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Wissenschaftsjournalismus unter DruckNette Erklärbären war einmal

Die Pandemie hat auch in Medienhäusern Spuren hinterlassen. Besonders augenfällig: der Graben zwischen Wissensressort und Rest der Redaktion.

Meinung vor Wissen: Schlagzeile vom Kölner „Express“ am 3. Februar 2020 Foto: Ying Tang/NurPhoto/picture alliance

Wenn drei RedakteurInnen einer Zeitung auf einen Schlag kündigen, ist das auffällig. Wenn nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie drei WissenschaftsredakteurInnen mit Kernkompetenzen aus den Bereichen Biologie, Biochemie und Medizin das Handtuch werfen, und zwar gleichzeitig und dann auch noch beim Springer-Blatt Welt – dann ist das ein Thema. Der Medieninsider, ein Magazin für Medienschaffende und Journalisten, hat es aufgegriffen und es zum Skandal stilisiert. Die Berichterstattung der Welt zur Pandemie soll demnach unerträglich geworden sein für die drei JournalistInnen.

Dass WissenschaftsredakteurInnen im Konflikt mit der Corona-Berichterstattung ihrer Häuser stehen, ist allerdings kein Einzelfall und ganz sicher kein Sonderproblem der Welt. Auch in anderen Häusern haben WissenschaftsjournalistInnen die Redaktionen verlassen, weil der Evidenz, also der Faktenlage, gleichberechtigt Meinungen gegenübergestellt wurden. Weil die Wirkung nachweislich wirksamer Schulschließungen angezweifelt wurde, weil Pseudoexperten interviewt und dadurch erst aufgebaut, weil Impfzweifel ernst genommen und dadurch geschürt wurden.

Christian Drosten hat es zuletzt auf den Punkt gebracht, als er in einem Podcast der FAZ von „künstlichen Kontroversen“ sprach. Der Forscher ist selbst immer wieder in den Fokus solcher künstlichen Kontroversen geraten. Die stilisierte Expertenkontroverse mit dem Bonner Aids-Forscher Hendrik Streeck war nur eine erste – eine, die auch viele Qualitätsmedien mitmachten. Ein Teil der Medien aber hat sich regelrecht an dem Berliner Virologen abgearbeitet. Das ist nicht nur beschämend, sondern verdient eine nähere Betrachtung – und zwar deshalb, weil der „Fall Drosten“ in einem engen Zusammenhang zum Fall „Wissenschaftsjournalismus“ steht.

Graben zwischen Evidenz und Meinung

Die Konflikte, die medial zwischen echten und vermeintlichen ExpertInnen, zwischen Fakten und alternativen Fakten, zwischen einem großen Teil der Gesellschaft und der Wissenschaft aufgebaut worden sind, finden ihre Entsprechung im Verhältnis zwischen vielen Redaktionen und ihren Wissen-Ressorts. Selten in so großer Offensichtlichkeit wie bei der Welt, zu deren Marke es schon lange gehört, zu polarisieren, wo immer es möglich erscheint. Aber ein Graben tat sich von wenigen Ausnahmen abgesehen in fast allen Leitmedien auf. Es war der Graben zwischen Evidenz und Meinung.

Angefangen hat das früh, genau genommen in dem Moment, als das Virus auf der Weltbühne erschien. Die meisten Wissen-Ressorts hatten bis dahin ein relativ zurückgezogenes, fast inselhaftes Dasein geführt. Auf der Insel gab es Astronomie, Gesundheitsratgeber, Ernährung, Naturreportagen und Klimaforschung. Gelegentlich wurde „das Wissen“ zu politischen Entscheidungen befragt: zum EuGH-Urteil zur Gentechnik von 2018, zum Streit um Glyphosat oder zu den in China geborenen Crispr-Babys. Wissen-Ressorts erklärten nach Fukushima, was an radioaktiver Belastung zu erwarten war und wie sie sich auswirken würde. Sie erklärten, wie die Substanz wirkt, mit der Alexei Nawalny vergiftet worden war und was der aktuelle IPCC-Report aussagt. War alles erklärt, ging es zurück auf die Insel. Um die anhängige Politik, Wirtschaft und Kultur kümmerten sich andere.

