Triage von Corona-Kranken in Zittau: Entscheidung über Leben und Tod

In einer Klinik im sächsischen Zittau ist der Ernstfall eingetreten. Es gibt nicht genügend Beatmungsgeräte für alle Covid-Patient:innen.

Die Hand einer alten Person hält ein Atmungsgerät

Was tun, wenn es nicht mehr genug Beatmungsgeräte gibt? Foto: Jens Büttner/dpa

Eigentlich sollte es am Dienstagabend nur eine Dialogrunde sein. Zum Austausch, zur Debatte, zur Information über das Pandemiegeschehen im sächsischen Landkreis Görlitz. Geladen waren verschiedene Gäste aus Zittau und dem Landkreis: Ein Citymanager, ein Journalist, der Oberbürgermeister von Zittau, das Gesundheitsamt. Und zwei Ärzte.

Einer von Ihnen, Mathias Mengel, ärztlicher Direktor des Klinikums Oberlausitzer Bergland, verkündete wie nebenbei die Meldung, vor der Expert:innen seit Monaten gewarnt hatten: Die Überlastung der Klinik in Zittau aufgrund des Coronavirus ist so hoch, dass eine Auswahl getroffen werden muss, wer beatmet wird und wer nicht.

Damit hat ein ärztlicher Direktor erstmals öffentlich bestätigt, dass das Konzept Triage in Deutschland im Umgang mit Coronakranken angewendet wird. Das Wort Triage ist aus dem Französischen abgeleitet und bedeutet Auswahl oder Sichtung. Es beschreibt die Einteilung von Patient:innen nach der Schwere ihrer Erkrankungen.

Im Ernstfall kann das schnell zum ethischen Dilemma werden – nämlich dann, wenn weniger Behandlungskapazitäten bereitstehen, als es Kranke gibt. Bereits im April dieses Jahres veröffentlichte der Ethikrat eine „Ad-hoc-Empfehlung“, in der der ethische Konflikt einer Triage-Situation verdeutlicht wurde: Sollte es dazu kommen, dass entschieden werden muss, wer behandelt wird und wer nicht, seien „tragische Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen“, so der Rat in seinem Papier. Das heißt: Wer Vorerkrankungen hat, wird im Ernstfall also nicht beatmet.

Entscheidungen hängen von den Krankenhäusern ab

Dieser Ernstfall ist nun in Zittau eingetreten: „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, sagte Klinikdirektor Mengel dem Nachrichtenportal t-online. Es werde in erster Linie versucht, die Patient:innen in eine andere Klinik zu verlegen. Erst wenn dies nicht möglich sei, entscheide ein kleines Team kurzfristig. Eine solche Entscheidung könne aber auch bedeuten, dass es für nicht verlegungsfähige Patient:innen überhaupt keine Hilfe mehr gibt.

Für die taz war Mengel bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Das Klinikum äußerte sich lediglich in einer allgemeinen Presseerklärung. Darin heißt es, die intensivmedizinische Betreuung stoße „an die Grenzen des Leistbaren“. Alle Patient:innen erhielten die „bestmögliche Therapie“.

Doch bestmöglich heißt eben nicht gleich gerecht: Das zu knappe Personal kann die Menge der Kranken nicht mehr ausreichend versorgen.

Der Landkreis Görlitz gehört zu den derzeit am schlimmsten vom Virus betroffenen Gebieten. Der Personalnotstand verschärft die Lage noch, sogar positiv getestete Pflegekräfte werden eingesetzt. Auch die Bundeswehr wurde bereits zur Unterstützung herangezogen. Derzeit liegt die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis Görlitz laut RKI bei 701,16 je 100.000 Einwohner:innen. 267 Corona-Patient:innen sind seit Beginn der Pandemie gestorben.

Doch wer entscheidet überhaupt darüber, ob ein:e Pa­tient:in beatmet wird oder nicht? Bereits Ende März veröffentlichte eine Expert:innen-Kommission von sieben medizinischen Fachgesellschaften eine Leitlinie mit klinisch-ethischen Handlungsempfehlungen im Falle einer Triage-Situation im Kontext der Corona­krise.

Ausbruch einer Überforderungssituation

Darin finden sich Kriterien zur Entscheidungsfindung und Prioritätensetzung, darunter Faktoren wie Komorbidität, Allgemeinzustand und andere medizinische Skalen. Bindend ist diese Leitlinie jedoch nicht. Es gibt keine Standardregeln, um diese Entscheidungen zu treffen – beispielsweise dazu, wie viele Ärzt:innen und wie viel ethisch geschultes Personal an dem Prozess beteiligt sein müssen. Die Entscheidungen hängen im Ernstfall von den jeweiligen Krankenhäusern ab. Auch ein Gesetz gibt es in Deutschland dazu nicht.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt es ab, das ethische Dilemma politisch zu regeln und eine Verordnung dafür im Bundestag zu diskutieren. „Die Entscheidungen zwischen lebenswertem und weniger lebenswertem Leben sind medizinethische Fragen, über die der Bundestag nicht entscheiden darf.“ Sollte es zu einer solchen Debatte kommen, werde die SPD-Fraktion dies nicht mittragen.

Für die kommenden Wochen erwartet er eine „schreckliche Situation“ auf den Intensivstationen. Denn: Alle Personen, bei denen das Virus in den kommenden Tagen ausbricht, sind bereits infiziert. Es stehe ein „dreiwöchiger Kampf gegen den Ausbruch einer Überforderungssituation“ bevor.

Der Politiker betonte jedoch auch, dass in Zittau eine Sondersituation eingetreten sei. Sachsen habe „sehr lange gezögert“, sich zu klaren Lockdown-Entscheidungen zu bekennen. Außerdem habe Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) immer wieder versucht, einen Kompromiss mit den „Querdenkern“ hinzukriegen. Kretschmer selbst hatte vor einigen Wochen gesagt, man habe das Virus „unterschätzt“. Am Mittwoch lobte er dann den „sächsischen Weg“.

Um die Situation noch abzuwenden, sagt Lauterbach, hätte es bereits früher einen harten Lockdown geben müssen. Er hoffe, dass durch die späten Maßnahmen nun dennoch verhindert werden könne, dass deutschlandweit Triage-Entscheidungen getroffen werden müssten. Dafür müsse die Ausgangssperre aber über den 10. Januar hinausgehen – damit die Neuinfektionen flächendeckend so weit sinken, dass die Intensivkapazitäten für alle reichen.

Korrektur (18.12.): In einer früheren Version des Artikels hatten wir behauptet, die Handlungsempfehlung aus dem März stamme von sieben medizinischen Fachangestellten. Gemeint waren allerdings sieben medizinische Fachgesellschaften.

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