piwik no script img

Aufrüstung als SackgasseMilitärische Zeitenwende

Die aktuelle Aufrüstungspolitik führt in eine Sackgasse. Daher sollten wir uns dringend vom Mythos der propagierten Wehrhaftigkeit verabschieden.

Kann er uns den Weg weisen? Kommandeur beim feierlichen Gelöbnis der Rekruten der Logistikbataillone Foto: Jens Kalaene/dpa

N eulich diskutierte ich beim Steirischen Herbst, einem Festival für zeitgenössische Kunst in Graz, mit einem General über Aufrüstung (mein Wort) beziehungsweise Nachrüstung (sein Wort). Unsere Positionen waren nur ein Präfix voneinander entfernt – und doch lagen Welten dazwischen. Einig waren wir uns nur hierin: Krieg ist die brutalste Form der Inhumanität und die dümmste Form, Konflikte zu lösen.

Doch leider sei die Welt so und nicht anders, sagte der General, sie zwinge uns also, immer mehr in Sicherheit zu investieren. Deswegen die regelrechte Explosion der Ausgaben: Die weltweiten Militärausgaben erreichten 2024 einen Rekordwert von 2,718 Billionen US-Dollar, ein Anstieg von 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2024 markierte das zehnte Jahr in Folge mit steigenden Militärausgaben. Dabei machen die fünf größten Militärmächte – USA (997 Milliarden), China (314 Milliarden), Russland (149 Milliarden), Deutschland (88,5 Milliarden) und Indien (86 Milliarden) 60 Prozent der weltweiten Ausgaben aus. Die europäischen Nato-Ausgaben wuchsen von 2014 bis 2024 um über 70 Prozent. Die Behauptung, „wir“ hätten das Militär sträflich unterfinanziert, ist schlichtweg falsch.

Ilija Trojanow

ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. 2023 ist sein Roman „Tausend und ein Morgen“ bei S. Fischer erschienen, aktuell im Handel: „Das Buch der Macht – Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“ im Verlag Andere Bibliothek.

Mit diesem Schlagloch verabschiedet sich Ilija Trojanow nach einer über 20-jährigen Autorenschaft an dieser Stelle zu unserem großen Bedauern und mit einem noch größeren Dank an Ilija und seine ideenreichen, argumentationsstarken und originellen Texte. Alles Gute, lieber Ilija!

Die Schlagloch-Vorschau:

5. 11. Gilda Sahebi

12. 11. Georg Diez

19. 11. Robert Misik

26. 11. Georg Seeßlen

Nachrüstung sei notwendig, weil Europa wehrhafter werden müsse, sagen die FürsprecherInnen. Doch schon jetzt sind die europäischen Nato-Staaten hinsichtlich Wirtschaftsleistung, Verteidigungsausgaben und Waffensystemen Russland klar überlegen. Wer profitiert also von der neuen Aufrüstung?

Ganz sicher nicht die Mehrheit der Bevölkerung, sondern eine Rüstungslobby aus Politik, Industrie und Militär, für die der Angstzustand das beste Geschäftsmodell bleibt. Zentralisierte Verwaltungssysteme neigen dazu, die Welt um sich herum zu vereinfachen, die eigenen Möglichkeiten zu überschätzen und andere Sichtweisen nicht zu akzeptieren. So entsteht ein in sich geschlossenes System von Sonderinteressen, das kaum reformierbar ist.

Militarisierung frisst Debattenkultur

Während Sozialwohnungen, Kitas und Windräder fehlen, blättert die „Zeitenwende“ Milliarden für Drohnen und Panzer hin – 28 Prozent mehr Militärausgaben in einem Jahr. Die Militarisierung frisst nicht nur den eigenen Haushalt, sondern auch Geist und Debattenkultur. Zugleich verschärft die Militarisierung systematisch die bestehenden Krisen und Ungleichheiten. Militärausgaben werden immer öfter als alternativlos dargestellt, die demokratische Kontrolle zerbröselt unter dem Diktat der Sicherheit.

Intransparente Vergabepraktiken, Kostenexplosionen, Lobbyismus und ein Drehtüreffekt zwischen Verteidigungsministerium und Konzernetagen sind zum Alltag geworden. Oder mit den Worten der Rocklegende Frank Zappa: „Die Regierung ist die Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.“ Transparency International beziffert, dass rund 40 Prozent der Korruption im Welthandel beim Waffenhandel stattfinden – ein Skandal, den man hierzulande selten in Talkshows verhandelt.