Corona hat dieses Verhältnis auf den Kopf gestellt. Erstens, weil es zunächst einmal wenig zu erklären gab. Das Virus war unbekannt, neu, Daten mussten erst gesammelt und ausgewertet werden. Weder Wissenschaft noch Wissen konnten klare Antworten auf die vielen Fragen geben, die sich stellten. Würden Masken helfen? Die wenigen verfügbaren Daten legten zuerst nahe, dass dem nicht so sein würde. Waren Schulschließungen wirklich nötig oder überhaupt wirksam? Die ersten Studien zeichneten ein uneinheitliches Bild, so uneinheitlich wie die Situationen, in denen die Schulen in den verschiedenen Ländern steckten. Breitete sich das Virus über die Luft aus? Im Datenlimbo konnte man zunächst davon ausgehen, dass wie bei Sars-1 nicht Aerosole, sondern Tröpfchen ansteckend sein würden. Man wusste es aber noch nicht.

Nie dagewesene Nachfrage nach Wissen

Der zweite Punkt war, das die Nachfrage an Wissen eine bis dahin nicht dagewesene Dimension erreichte. Jede und jeder war (und ist noch immer) betroffen. Zunächst durch das Virus, dann durch die Maßnahmen – und zwar individuell sehr verschieden: Bewohnende von Altenheimen ganz anders, nämlich im Leben bedroht, als Eltern, die praktisch kaum noch arbeiten konnten, weil sie ihre Kinder zu Hause betreuen mussten. Kulturschaffende, die nicht mehr auftreten konnten, ganz anders als Forschende, die plötzlich mehr denn je zu tun hatten. Alle gemeinsam aber waren nun mit etwas konfrontiert, was ihnen fremd war: mit dem, was Forschung eigentlich ausmacht – dem Prozess, der Wissen in der Wissenschaft überhaupt erst schaffen kann.

Datenerhebungen, Studien, Analysen und dazwischen viel Unsicherheit. Es gibt gute und schlechte Studien. Eine Studie allein liefert selten endgültige Erkenntnisse. Wissenschaft ist ein mühsamer, annähernder Prozess, aus dem sich erst allmählich Gewissheiten formen. Das zu vermitteln ist nicht gerade einfach. Es nützt vor allem nichts, wenn in den Redaktionen wie in der Öffentlichkeit die Geduld fehlt, wenn Antworten und Content verlangt werden – und der Unmut in der Bevölkerung auf Biegen und Brechen gespiegelt werden muss.

Dass es aber keine Meinung ist, dass Kontaktbeschränkungen Sars-CoV-2 aufhalten, sondern eine Tatsache, fiel dabei genauso unter den Tisch wie die Frage, ob man einem Pseudoexperten mit Laborverschwörungstheorien oder einer Historikerin mit Leugnertendenzen tatsächlich eine Bühne bieten darf im Journalismus. Die Kommunikations-Professorin Annette Leßmöllmann hat den Wissenschaftsjournalismus Anfang 2021 in einem Beitrag für das Deutschlandradio als systemrelevant bezeichnet. Er sei, Corona habe das gezeigt, kein Nischenprodukt mehr. Forschung sei mit Macht im Alltag der Menschen angekommen. Es mag zu jenem Zeitpunkt so ausgesehen haben.

Die Erklärbären im Hintergrund

Aber jetzt, mehr als ein Jahr später, muss man fragen, ob der Wissenschaftsjournalismus im Zuge der Coronapandemie nicht gerade Gefahr läuft, in eine neue Nische gedrängt zu werden, in der auch Erklärungen nur noch Meinungen sind – oder völlig an Bedeutung zu verlieren. Denn wenn Meinungen genauso viel zählen wie die Faktenlage, wenn einzelne Studien benutzt werden dürfen, um die Evidenz – die gesamte Erkenntnislage – infrage zu stellen – wozu braucht man dann noch Journalistinnen und Journalisten, die sich die Mühe machen, wissenschaftliche Literatur zu wälzen, um zuverlässige Antworten anzubieten?

