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documenta 15 in KasselBanner ist weg, Streit geht weiter

Die Debatte um das antisemitische Großbanner, das bei der documenta zu sehen war, setzt sich fort. Nun hat sich der Bundeskanzler zu Wort gemeldet.

An diesem Gerüst hing das Banner „People's Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi Foto: Uwe Zucchi/dpa

Die Debatte um den Skandal bei der Kasseler Kunstschau documenta geht unvermindert weiter. Wie am Mittwochabend bekannt wurde, bleibt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgrund des zunächst als Teil der Ausstellung gezeigten Hauswand-großen Wimmelbilds „People's Justice“ vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Pad, auf dem eine antisemitische Bildsprache zu sehen war, der 15. Ausgabe fern.

Das Werk zeigte unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Diese fratzenhaften Darstellungen lösten heftige Kritik aus.

Wie eine Regierungssprecherin der Jüdischen Allgemeinen mitteilte, sei der Bundeskanzler der Ansicht, dass „in Deutschland kein Platz für antisemitische Darstellungen“ sei, „auch nicht in einer Kunstausstellung.“ Nach eigenen Angaben habe Olaf Scholz bislang jede der documenta-Schauen der vergangenen 30 Jahre besucht.

Systematische Untersuchung der Exponate

Die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann hat nun wegen des Antisemitismus-Skandals eine systematische Untersuchung der Kunstausstellung auf „weitere kritische Werke“ angekündigt. „Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen“, sagte sie in einem Interview der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA). Das indonesische Kollektiv Ruangrupa kuratiert die documenta fifteen. Unterstützt werde die Gruppe nun von anerkannten Experten wie Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.

„Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsführung, alle Werke vorab in Augenschein zu nehmen und freizugeben“, erklärte Schormann. „Das würde dem Sinn der documenta widersprechen.“ Es könne daher auch nicht sein, die Kunst beispielsweise einem Expertengremium im Vorfeld zur Freigabe vorzulegen. Dies sei eine Kernaufgabe der Künstlerischen Leitung.

Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war abgebaut worden, nachdem es von Samstag bis Dienstag auf der documenta an einem Haus zu sehen war. Schormann kündigt nun eine Gesprächsreihe zu dem Thema an. Außerdem solle es einen „Begegnungsstand“ am Friedrichsplatz in Kassel geben – mit der Bildungsstätte Anne Frank und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Am Friedrichsplatz war das Werk aufgestellt, bevor es verhüllt und am Dienstag schließlich abgebaut wurde.

Muss das die Welt ertragen?

Anders urteilt der Vorsitzende des documenta-Forums, Jörg Sperling. Er hat die Entfernung des als antisemitisch kritisierten Kunstwerks auf der Kasseler Kunstausstellung kritisiert. „Eine freie Welt muss das ertragen“, sagte er. Der Antisemitismus-Vorwurf begleite die documenta fifteen seit Anfang des Jahres.

Das Werk sei am Dienstag „auf politischen Druck hin“ abgehängt worden. Es gehe in dieser Debatte um Politik, nicht um Kunst. Das Bild sei eine Karikatur und seiner Meinung nach von der Kunstfreiheit gedeckt. „Die Kunst hat ein Thema aufgebracht, das außerhalb der Kunst liegt: das Verhältnis von Palästinensern und Israelis. Dieses Problem kann die Kunst nicht lösen, das kann auch die documenta nicht lösen.“

Forderungen, die ausgestellten Kunstwerke hätten vorab überprüft werden müssen, lehnt Sperling kategorisch ab. „Das wäre Zensur.“ Angesichts der Menge der ausgestellten Objekte an mehr als 30 Standorten sei das zum einen nicht leistbar. Zum anderen widerspreche es der Idee der documenta.

Mit dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa habe man sich in diesem Jahr bewusst dafür entschieden, eine andere Sicht auf Kunst und Kultur einzuladen: kollektiv, aus dem globalen Süden, abseits des Kunstmarkts. „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“ (mit Material von dpa)

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43 Kommentare

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  • Die Welt und auch die Dokumenta wäre nicht untergegangen wegen diesem Bild. Ich glaube es ist einfach Ansichtssache der Künstler und Ihre Freiheit zu malen was sie für gut oder böse halten. Sie wählen dazu die vor ihrem kulturellen Hintergrund zur Verfügung stehenden Mittel und Symbole. Wegen dieser Provokation eine "Antisemitismus" Diskussion zu führen ist okay aber Verhüllung und Abbau ist Zensur.