Verdrängt werden auch die ökologischen Kosten dieser Maschinerie. Das Militär ist für etwa 5,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich, als Land wäre es weltweit der viertgrößte Klimasünder. Die aktuellen Nato-Aufrüstungspläne bedeuten schon jetzt jährlich 200 Millionen Tonnen zusätzliches CO₂ fast ein Drittel der gesamten deutschen Emissionen. Während die Zivilgesellschaft an vielen Enden sparen muss, wird zur selben Zeit das Zerstörungspotenzial der Zukunft ausgebaut. Die Pariser Klimaziele werden dadurch de facto außer Kraft gesetzt.

Der Export „unserer Werte“ spezialisiert sich zunehmend auf den Waffenexport. Deutsche und österreichische Gewehre, Pistolen, Munition finden sich in Krisengebieten auf der ganzen Welt. Rüstungsexporte an autokratische Regime (Saudi-Arabien war 2024 mit 126,4 Millionen Euro der viertgrößte Empfänger deutscher Rüstungsexporte) zerstören jegliche Rhetorik von „Wertepolitik“.

Perfider Mentalitätswandel

Was hierzulande angeblich der Sicherheit dient, destabilisiert andernorts ganze Regionen, treibt Menschen in Flucht und Elend – und wir kassieren mit. Und wie sehr die Militärausgaben „nur“ unserer Selbstverteidigung dienen, zeigt die Nato-Geschichte der vergangenen Jahrzehnte: Erinnern wir uns an den globalen „Krieg gegen den Terror“, bei dem angeblich ein Erfolg den nächsten jagte, am Ende jedoch 8 Billionen US-Dollar verpulvert, eine ganze Region destabilisiert und 900.000 Menschen getötet worden waren (laut des „Costs of War Project“ der Brown University).

Besonders perfide ist der Mentalitätswandel, der die gesellschaftliche Debatte vergiftet. Wer nichtmilitärische Optionen hochhält, gilt inzwischen als „Lumpenpazifist“ – ein Begriff, der den Sound von „Wehrkraftzersetzung“ aus dunklen Zeiten aufgreift. Verschiedene Medien loben die Forderung von Boris Pistorius nach „Kriegstüchtigkeit“, PolitikerInnen sind dabei, „Kriegstüchtigkeit“ zur neuen Staatsdoktrin zu stilisieren. Die neue soziale Norm bedingt, sich „wehrhaft“ zu geben: Die Militarisierung des Denkens ist so gefährlich wie die materielle Aufrüstung, weil sie Zweifel und Alternativen systematisch diffamiert.

Was fehlt, ist eine offene Debatte darüber, wie Sicherheit jenseits von Panzerketten aussehen kann: Investitionen in soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bildung, Gesundheit. Das Beharren auf universellen Werten. Das Vermitteln von Strategien und Techniken der sozialen Verteidigung.

Die eigentliche Bedrohung für Demokratie, Wohlstand und Friedlichkeit ist eine Aufrüstung, deren einziges gesichertes Ergebnis darin besteht, ihre eigenen Voraussetzungen immer wieder selbst zu schaffen – mehr Unsicherheit, mehr Gewalt, mehr autoritäre Versuchungen. Hinter der vom Sicherheitsapparat befeuerten Erzählung von der ständigen Gefahr, für die immer mehr Waffen die einzige Antwort bieten sollen, steckt ein teurer Trugschluss: Wer Freiheit und Demokratie sichern will, braucht weniger Rüstung und mehr kritisches Nachdenken über die wahre Natur von Sicherheit im 21. Jahrhundert.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. 2023 ist sein aktueller Roman „Tausend und ein Morgen“ bei S. Fischer erschienen und druckfrisch im Handel: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“ im Verlag Andere Bibliothek.  
Mehr zum Thema

48 Kommentare

 / 
  • "Nato-Staaten hinsichtlich [...] Waffensystemen Russland klar überlegen" - eine Anlayse im SPIEGEL vor einigen Monaten kommt zu einem anderen Schluss, z.B. bei Drohnen sind die Europäer noch nicht besonders gut.



