Das Ende von „Nachsitzen“: Über das Dasein als Kolumnistin
Kolumnist*innen werden als Aushängeschild des Mediums wahrgenommen. Gleichzeitig bekommen sie in der Regel aber wenig Lohn und Schutz.
Bitte nicht bei mir beschweren, wenn euch was beim Spiegel nicht passt. Ich hab da nix zu melden, also ich bin da nur freie Autorin und das ist in der Hierarchie auch nur knapp über Leserbriefschreiber“, twitterte die Autorin und Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski einmal.
Kolumnist*innen sind in der Regel nicht bei dem Medium angestellt, für das sie schreiben, sie genießen also keine positiven Aspekte eines Anstellungsverhältnisses, keine Sicherheit, keinen Schutz und müssen auch im Urlaub liefern. Gleichzeitig werden sie von Leser*innen als das Aushängeschild des Mediums wahrgenommen, denn im Gegensatz zu den Berichten, Reportagen und Interviews der anderen Redakteur*innen, ist neben ihrem Text ihr Foto abgebildet und die Kolumnist*innen vertreten meist kontroverse Meinungen, die in Erinnerung bleiben und für die sich die anderen Journalist*innen zu objektiv halten, obwohl sie natürlich genauso starke Meinungen haben, die nur subtiler einfließen lassen, wie in der Wahl ihrer Interview-Partner*innen oder Themen.
Kolumnist*innen werden eher schlecht bezahlt und kriegen ziemlich viel Hass ab. Die Redaktionen profitieren von den Klicks, die ihnen die starken Meinungsstücke bringen, können sich im Ernstfall aber gleichzeitig von den Kolumnist*innen distanzieren. Weil Kolumnist*innen immer in denselben regelmäßigen Abständen einen neuen, innovativen Text und Take liefern müssen, werden sie oft persönlich. Dieser Drang, in regelmäßigen Abständen und innerhalb der immer gleichen Zeichenanzahl stets etwas Neues bringen zu müssen, verleitet manche dazu, polemisch und verallgemeinernd zu werden – nicht selten zulasten marginalisierter Gruppen.
Die meisten schreiben Kolumnen aus Existenzgründen
Ich wage aus Mangel an neuen Ideen jetzt auch einmal eine steile These zulasten einer von manchen mittlerweile als marginalisiert angesehenen Gruppe: Nur weiße, wohlhabende Männer schreiben eine Kolumne des Prestiges wegen, der Rest macht es aus Existenzgründen. Viele Kolumnist*innen sind Freiberufler*innen, die von regelmäßigen Honoraren abhängig sind.
Ich habe an dieser Stelle fast drei Jahre lang jede dritte Woche und gleichzeitig für eine österreichische Wochenzeitung jede Woche eine Kolumne geschrieben. Ich musste also nicht nur darauf achten, Themen von anderen nicht wiederzukäuen, sondern auch meine eigenen nicht. Ich weiß schon, ich spreche gerade aus einer sehr privilegierten Situation heraus und gerade als Arbeiter*innenkind konnte ich mein Glück lange nicht fassen, nicht so schuften zu müssen wie meine Eltern und ein Publikum zu haben, das sich für meine Worte interessiert.
Aber um welchen Preis? Möchte ich wirklich ständig Meinung von mir preisgeben, die für immer im Internet bleibt, selbst wenn ich sie mal ändern sollte und somit nicht mehr mir gehört? Für mich zahlt sich das nicht mehr aus. Danke fürs Lesen – machen Sie es gut.
Leser*innenkommentare
Deep South
Kolumnen und Kommentare sind so lange die Kirsche auf der Torte, solange sie eben die Berichterstattung und die Recherche ergänzen.
Manchmal hab ich hier aber das Gefühl, dass sie dominieren. Ehrlich gesagt, les ich aber lieber Fakten als Meinung. Vor allem, wenn ich schon vorher -vom Aufhänger unabhängig- ziemlich genau weiß, welche Meinung mich im Text erwatet.
Die taz hat mich seit etlichen Jahren auf ihrer Seite, durch ihre intensiven, investigativen Recherchen über rechte Strukturen und Netzwerke. Und durch die Idee, Themen durch verschiedene Artikel aus unterschiedlichen Winkeln, von verschoedenen Autoren zu beleuchten, ohne dabei beliebig zu werden. Auch wenn das m.M.n. früher besser funktioniert hat.
Das find ich wesentlich interessanter, als viele Kolumnen, die sich vordergründig in erster Linie mit persönlichen Ansichten und Anektoden beschäftigen und sich dabei oftmals in sich selbst ergehen und dabei auch in selbst verlieren.
