Zwischenbilanz der Regierung: Merken Sie schon was?
Friedrich Merz versprach: Im Sommer spüre man, dass es im Land vorangehe. Doch vieles geht nach rechts und zurück. Ein Blick ins schwarz-rote Kabinett.

Der Außenkanzler
„Germany is back on track“ – so hat Kanzler Friedrich Merz die Rückkehr Deutschlands auf die internationale Bühne angekündigt. Schluss mit Scholz und dem Zögern und Zaudern. „Machen, machen, machen“ scheint auch außenpolitisch das Motto zu sein. Berlin werde Führungsmacht in der EU sein und die stärkste konventionelle Armee in Europa haben, verkündete Merz vibrierend vor Aufbruchsenergie. Er flog nach Paris und Warschau, schmiedete mit Macron, Starmer und Tusk eine Koalition der Willigen. Man holte per Telefon Trump ins Boot und stellte Putin forsch ein Ultimatum. Das gab schöne Fotos und verzückte Leitartikel.
Eher bescheiden ist das Ergebnis dieser Show. Putin ließ das Ultimatum wortlos verstreichen und lässt die Ukraine weiter in Trümmer schießen. Die USA sind als Ukraineunterstützer halb auf dem Absprung. Einen Plan, wie Europa schaffen soll, was schon mit den USA nicht gelang – die Ukraine bis zum Sieg aufzurüsten –, gibt es nicht.
Nach J. D. Vance’ Auftritt in München war die außenpolitische Elite in Deutschland kollektiv aus allen Wolken gefallen. Und Merz erklärte entschlossen, Europa solle verteidigungspolitisch eine „Unabhängigkeit von den USA erreichen“. Aber das ist stillschweigend in den Hintergrund gerutscht. Merz hat inzwischen einen Auftritt im Oval Office ohne Blamage überstanden. Und hofft nun, Trump durch Aufrüstung günstig stimmen zu können. Es ist angenehmer, in der Illusion zu leben, dass Trump ein böser Traum sei, den man nur geduldig überstehen müsse, als zu verstehen, dass Europa allein für seine Sicherheit wird zu sorgen haben.
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Das Prinzip Merz lautet: markige Ankündigungen in business as usual münden zu lassen. Merz ermahnte Israel wegen Gaza, Außenminister Johann Wadephul dachte öffentlich kurz über ein Aus von Waffenlieferungen an Israel nach. Auch davon ist nach ein paar Wochen nichts mehr übrig geblieben. Merz lobte Israels völkerrechtswidrige Bombardierung des Iran als nötige „Drecksarbeit“. Innenminister Dobrindt schüttelte Netanjahu die Hand und beschwor den gemeinsamen Kampf gegen den Terror. Ja zum Völkerrecht – aber nur, wenn es uns gerade passt. Diese Doppelmoral beschädigt das wegen Gaza und Israelunterstützung ohnehin ramponierte deutsche Image noch mal mehr.
Schwarz-Rot hat die Möglichkeit geschaffen, fast unbegrenzt Geld in Rüstung und Militär zu pumpen. Eine politische Strategie aber fehlt – außer nett zu Trump zu sein und auf gutes Wetter zu hoffen. Merz ist inhaltlich gar nicht weit von Scholz entfernt (transatlantisch, Israel als Staatsräson), in der Performance das Gegenteil: viel Schein, wenig Sein. Merz ist der Außen-Kanzler für ein Publikum, das sich nur noch Überschriften merken kann, auf Buzzwörter wie Drecksarbeit kurz anspringt, aber auch die schnell wieder vergisst. Er ist der Blender, dessen Auftritt uns vergessen lässt, dass wir keine Ahnung haben, was Europa nach dem Untergang des Westens tun soll. (sr)
Der Wehrpflichtplaner
Wer nach dem 31. Dezember 2007 geboren ist, könnte demnächst Post von der Bundeswehr bekommen. Wenn es nach den Gesetzesplänen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht, sollen Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren ab dem 1. Januar zu einem „freiwilligen Wehrdienst“ eingeladen werden. Du hast keine Lust, für Deutschland eine Waffe in die Hand zu nehmen? Du hast gehört, dass sich auch ein halbes Jahr bei der Bundeswehr ziemlich lang anfühlen kann, wenn die Duschen in den Kasernen verschimmeln, Ausbilder*innen fehlen und es kein Gerät zum Üben gibt? Da hat sich das Verteidigungsministerium etwas einfallen lassen! Etwa 2.000 Euro netto winken künftig für deinen Einstieg bei der Truppe.
