Angst vor Putins Russland: Alte Wunden
Hunderttausende Menschen flüchten aus der Ukraine in die Republik Moldau. Dort wächst die Sorge, dass Putins Truppen weitermarschieren werden.
1 1.21 Uhr: „Hilfe, bitte. Wir sind seit 24 Stunden unterwegs. Wir sind neun Menschen, davon sechs Erwachsene und drei Kinder. Wo können wir schlafen?“
11.27 Uhr: „Eine Frau und vier Kinder sowie zwei Frauen und ein Mädchen. Wir sind in Edineț und brauchen dringend einen Schlafplatz in Chişinău. Unklar, für wie lange.“
11.40 Uhr: „Frau mit großem Hund. Brauche einen Ort zum Bleiben.“
Es ist der 4. März 2022, Tag 9, seitdem Putins Russland die Ukraine angegriffen hat. Olga scrollt durch die digitalen Hilfeschreie in einem Telegram-Kanal. Die Ärmel ihrer Trainingsjacke hochgekrempelt starrt sie auf einen Laptop, der auf einer langen Tischreihe steht, um sie herum weitere junge Menschen, alle zwischen 20 und 40 Jahre alt. Sie tippen auf Tastaturen, telefonieren, laufen hin und her auf dem roten Teppich und vor den langen Fensterreihen mit schweren Vorhängen.
Chişinău, die Hauptstadt der Republik Moldau, hat sich seit Kriegsbeginn zum sicheren Hafen für viele Flüchtende aus der Ukraine entwickelt. Die Stadt liegt nur rund 100 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Bis Odessa, wo sich die Menschen vor Angriffen durch russische Raketen und Panzer wappnen, sind es nur 150 Kilometer.
Nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks haben bislang mehr als 100.000 Menschen aus der Ukraine in Moldau Schutz gefunden. Im Empfangssaal des Regierungsgebäudes in Chişinău haben Freiwillige eine Hilfsorganisation eingerichtet, die Regierung hat ihnen den Raum überlassen. Von hier aus organisieren sie Essen, SIM-Karten, Schlafplätze, Transport und erste Hilfe für die Flüchtenden.
Auch Olga ist seit Kriegsbeginn jeden Tag hier. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen, sie will angesichts der Lage nicht zu sehr in der Öffentlichkeit stehen, wie so viele, mit denen man in diesen Tagen in Moldau spricht. Nur so viel: „Normalerweise“ arbeite sie in einer Bildungsorganisation. Nun vermittelt sie Schlafplätze für diejenigen, die seit Tagen auf den Beinen sind.
Nur: Wie lange noch? Müssen sie und die anderen Freiwilligen vielleicht selbst bald fliehen? Denn die Republik Moldau ist nicht nur wegen ihrer Nähe zum Krieg in einer besonderen Position. Im Osten der Republik liegt lang gezogen und durch den Fluss Dnister abgetrennt, die Provinz Transnistrien mit etwa einer halben Million Menschen. Sie hat sich mit dem Zerfall der Sowjetunion in einem militärischen Konflikt, der erst durch das Eingreifen russischer Truppen 1992 beendet wurde, für unabhängig erklärt.
Seither agiert das Gebiet autonom, mit eigener Währung – dem transnistrischen Rubel –, eigener Regierung, eigenem Militär. Obwohl von keinem UN-Staat der Welt anerkannt, unterstützt Russland die Provinz mit Investitionen in die Infrastruktur und günstigem Gas. Es bestehen enge Verwandtschafts- und Arbeitsbeziehungen. Russland erleichterte die Vergabe russischer Pässe seit den 2000er Jahren; heute hat etwa die Hälfte der Bevölkerung Transnistriens einen russischen Pass. Zudem sind noch immer etwa 1.300 russische Soldaten in dem Gebiet stationiert.
Ein roter Pfeil zeigt von Odessa nach Transnistrien
Am achten Tag des Ukrainekriegs präsentierte der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko vor seinem Sicherheitsrat eine Militärkarte, auf der die geplanten Truppenbewegungen in der Ukraine mit roten Pfeilen eingezeichnet waren. Ein von offizieller Seite veröffentlichtes Video zeigt diesen Moment. Darauf auch zu sehen: Ein roter Pfeil auf der Karte zeigt von Odessa nach Transnistrien.