Es ist eine schwierige Situation, an der die Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten selbst nicht ganz unschuldig sind. Über viele Jahre waren sie die Erklärbären im Hintergrund und oft sogar ganz zufrieden damit. Aber in einer Gesellschaft voller Technologie, Forschung und Wissenschaft reicht das Erklärbärentum nicht aus. Es braucht faktenbasierte Argumente und den Willen, die Kontroversen politisch und gesellschaftlich orientiert zu führen, und zwar aktiv. Es geht um zu viel: Energiewende, Klimawandel, Welternährung, die nächste Pandemie. Ohne Wissen ist all das nicht zu bewältigen.

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23 Kommentare

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  • Frau Zinkat offenbart als Wissenschaftsjournalistin (ein wie definierter Begriff?) einen eigenartigen prämodernen Begriff von Wissenschaftlichkeit. Als ob deren Ergebnisse absolut und die Diskursform dahin gleichgültig seien. Ich kenn den Hintergrund ("Die Welt", von jeher ein verklemmtes revanchistisches Kackblatt) nicht. Aber so zu tun, als ob Wissenschaftsjournalisten eine höhere Wahrheit gepachtet haben, ist schon frech. Allerdings diskutiere auch ich ungern mit promovierten Leuten, die noch nicht einmal einen Dreisatz rechnen können und dies für hipp halten.

  • Kein Politiker (Journalist) wird vorher seine Maßnahmen mit wissenschaftlicher Forschung verknüpfen. Tatsachen braucht man immer erst hinterher um seine Maßnahmen zu begründen.

  • "Auch die andere Seite hören" gehört zur Pflicht des Journalismus. Die wurde während der polaren Corona-Berichterstattung selten beachtet.

    Wo waren die Wissenschaftjournalist:innen, als wissenschaftliche Fachgesellschaften (DGPI, DGKH) bereits seit Januar 2021 die Schulschließungen und das Wegsperren der Kinder und Jugendlichen wissenschaftlich kritisierten? - Diese Studien durften damals noch nicht einmal in Leserbriefen erwähnt werden, sonst wurden die nicht veröffentlicht.

    Zweiter Punkt: Von WELCHEN Fakten sprechen Sie? Deutschland hat kaum valide Daten zur Corona, schon gar keine repräsentativen der Gesamtbevölkerung, bis heute nicht! Im Gegensatz zu manchen anderen Ländern. Das RKI will solche wissenschaftliche Datenerhebung nicht. (Stattdessen datenfreie "Modellrechnungen" von Physikern auch noch im Jahre 2 der Corona...)

    Wo waren die Wissenschaftjournalist:innen, als es darum ging, diese Wissenschafts-Verweigerung zu thematisieren?

    Die Epidemiologie auf Virologie zu verkürzen, das ist so, als würden Zielfahnder die Polizeistatistik erstellen und für die Prävention zuständig gemacht: voll daneben, aber bis heute nicht öffentlich diskutiert. Mein Kind hat deswegen leider seinen Schulabschluß verpasst.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Es ist doch so und wird den journalistischen Eleven von jedem seriösen Dozenten schon in der Ausbildung vermittelt:



    Wer sich für ein Enggement bei Springer entscheidet, ist unweigerlich irgendwann mit dem Konflikt zwischen dem ganz strengen journalistischem Anspruch und Blatt- bzw. Chefredaktions-Interessen konfrontiert.



    Das galt immer mehr oder weniger schon für alle Springer-Produkte; insbesondere bei BILD musste man das ganze journalistsiche Gedöns bei Vertragunterschrift gleich im Schredder des Personalbüros entsorgen. Bei der Welt war das bis vor einiger Zeit noch etwas anders.



    Die war zwar meinungsreaktionär, aber die Nachricht (sprich die Fakten) war(en) sakrosankt.



    Das hat sich spätestens seit Porsche-Ulf in dieser granitenen Dogmatik aufgelöst und in Richtung von mehr interpretativer Flexibilität entwickelt.



