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Ziviler WiderstandKlimaaktivismus versus Querdenken

Essay von Bernward Gesang

Das Wohl aller ist entscheidend für den zivilen Widerstand. Der Schaden muss überschaubar bleiben und Erfolg nicht völlig unwahrscheinlich.

Die Gruppe „Letzte Generation“ meidet die Konfrontation mit dem Rechtsstaat nicht Illustration: Katja Gendikova

D ie Organisation „Letzte Generation“ fordert den demokratischen Rechtsstaat heraus, indem sie Autobahnen sperrt, um auf Klimaschutz und Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Gegen „normale“ Protestaktionen spricht, wie Mitglied Tobias März in der taz erklärt: „Damit bekommen wir nicht die nötige Aufmerksamkeit.“

Die Reaktionen sind vielfältig. Justizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb bei Twitter: „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig.“

Was ist „ziviler Ungehorsam“ genau und wie weit ist er zu rechtfertigen? In der Philosophie wird spätestens seit der Zeit von John Locke (1632–1704) darüber nachgedacht. Locke war der Meinung, ungerechter und ungesetzlicher Gewalt dürfe man mit Gewalt begegnen. Aber ungesetzlich ist die Gewalt durch unseren Rechtsstaat nicht. Lockes Kriterium verweist auf den Konflikt Bürger versus Unrechtsstaat, also auf die Rechtfertigung von Bürgerkrieg und Revolution.

Das ist eine neue Frage, die sich etwa in Belarus stellt. Locke bringt uns aber auch bei der Frage nach gerechtfertigtem zivilem Ungehorsam voran, indem er zwei Punkte formuliert: Erstens wenn ich zur Vermeidung der Ungerechtigkeit das Gesetz nicht anrufen konnte, bin ich zum Widerstand ermächtigt. Zudem erkennt Locke zweitens, dass ziviler Ungehorsam als Motor für den Wandel des Rechts unerlässlich ist.

Bild: Alexander Stertzik
Bernward Gesang

ist Professor für ­Philosophie und Wirtschafts­ethik und Autor. Zuletzt erschien „Mit kühlem Kopf. Über den Nutzen der Philo­sophie für die Klimadebatte“.

Ungehorsam als Motor für Wandel

Nur so kann das Recht sich gesellschaftlichen Erfordernissen anpassen, indem es durch Aktionen, die seine Grenzen, aber nicht seinen Geist verletzen, herausgefordert wird. Also ist ziviler Ungehorsam per se gesetzeswidrig, aber erwünscht, anders als Buschmann meint. Damit wissen wir schon mal: Ziviler Ungehorsam unterscheidet sich von Revolution. Es müssen ihm, pragmatisch abgewandelt, mindestens andere wirkungslose legale Versuche vorausgegangen sein, um das Recht fortzuentwickeln.

Ein zusätzliches Element, das in sehr vielen Definitionen des Begriffs eine Rolle spielt, ist das Folgende: Es muss eine Situation gegeben sein, in der der Rechtsstaat ein grundlegendes moralisches Prinzip wie die Wahrung der Menschenrechte, der Gerechtigkeit oder des Allgemeinwohls verletzt. Das wiederherzustellen, ist das Motiv des gerechtfertigten zivilen Ungehorsams.

Auch Hannah Arendt betonte, dass gerechtfertigter ziviler Ungehorsam nicht Ausnahmen aus den Gesetzen für Einzelne (zum Beispiel Kriminelle) bezweckt, sondern auf das Wohl aller zielt und deshalb auch öffentlich stattfindet. Die Aktionen der „Ungehorsamen“ sollen die Öffentlichkeit aufrütteln, werden nicht verheimlicht und sind prinzipiell von jedermann und nicht nur von einigen Cliquen ausführbar.

Damit wissen wir erneut mehr. Elementar ist, dass hier Stoff ist, um Klimaaktivismus von einigen Arten des Querdenkens und Trumpismus zu unterscheiden. Die Bewegungen haben vieles gemeinsam, etwa die Öffentlichkeit, sodass der Verdacht aufkommt, beides könnte gerechtfertigter ziviler Ungehorsam sein: Wenn Klimaaktivisten Recht verletzen dürfen, dürfen Querdenker das auch?

