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Ukraine-Krieg als ZäsurZeitenwende

Gastkommentar von Marcus Welsch

Die politische Kernschmelze in Moskau ist ein tiefgreifender Einschnitt. Eine veränderte Ostpolitik war seit Jahren überfällig.

Man hat sich von ihm täuschen lassen: Für Wladimir Putin wurde in Berlin im Juni 2012 der rote Teppich ausgerollt Foto: Tobias Schwarz/reuters

S eit Russlands Präsident Wladimir Putin am Montag die Maske fallen ließ, war klar: Der Krieg ist nicht mehr aufzuhalten. Man hat sich systematisch täuschen lassen. Den Mahnern, die seit Jahren für eine Kehrtwende in der Ostpolitik kämpften, gab man keine Chance. Entspannung first. Bloß keinen Konflikt mit Russland. Jetzt ist nicht nur die europäische Friedensordnung Geschichte. Der Krieg in der Ukraine wird alles auf den Kopf stellen.

Unabhängig von dem Albtraum, der nicht nur die Ukraine betreffen wird, bleibt die Frage, warum eine effektivere Strategie gegen Putins Eskalationsdominanz nie eine Chance bekommen hat. Spätestens seit Putins Geschichtsessay im Juni 2021 warnen Experten vor seiner zerstörerischen Ukraine-Politik. In jenem Text zog der russische Präsident offen die Eigenstaatlichkeit der Ukraine in Zweifel und subsumierte sie zusammen mit Belarus unter das Dach Russlands.

Der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel hat auf die fatale Verbindung politischer und historischer Ziele des Kremls hingewiesen: „Auf Basis dieser – nicht akzeptablen und falschen – Interpretation der Geschichte könnte er versuchen, Annexionen zu legitimieren. Putin könnte dabei in einem Geschichtsverständnis gefangen sein, in dem er einen möglichen Krieg gegen die Ukraine als interne Angelegenheit betrachtet.“

Marcus Welsch

hat Geschichte, Philosophie und Literatur studiert und arbeitet als Dokumentarfilmregisseur. Für ein Filmprojekt über ukrainische Literaten war er regelmäßig in der Ukraine und dem Donbass. Zuletzt drehte er den Film „Der Chronist“ über die Aussöhnung mit NS-Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern in der Ukraine und Polen.

Reihenweise ist man auf Russlands Behauptung hereingefallen, es ginge nur um die Osterweiterung der Nato sowie den Beitritt der Ukraine. Es ging Putin um mehr. Seit 2014 stand die Angst des russischen Präsidenten vor demokratischen Prozessen im Raum, wie der estnische Sicherheits­experte Kalev Stoicescu betonte: „Russland möchte sich, wie im Kalten Krieg, mit nichtdemokratischen Ländern oder Ländern umgeben, die es unter Kontrolle hat.“ Die Ukraine spielt im Transformationsprozess der postsowjetischen Länder eine Sonderrolle.

Psychologische Kriegsführung gegen die Ukraine

Neben den baltischen Ländern ist sie das Land, das sich am ehesten zu einer demokratischen Struktur und dem Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen verpflichtet hat. In Russland fragen sich die Bürger, warum ihnen solche Errungenschaften vorenthalten werden. Putin konnte eine erfolgreiche Ukraine nicht dulden. Es ist ein Manko der deutschen Öffentlichkeit, dass die hybride Kriegsführung mit Hackerangriffen und gezielten Desinformationskampagnen über Jahre nicht recht ernst genommen wurde.

Die psychologische Kriegsführung gegen die Ukraine mit anonymen Bombendrohungen gegen Schulen nahm kontinuierlich zu. Über 1.000 Schulen wurden im letzten Jahr systematisch im ganzen Land bedroht. Aber auch aus dem Hacker-Angriff auf den Deutschen Bundestag zog man keine klaren Konsequenzen. Hinter dem Mantra, Diplomatie sei besser als Krieg, verbarg sich von Anfang an eine Unentschlossenheit. Die Debatte um Waffenlieferungen hatte etwas Hilfloses. Der Bezug zur Geschichte Deutschlands, um die hartnäckige Weigerung der Bundesregierung zu begründen, war von Anfang an eine feige Ausrede.

