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Wehrbericht zieht miese BilanzStell dir vor, es ist Krieg und keiner geht zur Bundeswehr

Cem-Odos Gueler
Kommentar von Cem-Odos Gueler

So viele neue Sol­da­t:in­nen wie nie, hohe Budgets in Aussicht: Eigentlich sollte die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein – doch der Wehrbericht zeichnet ein anderes Bild.

Der Alltag bei der Bundeswehr ist meistens laaaaaaaaangweilig, deshalb verlassen viele SoldatInnen die Bundeswehr nach kurzer Zeit Foto: Sergey Kohl/Zoonar/imago

A m fehlenden Pathos liegt es nicht. Die Demokratie künftig auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, ist ein Szenario, das Parteien von der CDU bis zu den Grünen unverblümt in den Raum stellen. Was der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler mal als freundliches Desinteresse der Deutschen an der Bundeswehr bezeichnete, ist mit dem Angriff Russlands längst einer salbungsvollen Rhetorik gegenüber der Truppe gewichen. Und diese Argumentation scheint zu verfangen.

Der nun vorgestellte Bericht der Wehrbeauftragten zeigt: Die Bundeswehr verzeichnete 2024 die meisten Einstellungen seit fünf Jahren. Doch es ist eine andere Zahl, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Etwa 20 Prozent dieser 20.000 Soldatinnen und Soldaten quittierten ihren Dienst wieder nach wenigen Monaten. Im Vorjahr lag die Quote der Abbrecherinnen und Abbrecher innerhalb der Probezeit gar bei 25 Prozent.

Die Wehrbeauftragte und SPD-Politikerin Eva Högl hatte bei der Vorstellung ihres Berichts dafür eine simple Antwort parat: Die Soldatinnen und Soldaten langweilten sich im Dienst. Klar, es gibt Schöneres im Leben eines jungen Menschen, als den halben Tag rumzusitzen und die andere Hälfte des Tages irgendwelchen frustrierten Brüllkommandos von Ausbildern zu folgen, die nicht mit Trainingsgeräten aufwarten können und auch sonst überfordert sind.

Enttäuschung garantiert

Anders gesagt: Wer aufgepeitscht durch die Bundeswehrwerbung und ihrer Actionfilm-Ästhetik zur Truppe kommt und dann auch noch denkt, er täte einen glorreichen Dienst an der Demokratie, könnte angesichts vor sich hin modernder Kasernen schnell enttäuscht das Weite suchen wollen.

Kurios ist, dass finanziell eigentlich alles möglich scheint, um diesen Zustand schnell zu ändern. Sondervermögen, Grundgesetzänderungen, Milliarden für die Verteidigungsindustrie werden angesichts der geopolitischen Lage quer durch die Parteien der politischen Mitte für notwendig befunden. Da ist die Frage berechtigt: Kommt wirklich so wenig bei der Truppe an oder jammert sie auf hohem Niveau?

Die Wehrbeauftragte begründete die Überbelegung in mancher Kasernenstube, das fehlende Gerät und Personal mit jahrelangen Einsparungen bei der Bundeswehr, denen nun im Eiltempo begegnet werden müsse.

So behäbig wie es in der Beschaffung zugeht, scheinen sich auch einige Umgangsformen in der Truppe konsequent zu halten: Der Bericht der Wehrbeauftragten nennt Saufgelage und Gewalt, Hitlergruß und antisemitische Äußerungen sowie sexualisierte Diskriminierung. Das sind weitere triftige Gründe, während eines Dienstes bei dieser Truppe schnell das Weite suchen zu wollen.

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Cem-Odos Gueler
Parlamentsbüro
Berichtet seit 2023 als Korrespondent im Parlamentsbüro der taz unter anderem über die FDP, die Union und Verteidigungsthemen. Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Köln, Moskau und London.
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14 Kommentare

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  • Der Artikel sagt, die Abbrecherquote verrät viel über die Attraktivität des Beruf des Soldaten - ich sage, die Abbrecherquote bestätigt das Bild über die Gen Z...