    Antisemitismus ist für uns schwer zu ertragen. Sich kritisch und inhaltlich mit den Darstellungen und dem Kunstwerk auseinandersetzen und darüber reden, das ist was vor dem Bild tatsächlich passiert ist.

    Was mich schwer beunruhigt ist, das wir die Kritik nicht einfach ertragen, sondern das die Empörten durch die Straßen ziehen und die politische Einmischung die letztendlich zur staatlich beförderten Zensur führen. Das ist der eigentliche Weltuntergang.

    Hängt das Banner wieder auf und führt den Dialog!

    • @Moonlight:

      Und fragt Juden und Jüdinnen was sie und wie sie darüber denken.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Das leere Gerüst, an dem das Großgemälde hing, sollte dauerhaft stehen bleiben.



    Ergänzt um ein Tafel, dass hier Kunst von Funktionärsbürokraten verschiedener Organisationen, aber auch von einer Kulturpresse, die undifferenziert und von einem kollektiven Furor besessen von BILD bis Freitag und ja, auch der taz, aber auch von durchweg inkompetenten ör-Medien als Antisemitismus diffamiert und abgeräumt wurde, obwohl dafür (für Antisemitismus) nicht ein echter Beleg vorhanden war.



    Und dass Politiker wie Herr Scholz und Frau Roth sich anmaßten, als Folge Kunst unter staatliche Kuratel stellen zu wollen.



    Der ganze Vorgang ist ein abschreckendes Beispiel, wie Ignoranz, die Wichtigtuerei von Verbandsfuktionären und politische Überheblichkeit verfassungsgarantierte Freiheitn - hier die Freiheit der Kunst - unreflektiert infrage stellen.



    Jedem einfachen Bürger gestehe ich hier Fehlurteile zu. Und jedem jüdischen Mitbürger besondere Sensibilität beim Thema Antisemitismue ob der schrecklichen Erfahrungen in und mit unserer Geschichte.



    Wie Politik und Kulturpresse sich verhalten haben, das ist mindestens blamabel, teilweise schändlich.

  • Das war in einem fernen Land lange vor unserer Zeit völlig normale staatlich geförderte antikapitalistische Propaganda für die Arbeiter und Bauern.

  • Und das Elend geht weiter.

    Es werden Filme gezeigt, die »Auskunft über die weitestgehend übersehene und nicht dokumentierte antiimperialistische Solidarität zwischen Japan und Palästina geben soll«.

    Die antiimperialistische Solidarität sah so aus, dass Aktivisten der japanischen "Rote Armee" auf dem Flughafen Lod bei einem Attentat 1972 26 Menschen ermordeten.

    Blumig schreibt dazu das Kollektiv Subersive Film:

    »die Beziehungen zwischen Tokio, Palästina und der Welt in einem nomadischen Filmprogramm um verschiedene Fragmente des restaurierten Films herum«

    Alle paar Tage ein neuer Skandal. Das dürfte Weltrekord sein.

    www.mena-watch.com...lbstmordattentats/

    Olle Sontheimer hat vor 10 Jahren über das Mord-Attentat in der taz geschrieben:

    taz.de/40-Jahre-Mo...rorismus/!5092765/

  • Der gestrigen ZEIT kann man entnehmen, dass Taring Padi sich der antisemitischen Elemente nicht bewußt gewesen sei. Auch habe man die eine Figur nicht als orthodoxen Juden erkannt. Ich nehme das dem Kollektiv zu 100% ab, genauso wie die Aufrichtigkeit der Entschuldigung durch Ruangrupa. Bloß bekommt die ganze Konzeption der Documenta hierdurch eine ironische Wende: da macht die Documenta-Leitung einen Kotau vor dem "globalen Süden", übergibt ihm die Leitung, damit er zeigen kann, wie die korrekte postkoloniale Moral aussieht, und dann stellt sich heraus, dass wir ein weit niedrigschwelligeres Alarmsystem für z.B. Antisemitismus (also letzten Endes die Verletzung der Menschenwürde betreffend) in Deutschland haben. Man sollte sich vielleicht ebenfalls dazu durchringen anzuerkennen, dass es auch außerhalb der weißen Welt lupenreinen Rassismus gibt, stark in Asien inklusive Indonesien (eigene Erfahrungen), aber auch z.B. in Nordafrika den Schwarzafrikanern gegenüber usw. Ich will hier nicht alles reinwaschen, aber wir haben doch in Deutschland mittlerweile eine recht offene Gesellschaft. Man sollte nur den Furor der Selbstkasteiung etwas rausnehmen und dann aber auch den netten Leuten von Ruangrupa und Taring Padi die Hand reichen. Die letzteren haben den sympathischen Satz von sich gegeben: "Wenn man uns nicht mehr willkommen heißt, dann gehen wir. Leise (!!!!)." Ist doch richtig kuschelig.