Unsere Nachbarn rieben sich die Augen. Erst hatte man im Zweiten Weltkrieg die Ukraine zerstört, Millio­nen Zwangsarbeiter versklavt, und jetzt schaut man zu, wie sich erneut die Friedhöfe füllen. Ein polnischer Witz sagt, dass die Deutschen, wenn es ernst wird, lieber eine Kerze ins Fenster stellen, als ernsthaft am Überleben beziehungsweise der Verteidigung der Opfer interessiert zu sein. Das Grundproblem ist aber ein anderes. Seit Jahren hat man sich von Seiten der Bundesregierung gescheut, wirkungsvollere Hebel in die Hand zu nehmen.

Zu lange hat die Große Koalition auf ein fortgesetztes Konzept der Einhegung Russlands gesetzt und den wirtschaftlichen Profit im Russlandgeschäft nicht gefährden wollen. Diese Politik gilt seit Langem als gescheitert. Die mühselige und im Ausland nicht nachvollziehbare Debatte um Nord Stream 2 war blamabel. Die bequeme deutsche Äquidistanz zu den Konfliktparteien sowie das Primat der Wirtschaftsinteressen kam als Zeichen der Unterstützung Moskaus an.

Knackpunkt in Europa: Mittelstreckenraketen

Containment und Kooperation ist immer die Basis gelingender Sicherheitspolitik. Was die Kooperation betrifft, hätte es tatsächlich viel zu verhandeln gegeben. Wenig Aufmerksamkeit bekamen beispielsweise die Wiener Dokumente, deren Schlupflöcher den Missbrauch von Großmanövern erlaubten. Die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen Russlands westlich des Urals bleibt ungeklärt. Nicht zuletzt mit Blick auf die Jahre nach der Amtszeit Joe Bidens könnte dies noch ein Knackpunkt in Europa werden.

Schon jetzt stehen russische Nuklearraketen mit Reichweiten bis Warschau und Berlin (und vermutlich auch Paris) in Kaliningrad an der Ostsee. Auch innerhalb der EU gab es Klärungsbedarf, worauf der Osteuropa-Experte Wilfried Jilge seit Langem hinweist: Es gibt keine Antwort auf das russische Dominanzstreben im Schwarzen Meer. Ein besseres Containment kommt zu spät. Dabei geht es nicht nur um Verteidigungsfragen. Über Jahre wollte man keine effizienteren Sanktionen in Deutschland und der EU beschließen.

Das Mantra der Diplomatie ohne Vorbedingungen war die Blaupause, auf der Putin seine Planung ausbauen konnte. Man hat nicht auf die gehört, die stärkere Druckmittel in Verbindung mit Diplomatie gefordert haben. Gewaltakte und Missachtungen ohne Sanktionen ermutigen Wiederholungstäter. Die Sanktionsschraube hätte fester gedreht werden müssen nach einer wirkungsvollen Phase 2015. Sanktionen haben sehr wohl ihre Wirkung, wie der Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Janis Kluge, immer wieder erklärte.

Und man hat die russischen Okkupationen in Transnistrien und Abchasien nicht in einem Grundmuster mit der Ukraine sehen wollen. Welche weitreichenden Konsequenzen der Krieg in der Ukraine haben wird, ist unabsehbar. Aber es ist klar, dass wie 2001 längst eine Zeitenwende stattgefunden hat. Wir haben sie bloß nicht rechtzeitig wahrhaben wollen.

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38 Kommentare

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  • Krieg als ,,Antimodernisierungsvehikel":



    www.dekoder.org/de...tzen-putin-analyse

  • Es ist wohlfeil & falsch, jetzt martialische Reden zu schwingen. Die Erzählung der europäischen Bemühungen um eine friedliche Lösung nun naiv oder blind zu schelten, belegt nur die fortgesetzte Weigerung, den eigenen blinden Fleck zu sehen. Und der blinde Fleck ist nun einmal der, dass die schiere Existenz der NATO es unmöglich macht, Russland militärisch entgegenzutreten, ohne sofort eine apokalyptische Eskalationdynamik zu starten. Genau genommen gab es von Anfang an nur zwei Alternativen: Die Ukraine tatsächlich & sofort in die NATO aufzunehmen & zu hoffen, das Russland das zähneknirschend akzeptiert & nicht den letzten Weltkrieg beginnt.Oder eben umgekehrt zu akzeptieren, dass Russland bestimmt, was jedenfalls militärisch auf dem Gebiet der Ukraine passiert. Statt dessen hat man der Ukraine Wafffe verkauft, NATO-Manöver abgehalten & die Zukunft unbestimmt gehalten. Und nun, da Russland das tut, was zu erwarten war - ohne deshalb irgendwie gerechtfertigt oder richtig zu sein -, muss die Ukraine aber alleine kämpfen, was gleichbedeutend ist mit verloren sein. Das ist auch ein falsches Spiel gewesen. Weil aber niemand bereit gewesen wäre, das Risiko einer NATO-AUfnahme der Ukraine einzugehen, haben all jene, die sich in der Folge um eine diplomatische Lösung bemüht haben, völlig richtig gehandelt, denn eine andere "harte" Haltung gegen Russland war zu keinem Zeitpunkt möglich oder denkbar.