Querdenker zielen nicht auf das Allgemeinwohl

Nein, denn weder Rechtsradikalismus noch Trumpismus haben einen glaubwürdigen Bezug auf das Allgemeinwohl beziehungsweise die Menge des Wohlergehens in der Gesellschaft. Es geht ihnen darum, eine kleine Teilgruppe gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft zu bevorteilen und damit andere Teilgruppen zu benachteiligen. So gehen Proteste auf das Konto der Teile der Gesellschaft, die sich nicht gegen Ansteckung durch das Coronavirus schützen können.

Auch wenn die Rhetorik solcher Gruppen auf „Grundrechten für alle“ basiert und daher einen Allgemeinwohlbezug vortäuscht, muss man sich immer fragen: Wer wird durch die Proteste in welchem Maße geschädigt? Durch Klimaschutz niemand, durch ein Querdenken, das bewirkt, dass Schutzmaßnahmen vorzeitig enden, einige erheblich. Gleiches gilt für den Trumpismus und die AfD.

Es gilt, das Wohl einer kleinen Teilgruppe gegen andere Teilgruppen auszuspielen: „America first“, gemeint ist damit nicht die ganze Nation, sondern das „weiße“ Amerika. Zwar gibt es auch legitimen zivilen Ungehorsam von Minderheiten, die auf gleiche Anerkennung zielen, man denke nur an die Behindertenbewegung. Aber bei diesen Bewegungen gilt: Wenn ihre Ziele erreicht sind, wird deshalb niemand nennenswert schlechter gestellt sein.

Wie steht es nun mit dem etwa von dem amerikanischen Vordenker des Liberalismus John Rawls beschworenen Kriterium, dass gerechtfertigter ziviler Ungehorsam gewaltfrei sein muss und niemandem schaden darf? Gewalt ist durch die WHO definiert als „schädigende Ausübung von Macht“. Gewalt und Schädigung hängen also zusammen. Kein Protest ist ohne Schädigung möglich. Schaden entsteht immer, auch durch Worte, die psychische Lasten für andere bedeuten. Zudem ist Gewalt für manche Proteste unumgänglich.

Schaden entsteht immer

Hungerstreiks beinhalten Gewalt gegen sich selbst. „Containern“, also die Rettung von Lebensmitteln, die in Müllcontainern von Lebensmittelhändlern entsorgt werden, funktioniert nur, wenn man auf das Gelände der Händler vordringt und damit Hausfriedensbruch begeht. Dabei muss man sich im Normalfall gewaltsam Zutritt verschaffen, indem man Schlösser aufbricht. Nicht genehmigte Demonstrationen schaden dem Staat, denn sie zwingen ihn, sie zu beobachten oder aufzulösen.

Völlige Gewaltfreiheit von Ungehorsamen ist etwas Unmögliches

Polizeikontingente müssen bereitstehen. Auch das ist eine Form von Schädigung, denn man zwingt den Staat dazu, Kosten zu tragen, die zulasten von irgendjemand oder irgendetwas gehen. Fordert man also völlige Gewaltfreiheit von „Ungehorsamen“, fordert man eigentlich etwas genau genommen Unmögliches. Besser sollte man fragen, welche Form und welches Maß von Gewalt und Schaden zulässig sind.

Schnell kommt einem die gängige Formel „Gewalt gegen Sachen ja, Gewalt gegen Personen nein“ in den Sinn, um hier zu differenzieren. Auch dieser Slogan ist jedoch nicht zu Ende gedacht. Gewalt gegen Sachen verursacht Kosten und Kosten müssen vom Staat oder vom Lebensmittelhändler oder von wem auch immer kompensiert werden. Wenn Millionenschäden im Lebensmittelhandel entstehen, wird dieser auch über Entlassung von Personal nachdenken.