Das hat die Sorge verstärkt, dass russische Truppen sich über Mariupol und Odessa bis nach Transnistrien vorarbeiten könnten – und Wladimir Putin dann auch vor der gesamten Republik Moldau nicht Halt machen könnte.
„Ich fürchte seit dem ersten Tag, dass Moldau als Nächstes an der Reihe ist“, sagt Olga. Den Einmarsch russischer Truppen in die transnistrische Hauptstadt Tiraspol hält sie für vorstellbar. Während sie sich durch die Telegram-Gruppe mit den Flüchtlingsnachrichten scrollt, hält sie manchmal kurz inne. Als müssten die Eindrücke erst einen Platz finden, an den sie gehören. Bis vor drei Wochen gab es diesen Platz nicht mal, nun ist der Krieg nah. „Ich bin eigentlich nur noch im Land, weil ich bei meinen Großeltern bleiben will“, sagt Olga. „Sie sind alt und brauchen mich.“
Die Augen der 36-Jährigen werden feucht, wenn sie darüber spricht, sie dreht sich weg. Ohne ihre Großeltern hätte sie sich bereits auf den Weg ins Nachbarland Rumänien gemacht, hinein in die Europäische Union. „Niemand weiß, wie Putin gerade denkt“, sagt sie.
„Und wenn Putin sich noch die ganze Republik Moldau holen wollte“, sagt eine andere Freiwillige, „wäre das für ihn eine Sache von einer halben Stunde.“ Tiraspol und Chişinău liegen nur 70 Kilometer auseinander.
„Wir sind der fragilste Nachbar der Ukraine.“
Einer militärischen Intervention hätte die Republik Moldau wenig entgegenzusetzen. „Wir sind kein großes Land, wir haben keine große Armee und auch kein ausgefeiltes Equipment“, sagte der Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Europäische Integration, Nicu Popescu, vergangene Woche bei einer Pressekonferenz. „Wir sind der fragilste Nachbar der Ukraine.“
Fabian Franke, 32, ist freier Reporter. Kurz nach Kriegsbeginn reiste er in die Republik Moldau, um von dort zu berichten.
Hinweise für eine militärische Kooperation zwischen Russland und Transnistrien in diesem Krieg gibt es bisher nicht. Flüchtende aus der Ukraine wurden in der Provinz aufgenommen, Politiker zeigen sich öffentlichkeitswirksam in Sammelunterkünften, wie Medien berichten. Und auch offiziell äußern sich Mitglieder der Provinzregierung nicht befürwortend oder kritisch zum russischen Einmarsch. Man sei an einer Lösung interessiert, die Stabilität und Frieden fördere, heißt es.
Die Situation beunruhigt aber die Regierung Moldaus. Seit Kriegsbeginn ist der Luftraum gesperrt und der Ausnahmezustand verhängt, Demonstrationen oder andere Versammlungen sind verboten. Die Regierung nehme „alle möglichen Bedrohungslagen“ ernst, sagt Außenminister Popescu.
Zudem sucht die Regierung seither mehr denn je die Nähe zum Westen. Staatspräsidentin Maia Sandu traf sich in den vergangenen zwei Wochen mit dem Außenminister der USA, Antony Blinken, sowie mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, um über Unterstützung im Umgang mit den Flüchtenden zu sprechen. Und genau eine Woche nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine unterzeichnete Sandu das Beitrittsgesuch zur Europäischen Union. „The time is now“, schrieb sie dazu auf Twitter.
„Die Anbindung an die EU ist längst überfällig“, sagt eine Freiwillige im improvisierten Hilfszentrum. Und auch in Gesprächen auf den Straßen von Chişinău, in den Kaffeehäusern oder in den Bussen wird deutlich, dass viele diese Aussage unterstützen. Vor dem Regierungsgebäude wehen zwei Flaggen: die der Republik Moldau und die der EU.
Doch nur wenige Kilometer von Chişinău entfernt bricht dieser Eindruck. Hinter der Stadtgrenze wechseln sich schwarzerdige Äcker mit Weinreben ab, dazwischen tauchen Dörfer auf, deren Häuser klein und unverputzt sind, an vielen der hölzernen Fensterläden blättert die Farbe. Zwei oder drei Häuserreihen sind es meist nur, danach wieder: Landschaft.