    • @JulianM:

      Das Dilemma einer nuklearen Eskalation würde bei einem Angriff auf ein bestehendes NATO-Mitglied aber doch genauso gelten. Und Putin dürfte nun ziemlich klar sein, dass er nur mit dem Atomkoffer winken muss damit sich die Bündnispartner ggf. überlegen ob sie lieber zB Polen oder doch lieber die eigene Haut retten wollen.

      • @Ingo Bernable:

        Tja, wie ich schon sagte: Die NATO ist das Problem. Sie funktioniert gar nicht, wie behauptet wird. Aber das gehört zu den bestgeschützten Lügen des Westens, die auch von vielen, die sich für "links" halten, mit aller Gewalt verteidigt werden.

        • @JulianM:

          Die Nato ist überhaupt kein Problem, nichtmal eines für Putin, auch wenn dieser notorische Lügner - was will man sonst von einem Geheimdienstler erwarten - das ständig wiederholt.

          Putins Problem ist, dass er bei freien Wahlen nicht gewählt werden würde, deshalb bleibt ihm nur die Repression. Und die Hoffnung das wiederaufkommende Murren im eigenen Lande mit nationalem Pathos hinwegzuspühlen hat ihn dazu bewogen in die Ukraine einzumarschieren.

          Die ganzen Reden und Rationalisierungen, die er da zur Geschichte von sich gibt, kann man getrost als Geheimdienstmärchen in der Pfeife rauchen.

          Freiheit für die Ukraine und für Russland!

          Nieder mit Putin!

  • Die Ukraine hat ihre Amtomwaffen an Russland abgetreten und bekam dafür von Russland ihre Existenz garantiert.

    Helmut Schmidt hatte zur Abwehr russischer Mittelstrecken-Atomraketen in Deutschland Pershings aufstellen lassen.

    Der INF-Vertrag über den Vernichtung der nuklearen Mittelstreckenraketen ist gescheitert (Putin, Trump). In Kaliningrad stehen russische Mittelstreckenrakten. Die Pershings sind verschrottet.

    Putin kündigt Schläge mit Atomwaffen an, wenn jemand der Ukraine zu Hilfe kommen sollte. In Deutschland wird über diese Drohung diskutiert. Eine Drohung, die einmal Wirkung gezeigt hat, wird bei Bedarf wiederholt.

    Schloz hatte Putin in der Pressekonferenz beim Thema Natobeitritt der Ukraine vorgeführt. Der Zuschauer konnte schmunzeln. Mit dem Schmunzeln ist es vorbei.

    Herfried Münkler, "Putin selbst hat am Mittwoch dem Westen offen mit einem Atomkrieg gedroht. Wer in dieser Frage zurückschreckt, der wird solche Spiele verlieren."

  • 25.09.2001 ...

    putin spricht im deutschen bundestag.



    stehende ovationen.

    und ?



    wurden die angebote putins wirklich angenommen ?

    • @adagiobarber:

      Die besonderen deutsch-russischen Beziehungen wurden angenommen.

      Davon kann Schröder ein Lied singen.

      Das einheitliche Großeuropa wollte nur leider niemand so richtig.

      Klang vielleicht zu sehr nach einer Mischung aus Großdeutschland und Sowjetreich?

      • @rero:

        Putin hätte nur einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU und/oder in der Nato stellen müssen und dann sein Land entsprechend demokratisieren, alle wären glücklich gewesen, vor allem die Russen!

  • Ähnliches findet jeden Tag statt, wir haben uns nur daran gewöhnt und beachten es nicht.

    Als in Afrika eine Million niedergemetzelt wurden, hat kein Mensch eingegriffen. Kaum einer hat sich empört, Betroffenheit hat genügt.

    Beim Drohnenkrieg spielen weder Staatsgrenzen noch das Völkerrecht eine Rolle, keine Reaktion der Staaten, der Presse, der UN. Kein Eingreifen.

    Am Amazonas wurden ganze Dorfgemeinschaften niedergeschossen. Keine großen Worte, ultimative Sanktionen. Ist halt so.