Gewalt gegen Sachen und Schädigung von Personen hängen zusammen. Daher kann man nur fordern, dass Gewalt in ihrem Ausmaß minimiert wird: so wenig Gewalt wie möglich und keine Gewalt, die über eine gewisse Schadenssumme hinausgeht. Die tolerierbare Schadenssumme ist natürlich relativ zum Vermögen des Geschädigten. Schlösser bei Lebensmittelhändlern aufzubrechen, schädigt diese nicht nennenswert.

Polizeikontingente für Demonstrationen bereitzustellen, schädigt den Staat nicht nennenswert. Millionenschäden für einen Lebensmittelhändler bedeuten jedoch schon eine andere Dimension. Bleibt ein letztes Kriterium, um die Aktionen der „Letzten Generation“ zu bewerten. Ziviler Ungehorsam ist nur gerechtfertigt, wenn sein Erfolg nicht völlig unwahrscheinlich ist. Er kostet jedenfalls viel, sei es finanziell oder an Verunsicherung des Rechtsbewusstseins.

Deshalb muss er auch wahrscheinlich etwas bringen. Eine von manchen Aktivisten erwogene Revolution gegen unseren Staat, die ihn durch eine „Ökodiktatur“ ersetzen sollte, hätte keine Chance auf Erfolg. Es droht ineffektiver und zudem blutiger Widerstand wie zu Zeiten der Baader-Meinhof-Bande. Allein deshalb wäre der Versuch, eine Ökodiktatur zu errichten, nicht zu rechtfertigen.

Nun können wir die fraglichen Aktionen der Klimaaktivisten bewerten. Grundsätzlich handelt es sich dann um gerechtfertigten zivilen Ungehorsam, der auch Gesetze bricht, wenn er (anders als bei gerechtfertigten Revolutionen) gewaltarm ist. Er muss öffentlich geschehen, sein Ziel muss nachvollziehbar im Sinne des Wohls aller Menschen sein, ihm müssen rechtlich zulässige Aktionen erfolglos vorausgegangen sein und sein Ziel darf nicht wahrscheinlich unerreichbar sein.

Wenn man all diese Kriterien anwendet, sind gewaltarme Autobahnsperrungen prinzipiell zu rechtfertigen. Gewaltarm sind sie insbesondere, wenn sie zum Beispiel Rettungsgassen für Notfälle garantieren und sonstige nennenswerte Schädigungen von Personen ausschließen. Ob das gegeben ist, darüber streiten Veranstalter und Kritiker. Außerdem sind Schäden von betroffenen Autofahrern zwar verglichen mit dem Ziel „Klimaschutz“ im Einzelnen unbedeutend, sie häufen sich aber durch wiederholte Aktionen an.

Irgendwann wird die ohnehin eingeschränkte Erfolgswahrscheinlichkeit des Protests durch die vielen kleinen Schäden überwogen, die er verursacht. Einzelne gewaltarme Sperrungen halte ich also für zu rechtfertigen, gehäufte Sperrungen, wie wir sie derzeit erleben, verursachen zu viele Schäden. Sie erschöpfen das Medieninteresse und haben deshalb immer geringere Chancen, etwas zu verändern.

Aufseiten des Staates würde man erwarten, dass er bei gerechtfertigtem zivilem Ungehorsam seine Gesetze ständig überprüft. Und dass er sich beim Strafmaß für die Ahndung zurückhält. Der Umgang mit gerechtfertigtem zivilem Ungehorsam ist der Lackmustest für gereifte Demokratien und muss als notwendiges Element ihrer politischen Kultur angesehen werden.

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36 Kommentare

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  • Bei der Betrachtung und Wertung von Gewalt sollte auch die andere Seite der Medaille betrachtet und gewertet werden: die Gewalt jetziger Verhältnisse und deren fortwährende Folgen. Gewalt wäre nicht nur die des Staates (Unterdrückung) und der Produktionsweise (Ausbeutung) sondern auch die ökologischen und existenziellen Folgen wirtschaftlichen Handelns: die Zerstörung der Lebensgrundlagen. Verlust der eigenen Unterkunft (bspw. durch Sturm), Verlust der Anbaumöglichkeiten (bspw. durch Dürre), Hunger, Flucht, Tod. Hat der Kapitalismus immer schon eine gewaltvolle Grundtendenz gehabt und immer wieder Gewaltexzesse (Krieg) hervorgerufen, so hat der Mensch die Möglichkeit gehabt diese Verhältnisse zu korrigieren. Nun aber ist der Kapitalismus/Mensch Inbegriff Gewalt und Schädigungen festzuschreiben: durch Verursachung unumkehrbarer Klimaveränderungen, die die Erde für viele Menschen und noch mehr andere Tiere unbewohnbar machen.