  • „Eine freie Welt muss das ertragen“ klingt für mich in diesem Fall wie "Das wird man doch noch sagen dürfen". Auch so ein Satz, den ich mit einem klaren Nein beantworte. Und schon gar nicht möchte ich dieses "Ertragen" mit öffentlichen Mitteln finanziert sehen.

  • Ich finde diesen Skandal gut. Und es ist ein Skandal.

    Die beiden fraglichen Bildchen, insbesondere das mit dem dem Vampir-Juden, haben Stürmer-Qualität. Der Umstand, dass es sich um grobschlächtige Beleidigungen und Polemiken handelt, die aus der tiefsten Müllgrube antijüdischer Stereotypen stammen, ist nicht zu leugnen.

    Umso bezeichnender ist, wer das noch verteidigt und mit welchen Argumenten. Achgott ... im "Süden" hat man halt eine andere Sicht auf die Dinge. Sind ja nur ein paar Kirtzeleien, so what. Und Herr Sperling mit "das muss man halt aushalten".

    Nein, das muss man nicht aushalten. Solchen blöden Antisemitismus muss man nicht aushalten sondern bekämpfen. Das fällt nicht unter Kunstfreiheit sondern unter Hetze.

    Ich bin aber dankbar für diesen Skandal, weil er verdeutlicht, dass viele linke deutsche Intellektuelle, die das verteidigen, eben nicht "antizionistisch" sind, sondern lupenreine Antisemiten. Wer sonst würde solche Karrikaturen auch noch verteidigen?

  • Ich verstehe nicht den Zusammenhang zwischen der dargestellten Kritik an der Kollaboration des israelischen Geheimdienstes Mossad mit dem ehemaligen indonesischen Diktator Suharto und dem Vorwurf des Antisemitismus. Es geht hierbei schließlich um die Diktatur und Verfolgung von Demokraten in Indonesien vor 1998. Neben der Mossad Karikatur finden sich zahlreiche andere ausländische Geheimdienste, die dem Diktator dabei halfen, Demokratie zu unterdrücken. Paradoxerweise stammen einige aus demokratischen Staaten (NL,GBR), welche im Namen der heimischen Demokratie eine Diktatur unterstützten. Über eine Millionen Oppositionelle wurden während der Diktatur getötet, gleichzeitig pflegte ein deutscher Bundeskanzler Kohl freundschaftliche Beziehungen zu Saharuta, auch nach dessen Annexion Ost-Timors und der Ermordung Hundertausender.



    Sich dieser historischen Verantwortung zu stellen, im Sinne der De-Colonize Bewegung europäische Interventionen in Indonesien zu hinterfragen, verpasst der politische Diskurs volkommen.



    Stattdessen wird ein Ausschnitt herausgezogen, ein Bruchteil dessen, was das Kunstwerk ausmacht, um seine ganze Aussage und die Arbeit des Kollektives zu diskreditieren. Das Kollektiv hat sich für die Darstellung des Mossad Agenten entschuldigt, dennoch fällt selbst diese Überspitzung unter die Kunstfreiheit, ob man es antisemitisch liest oder nicht. Als Karrikaturen des Propheten Mohamed in europäischen, mehrheitlich christlichen Gesellschaften veröffentlicht wurden hat man sich ebenfalls auf die Kunstfreiheit berufen. Den Vorwurf, das Kollektiv stammt aus einem muslimischen Land und daher sind sie (automatisch) Antisemiten, die Korrelation von Islam und Antisemitismus, ist brandgefährlich und ermöglicht eine neue Form der Islamophobie, welche seit der "Flüchtlingswelle" in allen gesellsch. Schichten verbreitet ist. Die eindimensionale Perspektive dieses Diskurses zeugt von fehlender kulturellen Akzeptanz gegenüber anderem.