    Es wäre wünschenswert, wenn man bei Ereignissen gleiche Reaktion zeigen würde. Sonst verliert man seine Glaubwürdigkeit.

    Aber Glaubwürdigkeit scheint heute kaum einer noch zu benötigen.

    • @Linksman:

      Naja, nach dem was da in 3 kurzen Tagen so alles an Sanktionen beschlossen und auch gleich umgesetzt wurde, glaube ich nicht, dass es dem Westen an Glaubwürdigkeit fehlt. Das was angekündigt war wurde umgesetzt - und es wird mehr kommen wenn Putin nicht einlenkt. Ganz im Gegensatz zu Putins Lügen: Wir machen nur ein Manöver.... da fehlt die Glaubwürdigkeit inzwischen völlig.

    • @Linksman:

      Also soll man Putin einfach gewähren lassen weil man seine Glaubwürdigkeit eh schon in diversen anderen Konflikten verloren hat? Mir sind diese ständigen Relativierungen absolut unbegreiflich. Putins Aggressionen entschlossen entgegenzutreten wird doch nicht dadurch weniger richtig und notwendig weil wir es etwa versäumt haben deutsche Soldat*innen nach Syrien oder Tigray zu schicken damit sie sich dort zwischen die Fronten stellen. Warum also sollte es besser sein seine Werte und Prinzipien mit der Ukraine ein weiteres Mal zu verraten?

  • "Reihenweise ist man auf Russlands Behauptung hereingefallen, es ginge nur um die Osterweiterung der Nato sowie den Beitritt der Ukraine."

    "Man" hat Namen, Adressen, und leider noch nicht gesperrte Nummernkonten in der Schweiz. (Übrigens ein weiterer Fall, wo internationale Sanktionen mehr als nur überfällig sind.)

  • Vor ziemlich auf den Tag genau 75 Jahren verkündete der damalige US-Präsident Harry Truman die nach ihm benannte Doktrin. Allen berechtigten Unkenrufen Richtung Washington zum trotz sollte man den Text mal wieder ausgraben: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte muss fast jede Nation zwischen alternativen Lebensformen wählen. Nur zu oft ist diese Wahl nicht frei. Die eine Lebensform gründet sich auf den Willen der Mehrheit und ist gekennzeichnet durch freie Institutionen, repräsentative Regierungsform, freie Wahlen, Garantien für die persönliche Freiheit, Rede- und Religionsfreiheit und Freiheit von politischer Unterdrückung. Die andere Lebensform gründet sich auf den Willen einer Minderheit, den diese der Mehrheit gewaltsam aufzwingt. Sie stützt sich auf Terror und Unterdrückung, auf die Zensur von Presse und Rundfunk, auf manipulierte Wahlen und auf den Entzug der persönlichen Freiheiten. Ich glaube, es muss die Politik der Vereinigten Staaten sein, freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen. Ich glaube, wir müssen allen freien Völkern helfen, damit sie ihre Geschicke auf ihre Weise selbst bestimmen können. Unter einem solchen Beistand verstehe ich vor allem wirtschaftliche und finanzielle Hilfe, die die Grundlage für wirtschaftliche Stabilität und geordnete politische Verhältnisse bildet." Hätte, hätte, Fahrradkette, aber spätestens jetzt sollten sich die Verantwortlichen mal die vergilbten Zeitungen aus dem Kalten Krieg aus den Archiven kommen lassen, als man ohne russisches Gas und chinesische Container zurechtkommen musste und die Vorhänge noch eisern waren; Boris Johnson kann auch die olle Elisabeth fragen.

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Zwei Fragen:



    1. Kommen US und UK Waffenlieferungen and die Ukraine einer NAT-Intervention gleich?



    2. Warum ist Russland nicht in der NATO?

  • Da kommt mir das Stück "Biedermann und die Brandstifter" in den Sinn. In diesem Fall hieße es wohl Biedermänner und der Brandstifter.



    Es fällt mir schwer zu glauben, dass keiner der politisch Verantwortlichen in Europa (außer im Baltikum und Polen) in den vergangenen Jahren begriffen hat, dass Putin gefährlich ist. Business first, dazu ein paar Solidaritätserklärungen für die Ukraine, "schärfste" Verurteilungen, Betroffenheit. Auf welche Situation wartet Herr Scholz, die den Ausschluss Russlands von SWIFT rechtfertigen würde? Russische Panzer vor dem Bundeskanzleramt?

