Warnschuss für Asylpolitik: Dublin statt Dobrindt
Die Zurückweisungen der Bundesregierung an den deutschen Grenzen sind rechtswidrig. Wer die Dublin-Verordnungen versteht, wusste das schon vorher.

D as Verwaltungsgericht Berlin hat am Montag über die Rückweisungen an den deutschen Grenzen entschieden (VG 6 L 191/25): Der Antragstellerin in dem Verfahren ist der Grenzübertritt zu gestatten. Sie hat einen Anspruch aus der Dublin-III-Verordnung auf Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats. Das derzeitige Vorgehen der Rückweisungen wird als rechtswidrig angesehen.
Noch nicht lange im Amt, hatte die Bundesregierung aus Union und SPD begonnen, Rückweisungen an den Grenzen vorzunehmen. Geflüchtete Menschen, die an der Grenze stehen und nach Deutschland einreisen wollen, sollten fortan nicht mehr einreisen. Es sei denn, sie gehören zu einer vulnerablen Gruppe. Schon damals wiesen viele auf die Gefährdung des Grundrechts auf Asyl und den Bruch europarechtlicher Vorgaben hin.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Dass eine solche Abstimmung erfolgt ist, durfte schon bezweifelt werden. Die Europäische Kommission in Brüssel jedenfalls sah sich veranlasst, an die deutsche Bundesregierung zu appellieren, sich eng mit ihren Nachbarn abzustimmen.
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) schrieb einen Brief an den Präsidenten der Bundespolizei, dass Schutzsuchenden bei der Einreise aus einem sicheren Mitgliedsstaat die Einreise verweigert werden kann. Da es sich bei Deutschlands Nachbarstaaten um EU-Staaten und die Schweiz handelt, betrifft diese Weisung alle Außengrenzen Deutschlands. Lediglich für vulnerable Gruppen gilt diese sofortige Zurückweisung nicht.
Ein kritischer Blick auf die Asylgesetze
Bei Rückweisungen geht es um die Anwendung einer Norm im Asylgesetz, die der Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1993 entspricht. „Dem Ausländer“, heißt es in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz, „ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat“ einreist.
Nach dem Grundgesetz genießen politisch Verfolgte Asyl, wenn sie nicht aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Um dies in der EU einheitlich zu regeln, sind die Dublin-Verordnungen erlassen worden. Dort wird bestimmt, wer für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Dublin-III-Verordnung der EU legt fest, wo eine schutzsuchende Person das Asylverfahren durchführen muss. Das ist meist der EU-Staat, der zuerst betreten wurde. Dies herauszufinden, braucht Zeit und erfordert eine Überprüfung. Danach erst kann eine Überstellung an den zuerst betretenen Staat erfolgen. Seither darf an Deutschlands Grenzen nicht sofort zurückgewiesen werden. Es ist vorher diese Prüfung durchzuführen.
Keine Notlage in Sicht
Die Dublin-Verordnungen sind derzeit geltendes Recht. Teilweise wird diskutiert, ob dieser Verstoß gerechtfertigt werden kann. Dabei wird auf Art. 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU verwiesen. Danach geht es um „die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“.
Ein Aussetzen der Regeln mit dem Verweis auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit erscheint grundsätzlich nicht überzeugend. Weder die öffentliche Ordnung noch die Sicherheit sind derzeit durch geflüchtete Menschen gefährdet.
Es steht eher andersherum infrage, ob der Umgang mit geflüchteten Menschen dem Grundgesetz entspricht. Zum Beispiel mit Blick auf die geringen Existenzsicherungsleistungen oder die Verbringung in Abschiebehaft, die der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot trotzen.
Die Behauptung eines kompletten Scheiterns des Systems, einer Notlage oder ähnlichem dient eher populistischen Zwecken. Ein nationaler Notstand wurde vom Bundeskanzler bisher auch nicht ausgerufen.
Gegenwärtig scheint dies angesichts sinkender Zahlen von schutzsuchenden Menschen an deutschen Grenzen erst recht nicht plausibel, da es früher gelungen ist, einer erheblich größeren Zahl von Schutzsuchenden die Einreise zu ermöglichen.
Die Dublin-III-Verordnung gilt
Das Verwaltungsgericht Berlin ist klar in seiner Entscheidung. Weder auf § 18 des Asylgesetzes noch auf die Ausnahmevorschrift des Art. 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU könne sich die Zurückweisung stützen. Die Regelung im Asylgesetz kann nicht als Rechtsgrundlage in Betracht kommen, weil das Unionsrecht Vorrang hat.
Die Dublin-III-Verordnung gilt: Der zuständige Mitgliedsstaat muss ermittelt werden. Das Dublin-System möchte so vermeiden, dass sich kein Mitgliedsstaat für zuständig hält. Daraus folgt, dass kein Mitgliedsstaat seine Nichtzuständigkeit rein negativ erklären kann, sondern es muss eine positive Zuständigkeitsentscheidung erfolgen. Diese Entscheidung muss gerichtlich voll überprüft werden können, denn jede Person hat ein Recht auf die richtige Zuständigkeit.
Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen die Dublin-III-Verordnung erfolgt auch nicht durch ein Berufen auf die Ausnahmeklausel des Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU.
Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der Vorschrift sieht das Gericht nicht. Im Übrigen scheitert ein Berufen darauf schon daran, dass die Gefahr nicht hinreichend dargelegt ist.
Rechtsbruch wird in Kauf genommen
Rechtlich dürfte das Vorgehen der Bundesregierung nicht haltbar sein. Politisch bleibt es ohnehin kritisch. Forderungen von rechts-außen werden übernommen, Rechtsbruch wird in Kauf genommen. Die vermeintliche Rechtfertigung, damit populistische Stimmen zu „beruhigen“, sind verheerend. So gelangen Rechts-außen-Positionen in die Mitte der Gesellschaft.
Vor allem werden Menschen, die Schutz suchen, alleingelassen. Das Grundrecht auf Asyl ist eine Lehre des deutschen Faschismus. Es ist ein Ausdruck von Menschlichkeit, Schutzsuchende nicht sich selbst zu überlassen. Vielleicht können zumindest die Gerichte die Bundesregierung zum Umdenken bewegen.
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