Analyse der neuen grünen Doppelspitze: Frischer grüner Wind
Am neuen Chef-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck hängen große Hoffnungen. Tatsächlich könnten die beiden die Grünen umkrempeln.
![Eine Frau und ein Mann, der Mann zeigt auf die Frau, der Hintergrund sieht aus wie grüner Wald Eine Frau und ein Mann, der Mann zeigt auf die Frau, der Hintergrund sieht aus wie grüner Wald](https://taz.de/picture/2526518/14/19943427.jpeg)
Unrealistisches Lob braucht er gerade nicht. Denn die Erwartungen, die sich in der Ökopartei mit dem neuen Chef-Duo verbinden, sind eh schon immens. Annalena Baerbock, 37, und Robert Habeck, 48, sind das neue Traumpaar der sozialökologischen Wende. Sind die Hoffnungen realistisch? Was wird sich durch das neue Chef-Duo bei den Grünen ändern?
Macht
Das Duo krempelt die Machtverhältnisse bei den Grünen um. Falls die Große Koalition wider Erwarten nicht zustande komme und Neuwahlen angesetzt würden, sei klar, dass Baerbock und Habeck die Spitzenkandidaten würden – und nicht mehr Ex-Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Das war der gängige Flurtalk auf dem Parteitag. Damit sind auch Vorentscheidungen für den Wahlkampf 2021 gefallen.
Der fulminante Auftritt Baerbocks wurde sehr genau registriert. Die Brandenburgerin hielt eine „Hurricane-Rede“ (Habeck), in der sie für radikalen Klimaschutz, eine grüne Europapolitik und Armutsbekämpfung plädierte. Baerbock musste manchmal nach jedem Satz eine Pause machen, weil sie gegen den Jubel der Delegierten nicht mehr ankam. Keine Frage, das sprühte, das riss mit.
Für Göring-Eckardt, bisher die starke Frau der Grünen, bedeutet das handfeste Konkurrenz. Sie wurde auf dem Parteitag gedemütigt, als sie erst im zweiten Anlauf in den Parteirat gewählt wurde. Kein gutes Zeichen. Die Kräfteverhältnisse zwischen Partei und Fraktion werden sich nun verschieben. Bisher war meist die Bundestagsfraktion das Machtzentrum der Grünen. Aber Habeck und Baerbock werden selbstbewusst eigene Themen setzen. Die Grünen wollen sich etwa ein neues Grundsatzprogramm geben, eine bessere Spielfläche für ehrgeizige ParteichefInnen gibt es nicht.
Zukunftsthemen
Robert Habeck hat in seiner Bewerbungsrede eine große Frage gestellt. „Was ist im 21. Jahrhundert eigentlich links?“
Habeck betonte zwar, dass klassisch linke Ansätze nötig seien – zum Beispiel eine härtere Besteuerung von Kapital und Vermögen. Aber er ging gedanklich einen Schritt weiter. Der postmoderne Kapitalismus, rief er, dringe in unsere privateste Beziehung ein: Die Zeit, die Arbeit, Freundschaften, Pflege, Liebe – alles werde in Wert gesetzt und ausgewrungen. Entsprechend sei links heute, der Kapitalisierung des Humanen nicht zuzusehen, sondern um die Humanisierung des Kapitals zu kämpfen. Das war etwas wolkig, aber schlau.
Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht lästerte am Sonntag, die Grünen seien mit der Doppel-Realo-Spitze „endgültig auf dem Weg zur Partei des Ökowohlfühlwohlstandsbürgertums“. Zwar ist richtig, dass sowohl Habeck als auch Baerbock zum Realo-Flügel gehören. Doch ansonsten ist Wagenknechts Vorwurf unterkomplex. Denn Habeck zielt mit seiner Rede auf einen gesellschaftlichen Trend, um den sich linkes Denken kümmern muss. Viele Menschen leiden unter den Zumutungen der Flexibilisierung und Digitalisierung. Bisher gibt keine Partei darauf eine angemessene Antwort.
Auch dezidiert linke Grüne verteidigen Habeck deshalb. „So viel Kapitalismuskritik und Veränderungswillen habe ich lange nicht an der Grünen-Spitze gehört“, sagt etwa der Europaabgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold. Baerbocks zentraler Satz lautete: Die Grünen sollten den „vermeintlichen Widerspruch zwischen radikal und staatstragend als Chance“ begreifen. Demokratische Institutionen zu verteidigen kann in Zeiten starker Rechtspopulisten sehr radikal sein.
Haltung
Reinhard Bütikofer federt vergnügt in den Knien, wenn man ihn nach den neuen ChefInnen fragt. Bütikofer ist der Chef der Europa-Grünen und einer der klügsten Köpfe in der Partei. Bei Habeck und Baerbock spüre man erstens den Willen zur Umgestaltung. „Wir hatten zu lange: Dabeisein ist alles.“ Zweitens hätten beide klare Prioritäten, aber auch eine Bereitschaft zur Offenheit gegenüber Leuten, denen die Grünen bisher nicht imponierten. Und, drittens, pflegten sie eine lebendige Sprache.
Das wäre in der Summe wirklich neu. Harmloses Nettsein, bloß nicht anecken, aufs Regieren vorbereiten – das war die Strategie der vergangenen vier Jahre. Nach dem Wahlkampf 2013, in dem die Partei wegen ihres Steuerprogramms diffamiert wurde, versuchten die Grünen unter Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, die bürgerliche Mitte zu gewinnen. Sie dimmten Steuerpolitik herunter, fokussierten sich aufs Ökologische und vermieden – stets Schwarz-Grün im Blick – allzu harte Kritik an Angela Merkel. Das Ergebnis waren eine eher unauffällige Oppositionsarbeit und mittelprächtige 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl.
Habeck und Baerbock scheinen nun Lehren aus den Wahlkämpfen 2013 und 2017 zu kombinieren. Zugespitzt: Wem Trittin zu links und besserwisserisch war und Göring-Eckardt zu brav, der bekommt jetzt einen linksprogressiven Sound, kombiniert mit Respekt vor Andersdenkenden. Bütikofer und viele linke Grüne kommen zu demselben Urteil: „Das kann was werden.“
Geschlossenheit
Der Widerspruch zwischen der Oppositionsrolle im Bund und der Regierungsarbeit in vielen Ländern machte den Grünen sehr zu schaffen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann brüskierte die Bundespartei mit Alleingängen, es kam zu kaum erklärbaren Entscheidungen. So geißelten die Grünen etwa im Bundestag die Erbschaftsteuerreform der Großen Koalition als zutiefst ungerecht, winkten sie aber im Bundesrat durch.
Die Grünen wirkten oft so unsortiert, weil die Parteispitze als austarierendes Machtzentrum ausfiel. Cem Özdemir machte sich über weite Strecken zum Sprecher der Hardcore-Realos aus Baden-Württemberg, Simone Peter agierte ebenfalls in der Flügellogik. Habeck und Baerbock versprechen nun, integrativ zu führen. Eine starke, einige Parteispitze wäre für die Grünen ein echter Schritt nach vorne. Für die Idee, die Rollen von Partei und (Landes-)Regierungen anders zu denken, gibt es bei den Grünen viel Sympathie. Jürgen Trittin riet seiner Partei: „Wir müssen aufhören, so zu tun, als gäbe es die unbefleckte Arbeit in der Partei und alles in der Regierung sei falsch und kompromisslerisch.“
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