„Der Schritt in Richtung EU ist eine Katastrophe!“
In einem dieser Dörfer steht hinter einer Kühltheke voller eingeschweißter Suppenhühner eine Verkäuferin, Dora heißt sie. „Der Schritt von Maia Sandu in Richtung EU ist eine Katastrophe!“, sagt sie und zieht ihre Hände aus der Kittelschürze, um ihre Worte mit Gesten zu unterstreichen. „Wir sollten jetzt nicht zusätzlich eskalieren!“
Dora lebt in Kongaz, ein paar Kilometer südlich von Komrat, der Hauptstadt von Gagausien. Die Provinz wird mehrheitlich von der Volksgruppe der Gagausen bewohnt, einem Turkvolk, dem weltweit etwa 200.000 Menschen angehören, die Mehrheit lebt in Moldau. Ähnlich wie Transnistrien hat sich auch Gagausien nach dem Zerfall der Sowjetunion als autonome Provinz erklärt. Doch anders als im Falle Transnistriens eskalierte der Konflikt hier nicht, eine diplomatische Lösung wurde gefunden. Die Provinz ist seither Teil der Republik mit weitreichender Autonomie. Russisch ist hier eine von drei Amtssprachen, russische Medien sind allgegenwärtig, viele Menschen haben Verwandtschaftsbeziehungen nach Russland. Die prorussische Gouverneurin Irina Vlah regiert die Provinz seit 2015; sie gewann die Wahl mit großem Vorsprung.
„Ich wurde in der Sowjetunion geboren“, erzählt Dora. „Damals haben wir wirklich gelebt. Wir sind morgens aufgewacht und hatten Arbeit.“ Sie trägt die Haare mit einem Tuch zusammengebunden. Man sieht ihr an, dass sie viel draußen gearbeitet hat. „Heute wachen wir auf und haben nichts“, sagt sie, dabei dreht sie die Handflächen zur Decke.
Die Wirtschaft in der Republik Moldau gehört zu den schwächsten auf dem europäischen Kontinent. 1990 lebten hier noch knapp 3 Millionen Menschen, heute sind es etwa 2,5 Millionen. Besonders in den landwirtschaftlich geprägten Regionen leidet die Wirtschaft unter der Abwanderung, wie auch hier in Gagausien.
„Ich fände es gut, wenn wir mit Gagausien und Transnistrien zusammen näher an Russland rücken würden“, sagt Dora. „Mit der jetzigen Regierung ist einfach alles zu teuer.“ Gas, Benzin, Lebensmittel. Russland hingegen habe hier investiert, vor allem in Busse, Krankenwagen, Mülltransporter. Hinter Dora, an der Wand in einem Gewürzregal, hängt ein kleines orange-schwarz gestreiftes Bändchen: Das Sankt-Georgs-Band, ein russisches Militärabzeichen. Es gilt als Unterstützungssymbol für den Kurs Wladimir Putins.
Dora ist mit ihrer Meinung nicht allein. Die Mehrheit der Menschen in Gagausien unterstützt die russische Linie, niemand spricht von „Krieg“ oder „Invasion“, sie nennen es „Spezialoperation“ oder „Befreiung von den Nationalisten in der Ukraine“ – identische Worte wie in Putins Propaganda. Und nicht nur in Transnistrien oder Gagausien ist das so. Vor allem im Norden des Landes genießen prorussische Politiker und Politikerinnen hohe Zustimmung.
Wie zum Beispiel Igor Dodon. Der Kandidat der Sozialisten hatte die Präsidentschaftswahl 2016 mit 52 Prozent der Stimmen gewonnen. Drei Jahre später wurde Dodon vom Verfassungsgericht abgesetzt – er hatte nach der Parlamentswahl eine Regierung vereidigt, die nicht innerhalb der festgelegten Frist zustande gekommen war. Es folgte eine Stichwahl um die Präsidentschaft, darin unterlag er Maia Sandu. Überwunden scheint das nicht: „Unter Dodon war vieles besser“, sagt Dora.
Ein Konflikt um die Zugehörigkeit zu Ost oder West
Prorussisch, proeuropäisch – in vielen Gesprächen wird diese Zuordnung deutlich. Was, wenn die Gefahr für Moldau nicht durch russische Panzer droht, die in die transnistrische Hauptstadt Tiraspol einfahren? Sondern dadurch, dass der Krieg in der Ukraine einen 30 Jahre lang „eingefrorenen“ Konflikt innerhalb Moldaus neu entfacht? Einen Konflikt um die Zugehörigkeit zu Ost oder West.