    Angesichts dessen finde ich es lächerlich wie teils ablehnend und kleinkariert auf zivilen Ungehorsam reagiert wird.

    • @Uranus:

      Ziviler Ungehorsam ist null Strafbestand in DE. In dem Zusammenhang geht es mehr um Blockaden, die andere Menschen zum Ziel haben und auch Menschen gefährden (Rettungswagen vergessen?)

  • Die Ausführungen sind flott, aber sie sind nicht richtig. Folgende Einwände, nur zwei aus Zeitgründen:

    1) Klimaschutz kann sehr wohl für einige erhebliche Auswirkungen haben z.B. wirtschaftliche Konsequenzen.



    2) Durchgesetzte Partikularinteressen haben in der Regel immer Folgen für die Verteilung von Gütern und Posten in der Gesellschaft. Also werden - wenn umfangreich - ganz besonders gewisse Menschengruppen benachteiligt weil zum Beispiel das Leistungsprinzip bei der Zuteilung öffentlicher Ämter außér Kraft gesetzt wird. Nehmen wir den Fall der Besserstellung einer großen Gruppe - z.B. Frauen - ist das offensichtlich kein kleiner Effekt für einen großen Teil der Bevölkerung.

    Ich will damit nicht sagen, dass Querdenker bessere Argumente hätten und auch nicht dass ich sie für besonders helle oder zurechnungsfähig halte, nichts läge mir ferner. Aber es ist einfach wichtig, exakt zu bleiben: Antidiskriminierungspolitik geht oft mit umgekehrter Diskriminierung und mit Förderungen knapper Güter einher, die anderswo dann nicht zur Verfügung stehen.

    So viel Klarsicht und Ehrlichkeit muss man auch als jemand der Gutes will noch zulassen und man kann diesen Umstand nicht mit diesen philosophischen Bröckchen hier vernebeln.

    Es geht nämlich bei unserem System - sollte es zumindest - um das was wir wollen und viele wollen etwas, was ich nicht will. Aber philosophisch verbrämter Paternalismus ist nicht die nachhaltige Lösung für unsere politischen Konflikte.

    • @JK83:

      Der Punkt ist richtig. Ich schreibe: "Nein, Rechtsradikalismus, Trumpismus etc. haben keinen glaubwürdigen Bezug auf das Allgemeinwohl bzw. die Menge des Wohlergehens in der Gesellschaft. " D.H. Ich weiß, dass Allgemeinwohl damit verträglich ist, dass einige etwas schlechter gestellt werden. Diese Schlechterstellung muss aber in eine Steigerung der Menge des Wohlergehens für alle führen, sonst dient sie nicht dem Allgemeinwohl.

  • Nun ja, Querdenker bzw. die Impfgegner unter diesen haben ja irgendwie das Thema Freiheit im Sinn (wenn auch oft völlig vermurkts unwissenschaftlich und egoistisch).

    Ist "Freiheit" als Ziel kein Ziel des Allgemeinwohls? Ich denke schon.

    Und welche Institutionen bestimmt, wer die guten, das Allgemeinwohl zum Ziel Habenden sind?

    Ich halte das für eine ziemlich heikle Sache, Protestformen nur selektiv politisch "zuzulassen". Solche eine ausschließende Allgemeinwohlpolitik ging bereits oft in die Grütze und hat allenfalls den Zünglein an der Allgemeinwohlwaage geschmeckt.