    Ansonsten, wenn es tatsächlich an der Attraktivität liegt, einfach Prämien einführen beispielsweise eine ordentliche Geldsumme für die Vollendung eines Wehrdienstes oder man öffnet die Bundeswehr für Ausländer und wer einen 5-jährigen Wehrdienst erfüllt bekommt im Anschluss die deutsche Staatsangehörigkeit - gerade letztere Variante dürfte einen hohen Pool an Rekruten generieren 🤷‍♂️

  • "Die Soldatinnen und Soldaten langweilten sich im Dienst ... Saufgelage und Gewalt, Hitlergruß und antisemitische Äußerungen sowie sexualisierte Diskriminierung. ..."

    Lodderladen mit Rechtsdrall! ... könnte man so sagen, oder?

  • Kein Geld der Welt wird ändern, dass Krieg nicht sexy ist. Auch keine Werbung.

  • Einbürgern, so hat es das Römische Reich auch gehalten.



    s/

    • @Janix:

      Ich muss gerade an "Asterix als Legionär denken"...

  • Naja wir haben auch bei Ausbildungen in der freien Wirtschaft mittlerweile eine Lösungsquote von um und bei 20 % im ersten Jahr, warum soll es dem Bund da besser gehen?

  • "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht zur Bundeswehr"

    na, dann kommen die Russen, übernehmen den ganzen Laden und dann wollen wir mal sehen wer es bereuen wird hier nichts unternommen zu haben..

    • @Gerald Müller:

      Wann war der letzte CSD in Moskau?

  • Nichts treibt einem jungen Menschen so schnell die romantischen Vorstellungen vom Soldatenleben aus wie das ständige Schlangestehen, Putzen oder das schnarchen und die nächtlichen Flatulenzen der Kameraden.

    Umso mehr sollte die Gesellschaft Respekt für diese Menschen zollen die dies in Kauf nehmen. Meist weit weg von der Familie, den Liebsten immer bereit Leib und Leben zu riskieren.

    Da ist es das Mindeste, diese Menschen anständig auszurüsten. Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit mehr in Europa was uns Russland lehrt.

    "Der Bericht der Wehrbeauftragten nennt Saufgelage und Gewalt, Hitlergruß und antisemitische Äußerungen sowie sexualisierte Diskriminierung"

    Könnte auch eine Party auf Sylt sein. So lange sich viele gemäßigte Menschen oder Linke der Armee (Polizei) verweigern, wird sich an diesen Zuständen dort auch nichts ändern.

  • Ein hoher Offizier der Bundeswehr quitierte den Dienst. Begründung: er habe genug von der Brüllerei bei der Bundeswehr und er sehne sich nach zivilen Umgangformen.



    Warum also müssen erwachsende Frauen und Männer wie die letzten Deppen behandelt werden, wenn in anderen Bereichen des zivilen Lebens, die nicht minder gefährlich und anspruchsvoll sind, Teamwork und Respekt an der Tagesordung sind?

    • @Lindenberg:

      Weil man - leider kaum anders auszudrücken - die Tötungshemmung und Angst so übertönt werden. Nicht jeder wird 1000 km von der Front die Etappe ruhig organisieren.

      Wobei die dt. Wehmacht laut Historiker van Crefeld auch deshalb so lange durchgehalten habe, weil sie demokratischer, eigenverantwortlicher drauf gewesen sei als Russen oder Amerikaner.

  • Die Abbrecherzahlen unterscheiden sich kaum von den Abbrüchen bei Ausbildungen oder Studiengängen ( die zum Teil noch höher liegen).



    Hier eine Sonderstellung für die Bundeswehr herauszulesen, ist somit ungenau.



    Es wird deutlich, dass wir auf längere Sicht nicht um einen verpflichtenden Dienst herum kommen. Das schwedische Modell ist derzeit realistisch, wird aber bzgl. der Wehrgerechtigkeit auf Dauer fraglich.



    Ein Dienst für Alle scheint somit nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft zu sein.



    Die 90er mit der Infragestellung der Existenz der Bundeswehr sind hingegen Geschichte.

  • Zitat: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht zur Bundeswehr“

    Ach, das waren noch Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat…

    • @Reinhardt Gutsche:

      Stell Dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin



      - dann kommt der Krieg zu Euch!



      Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,



      und lässt andere kämpfen für seine Sache,



      der muss sich vorsehen:



      denn wer den Kampf nicht geteilt hat,



      der wird teilen die Niederlage.



      Nicht einmal Kampf vermeidet,



      wer den Kampf vermeiden will:



      denn es wird kämpfen für die Sache des Feinds,



      wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.