An einem Ort wie Coșnița werden diese Bedenken greifbar. 30 Straßenkilometer nordöstlich von Chişinău steht Gafeli Alexei im Rathaus der kleinen Gemeinde vor einem meterlangen Satellitenbild. Er ist der Bürgermeister hier, früher gehörte er den Sozialisten an, also der prorussischen Bewegung um Dodon, heute ist er parteilos. Sein Hemd und die Bügelhose sitzen wie maßgeschneidert, sein Haarschnitt ist akkurat.
„Wir sind hier“, sagt er und deutet mit der Hand auf zwei braune Kleckse, die inmitten von sattem Grün liegen: Coșnița und Pohrebea. Dann fährt er mit der Hand einen bläulichen Bogen entlang, der die beiden Kleckse fast umschließt. „Das hier ist der Grenzfluss Dnister.“ Er hält mit seiner Hand über einer geraden Straße weiter östlich inne, auf der eine gestrichelte Linie zu sehen ist. „Und von hier kam der Feind.“
Der Dnister markiert die Grenze zwischen der abgespaltenen Provinz Transnistrien im Osten und dem Rest der Republik Moldau im Westen. Doch nicht hier: Coșnița, die umliegenden Dörfer und insgesamt etwa 65 Quadratkilometer Land liegen östlich des Dnister – und gehören dennoch nicht zu Transnistrien.
In der militärischen Auseinandersetzung um die Abspaltung fanden in dieser Region zwischen 1991 und 1992 die größten Kämpfe zwischen moldauischen Truppen und Zivilisten auf der einen und der transnistrischen Regierung sowie Milizen auf der anderen Seite statt. Die Bevölkerung von Coșnița und dem Nachbardorf Pohrebea kämpften für die Zugehörigkeit zur Republik Moldau. Dabei kamen Zivilisten und Soldaten auf beiden Seiten ums Leben. Erst als im Sommer 1992 die russische Armee eingriff, ruhten die Waffen im Transnistrienkrieg.
Seither leben die Menschen in der Grenzregion ohne nennenswerte Konflikte nebeneinander, die Checkpoints sind für Einheimische offen. „Wir haben zwar auf behördlicher Ebene keinen Kontakt mit Transnistrien“, sagt Bürgermeister Gafeli Alexei. „Aber die Bürger stehen in engem Austausch.“ Familien, Verwandte, Freunde. Auf dem Parkplatz vor dem Verwaltungsgebäude stehen viele Autos mit transnistrischer Flagge auf dem Kennzeichen: grüner Streifen auf rotem Untergrund, dazu Hammer und Sichel.
Sie ließen hier ihre moldauischen Pässe erneuern, sagt Alexei. Zudem befinden sich auf transnistrischer Seite rund 1.000 Hektar Land, die Landwirten aus Coșnița gehören. Eine Vereinbarung zwischen Transnistrien und Moldau sichert den Landwirten zu, dass sie das Getreide im Herbst aus Transnistrien herausholen dürfen.
Doch seit Beginn des Krieges herrscht Unsicherheit, berichtet Gafeli Alexei. Im Sommer endet turnusgemäß die Vereinbarung zur Getreideausfuhr. Neue Verhandlungen über die nächsten fünf Jahre seien noch nicht gestartet, sagt Alexei. Das sei ungewöhnlich. Die Landwirte wüssten deshalb nicht, ob sie das Getreide, das sie nun aussäen, im Herbst einholen dürfen. Was, wenn hier erneut so etwas wie ein Kalter Krieg im Kleinen droht? „Die Bevölkerung fürchtet, Coșnița könnte von der Republik Moldau abgeschnitten werden.“ So wie damals, als die transnistrischen Truppen die Brücke auf die westliche Seite des Dnister und damit den einzigen Zugang nach Moldau sprengten.
Vasili Tenentiev im Nachbardorf Pohrebea hat das miterlebt. Auf Fotos möchte er nicht zu sehen sein, seine Orden hingegen zeigt er gern. In Sandalen, Jogginghose, Pullover und Wollmütze führt er über einen erdigen Pfad hinunter, vorbei an windschiefen Ställen und Schuppen. Tenentievs Haus steht direkt unterhalb einer zerbombten orthodoxen Kirche. Sie ist das Wahrzeichen von Pohrebea, wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, dann noch mal beim Konflikt um Transnistrien. Restauriert wurde sie seither nicht.