    • @Rudolf Fissner:

      Freiheit als solche zu fordern, dient nicht unbedingt dem Allgemeinwohl. Die Freiheit des Verbrechers zerstört es. Freiheit ist nur dann legitim, wenn sie Grenzen am Wohl anderer Individuen akzeptiert, was Locke übrigens auch schon wusste. Was Querdenker fordern ist daher problematische Freiheit.

  • „Auch wenn die Rhetorik solcher Gruppen auf „Grundrechten für alle“ basiert und daher einen Allgemeinwohlbezug vortäuscht, muss man sich immer fragen: Wer wird durch die Proteste in welchem Maße geschädigt?“



    Soweit die Theorie. Aber: Wer hat eigentlich die Kompetenz und das von allen akzeptierte Recht, diese Entscheidung neutral und überparteilich zu treffen? Populisten jeder Richtung werden immer Argumente finden, weshalb nur die eigene Gruppe (und NICHT die konkurrierende) zum Protest berechtigt ist.



    Es kann noch schwieriger werden. Beispiel: Vor einigen Jahren die französischen Gelbwesten. Einige der vielen Gruppen protestierten gegen die zunehmende Luftverschmutzung, andere gegen zu hohe Spritpreise, die sich keine Geringverdiener mehr leisten können. Jede dieser Gruppen war überzeugt, die Mehrheit im Lande auf ihrer jeweils eigenen Seite zu haben. Aber sie gerieten nicht etwa aneinander, sondern betrieben gemeinsam „gerechtfertigten zivilen Ungehorsam“. Denn sie hatten ein übergeordnetes Interesse: Den Kampf gegen die Polizei, den Staat, die Kapitalisten und Ausbeuter, sowie die Verkörperung von allem in der Person Macon.



    Was tun, Herr Gesang?

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      _Wer hat eigentlich die Kompetenz und das von allen akzeptierte Recht, diese Entscheidung neutral und überparteilich zu treffen?_

      Das Gericht. Das genehmigt eine ziemliche Bandbreite an Demonstrationen. Wenn man auf "zivilen Ungehorsam" setzt, muss man halt im Zweifelsfall die Konsequenzen tragen, die da heißen: Verurteilung, Eintragung Führungszeugnis, und man macht sich nicht überall beliebt

      Das ist dann so.

      Grundsätzlich kann man aber schon festhalten, dass die Universalparole, die Bertolt Brecht (nie) gesagt hat ("Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht") nicht heißt, dass jeder, der mit irgendwas oder irgendwem unzufrieden ist, das Widerstandsrecht gem. GG bemühen kann. Weils immer noch andere Instanzen gibt - Wie Polizei, Gerichte. etc.

      Eigentlich kann man sagen, solange dieser Passus im GG steht, ist er nicht anwendbar - immerhin wäre das das erste, was ein Unrechtsstaat abschaffen würde. Und dann leben die Widerständler wirklich gefährlich.

  • Der Lackmustest für gereifte Demokratien und Demokraten ist das Kämpfen für seine Meinung mit demokratischen und legalen Mitteln.

    Ziviler Ungehorsam ist nichts anderes als ein undemokratisches Umgehen dieser Möglichkeiten mit Gewalt. Damit wollen Minderheiten den Mehrheiten durch das Hinzufügen von Schäden ihren Willen aufzwingen.

    Die Legitimität dieser Aktionen wird durch die moralische Notwendigkeit begründet. Diesen Ansatz, um Gesetze und Regeln zu umgehen halte ich für äußerst gefährlich. Insbesondere auch deshalb, weil sich andere Gruppen im Inland (hier im Artikel z.B. die Querdenker) als auch im Ausland (z.B. Russland, IS, USA-Irak) auf diese moralischen Notwendigkeiten mit teilweise bedeutend schlimmeren Konsequenzen berufen.

    In einem demokratischen Rechtsstaat ist deshalb das Mittel des sog. zivilen Ungehorsam abzulehnen, die Schadensverursacher entsprechend dem Recht und Gesetz zur Verantwortung zu ziehen.

