Verbrechen und Gender: Es sind Männer

Eine Europol-Kampagne weist darauf hin, dass auch Frauen Schwerverbrechen begehen. Die wichtigere Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke.

Collage aus Bildern maskierter Frauen

Außer Maskerade bleibt nicht viel: interaktive Website von Europol Foto: europol

BERLIN taz | Eine Diskokugel auf dem Kopf, der Oberkörper umgeben von Rauch, die Augen hinter einer venezianisch anmutenden Maske versteckt. Neben der maskierten Person steht auf der in blau und rosa Tönen gehaltenen Website: „Diese Kriminelle hat oft mit ihren Partnern und Komplizen Speed, Kokain und Ecstasy konsumiert.“

Mit jedem ­Scroll wird der Leser*in eine neue Information mitgeteilt und ein Teil der Maskerade verschwindet – bis am Ende alle Informationen und das Bild der Kriminellen sichtbar sind. In diesem Fall: Ildikó Dudás, 31 Jahre alt, gesucht in Ungarn wegen Drogenhandel und Kindesmissbrauch, momentan auf der Flucht. Daneben prankt in großen Lettern: „Crime has no Gender“, also Verbrechen hat kein Geschlecht.

Bei der interaktiven Website handelt es sich um die neue Kampagne der EU-Polizeibehörde Europol. 21 gesuchte Verbrecher*innen, 18 davon Frauen, verstecken sich hinter der Maskerade – ausgesucht von verschiedenen Mitgliedstaaten. So möchte Europol auf spielerische Art die Gesellschaft dafür sensibilisieren, dass auch Frauen schwere Straftaten begehen können. Denn laut der Behörde sei es genauso wahrscheinlich, dass Frauen Schwerverbrechen begehen wie Männer.

Dafür Belege zu finden, stellt sich jedoch als schwierig heraus. Denn klar können auch weibliche Täter*innen Schwerverbrechen begehen, man denke nur an die rechtsextremistische Terroristin Beate Zschäpe. Doch in der Forschung ist umfassend belegt, dass Männer in allen Staaten der Welt deutlich mehr Verbrechen begehen als Frauen.

Irreführende Kampagne

In Deutschland versucht jeden Tag ein (Ex-)Partner seine Frau zu töten, an jedem dritten gelingt es einem

In Deutschland beispielsweise sind laut polizeilicher Kriminalstatistik nur ein Viertel aller Tatverdächtigen weiblich. Hinzu kommt, dass je schwerwiegender die Delikte sind, der Frauenanteil immer geringer wird. So ist das Geschlechterverhältnis bei kleinen Delikten wie Diebstahl relativ ausgeglichen, unter den Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten ist der Frauenanteil dann allerdings sehr klein.

Das zeigt sich auch auf der richtigen Liste der meist gesuchten Verbrecher*innen, ebenfalls veröffentlicht von Europol. Auf dieser stehen mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Auch die Begründung, immer mehr Frauen würden kriminell, delegitimiert Europol in ihrer Presseerklärung gleich selbst, da die Anzahl der Männer deutlich schneller steigt.

Die Kampagne von Europol ist also nicht nur irreführend, sondern der Slogan „Crime has no Gender“ verkennt, dass es sehr wohl geschlechtsbezogene Kriminalität gibt – vor allem wenn es um Gewalttaten geht. Dabei sind Frauen in der Regel nicht die Täter*innen, sondern die Opfer.

In Deutschland versucht jeden Tag ein (Ex-)Partner seine Frau zu töten, an jedem dritten gelingt es einem. Femizide, also Morde an Frauen, weil sie Frauen sind, haben System. Und auch bei anderen Formen von Partnerschaftsgewalt wie Körperverletzung, Vergewaltigung oder Stalking sind 82 Prozent der Betroffenen Frauen.

An diesem Umstand etwas zu verändern, daran ist eigentlich auch der EU gelegen. So verpflichten sich die EU-Staaten mit der sogenannten Istanbul Konvention, die 2014 in Kraft getreten ist, zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“.

Nur ein Slogan

Die „Crime has no Gender“-Kampagne wird jedoch vermutlich nicht dazu beitragen, denn anstatt bestehende Strukturen zu bekämpfen, zielt sie lediglich darauf ab, mit einem kontroversen Slogan Aufmerksamkeit zu generieren. Nämlich für den wenig überraschenden Umstand, dass auch Frauen Verbrechen begehen können.

Stattdessen sollte Europol Aufmerksamkeit dafür generieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Frauen und Menschen, die sich nicht dem männlichen Geschlecht zuordnen, Angst haben müssen, auf Grund ihres Geschlechts Opfer zu werden. Solange sich daran nichts ändert, haben auch Verbrechen ein Geschlecht.

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