Querdenker an der Uni Bielefeld: Der abgedriftete Professor

Martin Schwab ist ein beliebter Juraprofessor – und tritt in NRW für „Die Basis“ an. Die Uni fragt sich: Wie umgehen mit dem Querdenker-Prof?

Martin Schwab mit Mikro in der Hand steht vor einem Luftballon: Nein zum Impfzwang nein

Wieso hat er sich so radikalisiert? Schwab auf einer Demo gegen die Coronamaßnahmen in Düsseldorf Foto: Piero Nigro/imago

BERLIN taz | Martin Schwab steht auf einer Bühne auf dem Kesselbrink in Bielefeld, er trägt einen schwarzen Anorak, hält in der einen Hand ein paar Zettel und in der anderen ein Mikrofon. „Meine heutige Ansprache“, sagt er, „steht unter dem Thema Propagandanarrative“. Das „i“ zieht er dabei sehr in die Länge.

Schwab ist Spitzenkandidat der Querdenken-Partei „Die Basis“ für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Eine gute halbe Stunde wettert er an diesem Freitag Mitte März gegen „die Scharfmacher der Lockdown- und Impfzwangpropaganda“ und beschuldigt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) der Volksverhetzung. Zusammen mit der jubelnden Menge, das belegt ein Video des Auftritts, skandiert Schwab: „Widerstand, Widerstand, Widerstand!“

Dass ein Vertreter einer Querdenken-Partei auf einer Querdenken-Demo Querdenken-Parolen von sich gibt, ist nicht überraschend. Doch der Redner wurde nicht als Politiker angekündigt, sondern als Juraprofessor. Schwab ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Unternehmensrecht an der Universität Bielefeld. Und das macht sein Auftreten relevant, über Nordrhein-Westfalen hinaus.

Nahbar und engagiert

Schwab steht im Zentrum einer Auseinandersetzung, bei der es darum geht, wo die Grenzen der Freiheit von Forschung und Lehre liegen. Was eine Universität auszuhalten hat und wo die Meinungsfreiheit eines Hochschullehrers endet.

Martin Schwab, 54, war jahrelang ein ausgesprochen beliebter Hochschullehrer. An der FU Berlin schon und nun seit sechs Jahren in Bielefeld, nahbar und äußerst engagiert. Er war im Irish Pub oder Rock Café bei den Kennlerntreffen von Studierenden dabei, sang Karaoke mit ihnen und bereitete sie besonders intensiv aufs Examen vor.

Die taz hat im Zuge dieser Recherche mit vielen Angehörigen der Universität gesprochen, mit Pro­fes­so­r:in­nen und Studierenden. Die meisten wollen sich nicht zitieren lassen. Auf Grundlage der Gespräche, Videos, schriftlichen Veröffentlichungen und interner Kommunikation lässt sich Schwabs Radikalisierung nachvollziehen – und die Herausforderungen, die sich daraus ergeben.

Schwab hat sich in der Pandemie früh auf die Seite der radikalen Coronamaßnahmen-Kritiker:innen gestellt. Zu Beginn argumentiere er noch juristisch. Allerdings beschrieb der Zivilrechtler dabei auch Sachverhalte, die außerhalb seines Bereiches liegen. Er veröffentlichte etwa Musterschreiben zur „Impfung im Gesundheitswesen“, um die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu umgehen.

Oder eine mehr als 180 Seiten lange Verteidigungsschrift für Wolfgang Wodarg, einer Ikone der Querdenker-Bewegung. Das Dokument ist auf seiner Uni-Webseite verlinkt. Darin enthalten sind gängige Falschbehauptungen, was die Gefährlichkeit von Corona und die Pandemiebekämpfung angeht. Auch sonst trifft Schwab viele Äußerungen, für die er fachlich eher keine Kompetenz hat. So behauptet er etwa in einem Musterschreiben gegen die Maskenpflicht in Schulen, dass das Tragen einer Maske genauso schlimm sei wie das Einleiten von CO2 ins Klassenzimmer.