  • Finlandisierung als Lösung?

    Bei der Invasion des souveränem Uno-Mitgliedstaates Ukraine handelt es sich um eine Verletzung der UNO-Charta Art. 2,4. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Da steht der Kreml zu Recht am Pranger, zum Entsetzen all jener, die Rußland in der historischen Rolle als gleichgewichtigen Gegenpol zum machtpolitisch-ideologischen Expansionismus unter den Auspizien des PNAC der Neo-Cons sehen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, diesen bellizistischen Akt anders zu beurteilen als die mehr oder weniger US-inspirierten und unterstützten, wenn nicht eigenständig exekutierten Aggressionen (unter welchem Kostüm auch immer) gegen Granada (1983), Panama (1989), Irak (1991, 2003), Serbien (1999), Afghanistan (2001), Libyen und Syrien (2011) oder Jemen (seit 2015).

    Die geopolitischen Konsequenzen dieser Invasion sind nicht eindeutig absehbar. Sie können ebensogut zu einer politischen Konsolidierung des transatlantisch-okzidentalen Mächteblocks führen, die unterschwelligen zentrifugalen Kräfte bannend, wie umgekehrt zum Umdenken in der Rußlandpolitik, so wie die Machtprojektionen des Kremls 1961 in Berlin, 1962 in Kuba und 1968 in der CSSR zu einem solchen Umdenken in Gestalt der von Washington gebilligten und von Willy Brand initiierten Neuen Ostpolitik geführt hatten. Das Ergebnis dieses Umdenkens könnte eine „Finlandisierung“ (H. Münkler) der Ukraine sein, etwa in Gestalt eines von der UNO garantierten Neutralitätsvertrages nach dem Vorbild des Staatsvertrages mit Österreich 1954.

    Rußland, die zweitgrößte Atommacht, manu militari in die Knie zwingen zu wollen, käme einem Geo-Genozid gleich. Davor war 1962 schon Kennedy in der Kuba-Krise zurückgeschreckt und hatte seine bellizistischen Heißsporne im militärischen Establishment in die Schranken gewiesen. Dafür hätte er mehr als jeder andere seitdem den Friedensnobelpreis verdient. Der Kompromiß bestand darin, die legitimen Sicherheitsinteressen der UdSSR zu respektieren.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Korr.:



      Statt "Finlandisierung" lies "Finnlandisierung". Sorry

      • @Reinhardt Gutsche:

        Hören Sie denn von irgendjemandem, der auf die Idee kommt, Russland "in die Knie zwingen" wollen?

        Ist Ihnen der implizite Witz bei Ihrem Finnlandisierungsvorschlag bewusst?

        Finnland und Schweden denken angesichts der aktuellen Lage darüber nach, der NATO beizutreten.

        Selbst die Finnen wollen ihre Bündnispartner selbst aussuchen dürfen und nicht von Russland diktiert bekommen.

        Es scheint so, als hättern die Finnen Angst vor einer Ukrainisierung Finnlands.

  • Die Ostpolitik Europas der letzten 30 Jahre: Aufnahme der Neudemokratien in die EU (inzwischen wenig demokratisch), Osterweiterung der NATO inklusive Ostsee und Schwarzmeerkontrolle. Dass das nicht gut geht, war wohl vielen klar.

    • @Kappert Joachim:

      Ja, ich denke man hätte den "Demokratien" im Osten erstmal klar machen sollen dass sie keine eigenständigen Staaten im eigentlichen Sinne sind, sondern Kolonien Russlands. Stattdessen haben wir so getan als hätten diese Menschen eine demokratisch gewählte Regierung und die Freiheit eigene Politik zu machen...

      Jedes mal dieses Geblöke um "Russlands legitime Sicherheitsinteressen". Niemand scheint sich darum zu scheren ob Georgien, die Ukraine und andere Osteuropäische Staaten auch ein "legitimen Sicherheitsinteresse" haben und ob Russland dieses bis an die Grenzen und in manchen Fällen auch weit darüber strapaziert hat.

      Die NATO ist nach Osteuropa gekommen weil sie von vielen Staaten dort als Existenzsicherung betrachtet wird, nicht weil die NATO die russische Außengrenze sucht.

      • @Questor:

        Einflußzonen und Sicherheitsinteressen sind eine Tatsache, die es erst nicht mehr geben wird, wenn ALLE Länder der Welt das gemeinsam so sehen.