    Man hat postuliert, dass es eherne Gewissheiten eben nicht gibt - nicht einmal in der vermeintlich faktenharten Physik, wo der Weltendesigner den ewig suchenden Homo Intellectus vor hundert Jahen mit der Quantenmechanik konfrontierte, in der ja bekanntlich nichts mehr sicher ist.



    Wer also den Konflikt zwischen dogmatischer journalistischen Ethik und Blatt- bzw. Chefredaktionsinteressen nicht aushält, der geht von Springer woanders hin.



    Wer's schafft, damit zurecht zu kommen, der geht auch - zumindest temporär.



    Zu Lanz als Sidekick, zu Plasberg, Will, Maischberger, Illener, Thadeusz oder Servus-TV - irgednwohin eben, wo Journalismus und Show sich vermischen oder sich symbiotisch zu einem autonomen "Format" verbinden.

  • Im Artikel ist bezüglich der Corona-Maßnahmen von einer "Evidenz" die Rede. Zugleich wird es als "beschämend" bezeichnet, dass manche Medien sich an Drosten "abgearbeitet" hätten; offenbar hält die Autorin die Einschätzungen Drostens für wissenschaftlich und abweichende Bewertungen für unwissenschaftlich. Nun denn; zur Erinnerung: Drosten hat Anfang Mai 2022 im Deutschlandfunk erklärt, weswegen er an der Evaluation der Corona-Maßnahmen, die bis zum 30.06.2022 vorliegen soll, nicht teilnimmt: Weil nach seiner Ansicht dieser Zeitraum für eine wissenschaftliche Evaluation der Corona-Maßnahmen zu kurz ist; er meint, dafür werde mindestens ein Jahr benötigt. Diese Ansicht Drostens bedeutet nichts anderes, als dass von einer Evidenz bezüglich der Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt keine Rede sein könne. Evidenz ist nämlich erst gegeben, wenn es eine Auswertung gibt, die wissenschaftlichen Maßstäben genügt. Alles andere sind bloße Annahmen. Da die o. g. Einschätzung Drostens auf einen zurückliegenden Zeitraum bezogen ist, bedeutet dies zudem, dass zum Zeitpunkt, als diese Maßnahmen getroffen wurden, erst recht keine Evidenz bezüglich ihrer Wirksamkeit bestand; es waren lediglich Prognosen möglich. Prognosen können aber bekanntlich auch falsch sein und haben mit Evidenz, die immer erst im Nachhinein festgestellt werden kann, nichts zu tun. Das weiß die Autorin auch selbst; sie bezeichnet ja die Wissenschaft als mühsamen Prozess, in dem sich erst allmählich Gewissheiten formen. Damit ist es aber nicht vereinbar, die eigenen Einschätzungen bezüglich der Wirksamkeit bestimmter Corona-Maßnahmen als Fakten zu bezeichnen.

  • Gegenmeinung!

    Erstens: Auch Wissenschaft muss sich journalistischer Kritik stellen. Wenn wir anfangen, sakrosante Gebiete auszuweisen, denen keinerlei Kritik oder Gegenmeinung zulässig ist, können wir außer der Gala irgendwann alle journalistischen Formate einstampfen.

    Zwotens: Die Autorin macht es sich zu einfach, "die Wissenschaft" und ihre Erkenntnisse als etwas monolithisch unangreifbares darzustellen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zwar oft eindeutig, die Beurteilung der daraufhin zu unternehmenden Massnahmen durchaus unterschiedlich. Auch gibt es nicht "Die Wissenschaft" und "Die Wissenschaftler". Es gibt hunderte von wissenschaftlichen Disziplinen und daher hunderte Perspektiven, aus denen man die gleiche Sachlage betrachten kann und die aus jeder Perspektive andere Handlungsempfehlungen geben. Insbesondere bei den im Artikel genannten Punkten der Schulschliessung und der Kontaktsperren war dies der Fall. Niemand hat infrage gestellt, dass diese Wirksam gegen die Pandemie seien. Die komplette Diskussion für/wieder Schulschliessung/Kontaktsperren drehte sich nur darum ob der durch diese Maßnahmen erzeugte Vorteil den durch die Maßnahmen erzeugten sozialen/gesellschaftlichen/etc Schaden aufwiegt. Und da gehen die durchaus fundierten Meinungen verschiedener Wissenschaftler durchaus auseinander. Die Schliessung einer Schule hat nun mal nicht nur virologische Auswirkungen, sondern auch soziale, pädagogische, wirtschaftliche. Daher ist es völlig legitim, auch andere Gesichtspunkte zuzulassen.