    Die Revolution frisst ihre Kinder

    • @Tobi G:

      "Den Vorwurf, das Kollektiv stammt aus einem muslimischen Land und daher sind sie (automatisch) Antisemiten, die Korrelation von Islam und Antisemitismus, ist brandgefährlich und ermöglicht eine neue Form der Islamophobie, welche seit der "Flüchtlingswelle" in allen gesellsch. Schichten verbreitet ist"

      Wer bitte stellt denn diesen Vorwurf auf? Wer hat das so behauptet?

      Die berechtigte Kritik an offenem Antisemitismus (und nein, auf dem Bild wird nicht nur ein "Mossad Agent" verunglimpft, sondern ebenfalls ein an Tracht erkennbar dargestellter Jude mit Raffzähnen und SS Runen) mit fremdenfeindlicher Islamophobie in Verbindung zu bringen ist so hahnebüchen wie perfide.

      Es ist völlig irrelevant, wer solche Symbolik verwendet. Das ist keine berechtigte Kritik an israelischer Politik, sondern zielt eindeutig auf die Darstellung "des Juden" ab, wie man sie eins zu eins in den häßlichsten Nazi-Publikationen finden kann.

      Und da spielts auch keine Rolle, ob man das nur in kleinen Ausschnitten oder im ganzen Bild findet.

      Wer meint, seine Kritik an "dem brutalen kapistalistischen System" nur mit klar antisemitsichen Klischees im bestem Stürmer-Niveau ausdrücken zu können, muss einfach damit leben, dass er genau daran gemessen wird und man ihm eine nachträgliche Entschuldigung einfach nicht abnimmt.

    • @Tobi G:

      Selbstverständlich kann man die Zusammenarbeit Israels mit dem Suharto-Regime kritisieren. Doch dazu bedarf es keiner antisemitischen Bildsprache, die Juden als Juden diffamiert.

      Darüber hinaus darf man aber auch mal einen kritischen Blick auf die hochgradig platte politische Aussage dieses im Brackwasser postkolonialer Ideologie fabrizierte Agitprop-Machwerk richten. "People's Justice" liegt das manichäische Weltbild des Kampfes von Gut gegen Böse zugrunde, wobei das Gute selbstredend das einfache indonesische Volk ist, während das Böse aus finsteren ausländischen Mächten besteht oder von diesen unterstützt wird, darunter eben den Juden. Nebenbei hat das hat ja auch schon eine verschwörungstheorie Komponente.

      Wie gesagt, man kann die Zusammenarbeit westlicher Staaten mit Suharto kritisieren. Aber die Suharto-Diktatur war in erster Linie eine brutale Diktatur von Indonesiern über Indonesier und nicht das Produkt der alten Kolonialmächte. Auch im "globalen Süden" macht man es sich, wie hier geschehen, doch etwas sehr einfach, wenn man die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte permanent outsourcen möchte.

  • Was wir aushalten müssen? Offenbar, dass immer wieder Leute kommen, die meinen, ihr Antisemitismus sei normal. Und diese Leute müssen aushalten, dass wir dan sagen: nein, ist es nicht.

  • Eine internationale Kunstschau als Stresstest für die künstlerische Freiheit in Deutschland.

    Ergebnis: Nicht bestanden. RIP Art 5 GG.

    Damit ist diese Documenta zur bedeutendsten in ihrer Geschichte geworden. Mission erfüllt.

    • @Phineas:

      Antisemitische Hetze gehört in diesem Land nun mal in ein historisches Museum und nicht in eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst.

      Haben Sie sich schon mal mit dem Begriff "verfassungsimmanente Schranke" auseinandergesetzt?

      Ist spannend. Auch die Kunstfreiheit hat danach ihre Grenzen.

  • Ist diesem Vorsitzende des documenta-Forums, diesem Jörg Sperling, eigentlich bewusst, dass er Jahrhundertelange Progrome gegen Juden, Rassismus und Antisemitismus zu einer "anderen Sichtweise aus dem globalen Süden" verharmlost? Als wären dort Rassismus und Antisemitismus und die Shoa anders zu werten als im globalen Norden. Und ist diesem Herrn Sperling bewusst, was für eine abwertendes Menschenbild er damit von den Menschen im globalen Süden zeichnet? Es bleibt nur eins: Die Beendigung der Documenta. Sie hat sich nicht nur überlebt, sondern vor allem dauerhaft diskreditiert. Dank Leuten wie diesem Herrn Sperling, aber auch einigen anderen.

    • @Jürgen Klute:

      Naja, es geht ja eben nicht darum, wie Juden- und Israelhass "zu bewerten ist" (wer soll das entscheiden?), sondern wie er realiter bewertet und/oder ausgelebt bzw. begründet wird. Und das ist "im globalen Süden" selbstverständlich komplett anders als in Deutschland. Das ist ein bloßes Faktum, keine Bewertung.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Herr Sperling hat recht.



    Die Politik hat sich ein paar (einigen, vielen) Leuten unterworfen, die in die inkriminierten Kunstwerke etwas hineininterpretieren, was dort realiter nicht zu finden ist.



    Am Beispiel der schon aufgeschreckt-hypersensiben Diskussion um die "Mossad-Figur".



    "Antisemitismus" schallt's von den Überbesorgten bis zu den Berufsempörten.



    Und ein Großteil (ein übergroßer Teil) der Presse, auch der ör-Medien, stößt in's selbe Horn.



    Was ist Fakt?: Das Bild der Erregung thematisiert die Zei der Suharto-Diktatur in Indonesien, wo der Diktator und Thyrann samt seinem Regime von einigen ausländischen Regierungen, Firmen und staatlichen Institutionen (u.a. Geheimdiensten) bei ihren abscheulichen Taten gegen das eigene Volk unterstützt und gestützt wurde.



    Und in diesem Kontext tragen Figuren auf dem Bild Fratzenmasken Orden, Hoheitszeichenn und Aufschriften wie "Intel", "MI5", "007" und "Mossad".



    Es braucht schon viel mäandernde Phantasie, um hinter "Mossad"



    nicht nur alle Israelis sondern gar alle Juden und die Aufforderung zum Judenhass (sprich Antisemitismus) zu sehen. Hier "sehen" die Agitateure, was sie sehen wollen und nicht die Realität.



    Manche versteigen sich gar so weit, die Entlassung der documenta-Leitung und das Ende der ganzen Kunstausstellung zu fordern.



    Geht's eigentlich noch übertriebener und überspannter?

    • @655170 (Profil gelöscht):

      "nicht nur alle Israelis sondern gar alle Juden und die Aufforderung zum Judenhass (sprich Antisemitismus) zu sehen. Hier "sehen" die Agitateure, was sie sehen wollen und nicht die Realität."

      Die Realität ist, dass bei der Mossad-Figur ein Davidstern auf dem Halstuch abgebildet ist, wodurch sie eindeutig als jüdisch identifizierbar wird. Seltsamerweise lassen Sie jedes Mal die andere Figur aus dem Bild aus, welche noch eindeutiger antisemitisch ist:

      www.tagesspiegel.d...0/3-format3001.jpg

    • @655170 (Profil gelöscht):

      Nun ja, wissen Sie von einer massiven Unterstützung des Suharto-Regimes durch den Mossad / Israel? Ich nicht. Insofern hat man schon das Gefühl, dass da eine etwas stereotype Argumentationskette bedient wird, die da lautet: Israel / Judentum = Böse. Denken Sie nur an den ganz offensichtlich an einschlägige Topoi angelehnten "Kapitalisten" auf dem Plakat.



      Offenbar ist das eben eine "eingängige" Bildsprache, die sofort verstanden wird. Mehr mag da zunächst gar nicht dahinter stehen, wenn Taring Padi auf diese Muster zurückgreift. Leider reproduziert das aber eben auch einschlägige Vorurteile.

      Generell scheint mir aber die ganze Debatte einer dringenden Abkühlung zu bedürfen; so zementiert sie lediglich die sattsam bekannten Positionen. Wer Anti-/Postkolonialismus haben will, bekommt Antisemitismus mit (siehe FAZ); oder aber: hier wird kolonial der Raum des Sagbaren bestimmt. Ob uns andere Werke auf der Documenta oder aber die ganze Schau etwas zu sagen haben könnte -- wer wills noch wissen?

  • In seinem Essay „Virus as Metaphor“ 2020 erläuterte der Kunsthistoriker David Joselit das vermeintliche Problem zeitgenössischer Kunst, sich über Irritation zu definieren und sich so, nach Joselit, in die Nähe von „fake news” und Trumpismus zu begeben.