    Weiterhin ist viel Gerät in Türkei und Griechenland konzentriert und nützt nichts bei einer (hoffentlich natürlich ewig theoretischen) Verteidigung nördlicher.



    Russland hat die Ukraine überfallen, da müsste die Kriegsschuld eigentlich klar sein.

  • Wow! Mir ziemlich exakt aus der Seele gesprochen. Das gibt es selten.



    Obwohl es mir nicht behagt, müsste man nur an einer Stelle die Zahlen etwas korrigieren. Der Anstieg der Rüstungsausgaben scheint sich auf absolute Zahlen zu beziehen? Da wäre wichtig, ob bzw. dass sie inflationsbereinigt sind. Ist das hier so?

    Sonst machen wir den gleichen Fehler, den die Rechtspopulisten von AfD und cdU z.B. beim Bürgergeld gerne machen. Das wird auch als gestiegen dargestellt während es relativ gesunken ist. Dort wird der Fehler natürlich absichtlich gemacht.

  • Stellt euch vor



    niemand gäb kein Tausendstel mehr



    für's Milli-tär

    • @kommentomat:

      Putin würde es freuen. Und einige andere auch.

  • USA: Hegseth schimpft vor Top-Militärs über „fette Generäle“

  • Gerd Grözinger , Autor , Prof., Europa-Univ. Flensbu

    Danke! Dass die NATO Russland in Punkto militärische Stärke auch vor diesen Rüstungsexzessen in praktisch jeder relevanten Kategorie weit überlegen war, konnte man im jährlichen SIPRI-Bericht detailliert und online nachlesen. Und wer das bezweifelt, das kann man immer noch!

  • In diesem Kommentar finde ich nur Schlagwörter. Der Hinweis, Europa sei Russland militärisch bereits überlegen, wird nicht belegt oder zumindest erklärt. Und mit sozialer Gerechtigkeit und guter Kinderbetreuung wird sich wohl nicht ernsthaft ein Krieg verhindern lassen???

  • Es geht nun mal nicht ohne glaubhafte Wehrhaftigkeit gegen aggressive Regime wie das Russische. Mit kritischem Denken wird man denen nicht bekommen; im Gegenteil. Das es nebenbei auch noch Investition in andere Bereiche braucht geschenkt, aber ohne ein glaubhaft starkes Militär wird es leider nicht gehen.

    • @Fran Zose:

      Dann sitzen wir lebenslänglich in Glaubhaft.

  • Meine Hoffnung war wenigstens ein Halbsatz in diesem Artikel, welche Wege eingeschlagen werden können, um aktuell auf Nach- oder Aufrüstung verzichten zu können.

  • Lieber Ilija Trojanow,



    Bravo, und vielen Dank für diesen runden, treffenden Artikel!



    Genau das brauchen wir gerade: vernünftige Stimmen gegen die blindwütige Militarisierung. Damit Otto Normalbürger nicht denken braucht, die Fixierung auf Kriegstüchtigkeit sei alternativlos. Oder, ebenso wichtig, man könne seine Stimme nicht mehr für Friedfertigkeit und Völkerverständigung erheben.



    Danke dir!

    • @Dr. M.:

      Kann mich da nur anschließen. Allerdings befürchte ich, daß das Wort "Kriegstüchtigkeit" schon zu tief in den Schädel des deutschen Michels einghämmert wurde.

    • @Dr. M.:

      Was ist denn nun die Alternative? Warum wird hier keiner von mal konkret???

      Was ist die Alternative für die Ukraine? Sie müssen doch irgendeine Vorstellung haben, was die Ukrainer tun sollen, oder?

  • Mehr Diplomatie, mehr Ehrlichkeit und mehr Respekt vor wichtigen Grundlagen des Völkerrechts würde mehr und besser zu unserer Sicherheit beitragen als jede militärische Aufrüstung.

    Das würde auch keine Kosten verursachen, sondern wohlstandsförderneden Handel erleichtern, ist also direkt in unserem rationalen Interesse.

    Meine Empfehlung an jeden der mal unsere "westliche" Poltik reflektieren möchte:

    1.) Auch ausländische "nicht-westliche" z.B.. indische (englischsprachliche) Nachrichten lesen oder ansehen (youtube).

    2.) Wirklich mal auf "harte Fakten" sehen, z.B. Dinge wie Völkerrechtliche Verträge UN-Resolutione oder Minsk-2 (Anlange zu UN-Soicherheitsresotlutin 2202) im Orginal lesen.