In einem Raum am Ende des Gangs liegt eine Uniform auf einem Sofa, ordentlich ausgebreitet, als würde Tenentiev jederzeit darauf warten, dass sie jemand sehen will. Sieben Orden zieren das linke Revers. „Für meine Zeit bei der Polizei, für eine Spezialoperation, für den Krieg …“, zählt er auf.
Tenentiev hat bis zur Rente als Polizist gearbeitet, auch er hat im Krieg um Transnistrien gekämpft. „Ich wurde von einer Mine verletzt“, sagt er. „An der Schulter und am Fußgelenk.“ Als er damals in Pohrebea gestanden habe mit der Waffe in der Hand, habe er nur Angst und Hass gespürt. Je mehr er davon spricht, desto brüchiger wird seine Stimme. „Viele meiner Freunde sind damals gestorben.“ Dann schweigt er lange, sein Blick irrt umher.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Auch damals hätte niemand gedacht, dass wir mit unseren Nachbarn Krieg führen“, sagt Tenentiev. „Und trotzdem ist es passiert.“ Wladimir Putin sei vielleicht einfach verrückt geworden, sagt er. Und die Menschen in Russland und Transnistrien würden ihm glauben, ihm „wie Zombies“ folgen. Dass Präsidentin Maia Sandu nun die Nähe zur Europäischen Union sucht, findet Tenentiev gut. „Nur, was ist mit uns?“, fragt er. „Wo sollen wir hin, wenn Transnistrien das als Aggression versteht?“
Anzeichen dafür gibt es. Kurz nach Beginn des Krieges und damit vor dem EU-Beitrittsgesuch kritisierte der De-facto-Außenminister von Transnistrien, Witali Ignatjew, gegenüber russischen Medien die Haltung der Republik Moldau: „Die militärpolitische Entwicklung Moldawiens durch Rumänien, die Vereinigten Staaten und die Nato provoziert eine ständige Verschärfung der Restriktionen gegenüber Transnistrien“, sagte Ignatjew. Dabei benutzte er den umgangssprachlich häufig verwendeten Landesnamen „Moldawien“, der auf die abgekürzte russische Übersetzung der ehemaligen Sowjetrepublik zurückgeht. Das Land ignoriere Verhandlungsinstrumente, so Ignatjew weiter, und werde „direkt vom Westen kontrolliert“.
Die Fronten scheinen sich vor der Kulisse des Ukrainekrieges zu verhärten. Alte Wunden werden aufgerissen. Und die Spannungen verunsichern nicht nur die Bevölkerung Moldaus – sondern noch viel mehr diejenigen, die sich hier in Sicherheit gebracht haben.
Wie Anastasia und Ana. In Coșnița, ein paar Hundert Meter vom Büro des Bürgermeisters entfernt, sitzen sie auf den Betten eines Zimmers im Schullandheim. Vor zwei Tagen sind sie aus Odessa gekommen mit ihren drei Kindern und zwei Katzen. Nun blicken sie nicht mehr auf das Schwarze Meer, sondern auf den Dnister. Wenige Meter neben der Sammelunterkunft fließt er entlang.
„Wir verfolgen, wie sich der Krieg entwickelt“, sagt Ana. Jeden Tag seien sie in Kontakt mit ihren Ehemännern und Brüdern. Sprechen mit ihnen, wie viele Lebensmittel es noch gibt, ob in der Nacht wieder die Sirenen vor Bombenangriffen gewarnt haben. Aber auch die Situation in Moldau hätten sie im Blick. „Ob wir weiter nach Westen fliehen, wissen wir noch nicht. Angst macht es uns schon“, sagt Ana. „Wir hoffen, Moldau wird nicht involviert.“
Ein Zufall, dass Ana und Anastasia gerade jetzt in Coșnița angekommen sind: Am 14. März hat die Gemeinde des blutigen Konflikts um ihr Gebiet östlich des Dnister gedacht. Der Gedenktag jährt sich zum 30. Mal.
Mitarbeit: Mircea Baștovoi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins