Koloniale Strukturen in der Bewegung: Wir müssen keine Stimme „leihen“
Wenn die Klimabewegung Menschen aus dem Globalen Süden in den Fokus nimmt, ist das oft gut gemeint. Es spiegelt aber womöglich koloniales Wohlwollen.
G eht es um Klimagerechtigkeit, wird häufig hervorgehoben, dass der Globale Süden mehr unter den Folgen der Klimakrise leide als der Globale Norden. Es ist wichtig und notwendig, dieses Ungleichgewicht zu betonen, um der Klimakrise angemessen und gerecht zu begegnen.
Dennoch verfängt sich eine solche Darstellung des Globalen Südens oft in dem historisch gewachsenen Stereotyp der passiven und hilflosen „Dritten Welt“. Neben den Ländern bekommen auch die Menschen dieser Regionen eine passive Rolle ohne Handlungsmacht zugeschrieben, aus der sie sich nur mit Hilfe von außen befreien können. Und wer käme dafür besser in Frage als weiße Retter*innen aus dem Globalen Norden.
Ein leichter Weg sich als weiße*r Retter*in darzustellen, ist das vermeintliche „Geben einer Stimme“. Es wird angenommen, Menschen des Globalen Südens hätten ihre Geschichten noch nicht erzählt. Deshalb sei es ein ehrenhafter Schritt auf Veranstaltungen, bei Interviews oder an anderen öffentlichen Orten nicht selbst zu sprechen, sondern die Stimme an Menschen des Globalen Südens zu „verleihen“.
So leitete auch Greta Thunberg letztes Jahr auf der COP 25, der Weltklimakonferenz 2019, die Pressekonferenz von Fridays for Future mit folgenden Worten ein: „Luisa und ich wollen unsere Plattform nutzen, um unsere Stimmen an diejenigen zu verleihen, die ihre Geschichten (noch) erzählen müssen.“ Die Intention war sicherlich gut. Sie wollten ihre Reichweite nutzen, um sechs Aktivist*innen aus dem Globalen Süden Gehör zu verschaffen.
Verrutschter Fokus
Dass dieses Konzept jedoch nicht aufgegangen ist, macht das Medienecho am besten deutlich: Die Süddeutsche Zeitung titelte „Hartes Ringen bei UN-Klimagipfel – Thunberg nutzt Medienhype“ und in den Artikeln der SZ, Zeit und Welt wurde Greta mit ihrer kurzen Einleitung mehr zitiert, als die darauffolgenden Reden der sechs Aktivist*innen aus dem globalen Süden. Der Fokus der Berichte verrutschte – und so handelten sie mehr von der Gutmütigkeit Gretas als von den Erfahrungen und Geschichten der Aktivist*innen. Gretas koloniales Wohlwollen bringt somit letztendlich die Menschen zum Schweigen, denen sie eigentlich eine Stimme geben möchte.
Die ewige Geschichte des „Stimmen-Verleihens“ hebt besonders eins hervor: Macht. Man leiht etwas immer nur für eine gewisse Zeit. Die Kontrolle darüber, was wie gesagt und wann es zu viel wird, liegt immer bei der Person, die ihre Stimme verleiht. Bei der Pressekonferenz hat Greta die Kontrolle und gibt den Aktivist*innen einen inhaltlichen Rahmen vor, in dem sie ihre Geschichte zu erzählen haben. So bleibt die Kontrolle bei einer Aktivistin des Globalen Nordens.
Wer hat die Deutungshoheit?
Diese unsichtbare Macht wird auch durch Luisas Moderation deutlich. Die Aussagen der sechs Aktivist*innen können nicht für sich selbst stehen, sondern werden durch Sätze wie „Das ist so wichtig zu hören“ Oder „Bitte denkt über ihre Worte nach“ bewertet. Damit beansprucht Luisa eine Deutungshoheit. Es entsteht das Gefühl, die Worte der sechs Aktivist*innen würden erst in dem Moment an Bedeutung gewinnen, in dem Luisa sie auch als wichtig bewertet.
Aber es braucht keine Absegnung weißer Aktivist*innen, um zu betonen, dass die Anliegen von Menschen des Globalen Südens wichtig sind! Genauso wenig nützt es, marginalisierten Gruppen eine Stimme geben zu wollen. Sie haben schon eine Stimme, sie reden seit Jahrzehnten – es geht darum, zuzuhören und Strukturen wirklich zu verändern. Eine klimagerechte Welt und ein gutes Leben für Alle erreichen wir nur, wenn wir dekolonial kämpfen. In diesem Sinne endete auch Rose Whipples Rede auf der Pressekonferenz mit: „Destroy White Supremacy!“
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