    Der Exakte Wortlaut von Minsk-2 oder auch Rom-Statut widerspricht stellenweise sehr verbreitetetn "Narativen" unserer Politik und Medienberichterstattung.

    3.) Qualifizierten Kritikern unserer Geopolitik zuhöhren wie z.B. dem Politikwissenschaftler Prof. John Mearsheimer der Uni Chicago,



    der z.B. dem "Westen" die Hauptschuld an dem Ukraine-Russland krieg jetzt gibt und bereits vor Jahren auf die Kriegsgefahr hingewiesen hat.

    • @Jörg Heinrich:

      Meinen Sie wirklich, dass die von Ihnen genannten Punkte einen Angriffskrieg der Russen mit zigtausenden Toten rechtfertigen? Wie verträgt sich das mit Ihrer Forderung nach "mehr Respekt vor wichtigen Grundlagen des Völkerrechts"?

      Und damit wollen Sie die Russen wieder aus der Ukraine kriegen? Das klingt für mich wenig überzeugend.

    • @Jörg Heinrich:

      Sie sollten den gestern veröffentlichten Bericht der UN, demzufolge Russland gezielt und bewusst Kriegsverbrechen gegen ukrainische Zivilisten verübt, lesen.

      Was wollen Sie dagegen tun? „Hey, Russen, warum macht ihr sowas? Wisst ihr nicht, dass das böse ist?“

      Das Problem ist: Ja, das wissen sie. Und sie tun es genau deswegen.

  • Lieber Herr Trojanow, Putin hat die Ukraine überfallen lassen und schickt jeden Tag hunderte Drohnen, Raketen und Bomben hinein. Er macht keinen Hehl daraus, dass weitere Staaten auf seiner Agenda stehen. Gerne denke ich jenseits von Waffen, aber aktuell kommt mir das wie Traumtänzerei vor.

  • Er spricht mir aus dem Herzen....und hat, gerade wenn es um Soziales ( und damit um den Kitt, der diese Gesellschaft zusammenhält) vollkommen recht! Aber wehe, einer spricht gegenüber den Rüstungskonzernen das böse Wort aus, das keiner nennen darf.....Übergewinnsteuer....dann ist was los! Übrigens: wenn uns der Staat durch extreme soziale Schieflage von innen um die Ohren fliegt, helfen Marschflugkörper auch nicht weiter....

  • Die wahre Natur der Sicherheit wäre die Frage, wie die Militarisierung von Russland und China hätten gestoppt werden können.

    Hybride Arbeit für Frieden. In allen Ländern -- das bedeutet auch, Propaganda für Frieden in Länder zu bringen, deren Herrscher das nicht wollen.

    Spätestens 2014 war es für das als *einzige* Strategie aber zu spät. Da hat Putin angefangen, für den Krieg zu rüsten, und an dem Punkt durfte dieser Krieg keinen Erfolg mehr haben können.

  • Nicht ein Wort davon, dass Russland uns aktiv bedroht.



    Und wer meint, dass Europa Russland militärisch überlegen sei, sollte mal die Anzahl der Kampfpanzer Russlands mit denen der europäischen Staaten vergleichen…

  • Ja, so habe ich früher auch gedacht, als ich an fruchtbaren Austausch, Überzeugung und ein globales Miteinander glaubte. Heute wird die Diskussion, wie die Welt aufgeteilt werden soll, von wenigen Männern und Interessengruppen beherrscht, die einer Diskussion über ein global friedliches Zusammenleben, das Wohlergehen aller und der Krankheit unseres Planeten eigene totale Machtansprüche entgegenstellen, ohne jede Rücksicht auf Mitmenschen. Der Graswurzelgedanke von einst mag sich da austoben, wir werden damit allein keine friedlichere und lebenswerte Welt erreichen können. Die aktuell sogar gewählten Herrscher der großen Länder kennen nur noch die Sprachen der Macht, der Überlegenheit, der Gewalt, des Krieges. Dem können wir aus europäischem Denken heraus - trotz und wegen unserer schrecklichen Geschichte - nur über Standhaftigkeit, eigene Anstrengung und Stärke antworten. Doch mir fehlt auch eine echte Antwort auf die Frage, wie wir die verrückten Herrscher zur mitmenschlichen Vernunft, zur Empathie, zum Ausgleich zurückholen könnten. Ilija Trojanows Position empfinde ich eher als defensiv, passiv, die Mächtigen erduldend. Einen Aufstand der Demokraten seh ich auch nicht. Schade.