        Man muss doch eher fragen, welche Staaten verzichten denn auf Sicherheitsinteressen und Einflußzonen? Die Liste der Interventionen ALLER Großmächte ich ziemlich lang - meinst du, dass nur Russland und China aus Sicherheitsinteressen intervenieren während die US-Interventionen nur der Moral folgten?



        Wenn man anerkennt, dass die eigene Seite ebenso ihre Interessen verfolgt, dann muss man - sobald Interessen zweier Großmächte kollidieren - einen Ausgleich suchen. Die Realität ist, dass ein solcher Ausgleich auch auf Kosten von kleinen Staaten stattfindet kann. Beide Seiten müssen dann nachgeben.

        Deine Haltung ist eher die, Ich habe das formale Recht - welches keine Einflußzonen kennt - auf meiner Seite, also muss es so sein. Im Nachbarrecht hat auch oft eine Seite Recht und dennoch kommt es in vielen Fällen zu einem Vergleich. Frieden ist mehr Wert als Prinzipienreiterei: Ich will damit nicht sagen, dass man als Staat einen Regime Change akzeptieren sollte, aber eine Neutralität hat Finnland z.b. nicht geschadet.

        • @LD3000 B21:

          Ja, meine Position ist die dass sich die Ukraine als souveräner und anerkannter Staat auf eine Reihe von Rechten berufen kann - darunter die Unverletzlichkeit der eigenen Grenzen

          Sie hingegen werben gerade für Verständnis für einen Größenwahnsinnigen der gerade der Welt ins Gesicht gelogen und einen Angriffskrieg initiiert hat - Schließen Sie selbst zu was für einen Menschen Sie das macht.

          Nichts für ungut

  • Wir befinden uns im kalten Krieg 2.0 (und das nicht erst seit vorgestern, sondern mindestens seit 2014), das muss endlich in die Köpfe der Politiker und der Bürger. Die Politik der diversen Regerungen von Frau Merkel gegenüber Russland kann man nur als unfassbar naiv bezeichnen.



    Aber diese Naivität kennzeichnete nicht nur die Politik Deutschlands, auch wenn das hierzulande offenkundig besonders ausgeprägt war oder ist. Und guckt man sich den Zustand der Bundeswehr am, dann dürfte der in Russland maximal für erhöhte Heiterkeit sorgen.

    • @Kaboom:

      Sie haben ja recht, aber das Volk hat die Politik bekommen, die es sich wünschte und die die Medien forderten.

      Erinnern Sie sich an die Kriegstreibereivorwürfe, als Habeck in der Ukraine sich mit Helm und Schutzweste fotografieren ließ und dann auch Waffenlieferungen an die Ukraine vorschlug?

  • In seiner jüngsten TV-Rede vom 23. Februar hat Putin die Strategie Russlands noch einmal präzisiert. Es geht ihm wohl vor allem um die Abwehr der NATO.

    „Unser Handeln ist ein Akt der Selbstverteidigung gegen Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, und gegen ein noch größeres Unglück als das, was heute geschieht“

    Russland hat seit Jahrzehnten deutlich gemacht, dass es sich von der NATO bedroht fühlt. Statt Maßnahmen zu ergreifen dieses Gefühl abzumildern, hat der Westen Russlands Bedenken ignoriert, nicht ernst genommen oder schlicht weg lächerlich gemacht. Ich kann nicht beurteilen, ob Russland tatsächlich durch die NATO bedroht wird, aber es handelt dem entsprechend. Damit muss der Westen umgehen. Die Konsequenzen dieses Ausblenden der russischen Perspektive müssen nun die Ukrainer erleiden. Russland handelt eigentlich ziemlich vorhersehbar. Es setzt rote Linien, und wenn sie überschritten werden reagiert es mit militärischer Gewalt.

    Jetzt kann man sagen: Ja, aber die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, die Ukraine kann souverän entscheiden. Sicherlich. Aber Russland sieht es halt anders und handelt entsprechend. Will die NATO das nicht, muss sie Russland angreifen und somit den Beweis antreten, dass Russland sich tatsächlich durch die NATO bedroht fühlen sollte. Mit der Konsequenz, dass die Welt dann ein nukleares Schlachtfeld ist. Der Westen kann halt nicht immer gewinnen, nicht immer seine Prinzipen durchsetzen.

  • Zustimmung bezüglich der Putin-Trolls und russischen Hacker. Die wurden nicht erst genommen und haben beinahe unbeachtet massiv Propaganda betrieben, um Demokratien zu schädigen und Zwietracht zu sähen.

