats Hummels zehn Jahre jünger sind als er, es geht bloß darum, ob die Frauen sich untereinander bekriegen. Beim Gerichtsstreit zwischen Johnny Depp und Amber Heard scheint das Internet mehrheitlich der Meinung zu sein, sie hätte seine Naivität ausgenutzt. Welche Naivität? Der Mann ist 22 Jahre älter.

Mädchen sind Jungen laut einer Studie im Klein­kind­alter zwar wirklich voraus, sie können früher alleine auf die Toilette gehen und sind in ihren sozialen Fähigkeiten weiter, aber das verläuft sich irgendwann. Trotzdem benutzen das Männer als Rechtfertigung, um jüngeren Frauen einzureden, sie seien „reif für ihr Alter“, was meistens heißt, sie hätten einfach noch keine ausgebildete Meinung und seien somit leichter zu manipulieren.

Als ich selbst anfing, mit jungen Menschen zu arbeiten, begann ich zu verstehen, wie gefährlich dieses Konzept ist und dass es oft auch Machtmissbrauch begünstigt. Mädchen wird eingeredet, dass sie „weiter“ sind, um ihre angebliche Reife für die Aufrechterhaltung des Patriarchats zu benutzen. Entweder indem ihnen Sorgearbeit aufgebürdet wird, weil Jungen ja nicht so weit wären, diese anspruchsvolle Arbeit zu übernehmen, oder indem ein ungleiches Machtverhältnis in Beziehungen mit älteren Männern normalisiert wird.

Als ich Lehramt studierte, wurden die männlichen Studierenden in einer Lehrveranstaltung vor Schülerinnen gewarnt, die sich in sie verlieben würden. Dabei waren es manche der gleichaltrigen Kollegen, die sich darüber unterhielten, wie sie sich bei dem Aussehen der Mädchen aus der Oberstufe zusammenreißen müssten. Dazu gab es keine Lehrveranstaltung. Ich habe sogar ein Seminar für Jung­leh­re­r*in­nen bei einem Pädagogen besucht, der laut Gerüchten in einer Beziehung mit seiner ehemaligen Abiturientin war.

Das ist ein Extrembeispiel und trotzdem ist es in unserer Gesellschaft schon so akzeptiert, dass Männer mit Frauen, selbst wenn sie eigentlich noch Mädchen sind, Beziehungen eingehen, dass wir oft gar glauben, es seien Frauen, die ältere Männer wollen, und nicht die Männer, die junge Frauen suchen. Wir müssen endlich aufhören, Mädchen zu erzählen, sie seien reif für ihr Alter, und Männer damit aus der Verantwortung zu nehmen.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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