    Ein satirischer Schluss: Aus rein virologischer Sicht ist es ohne Zweifel vorteilhaft (und sicherlich wissenschaftlich anhand Krankheitsfällen belegbar), sämtlichen Zeitungsdruck/-Verkauf/-Auslieferung in Deutschland einzustellen. Plädiert die Autorin daher jetzt für die Einstellung der taz oder ist sie da anderer Meinung?

    • @Jürgen Meyer:

      Das ist, Verzeihung, Unsinn. Wissenschaft hat sich wissenschaftlicher Kritik zu stellen, sicher nicht journalistischer. Journalismus sollte versuchen zu verstehen, und allgemeinverständlich zu berichten - und scheitert in der Regel daran.



      Auch im zweiten Punkt vermischen Sie unvereinbare Dinge, nämlich wissenschaftliche Fakten und politische (whatever) Massnahmen. Letzteres hat leider mit ersterem oft kläglich wenig zu tun, betrachten Sie ein beliebiges aktuelles Problem wie Klimawandel oder Viruspandemien. Dummerweise bleibt es letztlich auch Politikern überlassen, "größere Wahrheiten" aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen einander nicht berührender Fachgebiete (wie Pädagogik und Virologie) zu generieren - und dabei kommt leider oft Mist raus.



      Was kein Wunder ist. Wissenschaft generiert keine "Wahrheit". Wissenschaft generiert den aktuellen Stand des Irrtums. Das wollen nur immer alle als "die wissen's ja auch nicht besser" lesen dürfen. Tja. Bisschen dämlich, diese Haltung.



      BTW: Ihre Vermutung zu Druckerzeugnissen ist falsch.

    • @Jürgen Meyer:

      Ich teile Ihre Sicht uneingeschränkt und frage mich, ob der von Frau Zinkant angestrebte Weg der Wissenschaftskommunikation nicht in einer dogmatisch barrikadierten Einbahnstraße endet. Genau dann muss man sich die Frage stellen, wofür wir Journalisten benötigen, wenn das Erklären allein nicht mehr ausreichen soll.



      Nein, ich möchte nicht, dass „politisch orientierte“ Wissenschaftsberichterstattung nur dann als „faktenbasiertes Argument“ gewürdigt wird, wenn Experte Böhmermann sein Ok dazu gibt.



      Wissenschaftskommunikation kann natürlich etwas gegen echte Fake-News beitragen, aber ständige Verweise auf böse Springer-Medien oder Herrn Streeck etc. als für die Wissenschaftsskepsis mitverantwortliche Phänomene, grenzen dann auch an betriebsblinden Populismus. Wenn Wissenschaftsjournalismus hier etwas tun kann, dann sollte er sich nicht im ständigen Betonen der eigenen Relevanz für die Politik erschöpfen, sondern stattdessen mehr Betonung auf Erkenntnisgewinn legen.



      Lesenswert:



      Politikberatung, bis der Elefant mit dem Rüssel wackelt!: dirnagl.files.word...en-38-lj_21_05.pdf

  • Das Problem ist, das Wissenschaftsjournalismus als Wissenschaft wahrgenommen werden will, aber auch meist im Journalismus stecken bleibt. Gibt es dann Einzelfälle, in denen sich herausstellt, dass die "Wisenschaftliuchkeit" doch nicht so wssenschaftlich war sondern mehr Meinungskampf, sinkt die Akzeptanz von Journalismus gewaltig. Das genau ist während Corona den Journos passiert, weil man halt dem Hang nachgab, die eigene Agenda zu propagieren. Das wird man jetzt nicht mehr schnell los sondern muss sich Glaubwürdigkeit wieder erkämpfen.