Das Bundeskabinett soll Pistorius’ Pläne Ende August beschließen, dann könnte der Bundestag das Gesetz im Herbst verabschieden. Ziel des „neuen Wehrdienstes“ ist, dass die Zahl der aktiven Soldat*innen innerhalb von zehn Jahren von derzeit 182.500 auf 260.000 steigt – hinzukommen sollen 200.000 Reservist*innen. Kern des Gesetzes ist ein Fragebogen, in dem junge Männer ihre Haltung zur Bundeswehr benennen müssen und je nach ihren Aussagen dann zur Musterung geladen werden, zu der sie dann auch erscheinen müssen. Für junge Frauen soll die Antwort auf das Schreiben der Bundeswehr freiwillig sein.
Falls Geld und Appelle an die Kriegsbereitschaft nicht genug junge Menschen für einen Dienst an der Waffe motivieren, sehen Pistorius’ Pläne noch einen anderen Weg vor. Eine militärische Lage oder das Nichterreichen der gewünschten Truppenzahl könnte für junge Männer auch die Reaktivierung des Zwangsdienstes bedeuten. Für so einen Fall müsste das Parlament erneut zustimmen.
Pistorius ist mit seinem Gesetzentwurf eine Art Overachiever in der Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag den „attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, versprochen hatte. Allerdings hatte der Verteidigungsminister seinen Entwurf auch schon im vergangenen Herbst vorbereitet und wurde vom Auseinanderbrechen der Ampelregierung aufgehalten. (cem)
Der Rückführungsminister
Man darf davon ausgehen, dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) seine ersten Monate im Amt als Erfolg wahrnimmt. Und das im Wahlkampf ausgegebene Ziel einer „Asylwende“ hat der CSU-Mann ja auch wirklich mit einer bemerkenswerten Effizienz vorangetrieben. Die von ihm angeordnete Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ist ein dramatischer Bruch in der deutschen Migrationspolitik.
Aber ist es wirklich ein Erfolg, wenn deutsche Polizist*innen jetzt verzweifelte Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung und Terror abweisen? Wenn die Bundesregierung damit offen das Europarecht bricht, das vorsieht, dass jeder Asylantrag geprüft werden muss? Wenn das deutsche Vorgehen die Nachbarstaaten vor den Kopf stößt und etwa in Polen den rechtsextremen Kräften Aufwind verschafft?
Zu solchen Fragen kommt außerdem noch der Umstand, dass die Zurückweisungen bisher hauptsächlich eine symbolische Wirkung haben. Nur wenig mehr als 300 Asylsuchende wurden bisher zurückgeschickt.
Genauso zweifelhaft ist der „Erfolg“, dass jetzt die Zahl neuer Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 Prozent sank – selbst wenn man Dobrindts Logik übernimmt, nach der es eine positive Entwicklung ist, dass so viel weniger Menschen hier Schutz finden. Denn der Rückgang hat laut einhelliger Meinung von Expert*innen vor allem mit der Stabilisierung der Lage in Syrien zu tun und mit den massiven Verschärfungen des Asylrechts, die Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) durchgesetzt hatte.
Eigene Gesetzesvorhaben hat Dobrindt zwar ebenfalls schon in beachtlicher Zahl angeschoben, im Vergleich zu den Zurückweisungen fanden sie aber eher wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei könnte ihre Wirkung am Ende sogar deutlich mehr Geflüchtete treffen. Gerade am Donnerstag beriet der Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf aus seinem Ministerium zur erleichterten Einstufung von Ländern als sogenannte sichere Herkunftsstaaten. Darüber soll künftig die Bundesregierung allein entscheiden können, ohne dass der Bundestag oder Bundesrat irgendwie eingebunden wären. Wer aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten kommt, hat kaum Chancen auf Asyl in Deutschland.
Empfohlener externer Inhalt
Auch einen ersten Entwurf für die Anpassung des deutschen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems aus dem letzten Jahr gibt es schon. Dabei will das BMI die von den EU-Regeln vorgegebenen Spielräume bis zum Maximum ausreizen. So sollen möglichst viele Schutzsuchende den beschleunigten Asylverfahren an Flughäfen unter Haftbedingungen unterworfen werden. Außerdem erlaubt der Entwurf Haftzentren für Geflüchtete, deren Asylantrag eigentlich in die Zuständigkeit anderer EU-Länder fällt. Solchen Personen sollen dann auch alle staatlichen Leistungen gestrichen werden können, auch dann, wenn sie gar keine Option haben, in das eigentlich zuständige Land auszureisen.