    • @Black & White:

      Ziviler Ungehorsam ist eine Form von Gewalt. Aber eine stark limitierte. Alle Gewalt abzulehnen, wird schwierig, wenn man einen weiten Begriff von Gewalt hat, wie im Text und der WHO. Auf zivilen Ungehorsam setzen, heißt daher nicht Dinge mit Gewalt erzwingen, sondern höchstens mit stark begrenzter Gewalt anzustupsen.

      • @Bernward Gesang:

        "heißt ... Dinge ... höchstens mit stark begrenzter Gewalt anzustupsen."

        Klingt fast niedlich, finden Sie nicht auch? Ob die Gewaltanwendung nun eher groß oder klein anzusehen ist, kommt auf den konkreten Einzelfall an. Bisher war von harmlos bis lebensgefährlich schon alle Gewaltstufen vertreten.

        Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch der teilweise enormen Schaden für Staat und Gesellschaft, die durch den "Zivilen Ungehorsam" verursacht werden. Warum sollte die Gesellschaft für diese Schäden bezahlen, die wenige ungesetzlich und mit Gewalt fabriziert haben?

    • @Black & White:

      Natürlich ist ziviler Ungehorsam gefährlich und nicht völli kontrollierbar. Aber auf ihn verzichten eben auch. Der Staat muss merken, wo seine Gesetze und das Ethos in der Bevölkerung kollidieren. Die ganze Emanzipation der schwarzen in den USA ohne zivilen Ungehorsam undenkbar gewesen.

      • @Bernward Gesang:

        Auf "Zivilen Ungehorsam" zu verzichten ist absolut ungefährlich in einem System wie unserem , in der wir demokratische und legale Mittel haben unsere Interessen zu vertreten.

        "Der Staat muss merken, wo seine Gesetze und das Ethos in der Bevölkerung kollidieren."

        Und das merkt er nur, wenn ein kleiner, radikaler Teil der Bevölkerung Gewalt anwendet? Ist das für Sie das Ideal einer friedlichen, demokratischen Gesellschaft?

    • @Black & White:

      Da ist der Name wohl Programm, anders kann ich mir diese ahistorische und undifferenzierte Sicht auf die Dinge nicht erklären.



      Ohne zivilen Ungehorsam (und mitunter auch militantem Widerstand) wäre in D-Land noch kein AKW abgeschaltet, kein Kohleausstieg beschlossen, der Regen immernoch sauer und die Wälder schon längst komplett abgestorben. Um nur ein paar umweltpolitische Auseinandersetzungen der 80er zu nennen. In Sachen Geschlechtergleichberechtigung sähe es auch immer noch finsterer aus, Vergewaltigung in der Ehe wäre immer noch straffrei und der Bundestag eine einzige Männerparty, dominiert von alten Nazis und ihren Zöglingen... (siehe u. A. Beate Klarsfeld/Kiesinger)



      Ich könnte noch ne ganze Weile so weiter machen, aber ich denke das reicht erst mal an Beispielen.



      In all diesen Fällen hat ziviler Ungehorsam dazu beigetragen, dass sich repressives Recht verändert hat und unterdrückte Gesellschaftliche Gruppen im Laufe des Prozesses zu mehr Rechten gekommen sind, wodurch sie sich dem Rechtsstatus der tonangebenden Gruppe angenährt und ein Sonder- bzw. Zweiklassenrecht abgebaut haben. Da kann man doch nichts gegen haben oder? Naja, mann vielleicht, weil er Angst hat, Privilegien zu verlieren, die ihn besser gestellt haben, als den Rest der Gesellschaft... Nun ja, richtig so, weg mit den verfluchten Privilegien für einen kleinen Teil zu Lasten der Anderen.

      • @BakuninsBart:

        "Da ist der Name wohl Programm..."

        Ja, aber anders als Sie denken. Meine Familie besteht aus vielen Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben.

        Viele von uns haben persönlich rassistische Gewalterfahrung gemacht. Auch aus diesem Grund lehnen wir jede Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen ab.

        Gesellschaftliche Veränderungen können und müssen auch ohne Gewalt, sprich "zivilem Ungehorsam" durchgesetzt werden. In unserem System ist dies grundsätzlich für jeden Bürger -egal welche Position er in dieser Gesellschaft einnimmt- möglich. Das nur Gewalt etwas bewirkt, halte ich für eine platte Ausrede.