  • 9G
    92489 (Profil gelöscht)

    Es ist absolut berechtigt daran zu zweifeln ob man sich impfen lassen möchte: www.zeit.de/2022/2...gen-nebenwirkungen

    Davon abgesehen finde ich widerspricht sich der Text ein wenig selbst, wenn es heißt ...

    "Denn wenn Meinungen genauso viel zählen wie die Faktenlage, wenn einzelne Studien benutzt werden dürfen, um die Evidenz – die gesamte Erkenntnislage – infrage zu stellen – wozu braucht man dann noch Journalistinnen [...]"

    Wo zuvor anerkannt wurde, dass ...

    "Waren Schulschließungen wirklich nötig oder überhaupt wirksam? Die ersten Studien zeichneten ein uneinheitliches Bild, so uneinheitlich wie die Situationen, in denen die Schulen in den verschiedenen Ländern steckten."

    ... Und ...

    "Alle gemeinsam aber waren nun mit etwas konfrontiert, was ihnen fremd war: mit dem, was Forschung eigentlich ausmacht – dem Prozess, der Wissen in der Wissenschaft überhaupt erst schaffen kann.

    Datenerhebungen, Studien, Analysen und dazwischen viel Unsicherheit. Es gibt gute und schlechte Studien. Eine Studie allein liefert selten endgültige Erkenntnisse. Wissenschaft ist ein mühsamer, annähernder Prozess, aus dem sich erst allmählich Gewissheiten formen. "

    Es gab da also wohl durchaus Spielraum für unterschiedliche Meinungen zur jeweiligen Faktenlage.

    Letzten Endes leben wir nicht in einer Technokratie sondern in einer Demokratie, da sollten dann vielleicht die Medien schon auch unterschiedliche Meinungen abbilden, sonst müsste man sich fragen inwiefern die vierte Gewalt verfälschenden Einfluss nimmt (laut Zeit noch 1/4 ungeimpfte). Ich meine jetzt nicht Hildman-Wendler-Style Ergüsse.

    • @92489 (Profil gelöscht):

      Wissenschaft hat mit Demokratie nichts zu tun, Wissenschaft nähert sich, wie im Artikel beschrieben, mit denen ihr zur Verfügung stehenden Methoden an den realen Sachverhalt an. "Meinung" hat in der reinen Wissenschaft nichts zu suchen. Wie und von wem die Fakten interpretiert werden, steht auf einem ganz anderen Blatt. Es gibt durchaus "Kreative", die aus einen Regenwurm einen Drachen zaubern können und umgekehrt. Das liegt unter anderem z.B. daran, daß der gemeine Endverbraucher Schwierigkeiten hat, Korrelation und Kausalität auseinanderzuhalten.

    • @92489 (Profil gelöscht):

      "Es ist absolut berechtigt daran zu zweifeln ob man sich impfen lassen möchte"



      Aja? Weil die Zahl der von "Impfschäden"-Betroffenen größer wäre als die der an COVID Verstorbenen, an LongCOVID und an PostCOVID Erkrankten?

  • Wir brauchen auch eine evidenzbasierte Politik. Dort ist es doch ähnlich wie im Journalismus.

  • Auch in anderen Zeitungen inklusive der taz ist es doch so, dass wissenschaftliche Themen wie Corona, aber noch deutlicher der Klimawandel in erster Linie als politische und gesellschaftliche Themen behandelt werden und wissenschaftliche Fakten viel weniger vorkommen, als Berichterstattung über politische Debatten oder gesellschaftliche Auswirkungen. Aufmerksamkeit steht über Lösungsansätzen. Man konnte auf dieser Seite alles darüber erfahren, welcher Politiker oder Redakteur mit geisteswissenschaftlichen Background für Kinderimpfungen oder Impfpflicht war und sehr viel weniger darüber, was Wissenschaftler dazu sagen

    Beim Klimawandel ist es noch krasser. Es geht viel mehr um irgendwelche Aktivisten, die meist weder eine naturwissenschaftliche Ausbildung noch Lösungsansätze haben, und fast nie um neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Entwicklungen, die uns dabei helfen das Problem zu lösen.