Und die von Dobrindt vorangetriebene zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für Personen mit subsidiärem Schutz ist sogar schon vom Bundestag beschlossen worden. Hunderttausende Geflüchtete haben damit vorerst keine Perspektive mehr, ihre Liebsten wiederzusehen. Es braucht schon eine beachtliche Gefühlskälte, um darin einen Erfolg zu sehen. (fe)
Der Möchtegerninvestitionsminister
Als Finanzminister hat Lars Klingbeil nach neun Wochen bereits mehr erreicht als sein Vorgänger Christian Lindner. Er hat einen Haushalt mit Rekordausgaben von einer halben Billion Euro aufgestellt, macht – da die Einnahmen nicht reichen – Rekordschulden von rund 82 Milliarden Euro. Und all das ganz ohne Hilfe des Bundeskanzlers. Anders als Lindner, dessen Haushalte am Ende Olaf Scholz ausknobelte.
Allerdings hat Klingbeil es auch etwas leichter als Lindner. Dieser pochte auf strikte Begrenzung der Neuverschuldung nahe null (Schuldenbremse) und wollte Steuern senken und damit die Einnahmen für den Staat bei steigendem Bedarf an Investitionen in Rüstung und Infrastruktur – eine Rechnung, die am Ende nicht aufging, auch nicht für die Ampelkoalition.
Um einer Bruchlandung vorzubeugen legte Hobbypilot Friedrich Merz gleich nach dem Wahlsieg und noch vor Amtsantritt eine spektakuläre Kehrtwende hin: vom Bewahrer der Schuldenbremse zum Befürworter von Abermilliarden an neuen Schulden. Damit schwenkte er elegant auf den Kurs von SPD, Grünen und Linken ein, den er als Oppositionsführer heftigst kritisiert hatte. Das nennt man wohl anpassungsfähig.
Dank der vom Bundestag beschlossen Ausnahmeregelung, die für einen großen Teil der Verteidigungsausgaben, den Zivilschutz, aber auch für die Ukrainehilfen gilt, und neuer Sonderschulden für die Infrastruktur darf Vizekanzler und Finanzminister Klingbeil also richtig buttern. Er nannte während der Haushaltsdebatte im Bundestag deshalb gleich einen neuen Namen für sein Ministerium: Investitionsministerium. Denn allein in diesem Jahr investiere man 115 Milliarden Euro – in Schienen und Schulen, aber vor allem in Schießgewehre. Über die größte Steigerung im Etat darf sich Verteidigungsminister Pistorius freuen, dessen Haushalt um zehn Milliarden auf 62 Milliarden steigt.
Trotz des neuen Füllhorns – Schulden – reicht das Geld nicht, wie der Streit über die Stromsteuer zeigt. Die CSU wollte unbedingt die Mütterrente, die SPD eine Garantie des Rentenniveaus und Merz einfach Ruhe im Karton. Also musste Klingbeil die im Koalitionsvertrag versprochene De-facto-Abschaffung der Stromsteuer für die Bürger:innen wieder abblasen. Und zusätzlich noch sparen. Bis 2029 sehen seine Beamten einen „Handlungsbedarf“ wegen 144 Milliarden Euro, sprich, die müssen irgendwo gekürzt werden. In diesem Jahr geht’s schon los, etwa mit zweistelligen Millionenbeträgen bei der Kinder- und Jugendhilfe, erneut einer Milliarde bei der Entwicklungshilfe, und die humanitäre Hilfe wird halbiert. Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) nannte die Kürzungen hart und schmerzhaft und kann sie beim besten Willen nicht erklären: Angesichts der tektonischen Verschiebungen und der sich verändernden Lage in der Welt müsse Deutschland doch ein verlässlicher Partner bleiben.