  • 2025 einen Text über Rüstung zu schreiben und den Krieg in der Ukraine nicht mal zu erwähnen?

  • Ich finde, Trojanow hat mit einigem recht – etwa wenn er auf Korruption, Lobbyismus oder die sozialen Kosten der Aufrüstung hinweist. Aber was mir fehlt, ist die Anerkennung, dass es manchmal keine Alternative zur Verteidigung gibt. Die Ukraine führt keinen Angriffskrieg, sie kämpft ums Überleben. Ohne Waffen gäbe es dort keine Freiheit, keine Demokratie, keine Zukunft.

    Wehrhaftigkeit als „Mythos“ abzutun, geht an der Realität vorbei. Militärische Stärke ist kein Ideal, aber sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt über Klima, Bildung oder soziale Gerechtigkeit reden können.

    Klar: Mehr Nachdenken über Sicherheit jenseits von Waffen ist wichtig. Aber solange es Staaten gibt, die mit Gewalt Politik machen, bleibt Wehrhaftigkeit kein Mythos – sondern bittere Notwendigkeit.

  • Dass wir in Deutschland uns nicht direkt bedroht fühlen, ist verständlich. Würde die Autorin ähnlich argumentieren, wenn sie aus der Perspektive von bspw Litauen schreiben würde? Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bildung, Gesundheit sind alles gute Ziele, in die man investieren sollte. Das ist ja vollkommen richtig. Nur wenn die Freiheit weg ist, weil man von Putin oder einer seiner Marionetten regiert wird, ist das alles hinfälliges Wunschdenken. In Litauen ist das eine ziemlich konkrete Bedrohung.

    Wie sieht denn bitte "die wahre Natur von Sicherheit im 21. Jahrhundert" aus? Das bleibt leider das Geheimnis der Autorin...

  • Vielen Dank Herr Trojanow für diesen sehr prägnanten und vernünftigen Beitrag, der auch auf die institutionelle Seite des Ganzen hinweist. Die im Zuge der Militarisierung entstehenden Strukturen und politisch-industriellen Verflechtungen werden sich eben nicht später einfach so zurückfahren lassen, sondern ein gewaltiges Beharrungsvermögen entwickeln.

    Nur ein Teilaspekt: Man kann sich lebhaft vorstellen, was geschieht, wenn tatsächlich so etwas wie eine Aktienrente eingeführt wird und wenn die Ersparnisse vieler Menschen in den Rüstungssektor und in die von ihm zunehmend abhängige Metallindustrie fließen. Dann wird man später argumentieren, ein Rückbau der Rüstungsindustrie gefährde die Alterssicherung.

    • @Kohlrabi:

      Was schlagen Sie denn vor für den Umgang mit der sicherheitspolitischen Lage? Das Beharren auf universellen Werten?

    • @Kohlrabi:

      Das „gewaltige Beharrungsvermögen“, dass sich durch den massiven Rückbau militärischer Fähigkeiten im Glauben an die ewige Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges gezeigt hat?

  • Was ist denn das für eine realitätsferne Argumentation mit anschließendem Wünsch-dir-was? Frau Wagenknecht wird ihre wahre Freude an diesem Artikel haben, denn Unlogig war noch nie ein Problem für Populistinnen ...

  • Und wieder ein Beitrag, der völlig unbeeindruckt von der bisherigen Debatte nur mantrahaft Glaubenssätze wiederholt, die längst diskutiert und widerlegt worden sind. Man muss ja die konkreten Bedrohungsszenarien, selbst wenn sie von ausgewiesenen Experten dargelegt worden sind, nicht teilen, aber es gehört doch zur argumentativen Redlichkeit, sich wenigstens mit ihnen auseinanderzusetzen. Stattdessen eine Predigt an die true believers.