Schollescholle
Ich wollte auch noch ausführlicher kommentieren, aber Ruediger hat das schon prima formuliert.
Kolumnen und Kommentare sollten meiner Meinung nach seltener und deutlicher markiert im Journalismus auftauchen, da sie für mich keine Nachrichten darstellen, ich aber während des Anklickens der Schlagzeile
oft übersehe, welche Art von Text ich da gerade lese.
Das es sich bei Kolumnen um eine preisgünstige Methode handelt eine Zeitung zu füllen habe ich unterschätzt.
85198 (Profil gelöscht)
Gast
Herzlichen Glückwunsch zu ihrer Entscheidung.
Ich muss @Ruediger zustimmen. Ich lese die taz trotz ihrer Kolumnen, nicht deswegen.
Wie wäre folgendes:
Die taz hat doch jede Menge Leser:innen, die im Kommentarbereich beweisen, dass sie wohlgeformte deutsche Sätze formulieren können und und das, ohne ausfallend oder allzu verallgemeinernd zu werden.
Warum also nicht eine Leser:innenkolumne, die ihnen die Möglichkeit gibt, einmal selbst ein Thema ihrer Wahl an exponierter Stelle zu verhandeln? Wenn dies manchmal etwas polemischer geschieht, dann ist zumindest die Distanz zur Redaktion glaubwürdiger. Denn es ist dann zumindest nicht immer wieder ein und dieselbe Polemik, die immer wieder neu formuliert veröffentlicht wird (taz-Leser:innen kennen das).
Für Journalist:innen, deren Stärke doch nicht die Polemik, sondern Recherche, Analyse und das Denken in Zusammenhängen sein sollte, von denen erwartet, dass sie in Interviews die wichtigen Fragen stellen und die Themen sinnvoll zu gewichten, ist eine Kolumne doch verschenkte Zeit, die für eine dubiose Aufmerksamkeitsökonomie aufgewendet wird.
Dann lieber das Essay, da ist wenigstens der Platz für gründliches Denken gegeben.
Volker Scheunert
Liebe Melisa Erkurt,
ueber viele Ihrer Texte hab ich mich gefreut, ueber manche auch geaergert. Auf jeden Fall werde ich Sie und Ihre Kolumne vermissen. Vielen Dank und alles Gute weiterhin fuer Sie - und vielleicht gibt es ja doch noch mal den einen oder anderen Artikel von Ihnen in der taz.
Kaffka
Vielleicht sollte man die Kolumnen mehr nutzen um Informationen zu geben und nicht nur zum polemisieren.
Ruediger
Ich nehme die Kolumnen nicht als Aushängeschild der Tat, im Gegenteil, ich finde, sie ziehen das Niveau herunter. Sie sind meist extrem subjektiv, die Autoren verfügen über kein besonderes Fachwissen und es scheint keine Recherchetätigkeit über die eigenen Gedanken hinaus zu geben. Der Wissensgewinn für den Leser tendiert gegen Null. Dafür sind sie um so Meinungsstarker, oft provokativ. Nichts gegen einen guten Kommentar, auch dan, wenn er zum Widerspruch anregt, aber das wollen diese Kolumnen ja gar nicht sein, es wird meist nicht argumentiert oder belegt, sondern behauptet, offensichtliche Gegenargumente wird nicht antizipiert, soweit Menschen erwähnt werden, die anderer Ansicht sind, passiert dies oft in Form eines persönlichen Angriffs. Ich könnte auf die Kolumnen in der taz gut verzichten, ich glaube, das würde der taz gut tun. Es gibt für die Kolumnisten sicher andere Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die allerdings vielleicht nicht so bequem sind, wie vom Laptop aus irgendwelche provokativen Thesen in die Welt zu werfen.
Davy Jones
Und nun? Ich lese Erkurt sehr gerne. Wie geht's weiter?
Lars B.
"...verleitet manche dazu, polemisch und verallgemeinernd zu werden."
Das ist der Grund weshalb ich einige Kolumnen, hier und auch anderen Ortes, nicht mehr lesen mag.
" Möchte ich wirklich ständig Meinung von mir preisgeben, die für immer im Internet bleibt, selbst wenn ich sie mal ändern sollte und somit nicht mehr mir gehört? Für mich zahlt sich das nicht mehr aus."
Deshalb: Augen auf bei der Berufwahl.
"Danke fürs Lesen – machen Sie es gut."
Gern geschehen. Viel Spaß und Erfolg für Ihre Zukunft. Hoffentlich lese ich bald wieder von Ihnen.
Andy Krisst
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