    Aber was soll sonst die Lösung sein, außer Diplomatie? Putin hat schon mit Atomwaffen gedroht und es ist ihm zuzutrauen, das diese auch eingesetzt werden

    • @Alfonso Albertus:

      Ja, eigentlich kann man bezüglich der Aussage über die wichtige Diplomatie nur zustimmen. Aber wer sich Putins Drohung und Kriegserklärung (die nicht so heißt) zum Zeitpunkt des Starts seines feigen Überfalls mal ansieht, wird Zweifel bekommen, ob Diplomatie eine Chance hat. Mit Verrückten ist es schwer, rational zu verhandeln. Was die Lösung ist, weiß ich allerdings auch nicht. Es steht sehr viel auf dem Spiel.

  • Alles völlig richtig. Aber der Befund reicht nur noch zum Beschämen der "Russlandversteher". Für die Zukunft taugt er nichts. Es ist vorbei. Die Ukraine ist verloren, alle Ex- Sowjet- Republiken, die nicht in der Nato sind werden an Putin fallen. Ab sofort herrscht blanker kalter Krieg. Wirtschaftsbeziehungen zu Russland kann es unabhängig von Sanktionen dauerhaft nicht mehr geben, weil die Unsicherheit viel zu groß ist. Und die Konfrontation dürfte deutlich länger anhalten, als sich die allermeisten jetzt vorstellen. Es liegt nämlich nicht nur an Putin. Der Angriff auf die Ukraine geschieht mit Rückendeckung Chinas und die Abhängigkeit Russlands von China wird sich ab jetzt immer mehr verstärken. Russland wird zu seine Bodenschätze nach China liefern, das ist Chinas Ziel und das ist der Preis den Putin zahlen muss um sich an der Macht zu halten. Das ist der Befund, damit müssen wir leben, die einzige Aufgabe ist jetzt den kalten Krieg kalt zu lassen und möglichst viel menschliches Leid zu lindern und zu verhindern.

  • Eigentlich hätte z. B. Macron bei seinem letzten Treffen mit Putin am 07.02.2022 in Moskau hellhörig werden müssen. Als nämlich beim Gespräch über das Minsker Abkommen Putin sich über die Ukraine entrüstete. „Dann schloss er in grober Manier: „Ob’s dir gefällt oder nicht, du wirst dich fügen müssen, meine Schöne!“ Macron fasste sich an sein Ohr, als zweifele er an der Übersetzung“. www.faz.net/aktuel...f-17792416-p2.html



    Eine Freud‘sche Fehlleistung Putins, denn sie sagte mehr über SEINE Gedankenwelt aus als über die angesprochene Ukraine!

  • Nun ja, der Westen hatte zwei sinnvolle Strategien. Entweder wollen wir Frieden mit Russland. Dann muss die Ukraine neutral sein. Dann muss man offen sagen: "Russland muss seine eigene Zeit haben, um Demokratie zu werden. In diese Entwicklung mischen wir uns nicht ein. Sobald es aber so weit ist, wollen wir Russland in EU und NATO willkommen heißen". Risiko ist, dass es nie so weit kommt. Vorteil wäre der Frieden.



    Oder wir wollen es mit Russland ausfechten. Dann hätte man die Ukraine sofort in die NATO aufnehmen müssen. Das Risiko hier wäre der Atomkrieg.



    Putin denkt in "Balance of Power". Mit 2008 (Bukarest: Einladung der Ukraine in die NATO), aber spätestens 2014 haben wir ein Spiel mit Russland begonnen, ob wir wollen oder nicht. Und es ist ein tödliches Spiel.



    Und wir haben uns für den dummen Mittelweg entschieden.

  • Die Deutschen haben sich nicht nur täuschen lassen, sie haben sich auch gerne täuschen lassen. Es war einfach der bequemere Weg, und man konnte sich der schönen Illusion hingeben, dass Frieden und Freiheit in der heutigen Zeit selbstverständlich sind, und man deswegen gar nicht bereit sein muss dafür zu kämpfen.

    Unsere Außenministerin sagt, wir sind plötzlich in einer anderen Welt aufgewacht.



    Aufwachen kann nur jemand, der vorher geschlafen hat.

  • Putin hat sich im Verlaufe der Jahre verändert. Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass er nicht mehr gesund ist. Und wenn ein Herrscher kontinuierlich sein „Vasallen- und Bedrohungsszenario“ aufgebaut hat (wovon man ihn innenpolitisch nicht abhalten kann), hat er genug gefolgsame Handlanger.