    Das ganze Berufsbild des Journalisten muss sich eigentlich ändern. Nicht mehr Leute, die nach einem Studium der Germanistik, Publizistik oder Politikwissenschaften ein Volontariat durchlaufen, sondern Leute, die einen echten Wissensvorsprung haben und den gut an Laien vermitteln können.

  • Berichterstattung hin oder her - im kommenden Herbst werden wir wieder ein massives Corona-Problem haben.

    Wer sich nicht jetzt schon dem Irrsinn einer Urlaubsreise ausgesetzt hat - horrende Preis, v.a. auch für Mietwagen, Hotels - alles - der wird im Herbst schlechte Karten haben.

    Hauptsächlich weil man zu lasch mit den Impfverweigerern umgeht. Die tanzen uns auf der Nase rum, die im kommenden Winter auch noch eiskalt sein dürfte.

  • Das Oberthema ist die Qualität von Journalismus und die Setzung der Themen.



    Ich bin schon länger der Meinung Wissenschaftsjournalismus verstärkt Raum zu geben und das tägliche politische Meinungsbildungsgedöns und Skandalsuchverhalten zurückzufahren. Blöd, dann hätten nämlich 50% der Journalisten keinen Job mehr weil die sich inhaltlich wissensbasierte Fachexpertise nicht erarbeiten können. Also geht's weiter mit der täglich schwankenden Meinungsbildung a la "kann man doch mal so sagen" in mixed Kommentar-Hörensagen-wikiyoutubequelle-Abschreibmodus. Dass die TAZ zumindest versucht sich davon nicht allzusehr mitreißen zu lassen will ich nicht unerwähnt lassen.

  • Wieder einmal Danke für den Finger in der Wunde. Meinung gleichberechtigt neben Fakten? Vorstufe zum Trumpismus? Die Informationsgesellschaft habe ich mir nicht als harten Kampf um die Köpfe vorgestellt, bei dem scheinbar alles erlaubt ist, auch das Leugnen der Fakten in Qualitätsmedien. Ist das eine Ursache für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft?

  • Ja, Wissen ist nie schlecht und in einer komplexeren Welt wohl noch wichtiger.

    Was ich dabei nicht verstehe, sind die Anspielungen im Artikel: z.B. dass Kontaktbeschränkungen Covid aufhalten ist sicher richtig, so isoliert für sich aber eine irrelevante Aussage, weil es dazu mehr komplexe Fragen und Randbedingungen gibt, als hier in die Zeilen passen. Von daher ist mir die Stoßrichtung nicht ganz klar, für was dieser Artikel mehr Wissen verwenden würde.

    Wissen kann glaube ich immer nur begleiten - der öffentliche Diskurs muss dagegen immer auch (und deutlich) von Meinungen und persönlichen Bewertungen leben. In D hat sich eine Mentalität entwickelt, dass wichtige Fragen durch Wissen zu entscheiden wären - was natürlich nicht der Fall ist. Das Wissen sollte da sein, es sollte halbwegs transparent sein, was ein Wissensanteil ist und was mehr Meinung, Vorliebe, politische Entscheidung. Aber relevant sind am Ende immer mehr Meinungen, Vorlieben, Entscheidungen. Sonst müsste man auch das GG umschreiben.

  • Scientific Diversity

    Zitat: „Weil die Wirkung nachweislich wirksamer Schulschließungen angezweifelt wurde,“

    Diese Wirksamkeit wurde vor allem in Schweden angezweifelt, und das zu Recht: Ein Vergleich des Infektionsgeschehenes zwischen Finnland (Schließung der Kindereinrichtungen und Schulen) und Schweden ohne dergleichen ergab keinen signifikanten Unterschied der Verlaufskurven. Die Schulschließungen waren mithin für die Katz.