Schwab spricht von Diffamierung

Mit der Zeit wird Schwab immer politischer. Zusammen mit führenden Corona-Leugner:innen gründet er Anfang 2021 das „Team Freiheit“, eine Gruppe, die mit als Parteisitzung getarnten Zusammenkünften in Kneipen Coronabeschränkungen umgehen wollte. Er tritt fast zwei Dutzend Mal im selbsternannten „Corona Ausschuss“ auf, der von einem seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter geleitet wird. Zu Streams dieser Coronaleugner-Vereinigung, an denen unter anderem die Verschwörungsideologen Ken Jebsen und Sucharit Bhakdi mitwirken, schaltet er sich aus seinem Unibüro zu. Schon bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr kandidiert er für „Die Basis“. Die Kleinstpartei ist aus den Demos gegen die Coronamaßnahmen entstanden und bekam 1,4 Prozent der Stimmen.

Fast immer gingen Streits zugunsten der Professoren aus

An der Uni gibt es erste Konsequenzen: Schwab wird aus der Band der Juristischen Fakultät geworfen, der er als Keyboarder angehörte. Es geht um die Infektionsgefahr, weil er nicht geimpft ist. Und die Band will nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden.

Die meisten Studierenden hatten Anfang 2021 von Schwabs neuen Aktivitäten erfahren. Nach der Veröffentlichung eines Antifa-Rechercheblogs kommt die Sache auch in seiner Vorlesung zur Sprache. Er habe von Diffamierung gesprochen, so erinnern sich Studierende. Und was manche als Drohung empfanden: Er habe angekündigt, gegen solche Berichte vorzugehen. Mit der taz will Schwab nicht sprechen. In einer Mail beklagt er „Rufmord“ und schreibt, dass die Zeit noch nicht reif sei für rechtliche Schritte: „Im Moment lässt die deutsche Justiz jenen, die Nazi-Framing betreiben, viel zu viel durchgehen. Aber das wird sich eines Tages ändern.“

Währenddessen berichtete die Lokalpresse, dass er Kontakt zu einer rechtsextremen Impfgegnerin pflege. Als die Runde macht, dass Schwab bei der Querdenken-Demo im März auftrat, wird die Kritik lauter. Muss die Lehre wirklich einen solchen Querdenker-Prof aushalten?

Asta fordert Distanzierung

Der Asta der Uni Bielefeld fordert die Universitätsleitung auf, sich von Schwab zu distanzieren. „Mit seiner vor verschwörungsideologischen Narrativen triefenden Rede hat Schwab endgültig Grenzen überschritten.“ Die jüdische Hochschulgruppe schreibt in einer Rundmail an Verantwortliche der Universität Bielefeld von Angst und Wut: „Die Beweislage, dass Schwab bewusst in antisemitischen bzw. verschwörungsideologischen und neonazistischen Kreisen unterwegs ist, diesbezügliche Aktivitäten aus seiner Professur heraus […] betreibt, ist erdrückend.“ Die Gruppe bezieht sich darauf, dass auf seinen Demos auch Reichs­bür­ge­r*in­nen und Mitglieder der Identitären Bewegung oder der AfD anwesend sind. Verbal distanziert sich Schwab von Rechtsextremismus.

Die Universität reagiert mit einer knappen Stellungnahme. „Die Mitglieder des Rektorats und die Fakultät für Rechtswissenschaft haben in Hinblick auf die Einschätzung der Pandemie und der notwendigen Maßnahmen eine dezidiert andere Meinung“, heißt es darin. Aber Schwab engagiere sich als Privatperson politisch und die Meinungsfreiheit sei „eines der wichtigsten Grundrechte in einer Demokratie“.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren an deutschen Unis ähnliche Streitfälle, etwa um Professor:innen, die sich in der AfD engagieren. Fast immer gingen sie zugunsten der Professoren aus. Anders als zuvor argumentiert die Uni Bielefeld nun nicht mehr mit Wissenschaftsfreiheit. Es sei ein großes Problem, sagt ein Professor der Jurafakultät, dass Schwab als vom Staat bezahlter Rechtswissenschaftler mit Wissenschaftsfeinden auf die Straße gehe. Ein Reputationsverlust für die Uni.