    Dieses Gewese um falsche Einschätzungen ist ein typisches Nachtreten der „Hab-ich-ja-schon-immer-gewusst-Fraktion“. Wie soll man denn mächtige, waffenstarrende Weltherrscher „eben mal so“ vom Durchdrehen abhalten? Handel und Diplomatie ist doch der einzige Weg, den es ohne Säbelrasseln gibt.



    Macht man keine Verträge mehr, weil man jedem Vertragspartner unterstellen muss, dass er Verträge nicht einhält?



    Wenn man für gewaltbereite Querdenker in der Demokratie ( die gegenüber der Autokratie „den Nachteil“ der Transparenz und weitreichenden Duldung hat) schon schwer Mittel findet, wie soll dies mal so eben gegenüber einem ganzen (anders aufgebauten) System gelingen? (Die USA findet gegen ihre „eigenen Verrückten“ auch keine Wege).



    So einfach ist es nicht.

    • @snowgoose:

      Sie haben die Schwierigkeiten dieser Situation gut beschrieben. Ich sehe das auch so. Nur dass wir in Deutschland zu bequem sind, um "sowohl - als auch"-Strategien zu fahren. D.h., man soll mit Russland Vertäge machen. Aber im blinden Vertrauen auf ein friedliebendes Russland die Bundeswehr bis zur Untauglichkeit kleinzusparen ist trotzdem ein Fehler gewesen.

    • 1G
      14231 (Profil gelöscht)
      @snowgoose:

      Auch Herrscher sind auf ihre Handlanger angewiesen und können sich deren Gefolgsamkeit nur versichern, solange diese durch ihn mehr zu verlieren haben als durch die Folgen seiner Politik.

      Als Trump Anstalten machte, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nicht zu respektieren, wurden im Pentagon Vorkehrungen getroffen, ihm die Gefolgschaft, insbesondere die Aktivierung von Nuklearwaffen zu versagen, obwohl dies ein klarer Verstoß gegen die Befehlskette war.

      Auch in der russischen Armee dürfte es denkende Menschen geben, die Putin ihre Gefolgsamkeit spätestens dann aufkündigen, wenn sie in seinem Handeln eine existentielle Gefahr für sich und Russland sehen. Aber dafür müssten erst einmal wieder Bedingungen gegeben sein, unter denen das Szenario einer existenziellen Gefahr für Russland glaubwürdig erscheint.

    • @snowgoose:

      Die "ich habs ja schon immer gewußt Fraktion" ist uns vor allem Beweise schuldig geblieben, dass es mit noch mehr Sanktionen, Bewaffnung usw. besser gelaufen wäre.



      Niemand kann genau wissen, wann sich das Fenster für Verhandlungen endgültig geschlossen hat. Aus meiner Sicht ist der langsame Truppenaufbau an der Grenze durchaus ein Zeichen, dass man auf Verhandlungen aus war, nicht auf einen Überraschungsangriff.

  • Also ich habe die letzten zwei Jahrzehnte Grundlegend anders empfunden als der Autor - eher im Sinne, dass Kooperation nicht wirklich gewollt war. Man hat Russlands Interessen und Haltungen mehr oder weniger an allen Orten ignoriert - NATO Osterweiterung, Kosovo, Lybien, die fleißige Unterstützung für alle Kräfte, die sich gegen Russlands Regierung stellen.



    Natürlich hat der Westen auch Interessen, aus diesen heraus wurde das ja alles gemacht, aber man braucht sich doch nicht wundern, wenn irgendwann der Ofen aus ist. Natürlich rechtfertigt das keinen heißen Krieg, aber es macht ihn erklärbarer.

    Was ich persönlich extrem befremdlich empfinde, ist, dass Menschen, die damals den Irak Krieg verteidigt haben nicht so angefeindet wurden wie ich jetzt, obwohl ich den Krieg nicht verteidige, sondern ihn nur erklärbar finde. Grundsätzlich möchte ich Frieden, ich sehe nur die Ursachen für den Konflikt anders als vielleicht die treuen Transatlantiker.

    • @LD3000 B21:

      Kooperieren? beim Bombardement von syrischen Krankenhäusern?

      Erklären kann man im Nachhinein Alles irgendwie... letztendlich wird man aber immer erkennen können, dass Putin die freie Wahl hatte und immernoch hat: Eskalation oder Rückzug. Er alleine hat die Schlüssel dazu in der Hand wie es weitergehen wird.