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Gewalt, Herkunft und GeschlechtUnd woher kommst du?

Deutschland ist von Herkunftsnennungen bei Straftaten besessen. Stattdessen sollten wir über das wahre Problem sprechen: Gewalt von Männern.

Bei Straftaten erwähnen Medien oft die Staatsangehörigkeit der Täter – außer bei Deutschen Foto: dpa

M eine Damen und Herren, liebe Lesende, machen Sie es sich gemütlich, lehnen Sie sich reinen Gewissens zurück, denn: Die deutschen Herkunftsfestspiele haben begonnen. Und diesmal ballern sie so richtig.

Angefangen hat alles, nachdem in Augsburg ein Mann begleitet von einer Gruppe junger Männer einen anderen Mann tödlich verletzt hat. Schlimme Tat, schlimme Berichterstattung: ARD und ZDF senden live eine 50-minütige Pressekonferenz, beim Bayerischen Rundfunk, bei Bild und Welt beginnt das Spekulationsspektakel.

Die Welt berichtet über sieben Festnahmen, erwähnt aber nur die Staatsbürgerschaften derjenigen Verdächtigen, die nicht nur deutsch sind. Ebenso die Bild: Es handle sich „um einen 17-Jährigen mit deutscher, türkischer und libanesischer Staatsangehörigkeit. Ein weiterer Festgenommener (17) ist Italiener.“

Gewinner im Woher-kommst-du-wirklich-Bingo ist aber der BR. Der spricht unbeholfen über die Staatsbürgerschaften des Täters, als handle es sich um einen Dinosaurier – einen nichtdeutschen natürlich. „Wie ist das möglich?“, fragt man sich im Freistaat, und nun ja. Der BR erkennt, dass „man über die entsprechende Familienkonstellation nur spekulieren“ kann, um nur wenige Sätze später genau das zu tun: Über den Geburtsort des Täters zu spekulieren, den Geburtsort der Eltern, ihr Bleiberecht und wie lange die eigentlich schon hier sind, in unserem schönen deutschen Deutschland. Wie gesagt: Willkommen bei den Herkunftsfestspielen.

Das ist alles kein Zufall, wie eine aktuelle Studie zeigt. Laut Forschenden der Hochschule Macromedia spielt die Herkunftsnennung in der Berichterstattung eine immer größere Rolle. Und zwar vor allem bei migrantischen Tätern. Obwohl also laut Kriminalstatistik zwei Drittel der Tatverdächtigen die deutsche Staatsbürgerschaft haben, wird so ein verzerrtes Bild des gewalttätigen Migranten gezeichnet.

Ebenfalls in Augsburg wurde vergangene Woche ein (deutscher) Vermieter zu einer Entschädigungszahlung verurteilt. Er hatte angegeben, dass er nur „an Deutsche“ vermiete – aus Sorge vor bösen Migranten. Der zuständige Richter konterte ziemlich klug: „Verbrechen und Vergehen werden von Menschen begangen, nicht von Staatsangehörigen.“

Statt über den Migrationsdingsbums von Tätern hätte man nach Augsburg über die eigentliche Auffälligkeit sprechen können. Straftaten werden nämlich zumeist von Männern begangen. Vor allem von deutschen Männern.

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schreibt über Teilhabe, Literatur, Brasilien.
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2 Kommentare

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  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    ...und den ganzen Schwachsinn der Behandlung der Augsburger Straftat stellt sehr präzise Herr Thomas Fischer in seinem letzten Spiegel-Kommentar dar.

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @75064 (Profil gelöscht):

      "öffentlichen" fehlt ;-)