Geht es im Fall Schwab also wirklich um Meinungsäußerungen? Sind Schwabs Äußerungen nicht auch schlicht falsche Tatsachenbehauptungen, vorgetragen mit der Autorität eines Professors? Und was ist an seinem Wirken noch privat?

Die Universitätsleitung prüft beamtenrechtliche Konsequenzen, schließlich hat ein Professor einen Eid auf das Grundgesetz geschworen und unterliegt dem Mäßigungsgebot. Die Uni hat einen externen Verwaltungsrechtler mit einer Expertise beauftragt, bestätigt ein Unisprecher der taz.

Sachte Maßnahmen der Uni

Wieso hat sich Schwab so radikalisiert? Manche sehen ihn auch als Protagonisten einer tragischen Geschichte. Er lebe für seinen Beruf, die Uni sei eine Ersatzfamilie für ihn gewesen und wegen Corona sei für ihn da viel weggebrochen. Schwab widerspricht: Ihn treibe eine „tiefe innere Überzeugung“ an, dass die Coronamaßnahmen schwerstes Unrecht repräsentierten.

Schwab distanziert sich zwar von Gewalt. Aber er behauptet auch, dass ein „Pogrom gegen Ungeimpfte“ vorbereitet werde. Und weiter sagt er im April in einem Interview mit dem Demokratischen Widerstand, dem publizistischen Zentralorgan der Corona-Leugner:innen: „Wenn die Hetze in der Politik und den Altmedien nicht aufhört, schlittern wir in einen Bürgerkrieg.“

So heftig Schwabs Wortwahl ist, so sachte sind bislang die Maßnahmen der Uni gegen ihn. Es gab den Wunsch an ihn, bestimmte Inhalte von der Seite seines Lehrstuhls zu nehmen. Eine Verlinkung entfernte er. Die Dekanin hat Schwab auch gebeten, für seine politische Arbeit nicht mehr aus seinem Büro zu streamen, denn das sei eine private Nutzung dienstlicher Ressourcen.

Daran hält er sich. In einer Stellungnahme schreibt er: „Wenn ich von meinem Büro aus der Tagesschau ein regierungsfreundliches Interview geben würde, würde sich niemand daran stoßen.“ Schwab beschwert sich auch, dass sich Kri­ti­ke­r:in­nen nicht bei ihm direkt meldeten. „Den Mut, den direkten Austausch mir zu suchen, haben offenbar nur die wenigsten“, schreibt er. Auf die Gesprächsanfrage der taz schickt er als Erstes den Brief einer Organisation, der nach eigenen Angaben unter anderem Holocaust-Überlebende angehören und die sich mit ihm solidarisiert. Die Organisation relativiert den Holocaust, indem sie Corona-Impfungen damit gleichsetzt.

Schwab ist „kooperativ“

Juradekanin Angelika Siehr wählt im taz-Gespräch ihre Worte sorgfältig. Professor Schwab sei prinzipiell kooperativ. „Er will der Fakultät erkennbar nicht schaden.“ Die Meinungsfreiheit schließe grundsätzlich ein Recht auf Irrtum ein, es werde aber schwierig, „wenn Meinungsäußerungen auf eklatant falschen Tatsachenbehauptungen beruhen“. Siehr betont: „Schwab müsste viel deutlicher machen, dass er seine Äußerungen als Privatmann tätigt und nicht als Juraprofessor.“

Bei der Examensfeier der Juristischen Fakultät vor zwei Woche trat nach langer pandemiebedingter Pause auch die Juraband wieder auf. Professor Schwab verfolgte den Auftritt als Zuschauer. Der Student, der als einer der besten Ab­sol­ven­t:in­nen eine Rede hielt, erwähnte ihn dann namentlich. Er dankte ihm für die Unterstützung in den vergangenen Jahren.

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