    Wo bleibt das, was Theodor Fontane, weites Feld nannte für die Freiheit der Kunst offen, wenn diese, Autoritäten, Fakten wenn nicht aus den Angeln so doch zumindest fragmnentiert neu zusammensetzen darf in Zeiten "Viraler Autorität", in denen das Momentum von Events gilt, samt deren Echos von Aktion, Reaktion als bleibendes History Hintergundrauschen danach?



    Insofern gilt es sich zu prüfen, offen zu bleiben für die Frage,, ob ein Kunstwerk, neben seiner handwerklichen Gestaltung, erst durch das orchestrierte Konzert von Aktion, Reaktion im Öffentlichen Raum wie das Angebot der Docomenta 2022 in Kassel als Virale Autorität als ein Ganzes entsteht, gerade dadurch, wie im vorliegenden Fall im Verlauf nach anschwellendem Protest gegen antisemitische Ausstellung auf der Documenta in Kassel erst durch dessen Verhüllung, dann Abräumung als Kunstwerk seine wahre Bestimmung und Vollendung findet, wie die verstanden adaptierte Reichstagsverhüllung ab 17. Juni 1995 durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude. so als ob nun Jahre nach Fall Berliner Mauer 9. November 1989 für unsere parlamentarische Demokratie "Ende Gelände" eingeläutet sei, Abriss Reichstagsgebäudes bevorstehe?

    Dass ein Kunstwerk über seinen Stifter in seiner Bestimmung und Bedeutung hinauswachsen kann, erweist sich durch das Statement verantortlich »progressiven Kollektivs« Taring Padi, nach Abräumung ihres im Öffentlichen Raum der Documenta 2022 antisemitisch indizierten Werks, wenn Taring Padi seinem Kunstwerk entfremdet verkündet, es sei »zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment«



    Ist es nicht vielmehr zu einem konzertant viralen Denkmal öffentlichen Widerstandes gegen Antisemitismus in der Welt geworden?

    • @Joachim Petrick:

      @mods: edit: link dazu

      „In October 1965, the Indonesian government launched a massive purge of left-wing and communist parties in the country. Over the following six months, at least half a million members of the Indonesian Communist Party (PKI) and related leftist parties were murdered, while more than one million citizens were imprisoned without trial. “

      „For decades the military regime insisted, as did various investigators, that those six blood-soaked months were the consequence of spontaneous actions carried out by ordinary citizens who were enraged at the left’s attempt to take over the country. “

      „Spontaner Volkezorn“ auf Indonesisch. Eine Figur der Nazis gegen ihre Gegner.



      Auch das restliche Vorgehen erinnert an deren Methoden, aber lesen Sie selbst.

      „Documents found recently in U.S. and British archives show that both countries were fully aware of the slaughter and mass detentions. The U.S. and Britain encouraged the elimination of the Communist Party and supported General Suharto’s military dictatorship, which remained in power until 1998. “

      “American and British support for the Indonesian Army came against the backdrop of the Cold War and the Vietnam War. The Communist Party in Indonesia was one of the biggest in the world: in 1965 it had approximately 3.5 million members, with about 20 million citizens involved in related organizations (women’s organizations, youth organizations, farmers, laborers, cultural leaders, and more).“

      „After General Suharto took over, the Mossad managed Israel’s relationship with Indonesia. The knowledge of the massacres and who was behind them did not prevent the intelligence agency from building economic and security ties with the military regime in Indonesia, under the auspices of a classified initiative called “House and Garden.” Indonesia was given a code name for security reasons; occasionally, the name “South Korea” was also used.“

      www.972mag.com/isr...mmunist-massacres/

  • "Systematische Untersuchung der Exponate" und beim letzten Mal vollkommene finanzielle Pleite. Whats next? Pleiten und Pannen hatten wir schon.

    Möglicherweise sollte man es mit der Documenta einfach lassen.

  • Kindergarten der "Kulturverwalter.

    Antisemitismus kann sich in der deutschen Kulturszene sicher sein. Das ist nicht nur peinlich, dafür sollten sich alle Beteiligten schämen.

  • Was spräche aus Sicht eines Jörg Sperling eigentlich dagegen, mal noch andere Kunstkollektive "abseits des Kunstmarkts" eine Dokumenta kuratieren zu lassen, etwa aus der Ansstasia-Bewegung, evangelikaler oder Reichsbürger-Milieus?. „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“



    Achso, wären ja nicht "globaler Süden", ich vergaß.