    Zitat „Die stilisierte Expertenkontroverse mit dem Bonner Aids-Forscher Hendrik Streeck war nur eine erste – eine, die auch viele Qualitätsmedien mitmachten. Ein Teil der Medien aber hat sich regelrecht an dem Berliner Virologen abgearbeitet. Das ist nicht nur beschämend, sondern verdient eine nähere Betrachtung – und zwar deshalb, weil der „Fall Drosten“ in einem engen Zusammenhang zum Fall „Wissenschaftsjournalismus“ steht.“

    Diese Kontroverse wird auch in diesem Artikel sehr parteilich wieder aufgegriffen, und sei es durch die sprachliche Etikettierung von Prof. Streeck als „Aids-Forscher“, damit insinuierend, der habe im Gegensatz zu seinem Vorgänger als Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Med. Fakultät der Universität Bonn von Corona-Viren keine Ahnung. Die überwiegende Mehrzahl der Official-Mind-Medien, um nicht zu sagen „Qualitätsmedien“, hat sich nicht an Prof. Drosten, dem Darling aller Talkshows und Podcasts, sondern ganz im Gegenteil an Prof. Streeck „abgearbeitet“, erkennbar wegen dessen weniger alarmistischen Sicht auf die Epidemie. Insofern war viel eher der „Fall Streeck“ Auslöser des Falles „Wissenschaftsjournalismus“, wo die wenigsten unter den Spartenaktivisten eine coronabezogene wissenschaftliche Expertise ausweisen, die mit der von Prof. Streck Schritt halten könnte.

    Das Wesen wissenschaftlichen Streits besteht in der Konfrontation divergierender Positionen. In der Corona-Frage spiegelt sich diese Scientific Diversity auch nicht nur näherungsweise in der Berichterstattung wider - bis heute.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Guter Kommentar!

  • Grundsätzlich fast alles richtig. Unter den Teppich gekehrt wird hier allerdings, dass es durchaus verschiedene Schlussfolgerungen aus denselben Fakten geben kann.

    Damit ist z.B. folgendes gemeint:



    Es ist (zumindest rückblickend) tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass Schulschließungen einen Beitrag zur Eindämmung beigetragen haben.



    Ob das die richtige politische Entscheidung war ist allerdings nicht schlicht faktenbasiert zu beantworten. Hier handelt es sich um eine Bewertung, die sehr viele Fakten zur Grundlage hat. Und je nach Gewichtung gibt es dann eben schon unterschiedliche Meinungen, ob die Schulschließungen richtig waren oder nicht.

    Wissenschaftsjournalist*innen haben nämlich auch eine Meinung, die über reine Fakten hinausgehen und es ist schon etwas überheblich, diese "Zunft" hier als die einzigen faktenbasierte darzustellen.

    Schauen wir uns doch mal an, was die Autor*in z.B. in letzter Zeit zu Corona geschrieben hat. Da wird z.B. auch an einem Narrativ weiter gestrickt, dass mangelnde Impflust Hauptgrund der nicht enden wollenden Pandemie, da mangelhafte Immunitätslage, wäre. Das entspricht nicht den Fakten, denn genesen zu sein (insbesondere in Kombination mit Impfung - hybride Immunität) verbessert sogar die Immunitätslage.

    Also: wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Und Fakten gezielt weglassen ist nicht viel besser als falsche Fakten zu verbreiten.

    • @Ringsle:

      Was ich im vielleicht letzten halben Jahr dazu gelesen habe, war, dass der Schutz vor Ansteckung bei den neueren Coronatypen abnimmt, die Impfung aber die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes drastisch reduziert. Passen Sie auf ihr Glashaus auf! Es könnte zu Bruch gehen!

      • @Ingo Knito:

        Sie haben vollkommen recht. Das habe ich auch nicht bezweifelt. Im Gegenteil. Gerade im Zusammenhang mit der (ohnehin) stattfindenen Durchseuchung ist es ausgesprochen wichtig, dass diese durch Impfungen flankiert wird.



        Nur mit der Impfung haben wir es geschafft das Hauptproblem von COVID (die schweren Verläufe) auf ein Minimum zu reduzieren!