    • @Black & White:

      "Damit wollen Minderheiten den Mehrheiten durch das Hinzufügen von Schäden ihren Willen aufzwingen."

      So wie Scheuer seine Autobahnmaut?

      Ach nee, ich vergaß. Das war ja ein Musterbeispiel bürgerlich-liberaler Demokratie.

      • @Ajuga:

        Nicht schlecht. So habe ich es noch nicht gesehen. ;-)

  • Angesichts des enormen Schadens, der für alle (auch die, die es nicht wahrnehmen wollen) durch das Nicht-Handeln und Weiter-So entsteht, weiß ich gar nicht, welchen durch Proteste entstehenden Schaden ich noch als unverhältnismäßig einordnen sollte...

    • @blutorange:

      In ähnliche Richtung dachte ich auch. Um da für eine bessere Einordnung mal ein paar Zahlen zu nennen: es wurden Entschädigungen für Missernten 2018 in Höhe von 292 Millionen Euro [1] sowie infolge der Flutkatastrophe 2021 30 Milliarden Euro (!)[2] genannt. Ich schätze, um auf ähnliche Zahlen zu kommen, könnten Klimaaktivistis eine Weile einiges blockieren ...



      [1] www.wiwo.de/untern...ahlt/25549774.html



      [2] www.faz.net/aktuel...gung-17511556.html

  • Man kann über vieles diskutieren, aber vor allem sollten sich manche Widerstandsromantiker noch mal den Anfang durchlesen und sich klar machen, dass ziviler Widerstand in verbessertes staatliches Handeln münden soll. Erfolgreicher ziviler Widerstand schafft sich ab!

  • Wer Philosoph ist, kommt ohne Studien aus. 1. was sind Querdenker? ich bins seit meiner Geburt. 2 was sind die Themen der Querdenker? Ich beschäftige mich mit sozial/öko, siehe www.gegenmacht.net/klage-hartz-iv/



    3. meine Aktionen sind gewaltfrei- www.gegenmacht.net...orbide-jens-spahn/



    Anscheinend bin ich der lebende Gegenbeweis zu denen im Artikel aufgestellten Thesen.

  • Was bei der Betrachtung leider nicht ausreichend berücksichtigt wird, ist der Schaden, der durch das entsteht gegen das sich der zivile Ungehorsam richtet.



    Der Schaden durch den Klimawandel ist so groß, dass auch eine wesentliche Ausweitung von Autobahnblockaden und anderen Aktionen zivilen Ungehorsams verhältnismäßig und damit gerechtfertigt wären.

    • @Paco:

      Der Schaden durch zivilen Ungehorsam entsteht, indem dieser vollzogen wird, also mit Sicherheit. Der Schaden durch den Klimawandel wird wahrscheinlich durch zivilen Ungehorsam nicht komplett vermieden. Wäre der Ungehorsam ein sicheres Mittel ihn abzustellen, könnte man vielleicht so argumentieren,

    • @Paco:

      Der Schaden, der durch das entsteht, gegen das sich der zivile Ungehorsam richtet, und der Schaden, der durch den zivilen Ungehorsam entsteht, können nicht gegeneinander abgewogen werden. Gegeneinander abwägen kann man nur die durch eine Aktion verursachten Schäden und die durch die Aktion verhinderten Schäden. Eine Autobahnblockade als Protestaktion verhindert nicht den Klimawandel. Sie ist lediglich darauf gerichtet, Forderungen, die dem sog. Klimaschutz dienen sollen, Nachdruck zu verleihen.