Tja, offenbar kann der Parteichef Lars Klingbeil auch vielen potenziellen Wähler:innen gerade nicht erklären, warum die SPD unbedingt das Finanzministerium besetzen musste. Die Sozialdemokraten liegen in Umfragen bei 13 Prozent. (ale)
Die Fossilministerin
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat bis zur Sommerpause systematisch Duftmarken gesetzt und klar gemacht, wohin die Reise mit ihr gehen wird. Die Christdemokratin hat im Kabinett die Rolle von Christian Lindner übernommen und das Erbe der destruktiven FDP angetreten. Schon während ihres Antrittsbesuchs in Frankreich irritiert sie den Koalitionspartner SPD, als sie die Atomkraft lobt und den Eindruck hinterlässt, die Bundesregierung habe ihre Position zu der Frage geändert, ob EU-Gelder für neue AKWs fließen sollten.
Für Verstörung sorgt auch ihre Teilnahme an einem Treffen der Europäischen Nuklearallianz, eines 2023 gegründeten Zusammenschlusses von elf EU-Ländern, die die Nutzung der Atomenergie voranbringen wollen. Deutschland gehört nicht dazu, die Koalition hält am Ausstieg aus der Atomkraft fest.
Das Misstrauen der Opposition und vieler Umweltverbände und NGOs gegen Reiche ist groß, weil sie bis zu ihrem Amtsantritt Chefin eines Tochterunternehmens des Energiekonzerns Eon war. Ihre Kritiker:innen fürchten, dass sie im Interesse der fossilen Energiebranche unterwegs ist. In ihrem Vorstoß für den massiven Ausbau von Gaskraftwerken, die nicht auf Wasserstoff umrüstbar sein müssen, sehen viele eine Bestätigung dieser Befürchtung. Der Kraftwerksbau ist wichtig, damit der Kohleausstieg nicht gefährdet wird. Aber Umweltschützer:innen halten Reiches Pläne für überdimensioniert und fürchten ein Festschreiben fossiler Strukturen. Das ficht die Ministerin nicht an.
Doch offenbar läuft es nicht so, wie sie sich das vorgestellt hat. Unmittelbar nach Amtsantritt spricht Reiche noch von einem Ausbau der Kapazitäten von „mindestens“ 20 Gigawatt, einige Woche später nur noch von „bis zu“. Dazwischen liegt ein Besuch bei der EU-Kommission. EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera, früher sozialistische Umweltministerin in Spanien, sperrt sich auch mit Blick auf die europäischen Klimaziele gegen die Pläne.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD zu dem Ziel bekannt, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Auf einem Kongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie relativiert Reiche das. Sie ist für eine Angleichung an die Marke der EU, die Klimaneutralität bis 2050 vorsieht. Aber in die europäische Vorgabe ist eingepreist, dass Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land schon 2045 klimaneutral geworden sei. Eine Verschiebung hier würde zu einer Verschiebung dort führen.
Bei der Amtsübernahme lobt Reiche ihren Vorgänger Habeck überschwänglich als guten Krisenmanager. Wenig später rammt sie seine Energiewende in Grund und Boden. Die Energiewende nennt sie „völlig überzogen“. Mit Sorge blicken Grüne, Umweltverbände und Klimaaktivist:innen auf das Projekt, dass die Basis für Reiches weiteres Vorgehen sein soll: das Energiemonitoring. Damit will die Ministerin, die am 16. Juli ihren 52. Geburtstag feiert, die Energiewende einem „Realitätscheck“ unterziehen.
Ursprünglich sollte das Ergebnis bereits vor der Sommerpause vorliegen. Doch Reiche hat es erst Ende Juni geschafft, den Auftrag dafür zu vergeben. Und zwar ausgerechnet an das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI), das ursprünglich von fossilen Energiekonzern RWE und Eon finanziert wurde. Eine entscheidende Größe für den Ab- oder Ausbau der Energiewende ist der künftige Strombedarf, den die Gutachtenden prognostizieren. Setzen sie ihn gegenüber der von der Ampelregierung angenommenen Menge herunter, könnte der Ausbau der Erneuerbaren eingeschränkt werden.
Genau diesen Auftrag hat das Institut de facto bekommen, sagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die die Leistungsbeschreibung für das Gutachten bekommen und ins Internet gestellt hat. „Katherina Reiche hat ideologische Scheuklappen auf“, sagt der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner. Das Gutachten soll Ende August vorliegen. Danach wird Reiche ihre Pläne für die Zukunft der Erneuerbaren vorlegen – und das Ringen um die Zukunft der Energiewende beginnen. (akr)
Die Ministerin der Herzen
Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) muss ausführen, was vor allem Herzensanliegen der Union sind. Zum Beispiel die Reform des Bürgergelds. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat Milliarden Euro an Einsparungen beim Bürgergeld in den nächsten Jahren versprochen, aus dem SPD-Finanzministerium kursierten unlängst die Zahl von 4,5 Milliarden Euro an Einsparungen in den kommenden zwei Jahren. Das Problem: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Einsparungen durch etwas mehr Sanktionen der Jobcenter gegen Terminsäumige, durch niedrigere Freibetragsgrenzen bei Vermögen und eine Limitierung der Übernahme hoher Wohnkosten für Antragssteller:innen zustande kommen.