    Da überzieht ein Diktator, dessen imperiale Ideologie überall nachzulesen und von Fachleuten hinreichend anaylsiert worden ist, sein Nachbarland seit 2014 mit dem blutigsten Krieg, den Europa seit WK II erlebt hat und versucht gleichzeitig, die westlichen Demokratien systematisch mit seinen Proxies, seiner Propaganda, aber auch ganz real mit Sabotageaktion zu unterminieren, in der Hoffnung, dass das durch einen erratischen bis desinteressierten amerikanischen Präsidenten ohnehin geschwächte Verteidigungsbündnis im Ernstfall auseinanderfallen würde. Aber Trojanow sieht die Hauptbedrohung in der Rüstungsindustrie und setzt auf den Abschreckungseffekt von mehr Kitas.

  • Es gibt sie also noch:



    Stimmen der Vernunft in einer ansonsten eher militaristischen gewordenen TAZ

    • @Peter Klein:

      Es gibt sie also noch:

      Realitätsverweigerer, die lieber schimpfen, als über konstruktive Vorschläge für den Umgang mit der veränderten sicherheitspolitische Lage nachzudenken.

    • @Peter Klein:

      Okay, bitte:

      Was ist die vernünftige Antwort auf einen russischen Angriff?

      „Sicherheit anders denken“? Die russische Drohne hat mich gar nicht erschossen?

  • Bei den Militärausgaben der EU-Länder, die jetzt schon 3,4 mal so hoch sind wie die von Russland im Krieg, wird ja immer argumentiert, bei uns ist alles teurer (Personal, Renten für Soldaten, Material, usw.).



    Deshalb wäre ein Artikel über die tatsächlichen Waffenbestände der EU-Länder im Vergleich zu Russland gut.



    Wir haben mehr Panzer, mehr Flugzeuge, mehr Raketen, mehr von fast allen Kategorien von Waffen - außer vielleicht Drohnen.

    • @Semon:

      Das stimmt alles definitiv nicht.

      Russland hat zB SEHR viel mehr Panzer als Europa.

  • Hat das Beharren auf universellen Werten die russischen Truppen in der Ukraine gestoppt? War vor der "Zeitenwende" Geld für Sozialwohnungen, Kitas und Windräder da? Wurden gar vor 2022, als die NATO noch hirntot war, die Klimaziele erreicht???

    Immer das gleiche Gelaber. Seit drei Jahren. Und wenn einem dann keiner mehr zuhört, einfach jammern, es fehle an einer offenen Debatte und kritischem Nachdenken. Dafür, dass man nichts sagen und nichts denken darf, findet sich in Deutschland immer ein offenes Ohr.

    • @nihilist:

      Die universellen Werte sind es im übrigen auch wert, mit Gewalt verteidigt zu werden.

      Innerhalb eines Krieges zeigen sie sich dann zB darin, dass man darauf verzichtet, absichtlich Kriegsverbrechen zu begehen und Zivilisten zu ermorden. Also so, wie die Ukraine es tut, während Russland - gestern erst wieder von den Un bestaetigt - absichtlich und bewusst die universellen Werte mit Füßen tritt.

  • Ich hatte auf einen konkreten Vorschlag gehofft, was denn die Antwort auf Putins Expansionspläne und die bereits massiven hybriden Angriffe sein kann.



    Stattdessen leider wahre Hinweise auf die Kosten der Nachrüstung (nun ja, Zeiten ändern sich- und die zitierten Ausgaben sind eben erst in 2024 angelaufen).



    Sollten wir nicht diskutieren über die Art der Verteidigungswaffen, die wir uns leisten wollen?



    Drohnenabwehr, Iron Dome über Europa oder wenigstens Berlin, Warschau und Paris?



    Über den Anteil, der für die Abwehr von Desinformation aufgewendet wird?



    Über die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für ein freies und demokratisches Europa, über Solidarität durch Sozialen Dienst, Militärdienst und politische wie militärische Zusammenarbeit?

    Stattdessen die immer gleichen sprachlichen Abziehbilder von "Militärlobby" (also, ich möchte schon geschützt werden!), steigenden Gewinnen (was ist uns Sicherheit wert?) und die Trauer über hunderttausende Tote durch westliche Waffen.



    Die Trauer ist berechtigt, das militärische Engagement im Nahen Osten müsste diskutiert werden. Nur- aktuell wehrt sich die Ukraine seit drei Jahren tapfer gegen den russischen Moloch.