    • @Paco:

      Ganz sicher ist der Schaden durch den Klimawamdel immens viel größer und für das Gemeinwohl bedrohlicher als Autobahnblockaden. Und da sehe ich auch eine Schwachstelle des Artikels: Es entsteht der Eindruck, es ginge um eine Abwägung von Schaden und (Gemein-) Nutzen. Das kann m.E. nicht alles sein. Hier geht es auch um Legitimation. Wenn der zivile Ungehorsam dazu geeignet ist, erhebliche Teile der Gemeinschaft, deren Interesse er vertritt, gegen sich aufzubringen oder / und in seiner Zielsetzung für sie unverständlich zu sein, hört er auf, legitim zu sein. Oder zumindest, zivil zu sein. Die Aktivist:innen müssten sich dann entscheiden, den demokratischen gesellschaftlichen Diskurs zu verlassen und die Umsetzung ihrer Ziele zu erzwingen.

    • @Paco:

      Der potenzielle Schaden durch den Klimawandel ist sehr groß in der Zukunft. Es sind hunderte Millionen Menschenleben gefährdet. Wären damit auch Kriege gerechtfertigt gegen Staaten die den Klimawandel nicht genug bekämpfen?

      • @Gunnar Roth:

        Interessante Frage, danke.

      • @Gunnar Roth:

        ein Krieg sicherlich nicht, Sanktionen aber schon.

    • @Paco:

      Im Prinzip ist das richtig: der Schaden durch den Klimawandel wird deutlich größer werden. Allerdings gebe ich zwei Dinge zu bedenken: eine plötzliche Autobahnsperrung kann (auch tötliche) Unfälle auslösen. Daher halte ich das nicht für ein sinnvolles Mittel. Außerdem: die Unterstützung für eine Energiewende ist in der Bevölkerung nicht sehr ausgeprägt. Rechtswidrige Aktionen werden diese Unterstützung nicht verstärken. Alleine aus diesen beiden Gründen würde ich das lassen.

    • @Paco:

      💯 d‘accord

  • Auch durch Klimaschutz entsteht individueller Schaden, ähnlich den durch Wegfall von „Schutzmaßnahmen“ gegen Corona. Dies von vornherein zu negieren macht die ganze Argumentation des Artikels hinfällig.

    • @Hans Wurst:

      ich frage mich, aus welcher aussage sie das herauslesen.

      • @herstory:

        Wahrscheinlich meint Hans Wurst die Aussage "Durch Klimaschutz niemand" im Artikel, bezogen auf die Frage, wer geschädigt wird. Und natürlich hat Hans Wurst Recht: Würde durch sog. Klimaschutz niemand geschädigt, dann wäre es doch ein Kinderspiel, weltweit eine umfassende Reduzierung von CO2-Emissionen durchzusetzen. Was tatsächlich durchgesetzt wird, sind aber im Wesentlichen Bekenntnisse und Absichtserklärungen; wenn es ernst wird, geht es meist andersherum. Denn für fühlbare Absenkungen des Lebensstandards gibt es nirgendwo Mehrheiten.

        • @Budzylein:

          Da ist was dran, wie gesagt, Allgemeinwohl kann sich auch vergrößern, wenn einige etwas schlechter gestellt werden, aber insgesamt das Wohlergehen ansteigt. Natürliche Personen werden durch Klimapolitik vielleicht kurzfristig etwas geschädigt, wenn sie nicht durch neue Industrien für WIN-WIN-Verhältnisse sorgt. Aber noch viel mehr Individuen profitieren stark. Da habe ich mit der Aussage "niemand wird geschädigt" gemeint: "niemand wird nennenswert geschädigt im Vergleich mit den entstehenden Profilen." Zugegeben unscharf, wobei vor dem Redigat der Satz stand "Aber bei diesen Bewegungen gilt: wenn deren Ziel realisiert wird, wird deshalb niemand nennenswert schlechter gestellt, bzw. wird Wolhergehen insgesamt gesteigert. " Der das genauer ausdrückte, dessen letzter Teilsatz aber weggestrichen wurden, wogegen ich nicht protestiert habe. Mea culpa

      • @herstory:

        Ich denke, das bezieht sich auf diesen Abschnitt:



        "Wer wird durch die Proteste in welchem Maße geschädigt? Durch Klimaschutz niemand, durch ein Querdenken, das bewirkt, dass Schutzmaßnahmen vorzeitig enden, einige erheblich. Gleiches gilt für den Trumpismus und die AfD."