Auch die Abschaffung des Bürgergelds für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine dürfte nach Schätzung von Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, nur 900 Millionen Euro Einsparungen bringen. Ukrainer:innen, die nach dem 1. April 2026 einreisen, sollen in den ersten Jahren nur noch die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber:innen erhalten. Einen Gesetzentwurf zum Bürgergeld hat Bas noch für dieses Jahr angekündigt. Neues Geld verteilt die Sozialministerin wohl vor allem durch die 4 Milliarden Euro teure Erweiterung der Mütterrente ab 2027. Das ist ein Herzensanliegen der CSU. (bd)
Die Ungesundministerin
Als Gesundheitsministerin musste sich die Juristin Nina Warken (CDU) erst einmal einarbeiten, ihr Ressort gilt als besonders komplex. Zum Einstieg ging es für sie aber nicht um zukunftsgerichtete Reformen, sondern um Rückblick: Warken beschäftigt der Untersuchungsbericht zu den milliardenschweren Maskendeals ihres Vorgängers und Fraktionschefs Jens Spahn. Trotz Kritik auch vom Koalitionspartner hält Warken zum Parteifreund und attackiert lieber SPD-Sonderermittlerin Margaretha Sudhof. Das sorgt für ein Knirschen in der Koalition. Dabei stehen im Gesundheitsbereich große Reformen an.
Die Kassen sind leer, sowohl die der sozialen Pflegeversicherung als auch die der gesetzlichen Krankenkassen, Kosten und Beiträge steigen. Reformen werden seit Jahren verschleppt, weil sie so kompliziert sind. Eine Kommission aus Bund, Ländern und Kommunen soll jetzt als Erstes Vorschläge einer Pflegereform erarbeiten, mit einem straffen Zeitplan. Schon Ende des Jahres sollen die Ergebnisse kommen. Wie die Reform dann aussehen wird, ist noch offen. Warken will der Kommission jedenfalls keine „Denkverbote“ erteilen. In welche Richtung sie selbst denkt, hat sie schon klargemacht: Bürger*innen sollen mehr privat vorsorgen, eine verpflichtende Zusatzversicherung ist möglich. Und auch über Leistungskürzungen wird nachgedacht. (lf)
Die Schnellbauministerin
Mit Worten ist Verena Hubertz (SPD) schon vorgeprescht. Bauen soll schneller und billiger werden. Mit dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf, dem sogenannten Bauturbo, will sie den lahmenden Wohnungsbau wieder ankurbeln. Das sei die dringend benötigte „Brechzange“, um die Verfahren in den Kommunen zu beschleunigen, erklärte sie. Die Planungszeit soll künftig nur noch zwei Monate dauern. Die Baukosten sollen sich halbieren. Abgesehen von den berechtigten Sorgen – Spekulation, Naturzerstörung und eingeschränkter Bürgerbeteiligung –, sind das waghalsige Versprechen.
7,4 Milliarden Euro Etat hat das Bauministerium in diesem Jahr. Davon fließen 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. Die Mittel werden in den Folgejahren schrittweise erhöht. Die Regierung nennt das Rekordmittel, der Deutsche Mieterbund hält aber 12,5 Milliarden pro Jahr für nötig. Er kritisiert auch, dass aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur bis 2029 nur 11 Milliarden Euro für den Wohnungsbau vorgesehen sind – das sind nur 2 Prozent. Was wird sich also in diesem Jahr spürbar verändern? Vermutlich wenig. Baupolitik lässt sich nicht in schnellen Erfolgen messen. Umso trauriger, dass in der Mietenpolitik so wenig passiert. Zwar wurde von der zuständigen Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) die Mietpreisbremse um vier Jahre bis 2029 verlängert. Weitere Verbesserungsvorschläge im Mietrecht müssen aber noch ausgehandelt werden. (jak)
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