  • Ich verstehe nicht, warum bei so einem Kommentar, der Ukraine Krieg völlig ausgeblendet wird. Ein starkes Nachbarland hat ein kleines Land überfallen, um sich Gebiete davon anzueignen. Was soll das kleine Land nach Meinung des Autors machen?

  • "Wer Freiheit und Demokratie sichern will, braucht weniger Rüstung und mehr kritisches Nachdenken über die wahre Natur von Sicherheit im 21. Jahrhundert."

    Dann wäre es doch mal ein Anfang gewesen, in dem Beitrag etwas über die "wahre Natur von Sicherheit im 21. Jahrhundert" zu verraten.

    Putin, Jinping und so einige andere freuen sich ungemein, wenn wir Sicherheit nur "jenseits von Panzerketten" definieren.

    Leider haben wir nicht mehr den Luxus, uns auf die Großmächte verlassen zu können, wenn es um die Landesverteidigung geht, das hat zuletzt (aber nicht zuerst) Trump sehr deutlich gemacht.

    Dass wir auch "Investitionen in soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bildung, Gesundheit" tätigen müssen, bleibt definitiv ein wesentliches Ziel.

    Aber das Eine gegen das Andere auszuspielen, greift einfach zu kurz.

    • @doda:

      Richtig.

      Ich frage mich, welchen Rat Herr Trojanow wohl für die Ukrainer parat hat. Sollen die auch einfach mal „Sicherheit anders denken“?

    • @doda:

      Das mag man ja so sehen, nur was steht am Ende? Das der stärkere gewinnt? Das Frieden aus Stärke heraus kommt? Genau das wird natürlich nicht passieren. Es wird ein Gemetzel.



      Keiner hat eine Lösung für diese Konflikte! Also sollten nicht einige so tun, als hätten sie eine.

      • @Kay Brockmann:

        Unterwerfung aus Schwäche ist Ihnen lieber als der Versuch, sich gegen Aggression zu wehren, oder - im besten Fall - Aggression durch glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit zu verhindern?

        Oder was wäre Ihrer Ansicht nach die Alternative? Ihre Sichtweise scheint mir nicht ganz zu Ende gedacht.

      • @Kay Brockmann:

        Frieden aus Schwäche funktioniert aber leider genau so wenig, wenn man einen aggressiven, imperialistischen Nachbarn hat. Und darum ist auch Trojanows Text keine Lösung.

      • @Kay Brockmann:

        Was war denn das Ende des Zweiten Weltkrieges?

        Die Aggressoren wurden mit massiver Waffengewalt besiegt und aus den von ihnen besetzten Ländern vertrieben. Wie sähe die Welt heute aus, wenn das nicht geschehen wäre?

  • Schön, wenn sich Sesselstrategen über CO2-Emissionen des Militärs echauffieren, da erkennt man sofort das Expertentum!

  • Leider wussten Ukrainer und Kurden, Vietnamesen und Masalit und viele andere nicht, dass "Investitionen in soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bildung, Gesundheit. Das Beharren auf universellen Werten. Das Vermitteln von Strategien und Techniken der sozialen Verteidigung" den jeweiligen Aggressor zur Strecke gebracht hätten.

    Hätten sie mal die taz gelesen.

    • @KruegerParc:

      Welchen Aggressor meinen Sie im Fall der Kurden?

  • Gegen den Inhalt der Kolumne ist nichts zu sagen.

    Leider fehlt wie so oft die Erklärung wie nichtmilitärische Investitionen zum Beispiel in Deutschland andere Länder davon abhalten mit militärischen Mitteln zum Beispiel gegen Deutschland zu agieren.

    Als Beispiel sei hier die Ukraine genannt, die ihre Atomwaffen abgegeben hat, sich auf Verträge verlassen hat mit den wichtigsten Großmächten und sich der Demokratie zugewandt hat. Jetzt wird sie seit über drei Jahren von Russland mit Krieg, Terror, usw. überzogen.

    Wie soll bzw. kann es global erreicht werden, dass so etwas eben nicht passiert?

    Klar, wenn alle Menschen mitmachen, dann klappt das, aber die Geschichte zeigt, dass immer wieder Menschen geboren werden, die eben nicht bereit sind, ausschließlich gewaltfrei/nichtmilitärisch zu handeln.

    Nichtmilitärische Investitionen in einzelnen Ländern ändern nicht die militärischen Investitionen und Handlungen anderer Länder.