    • @dites-mois:

      "etwa aus der Ansstasia-Bewegung, evangelikaler oder Reichsbürger-Milieus?."

      Super Idee. Ich stelle mir gerade vor, wie Kurator Götz Kubitschek verkündet: "Die kritisierte Bildsprache verwende eine im politischen Kontext Sachsens verbreitete Symbolik".

    • @dites-mois:

      Das sollte man Herrn Sperling wirklich fragen. Für mich zeigt dieses Debakel, dass es im "globalen Süden" (was für ein Begriff!) eben auch festgesetzte Feindbilder gibt, die nicht hinterfragt werden.

      • @resto:

        Ja wundert das denn irgendwen? Spätestens seit der Erstürmung der dänischen Botschaft in Jakarta durch einen aufgebrachten Mob unter Billigung der indonesischen Regierung ist doch klar, wie in diesem Teil des globalen Südens Kunstfreiheit verstanden wird. Aber kaum kommt man nach Europa, kann man die "J-Sau" rauslassen, natürlich nur rein so bildsprachentechnisch...

  • „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“ Das ist wahrscheinlich die eigentliche Crux. Eine der berühmtesten deutschen Kunstschauen ganz mit fremden Federn zu schmücken, ist vielleicht gut gemeint, aber diese Hybrid hat auch etwas Koloniales an sich. Vielleicht sollte man etwas bescheidener sein und sich auf sich selbst besinnen, ohne derart großspurig mit fremder Kunst zu prahlen. Das bedeutet nicht, kein guter Gastgeber mehr für Eine-Welt-Kunst zu sein. Aber es muss klar sein, wer dabei Gastgeber ist, die Verantwortung trägt und den Rahmen steckt. Das unterscheidet einen Gast von einem Hausbesetzer.

  • Interessant auch die Aussage in einem aktuellen Interview von Sabine Schormann mit der Zeitung HNA: "Ruangrupa und die Künstler haben versichert, dass es keinen Antisemitismus geben wird. Das Problem ist, dass es aus ihrer Sicht keiner ist." Man könnte daraus schließen, dass der Antisemitismus in Indonesien so alltäglich und allgegenwärtig ist, dass er dort gar nicht mehr als solcher auffällt. Das würde auch durch die Angaben der "Anti-Defamation League" gestützt, nach deren Umfragen 47% der indonesischen Bevölkerung antisemitische Klischees oder Einstellungen hegen (laut Süddeutscher Zeitung).

  • „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“

    Muss man nicht. Antisemitismus ist Antisemitismus, egal aus welcher Richtung er kommt. Mit dieser Begründung könnte man auch fördern, den rechten Antisemitismus, den rechten Rassismus als anderen Blick auf die Welt zu akzeptieren.

    Die documenta-Macher haben Künstler eingeladen, die, freundlich gesagt, ein schwieriges Verhältnis zu Israel haben. Und die liefern jetzt eben entsprechend.



    Das war vorhersehbar und ist sicher noch nicht vorbei.

    Bleibt zu hoffen, dass dieser Versuch, Antisemitismus über die Kunstfreiheit salonfähig zu machen, misslingt.

    • @Jim Hawkins:

      Genau so sehe ich das auch.



      Hinzufügen könnte man noch, dass Herr Sperling auch den Nagel exakt neben dem Kopf trifft, wenn er lapidar feststellt: "Die freie Welt muss das ertragen..." Ja, die freie Welt muss das jeden Tag ertragen, leider, weil die Verstrahlten nicht aussterben, die Frage ist, ob man "das" auch noch mit Staatsgeldern subventionieren muss.

      • @Puck:

        Nazan Snaider, der zu "We need to talk" eingeladen war, sieht die Sache so:

        „Das ist eine, glaube ich, wirklich kolonialistische Denkstruktur, sich die Documenta einmal von den ‚Leuten aus dem Süden‘ machen zu lassen und sich dann zurückzulehnen und sich das anzugucken.“

        Und sich darüber zu freuen, dass das gesagt wird, was man sich selbst nicht zu sagen wagt.

        Allerdings hat sich der "Globale Süden", womöglich ohne es zu ahnen, zu weit vorgewagt und die Veranstalter haben jetzt verbrannte Finger.

        • @Jim Hawkins:

          Der beste Beitrag bisher im Leserforum! Ich bin sehr froh über ihre Kommentare, Jim Hawkins.